Einleitung – Definition und Zielsetzung von Klassifikationssystemen
Einleitung – Definition und Zielsetzung von Klassifikationssystemen
Einteilungen und Klassifikationssysteme sind allgegenwärtig. Ohne uns dessen immer
im
Einzelnen bewusst zu sein, wachsen wir wie selbstverständlich damit auf – z. B. in
Kindergarten und Schule (Klassenprimus bis Schlusslicht?), oder bei Sport und Spiel
(Bundesliga, Karten und Quartettspiele) – und gehen mit ihnen um – z. B. bei
Bahnfahrten oder Flugreservierungen, Restaurants, Hotels – oder auch bei der
Bewertung und Auswahl von Produkten während Einkäufen oder im medizinischen
Arbeitsalltag – z. B. Essbarkeit (ja/nein) oder Güteklassen von Nahrungsmitteln
(Obst, Gemüse Hühnereier usw.) bzw. Unterscheidung von Krankheitsentitäten (ICD),
Differenzialdiagnose oder auch TNM-Tumorklassifikation mit Grading und Staging.
In Biowissenschaften und Medizin werden neuartige Methoden und Techniken in
Diagnostik oder Therapie ganz regelmäßig im Zusammenhang mit präzisierten und
überarbeiteten Kategorien oder auch als Updates früherer Systematisierungen und
Einteilungsvarianten publiziert.
Hinter dem Vokabular vieler Vortragstitel und Artikelüberschriften stecken eigentlich
Klassifikationen und Klassifikationsprozesse sowie in Abhängigkeit davon häufig
Entscheidungskriterien: Gruppierung, Code und Codierung, Typisierung, Rating,
Schweregrad, Scale, Score oder Severity Index sind typische Beispiele.
Die Begriffe Klassifikation und Klassifizierung haben etwa folgende allgemeingültige
Definition: Eine Klassifikation, Typifikation oder Systematik entspricht einem
systematischen Arrangement oder einer Einteilung z. B. von Lebewesen, Objekten,
Konstellationen oder Phänomenen in Gruppen, Typen oder Kategorien, die zur
Einordnung oder gegenseitigen Abgrenzung verwendet werden. Die Kategorien oder
Klassen entstehen durch Klassifizierung, d. h. sie werden auf der Basis ähnlicher
und/oder gegensätzlicher Merkmale nach einem Plan oder durch eine Abfolge logischer
Schritte konzipiert. Eine Klassifizierung beruht auf den Grundlagen von
Begriffsbildung, Abstraktion und induktivem Denken.
Die Auswahl einer passenden Klasse innerhalb einer gegebenen Klassifikation für ein
Item oder einen Sachverhalt wird als Klassierung oder Klassenzuordnung
bezeichnet.
Klassifikationen haben v. a. den Zweck, den Umgang mit großen Mengen an
Primärinformationen oder mit einer Vielzahl von Dingen zu vereinfachen, indem
besondere Aspekte betont und nicht essenzielle Eigenschaften und Details eliminiert
werden. Größere Kategorien werden so oft in immer kleinere Subkategorien gegliedert,
bis in einer Gruppe keine gravierenden Unterschiede mehr vorhanden sind (Cornelius
et al. 2012 in AO CMF Manual).
In Analogie dazu versteht sich eine Klassifikation in der Traumatologie als eine
Sammlung möglicher Klassen, in welche die Grundgesamtheit von Fraktur- bzw.
Verletzungsmustern nach bestimmten Vorgaben bzw. einem strukturierten Modus
einsortiert werden.
Im Unterschied zu einer Klassifikation bzw. Klassierung dient ein „Fracture
Mapping“ der exakten Beschreibung von Frakturlinienverläufen bzw. eines
Frakturmusters, das ein Individuum erlitten hat, bis hin zu kleinsten
Einzelheiten, wobei die Gesamtkonfiguration und Detailgenauigkeit des Mappings
letztlich die Grundlage einer patientengerechten Behandlung darstellt.
Demgegenüber bleibt eine Klassierung auf einem früheren Niveau stehen mit dem
Ziel, die Menge an Informationen zu reduzieren und zugleich problemorientiert zu
bleiben, ohne aber wegweisende Parameter auszulassen.
