Balint Journal 2013; 14(03): 70-77
DOI: 10.1055/s-0033-1351244
Deutocher Studentenpreis
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Grenzgängerin

1. Preisträger Deutscher Studenten-BalintpreisThe Borderliner
C. Müller
1   Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Lübeck (Direktor: Prof. Dr. med. Egbert Herting)
,
K. Hof
1   Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Lübeck (Direktor: Prof. Dr. med. Egbert Herting)
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Publication Date:
28 August 2013 (online)

Zusammenfassung

Der folgende Text handelt von meinen Erlebnissen mit der 13-jährigen anorektischen Patientin Vanessa, die ich im Rahmen meines praktischen Jahres in der Kinder- und Jugendpsychiatrie kennengelernt habe. In den 16 Wochen, die wir gemeinsam verbrachten, brachte mich Vanessa zum Lachen, zum Weinen und zum Nachdenken. Sie machte mich traurig, wütend und enttäuschte mich. Sie ließ mich aufhorchen, Hoffnung schöpfen und nach vorne blicken. Vanessa machte Szenen, wir hatten unsere Auftritte. Anfangs kam es mir so vor, als würde sie die Regie führen. Später war ich nicht mehr sicher, wer oder was Regie führte. Vanessa verunsicherte mich ständig. Sie forderte mich heraus. Sie hätte mich total überfordert, wenn ich nicht regelmäßig reflektiert hätte. Ich entwickelte mich und entdeckte den Wert sowohl einfacher Beobachtung als auch theoretischer Konzepte. Ich interessierte mich für Vanessa. Vanessa,…? Ich wünschte mir, einen Zugang zu ihr zu finden. Ich wollte sie verstehen. Warum gab es nicht eine ganz einfache Lösung? Warum aß sie nach 16 Wochen immer noch nichts? Ich war frustriert, wir schienen am Ende. Wie sollte es für sie weitergehen?

Abstract

The following story is about my experiences with the 13-year-old anorectic girl Vanessa, that I met during my internship at the department of psychiatry for children and adolescents. During the 16 weeks that we spent together, Vanessa made me laugh, cry and think. She made me sad, angry and disappointed me. She made me listen attentively, build up hope and look forward. Vanessa made scenes, we had our performances. Firstly I had the impression that she was the director. Later I wasn’t sure who or what was directing. Vanessa constantly made me feel insecure. She challenged me. She would have overburdened me if I hadn’t reflected on our relationship regularly. I made a personal development and discovered the value of both simple observation and theoretical concepts. I was interested in Vanessa. Vanessa,…? I wanted to find an approach to Vanessa. I wanted to understand her. Why didn’t exist a simple solution? Why couldn’t she eat after 16 weeks? I was frustrated, we seemed to be at the end. How should it go on for her?

1 Siehe Kapitel „Spaltungen und Symbiose“ für eine Beschreibung einer vermutlich symbiotischen Konstellation zwischen Vanessa und mir. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch kein Konzept von der möglichen praktischen und emotionalen Bedeutung eines Begriffs wie „Symbiose“ [1] [2]. Jedoch sollte sich dieser Eindruck im Laufe meines praktischen Jahres ändern.


 
  • Literatur

  • 1 Dornes M. Der kompetente Säugling. Die präverbale Entwicklung des Menschen. Frankfurt a. M.: Fischer; 1993
  • 2 Kernberg OF. Severe personality disorders: Psychotherapeutic strategies. New Haven, CT: Yale University Press; 1984
  • 3 Dornes M. Über Mentalisierung, Affektregulierung und die Entwicklung des Selbst. Forum Psychoanalyse 2004; 20: 175-199
  • 4 Fonagy P, Target M. Neubewertung der Entwicklung der Affektregulation vor dem Hintergrund von Winnicotts Konzept der Entwicklung des falschen Selbst. Psyche – Z Psychanal 2002; 56: 839-862
  • 5 Fonagy P, Gergely G, Jurist EL, Target M. Affektregulation, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. Stuttgart: Klett Cotta; 2004
  • 6 Allen JG, Fonagy P Hrsg Mentalisierungsgestützte Therapie. Das MBT-Handbuch – Konzepte und Praxis. Stuttgart: Klett-Cotta; 2009