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DOI: 10.1055/s-0033-1354781
Akutes Kompartmentsyndrom – Klinische Beurteilung oder Druckmessung?
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
27. August 2013 (online)
Zur Diagnostik und Therapieentscheidung beim akuten Kompartmentsyndrom ist die klinische Beurteilung etabliert. Inwieweit eine apparative Kompartmentdruckmessung zur Verifizierung beitragen kann, ist bisher offen. Die Edinburgher Arbeitsgruppe um M.M. McQueen hat die Sensitivität und Spezifität der kontinuierlichen Druckmessung untersucht.
McQueen MM et al. The Estimated Sensitivity and Specificity of Compartment Pressure Monitoring for Acute Compartment Syndrome. J Bone Joint Surg Am 2013; 95: 673–677
Methodik
Hinsichtlich der Diagnostik des akuten Kompartmentsyndroms (KS) war die Grundlage der Studie die retrospektive Untersuchung von Patienten mit diaphysärer Tibiafraktur in einem Zeitraum von 10 Jahren (1998–2007). Zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme wurde allen beteiligten Patienten mit Tibiaschaftfraktur eine Messsonde in das vordere Unterschenkelkompartiment eingelegt und eine kontinuierliche Messung bis 24 Stunden durchgeführt. Im Rahmen dieses Messverfahrens wurde als Perfusionsdruck die Differenz zwischen diastolischem Blutdruck und gemessenem Gewebedruck bestimmt und mit 30 mmHg die Schwelle zur Diagnosestellung des akuten KS definiert. Anhand der Messungen und der klinischen Befunde wurde die Indikation zur Fasziotomie gestellt. Das Vorhandensein eines akuten KS wurde intraoperativ durch das Herausquellen der Muskulatur nach Fasziotomie mit Muskelentfärbung bzw. Nekrose (fehlende Muskelkontrakturen nach Punktion, fehlende Blutung) definiert. Ein nicht vorhandenes KS wurde bei fehlenden neurologischen Auffälligkeiten oder klinischer Symptomatik zum Abschluss des Nachbeobachtungszeitraumes (durchschnittlich 59 Wochen) definiert.
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Ergebnisse
Die Autoren behandelten insgesamt 1184 Patienten mit Tibiaschaftfraktur. Bei 979 Patienten erfolgte das beschriebene Monitoring gemäß Kompartmentdruckmessung. 129 Patienten wurden aus der Studie ausgeschlossen, sodass insgesamt 850 Patienten untersucht werden konnten. Von dieser Untersuchungsgruppe wurden 152 Patienten fasziotomiert (17,9 %).
Folgende 6 Gruppen wurden hierbei insgesamt eingeteilt:
152 Patienten mit Fasziotomie:
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korrekt positive Gruppe (141 Patienten) = pathologisch erhöhte Druckmesswerte plus intraoperative Bestätigung des KS
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falsch positive Gruppe (6 Patienten) = pathologisch erhöhte Druckmesswerte, intraoperativ unauffälliger Befund
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falsch negative Gruppe (5 Patienten) = unauffällige Druckmessung, aber OP, da klinische Symptomatik und intraoperativ Bestätigung des KS
698 Patienten ohne Fasziotomie:
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korrekt negative Gruppe (689 Patienten) = unauffällige Druckmessung und langfristig keine klinische Symptomatik im Beobachtungszeitraum
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falsch negative Gruppe (4 Patienten) = unauffällige Druckmessung, klinischneurologische Befunde im Beobachtungszeitraum zurückzuführen auf KS
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falsch positive Gruppe (5 Patienten) = pathologisch erhöhte Druckmesswerte, aber keine operative Fasziotomie bei klinisch unauffälligem Primärbefund und langfristig fehlender klinischer Symptomatik im Beobachtungszeitraum
Aus dieser Gruppenzusammenstellung lassen sich die Sensitivität (94 %) und Spezifität (98 %) der Kompartmentdruckmessungen berechnen.
Die Autoren empfehlen anhand der ermittelten hohen Sensitivität und Spezifität der Kompartmentdruckmessung-eine kontinuierliche Messung bei allen Patienten mit kompartmentgefährdeten Tibiafrakturen. Im Zweifelsfall würde die Empfehlung zur Fasziotomie bestehen, da eine kalkulierbare geringe Morbidität im Rahmen des Fasziotomieeingriffs weniger einschränkend erscheint als die Folgen eines übersehenen KS. Als kritische Prüfung des Artikels ist in der gleichen Ausgabe des J Bone Joint Surg Am ein Kommentar von A.H. Schmidt publiziert, der die Erfahrungen der Edinburgher Arbeitsgruppe würdigt. Kritisch hinterfragt wird die Einschätzung des fehlenden Kompartmentsyndroms, wenn nach 48 Stunden ein vollständiger Faszienverschluss wieder möglich ist. Dieser Bereich fällt in die Grauzone des "Präkompartmentsyndroms". Ein kurzfristig möglicher Faszienverschluss spricht nicht automatisch für eine falsche Indikationsstellung zur primären Fasziotomie. Die beschriebene neurologische Auffälligkeit müsse nicht zwangsläufig die Folge eines akuten KS sein, direkte myoneurale unfallbedingte Schäden seien ursächlich möglich. Weiterhin schätzt A.H. Schmidt den Anteil der Fasziotiomierate in der Untersuchungsgruppe (17,9 %) als unerwartet hoch ein.
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Kommentar
Der Leser wünscht sich die Darstellung der konkreten Messmethodik, um somit eigene in Deutschland praktizierte Meßmethoden mit den Edinburgher Erfahrungen vergleichen zu können. Stattdessen wird man auf vorausgegangene Artikel von 1990 und 1996 verwiesen. Insgesamt konnten konkrete klinische Angaben erbracht werden. Im Einklang mit dem Kommentar von A.H. Schmidt besteht weiterhin keine "absolute Pflicht" zur einmaligen oder kontinuierlichen Kompartmentdruckmessung. Der behandelnde Chirurg muss in jedem Einzelfall mögliche Risiken einer "Überbehandlung" gegen die Konsequenzen eines übersehenen KS abwägen. Dahingehend kann die Nutzung eines Messverfahrens sehr hilfreich sein.
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