Jede Klasse umfasst identische Eigenschaften. Genauso wie Gruppen und Subgruppen sind
Klassen jedoch disjunktiv, d. h. sie schließen sich nach bestimmten Kriterien oder
Charakteristika gegenseitig aus. Das bedeutet jedoch keineswegs zwangsläufig, dass
es nicht auch Übereinstimmungen oder Überlappungen für andere Merkmale geben kann
([Abb. 1 ]).
Abb. 1 a und b a Sprengschädel mit kolorierten Einzelknochen
(es fehlen: Vomer und Gehörknöchelchenketten). b 3-D-Darstellung des
Schädelskeletts mit kolorierten Regionen und Subregionen. Mögliche Parameter für
eine CMF-Traumaklassifikation wären z. B. 1. die Zugehörigkeit der Knochen zum
Gesichtskelett, zur Schädelbasis oder zum Schädeldach, wobei sich dabei erste
Überlappungen ergeben; 2. die Lokalisation der Knochen nach Etagen (Mandibula,
bzw. Untergesicht, Mittelgesicht, kraniofazialer Übergang bzw. Schädelbasis,
Schädeldach) oder in zentrallateraler Orientierung. Die Farbgebung der Knochen
ist frei wählbar und entspricht nicht der Realität, sie ist daher zur
Frakturklassierung gänzlich unbrauchbar und kann lediglich didaktische Hilfen
geben. Grundsatzproblem: Die Frakturlinienverläufe halten sich nicht an die
Suturen oder Umrisse der gezeigten Einzelknochen, sondern involvieren und
durchsetzen diese in unterschiedlichsten Mustern. Jeder Knochen bzw. jede
Sklelettregion muss deshalb in entsprechende Untereinheiten oder Subregionen
aufgeteilt werden.
Es ist ein grundsätzliches Problem, solche Ausschlusskriterien bei der Neukonzeption
eines Klassifikationssystems vorab festzulegen. Methodisch macht es insofern Sinn,
ein Klassifikationsmodell stufenweise in einem mehrphasigen iterativen Prozess zu
entwickeln und durch wiederholte Überprüfung von ersten Vorschlägen über
Pilotstudien und klinische Multicenterstudien zu validieren, bevor das resultierende
Modell schließlich für prospektive klinische Outcome-Untersuchungen einer oder
unterschiedlicher Therapievarianten eingesetzt werden kann (Audigé et al. 2005)
([Abb. 2 ]).
Abb. 2 Methodische Entwicklung und Validierung einer Klassifikation in
einem 3-Phasen-Prozess (mit freundlicher Genehmigung der AO Foundation, Davos
[15 ]). In Phase 1 werden der
Klassifikationsvorschlag und die Pilot-Übereinstimmungsstudien nach Durchsicht
und Dokumentation von CT-Serien (von bis zu 150 Patienten) durch mehrere
Auswerter in einer Wiederholungsschleife solange diskutiert und optimiert, bis
die Reproduzierbarkeit und Übereinstimmung der Ergebnisse akzeptable Werte
erreicht hat. In Phase 2 geht dieser Vorschlag dann innerhalb einer
Multicenterstudie im klinischen Alltag auf den Prüfstand. In Phase 3 wird die
validierte Klassifikation dann zu klinischen Behandlungsstudien verwendet und
kann erst dann abschließend nach ihrer potenziellen Therapierelevanz modifiziert
werden, um zukünftig Entscheidungsgrundlagen liefern zu können.
Soweit das intellektuell überhaupt zu leisten ist, sollten Erfahrungswerte aus
bekannten Behandlungsverfahren bei der Formulierung der Erstversion eines
Klassifikationsvorschlags ausgeklammert werden. Stattdessen sollten sich die
Vorschläge in den frühen Entwicklungsphasen ausschließlich auf das anatomische
Substrat von Frakturmustern, sprich auf die Lokalisation und Morphologie einer
Fraktur, beziehen.
