Zwack J, unter Mitarbeit von Mundle G.
Wie Ärzte gesund bleiben – Resilienz statt Burnout.
Stuttgart: Thieme Verlag; 2013. 104 Seiten, 39,99 €
ISBN: 978-3-13-171631-6
Dass viele Ärzte nicht gerade gesund leben, ist offensichtlich. Neu ist, dass sie sich zunehmend darüber bewusst werden. Der „Gott in Weiß“ ist nur noch eine ferne Geschichte, sie wären froh, sie wären wenigstens zufrieden in Jeans. Viele Jüngere nennen ihr Gesunderhaltungsprogramm „Work-life-balance“ und setzen darauf, dass die Begrenzung von Karrierezielen und von Zeiten, die sie bei der Arbeit verbringen, sie davor bewahrt, sich selbst zu verlieren. Chillen als Mittel gegen Überforderung. Seltsam nur, dass das Gefühl, überfordert zu sein, überwiegend offenbar eher zu- als abnimmt: „gestresst“ fühlt sich jeder, und zwar nicht nur bei der Arbeit, sondern auch zu Hause. Burnout ist der Endzustand einer Entwicklung, in der auch das Privatisieren und Chillen keine Antwort mehr ist.
„Resilienz statt Burnout“ – das ist das Rezept, das speziell uns Ärzten nun in diesem Werk angeboten wird. Was bedeutet „Resilienz“? Bei Wikipedia heißt es: „Resilienz (lateinisch resilire ‚zurückspringen‘, ‚abprallen‘, deutsch etwa Widerstandsfähigkeit) beschreibt die Toleranz eines Systems gegenüber Störungen. Resilienz kann hierbei als Fähigkeit eines Systems verstanden werden, mit Veränderungen umgehen zu können.“ Die „Störung“, die hier in Frage steht, ist die tägliche Überforderungssituation, die „Widerstandsfähigkeit“ ein Programm der Kontrolle über unsere Ziele und Mittel. Sich selbst derart zu kontrollieren muss erlernt werden, indem man sich selbst und seine Denkgewohnheiten erkennt, neurobiologisch bahnen hilft, Zeit gewinnt und in kleinen Schritten zwar, aber nachhaltig sein Programm verfolgt. Und dann gilt es zu investieren: in Beziehungen zu unseren Patienten, in unsere außerberuflichen Lebenswelten, Arbeitsbeziehungen, Selbstorganisation und Selbsterkenntnis.
So einfach ist das, und so schwer. Es wird aber sehr deutlich, dass das Programm der „Work-life-balance“ zwar etwas Richtiges trifft, aber in einem Punkt fundamental falsch liegt: wer meint, sich durch Rückzug des Engagements allein schützen zu können, wer nicht – in der Sprache dieses Buches – investiert, liegt falsch. Unsere Zeit ist in weiten Grenzen eine Frage unserer Lebensführung, weniger ein bestimmtes Verhältnis von Arbeits- und Berufszeit. Diese Einsicht wird in diesem Buch sehr gut herausgearbeitet.
Damit allerdings haben wir auch schon die Grenzen des „Resilienz“-Programms gezeichnet. Er reicht nämlich nicht aus, eine Strategie zu verfolgen, widerstandsfähig zu bleiben. Um überhaupt Ziele formulieren zu können, müssen wir für uns die Frage nach der „Eudaimonia“ stellen: was ist ein „gutes Leben“? Was macht ein gelingendes Leben aus? Rudi Dutschke hat einmal formuliert, im Kapitalismus könne kein Mensch glücklich werden. Stimmt das? Wir werden jedenfalls kaum darüber hinwegsehen können, dass ein „gutes Leben“ ein sittlich selbstbestimmtes sein muss („Wie soll ich leben?“), das die Zumutungen des Alltags auch auf ihre Gründe hin befragen muss, um nicht nur individuell widerstandsfähig zu bleiben, sondern auch in gemeinsamer Anstrengung im Rahmen des Möglichen an der Veränderung dessen zu arbeiten, was uns das gelingende Leben schwer oder gar unmöglich macht. Kurz: Resilienz ist Teil der Ethik als Lehre vom gelingenden Leben, und Ethik kann nicht nur ein privates Programm bleiben.
Ein sehr lesenswertes Buch für jeden Arzt. Wer darüber hinaus lesen möchte (eigentlich muss man das), dem sei das Werk von Robert Spaemann, „Glück und Wohlwollen“, Klett Cotta Verlag empfohlen.
Prof. Dr. med. Santiago Ewig, Bochum