PPH 2013; 19(04): 222-223
DOI: 10.1055/s-0033-1351369
Quintessenz
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Adherence therapy following an acute episode of schizophrenia: A multi-centre randomised controlled trial

Contributor(s):
Michael Schulz
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Publication Date:
24 July 2013 (online)

Eine randomisiert kontrollierte Studie zur Überprüfung der Wirksamkeit der Adherence-Therapie

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(Foto: Elsevier)

Psychiatrische Pflege sieht sich im Hinblick auf die von ihr durchgeführten Interventionen einem wachsenden Begründungsdruck ausgesetzt. Im Sinne einer evidenzbasierten Behandlung gewinnen wissenschaftliche Hinweise auf die Wirksamkeit von Maßnahmen zunehmend an Bedeutung. Auch im Rahmen des SGB V und des Krankenpflegegesetzes wird eine wissenschaftliche Basierung von Interventionen gefordert.

Die Wirksamkeit von Interventionen kann man anhand von Experimenten nachweisen. Versuchsanordnungen im medizinischen und pflegerischen Bereich werden häufig durchgeführt, indem man Versuchspersonen zufällig unterschiedlichen Versuchsbedingungen zuordnet und die zu überprüfende Intervention gegen eine andere Intervention oder die übliche Behandlung testet. Man spricht von randomisert kontrollierten Studien (RCT – randomised.controlled trials; [Glossar]). Obwohl dieser Form des Wirksamkeitsnachweises in der Medizin eine wachsende Bedeutung zukommt, gibt es in der Psychiatrischen Pflege im deutschsprachigen Raum bisher nur sehr wenige Beispiele solcher Studien. Zu den wenigen randomisierten Studien im Bereich der psychiatrischen Länder gehört die Studie von Abderhalden et al. [1] zur Anwendung von strukturiertem Risiko-Assessment zur Reduzierung von Gewalt auf akutpsychiatrischen Stationen. Es konnte gezeigt werden, dass der Einsatz eines strukturierten Risikoassessments zu einer Reduktion von Gewalt geführt hat. Die Studie wurde im British Journal of Psychiatry veröffentlicht – einer der bedeutendsten wissenschaftlichen Zeitschriften im Bereich der Psychiatrie weltweit. Damit sind diese Erkenntnisse in den wichtigen Datenbanken der Welt sofort auffindbar und für psychiatrisch Pflegende in der Welt nutzbar.

In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, eine randomisiert kontrollierte Studie vorzustellen, die wir zur Überprüfung der Wirksamkeit der Adherence-Therapie durchgeführt haben.

Hintergrund: Psychiatrische Pflege ist im Bereich kommunikativer und psychosozialer Interventionen seit jeher zuhause. Gerade im akutpsychiatrischen Setting ist oft die Arbeit im Hinblick auf das längerfristige Krankheitsmanagement, die Arbeit an der Krankheitsverlaufskurve, Gegenstand der Gespräche. Gerade die Zeit kurz nach der Entlassung ist aus Sicht der Betroffenen häufig mit vielen Fragen und Unsicherheiten verbunden. Ein wichtiges Thema ist für die Patienten die Frage der langfristigen Einnahme von Medikamenten. Häufig werden Patienten im Rahmen stationärer Aufenthalte auf Medikamente eingestellt, die sie langfristig einnehmen sollen. Obwohl das Krankheitsmanagement auch jenseits von Medikamenten von den Betroffenen viel Arbeit erfordert und viele Überlegungen mit sich bringt, finden diese Fragen im Rahmen der Behandlung wenig Raum. Dabei konnte durch mehrere Studien gezeigt werden, dass diagnoseübergreifend langfristige medikamentöse Therapien nach einem Jahr nur noch von 50 Prozent der Betroffenen umgesetzt werden. Jedem Zweiten gelingt es also nicht, langfristige Therapieprogramme – sei es nun eine Diät oder eine Medikamenteneinnahme – umzusetzen. Psychiatrische Pflege fokussiert auf die Auswirkung von Erkrankung auf den Alltag und damit auf Aspekte der Alltagsgestaltung. Von daher sind Interventionen zum langfristigen Krankheitsmanagement in der Berufsgruppe der Pflege besonders gut angesiedelt.

Eine mögliche Intervention ist die Adherence-Therapie [2]. Dabei handelt es sich um eine psychotherapeutische Kurzintervention, die Pflegende nach entsprechender Schulung durchführen. Adherence meint hierbei einen ergebnisoffenen Zugang, in welchem der Pflegende gemeinsam mit dem Betroffenen nach dem für ihn besten Behandlungskonzept sucht. Dies kann auch bedeuten, dass ein Patient herausfindet, dass Medikamente aktuell für ihn nicht der beste Weg sind – auch wenn das Behandlungsteam das anders sieht. Dabei kommen verhaltenstherapeutische Techniken ebenso zur Anwendung wie Elemente der Motivierenden Gesprächsführung. Die Intervention umfasst acht Gespräche, von denen fünf im stationären Setting und drei nach Entlassung im häuslichen Umfeld durchgeführt werden.