Schon in der Anfangsphase auf „Therapierelevanz“ ausgerichtete
Klassifizierungsvorschläge führen zu kognitiven Verzerrungen („Bias“) und de facto
ins Aus, wenn trotz immanenter Präjudizierung eine rationale Basis für prospektive
Therapiestudien geschaffen werden soll.
Angesichts des hohen Aufwands und der Schwierigkeiten, die mit der Erstellung einer
validen Traumaklassifikation verbunden sind, ist von einigen Fachvertretern immer
wieder das Mantra zu hören, man brauche gar keine Klassifikationen und bekomme die
traumatologische Patientenversorgung auch so in den Griff. Letzteres mag durchaus
zutreffen. Gegen ersteres spricht die allgemeine Lebenserfahrung, denn alle Werte
und Bewertungssysteme sowie jegliche Begriffsbildung stehen in Wechselbeziehung zu
Klassifizierungen und sind die Grundlage jeder Verständigung. Auch die Beurteilung
einer Fraktur oder Verletzung und die Entscheidungsfindung zu einem
individualisierten Behandlungsmodus macht davon keine Ausnahme.
Voraussetzung für eine universelle, weltweite Verständigung (Kommunikation und
Zusammenarbeit) in traumatologischen Fragen ist ein konsistentes und
reproduzierbares Klassifikationssystem. Nur damit bekommt eine Diagnose, sei es
in Form eines Codes, eines Indexes oder eines Icons, allseits die gleiche
standardisierte Bedeutung, sodass eine Dokumentation und ein Austausch „harter
Daten“ (z. B. zur Qualitätskontrolle, Benchmarking oder innerhalb von
Vergleichsstudien zwischen mehreren Institutionen) über elektronische Medien
stattfinden kann.
Die neue AO-CMF-Traumaklassifikation für Erwachsene ist zur Analyse und Dokumentation
von Frakturen im Bereich des gesamten Schädelskeletts auf der Basis von CT-Daten
konzipiert. Kernstück ist ein visuell orientiertes Software-Programm, das neben
Illustrationen und Icons zur Lokalisation der Frakturen Pull-down-Menüs bereithält,
um die Morphologie der Frakturen näher zu charakterisieren. Außer der visuellen
Darstellung wird für jedes Frakturmuster in den jeweils als anatomisches Modul
zusammengefassten Regionen Unterkiefer, Kiefergelenkfortsätze, Mittelgesicht,
Orbitae und Schädelbais ein alphanumerischer Code generiert.
Die CMF Software Application in der Version 4.0 ist als Komponente in die AO
Comprehensive Injury Automatic Classifier (AOCOIAC) Software implementiert, die auch
die Müller-AO-Klassifikation (Müller et al. 1990) und die AO Pediatric Comprehensive
Fracture Classification of long Bones (Slongo et al. 2007) beinhaltet.
Das Akronym COIAC wurde seinerzeit in Anlehnung an die in den 70er-Jahren populäre
US
Fernsehkrimiserie „Kojak (Einsatz in Manhattan)“ ersonnen. Vermutlich mit der
Absicht, wohltuende Assoziationen mit dem glatzköpfigen New Yorker Detektiv
wachzurufen, der mit stets großer Gelassenheit, professionellem Zynismus, coolen
Sprüchen („Entzückend, Baby“ – „Who loves you baby“ oder „Is es denn wahr?“) sowie
als Markenzeichen einen Lollipop lutschend auch die vertraktesten Fälle zu lösen
wusste.
Im Folgenden werden die Features der neuen bzw. 3. Generation AO CMF Trauma
Classification in ihren Grundzügen vorgestellt. Die aus AOCOIAC übernommenen Icons
sind in englischer Sprache belassen. Auch in den Abbildungslegenden und
Begleittexten wird Englisch benutzt – falls als notwendig erachtet, mit lateinischer
und deutscher Übersetzung in Klammern oder nach Schrägstrichen.
Kurze Historie der CMF-Traumaklassifikationen
Kurze Historie der CMF-Traumaklassifikationen
Bis heute werden Mitttelgesichtsfrakturen, die mit einer Okklusionsstörung
einhergehen, weltweit als Le-Fort-Frakturen bezeichnet. Die einfache Unterscheidung
von 3 Le-Fort-Frakturtypen ist der Prototyp eines erfolgreichen
Klassifikationssystems für Gesichtsschädelverletzungen, um nicht zu sagen der
„Klassiker“[
1
] aller Klassifikationen. Die
experimentellen Studien von René Le Fort (1869–1951) reichen an den Anfang des
letzten Jahrhunderts (1901) zurück (Tessier 1972 a und b). An insgesamt 35 Schädeln,
auf die mehrfach mit einem Holzblock (ohne dass es Belege dafür gibt, wird
gelegentlich kolportiert, es sei das Standbein eines Konzertflügels gewesen)
eingeschlagen wurde oder die man an einer Schlaufe aufgehängt wie ein
Kugelstoßpendel gegen eine abgerundete Tischkante schwingen ließ, konnte Le Fort die
Schwach- bzw. „Sollbruchstellen“ in der von mehreren Kavitäten durchsetzten
Wabenkonstruktion des Schädels identifizieren. Die entsprechenden Bruchlinien
verlaufen bekanntlich auf 3 Ebenen: im einfachsten Fall der horizontal angeordneten
Le-Fort-I-Fraktur geringfügig oberhalb des Gaumendachs bzw. Nasenbodens auf einer
Transversalebene durch beide Maxillae; bei einer Le-Fort-II- oder Pyramidalfraktur
entlang der seitlichen Suturen beider Maxillae und ihrer nasofrontalen Fortsätze bis
in den Bereich der Nasenwurzeln; und bei Le-Fort-III-Frakturen im Bereich der
Suturen zwischen Viszero- und Neurocranium (zygomatico-frontal,
zygomatico-sphenoidal, ethmoido-, lacrimo- und naso-frontal).
Definitionsgemäß sind Le-Fort-Frakturen bilateral lokalisiert und schließen immer
die
Processus pterygoidei ein. Nach heutiger Auffassung handelt es sich um
Low-Energy-Verletzungsmuster, im Gegensatz zu Hoch-Energie-Dezelerations- oder
Aufpralltraumen mit multilokulär ausgedehnten Frakturlinienverläufen und
pan-cranio-fazialer Multifragmentierung, die sich nicht an die Rahmenkonstruktion
des Gesichtskeletts halten (Manson 1986).
Weil die Le-Fort-Klassifikation nur ein erstes kursorisches Raster liefert, wurde
sie
im Laufe des letzten Jahrhunderts vielfach ergänzt, um Details und spezielle
Entitäten genauer beschreiben zu können:
Mittelgesicht (Wassmund 1927, Donat et al. 1998),
Jochbein -/Zygoma (Zingg et al. 1992),
orbito-zygomatische und Orbito-ethmoidal Region (Jackson 1989),
Naso-Orbito-Ethmoidal (NOE) Region (Gruss et al. 1985, Markowitz et al.
1991),
Orbita (Hammer 1995, Carinici 2006, Jaquiéry et al. 2007),
mediale Orbitawand (Nolasco and Mathog 1995),
Gaumen (Chen et al. 2008),
Mittelgesicht in Zusammenhang mit Schädelbasis (Buitrago-Téllez et al. 1999,
2002, Bächli et al. 2009),
Frontobasis (Madhusdan et al. 2006),
laterale Schädelbasis, Schläfenbein (Os temporale) (Rafferty et al.
2006),
Unterkiefer (Mandibula) (Spiessl 1989, Roth et al. 2005, Buitrago-Téllez et
al. 2008, u. v. m.; vgl. Cornelius et al. 2014),
Kiefergelenkfortsatz (Spiessl und Schroll 1972, Loukota et al. 2005),
panfaziale Verletzungen und Avulsionen (Clark et al. 1995).
Ferner wurden mehrere Vorschläge für Schweregrad bzw. Severity Scores bei
CMF-Frakturen publiziert (Cooter und David 1989, Joos et al. 1999, Bagheri et al.
2006, Zhang et al. 2006).