Ziel der Studie: Im Rahmen der Studie galt es zu überprüfen, ob die Interventionsgruppe im Vergleich zu einer Kontrollgruppe mit Standardbehandlung (Treatment as usual) drei Monate nach Entlassung besser in der Lage ist, Medikamentenpläne umzusetzen. Zudem wurde angenommen, dass die Patienten in der Interventionsgruppe weniger psychopathologische Einschränkungen aufweisen würden.

Methode: Die Studie wurde multizentrisch ([Glossar]) an Kliniken in Bielefeld, Warstein, Lippstadt und Bern (CH) durchgeführt. Insgesamt wurden 161 Patienten in die Studie aufgenommen. Die wichtigsten Ergebniskriterien waren die Überprüfung von Medikamentenspiegeln im Blut sowie die Psychopathologie, gemessen mit der Positive And Negative Symptom Scale (PANSS; [Glossar]).

Wichtigste Ergebnisse: Als wichtigstes Ergebnis konnte gezeigt werden, dass die Patienten der Gruppe mit Adherence-Therapie im Hinblick auf die psychopathologischen Einschränkungen im Durchschnitt um sechs Punkte besser waren (statistisch signifikant; [Glossar]). Im Hinblick auf im Blut nachweisbare Einnahme von Medikamenten haben sich die Gruppen nicht unterschieden. Das Ergebnis zeigt also, dass die Interventionsgruppe gesünder ist als die Kontrollgruppe, obwohl den Ergebnissen nach nicht mehr Medikamente eingenommen wurden. Eine mögliche Erklärung für dieses Ergebnis liegt in der Steigerung der Kompetenzen im Hinblick auf Krankheits- und Lebensmanagement, die bei den Patienten durch die Intervention erzielt werden konnten und die nach der Entlassung durch die Besuche im häuslichen Umfeld stabilisiert wurden.

Schlussfolgerungen: Wie ist das Ergebnis dieser Studie zu bewerten? Es gab bisher schon mehrere Studien, die die Wirksamkeit von Adherence-Therapie untersucht haben. Teils konnte eine Wirksamkeit nachgewiesen werden, teils nicht [3]. Die hier vorgestellte Studie zeigt, dass psychiatrisch Pflegende in Deutschland und in der Schweiz nach entsprechendem Training in der Lage sind, psychotherapeutische Kurzinterventionen durchzuführen. Das Ergebnis zeigt aber auch, dass es sich bei der Adherence-Therapie nicht um ein „Überredungsprogramm“ für Medikamente handelt.

Die im Rahmen der Intervention stattfindenden intensiven Gespräche über langfristiges Krankheitsmanagement sind für die Betroffenen in der akuten Krisensituation von hohem Wert. Der deutliche Vorteil im Hinblick auf die Psychopathologie spricht auch dafür, dass diese wichtige Arbeit an keiner anderen Stelle im Behandlungsplan geleistet werden kann. Die verbesserte Psychopathologie kann den Patienten auch dabei helfen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Damit ist Zuaboni zuzustimmen, wenn er schreibt, dass Adherence-Therapie recovery-orientiert ist [4].

Glossar

Randomisierte kontrollierte Studie (randomised controlled trial = RCT): Bei dieser Art Studie, die ein experimentelles Design darstellt, werden die zu untersuchenden Personen (zum Beispiel Pflegebedürftige) per Zufallsauswahl (randomisiert) einer Interventionsgruppe (erhalten eine Maßnahme) oder Kontrollgruppe (erhalten keine Maßnahme) zugeordnet. Durch dieses Verfahren lassen sich neue Interventionen am besten prüfen. Die RCTs gelten deshalb als sogenannter Goldstandard.

Multizentrische Studie: Eine multizentrische Studie wird an mehreren Standorten durchgeführt.

Positive And Negative Symptom Scale (PANSS): Ein Psychometrisches Instrument zur Erfassung von positiven und negativen Symptomen bei Psychosen.

Signifikanz: Damit wird der statistisch-mathematisch wahrscheinliche Unterschied zwischen zwei Versuchsreihen angegeben. Sind Daten signifikant und nicht nur rein zufällig, sind die Ergebnisse wahrscheinlich auf die Intervention zurückzuführen. Ein häufig verwendeter Wert, mit dem das Signifikanzniveau ausgedrückt wird, ist der p-Wert.

 
  • Literatur

  • 1 Abderhalden C, Needham I, Dassen T et al. Structured risk assessment and violence in acute psychiatric wards: randomised controlled trial. Br J Psychiatry 2008; 193 (1) 44-50
  • 2 Schulz M, Stickling-Borgmann J, Spiekermann A. Professionelle Beziehungsgestaltung in der psychiatrischen Pflege am Beispiel der Adhärenz-Therapie. Psych Pflege 2009; 15 (05) 226-231
  • 3 Gray R, White J, Schulz M et al. Enhancing medication adherence in people with schizophrenia: an international programme of research. Int J Ment Health Nurs 2010; 19 (1) 36-44
  • 4 Zuaboni G. Ist die Adherence-Therapie recovery-orientiert?. Psych Pflege 2011; 17 (04) 174-175