Entwicklung einer modernen AO-CMF-Frakturenklassifikation
Entwicklung einer modernen AO-CMF-Frakturenklassifikation
Auf Grundlage der Habilitationsschrift von C. H. Buitrago-Téllez (1998) wurde in
einem AO-Projekt bis etwa zur Mitte des letzten Jahrzehnts die Idee verfolgt, eine
moderne, auf dem sog. Tripartitionskonzept beruhende CMF-Klassifikation zu
entwickeln. Die Tripartition wurde seinerzeit in der „Comprehensive Classification
of Long Bones“ von Maurice Müller verwendet, um für eine Region bzw. einen
„Prinicipal bone“ durch 3-mal wiederholte Dreiteilung nach dem Vorbild einer
hierarchischen Baum-Ast-Zweig-Struktur eine Rangskala (3 Typen – 9 Gruppen –
zuletzt: 27 Subgruppen) unterschiedlicher Schweregrade aufzustellen und in einem
alphanumerischen Code zu dokumentieren.
Diese 1. Generation der AO CMF Classification basierte bereits auf CT-Bildgebung und
unterschied 3 horizontale und 3 vertikale Mittelgesichtseinheiten. Dabei wurde
einheitsübergreifend die anteriore und mittlere Schädelbasis in das Mittelgesicht
einbezogen, um ein 3 × 3 × 3-Schweregrad-Ranking herzustellen. Obwohl damit endlich
die Absicht verwirklicht war, von der Le-Fort-Einteilung abweichende
Frakturlinienverläufe genau dokumentieren zu können, erwies sich das
Klassifikationssystem in der Praxis als schwierig zu verinnerlichen und als wenig
tauglich für die tägliche Kommunikation.
Ein daraufhin zwischen 2005 und Ende 2007 von einer international besetzten
Task-Force-Gruppe entwickeltes CMF-Trauma-Klassifikationsmodell für das
Mittelgesicht wurde mit großem Enthusiasmus so vielschichtig angelegt und ging so
sehr ins Detail, dass damit mühelos ein Fracture Mapping durchführbar gewesen wäre.
Die Subregionen im Mittelgesicht in dieser 2. Generation der AOCMF Trauma
Classification glichen dabei einem kunstvoll zusammengesetzten Patchwork ([Abb. 3 ]), entzogen sich bedauerlicherweise aber der
Definition ihrer Lage und Grenzen mit anatomischen Termini.
Abb. 3 Untereinheiten im Mittelgesicht und vorderen Schädeldach nach
Darstellung der 2. Generation der AO CMF Fracture Classification.
Sowohl das Modell der 1. als auch der 2. Generation waren zu diffizil und
unübersichtlich, um die 1. Phase der methodischen Validierung ([Abb. 2 ]) zu bestehen.
Aktuelle AO-CMF-Frakturen-Klassifikation
Aktuelle AO-CMF-Frakturen-Klassifikation
Schon immer haben sich AO-Trauma-Klassifikationen auf eine umfassende visuelle
Darstellung mit detaillierten Illustrationen verlassen, um eine weitgehend
nonverbale Kommunikation zu erreichen und zugleich möglichst intuitiv und
selbsterklärend zu sein.
In der hier präsentierten 3. Generation der AO CMF Fracture Classification
dominieren ebenfalls grafisch-optische Elemente und Icons, damit Engramme
hinterlassen werden.
Überdies wurde eine Liste von Anforderungskriterien verwirklicht:
minimalistisches Design- mit anatomischen Modulen (Unterkiefer,
Kiefergelenkfortsätze, Mittelgesicht, Orbita, Schädelbasis, Schädeldach –
[Abb. 4 ])
Präzisions-Level, mit denen sich verschiedene Ansprüche an Genauigkeit
erfüllen lassen
CT-Bildgebung als gemeinsame Basis für alle Module und Level
topografische Beschreibung der Frakturen
Implementierung der Le-Fort-Klassifikation in das Mittelgesichtsmodul
Beschreibung der Frakturen-Morphologie (Fragmentation, Dislokation)
Abb. 4 „Principal Bones“ aus der AO-Müller-Klassifikation (mit
freundlicher Genehmigung der AO Foundation, Davos [15 ]).
Die aktuelle CMF Fracture Classification erhielt im Juli 2012 das Approval vom AO
CMF
International Board (21st Meeting) und ist damit offiziell und formal die neue AO
CMF Fracture Classification.
Anatomische Module
In der Müller-AO-Klassifikation werden folgende 4 „Principal Bones“ mit der
angegebenen Nummerierung im Schädelskelett unterschieden:
91 Mandible
92 Midface
93 Skull Base
94 Cranial Vault
Präzisions-Level
DIe Wahl des sog. Präzisions-Levels bestimmt die Detailgenauigkeit, mit der
Frakturlinien oder ein Frakturmuster klassifiziert und dokumentiert werden.
Die aktuelle AO-CMF-Frakturenklassifikation weist zurzeit 3
Genauigkeitsstufen auf:
Level 1 Elementary System
Level 2 Basic regional System
Level 3 Focused subregional System
Der Level 1 ist die grundlegende Variante der AO-CMF-Frakturenklassifikation.
Gewissermaßen als kleinster gemeinsamer Nenner besitzt der Level 1 nur
4 Klassen, die nichts anderem entsprechen als den 4 „Principal Bones“ bzw. den
Hauptregionen des Schädelskeletts der Müller-AO-Klassifikation.
Im Level 2 lässt sich die Topografie der Frakturen innerhalb der 4 anatomischen
Elementarmodule exakter angeben. Die anatomischen Grenzen der Regionen und
Subregionen sind im Einzelnen definiert und in einer Serie zugehöriger Tutorials
sowie einer umfangreichen Fallsammlung schriftlich fixiert (Audigé et al. 2014 a
und b, Buitrago et al. 2014, Cornelius et al. 2014 a bis d, Kunz et al. 2014 a
und b). Im Unterkiefer sind zur eindeutigen topografischen Zuordnung
„grenzüberschreitender“ Frakturlinien außerdem sog. „Transitional Zones“
eingefügt.
Im Mittelgesicht wird ein zentrales Kompartiment von der lateralen
Mittelgesichtsregion differenziert und die interne Orbita in 4 Wände und die
Apexregion aufgeteilt.
Der Level 3 ermöglicht die Aufzeichnung individueller Befunde (Zahnstatus,
Atrophiegrad der Alveolarfortsätze) und gestattet die Dokumentation der
Frakturen Morphologie (im Unterkiefer: Fragmentation; im Oberkiefer:
Fragmentation und Displacement).
Ein weiterer Fokus von Mandible Level 3 ist außerdem auf die exakte Erfassung von
Kiefergelenkfortsatzfrakturen gerichtet. Im Midface Level 3 wird die
Differenzierung der Subregionen ebenfalls noch differenzierter. NOE-Region,
Zygoma, Orbitaränder und -wände werden in kleinere Bausteine aufgegliedert, was
eine Abbildung auch von multifragmentären Frakturmustern bis in feine Details
ermöglicht. Außerdem können individuelle Patientenbefunde (wahrscheinlicher
Vor-Trauma-Zahnstatus und Alveolarkammatrophie) aufgezeichnet werden und
demgemäß Zahn- und Parodontalverletzungen sowie Alveolarfortsatzfrakturen
dokumentiert werden.
Bislang nimmt der Level 3 die höchste Präzisionsstufe ein. Bei Bedarf lassen sich
für wissenschaftliche Zwecke weitere Level generieren, bspw. zur Erfassung von
Weichgewebeverletzungen oder anderer klinischer Parameter.
Start Window AOCOIAC
Das AOCOIAC-Startfenster zeigt 2 menschliche Skelette ([Abb. 5 ]), die Zugang zu sämtlichen erhältlichen anatomischen Modulen
im Erwachsenen- und Kindesalter bieten.
Abb. 5 AOCOIAC Start Window. Auswahl der anatomischen Module – CMF
Adult.
Das AO-CMF-Frakturen-Klassifikations-System für Erwachsene wird durch Anklicken
des adulten Schädelskeletts aktiviert.
Die AO-CMF-Frakturenklassifikation kann im ausgewachsenen Schädelskelett, d. h.
bei bleibender Dentition oder Zahnlosigkeit, verwendet werden. Bei der Befundung
sollte das Trauma nicht länger als 10 Tage zurückdatieren.
Dann öffnet sich das AO-CMF-Frakturenklassifikationsfenster mit den Icons aller
Präzisions-Level ([Abb. 6 ]). Im Rahmen oben links ist
das Schädelskelett für die Level-1-Klassifikation wiedergegeben.
Abb. 6 Übersicht mit den Icons für alle 3 Präzisions-Level. Das
angewählte Icon erscheint im zentralen unteren Fenster (s. Text).
Das Rechteck darunter präsentiert die Mandibula in Panoramaansicht für Level 2
sowie die Kiefergelenkfortsätze in Frontal- und Lateralansicht für Level 3.
Die obere Reihe zeigt die Icons für Mittelgesicht und Schädeldach in den
Lateralansichten (rechts und links) und von frontal – alle für Level 2, die
Schädelbasis von extra- und intrakraniell für Level 2 und 3 und eine
Frontalansicht der Orbita, Nasenskelett- und Jochbeinregion beidseits für Level
3.
Ein Mausklick auf das gewünschte Icon befördert es in Vergrößerung in das untere
zentrale Fenster.
In der Seitentabelle rechts sind noch einmal alle Regionen, Subregionen und die 3
Präzisions-Level mit sämtlichen Features als Data Sheet mit ankreuzbaren
Kästchen aufgeführt. Eingaben in diese Tabelle werden in die Illustrationen und
Pull-down-Menüs umgesetzt und vice versa.
In der Box mit dunkelblauem Hintergrund (Fensterecke unten rechts) wird der
alphanumerische Frakturencode jeder Frakturvariante angezeigt.
Unterkieferfrakturen – 91 Mandible
Unterkieferfrakturen – 91 Mandible
Mandible Level 2
Im Level 2 wird die Region Unterkiefer in 9 Subregionen eingeteilt: die
Symphyse anterolateral, 2 Korpus-(Body-)Abschnitte auf jeder Seite lateral,
kombinierte Kieferwinkel/aufsteigende Ast-Untereinheiten (Angle/ascending
ramus) und die Muskel- (Coronoid Process) und Gelenkfortsätze (Condylar
Process) ([Abb. 7 ]).
Abb. 7 Mandible Level 2 – Subregions in Panoramaansicht: Unterteilung
des Unterkiefer in 9 Untereinheiten. Kennzeichnung mit einem Großbuchstaben
zur alphanumerischen Notation: Symphysis (S ), Body (B ),
Angle/Ascending Ramus (A ), Coronoid Process (C ), Condylar
Process (P ) (mit freundlicher Genehmigung der AO Foundation, Davos
[15 ]).
Der Panorama View des Unterkiefers wurde deshalb für AOCOIAC als Icon gewählt,
weil Panoramaröntgenschichtaufnahmen die am weitesten verbreitete
Screeningtechnik zur Erfassung pathologischer Prozesse oder Frakturen im
Unterkiefer sind.
Die Seitengrenzen der zentral im anterioren Unterkieferbogen lokalisierten
Symphyse werden durch die Wurzeln der Eckzähne (caninus) bestimmt. Insofern
entspricht die im vorliegenden Kontext sog. Symphyse dem intercaninen
Knochenabschnitt.
Die Bezeichnung Unterkieferkörper (Body) bezieht sich jeweils auf den
Knochenabschnitt zwischen Eckzahn und innerem Kieferwinkel.
Kieferwinkel und aufsteigender Ast sind zur Angle/Ramus Subdivison mit einem
irregulären 5-eckigen Umriss zusammengefasst. Die vordere vertikale Begrenzung
dieses Fünfecks bewegt sich hinter dem 3. Molaren bzw. parallel zu dessen
distaler Wurzel abwärts. Kaudal und hinten unten halten sich die Umrisslinien an
die Ränder des äußeren Kieferwinkels. Nach oben läuft die Angle/Ramus
Subdivision giebelförmig aus, wobei der Dachfirst auf den tiefsten Punkt der
Incisura mandibulae (sigmoidea) fällt. Die Giebelseiten bilden die Basis für den
Condylar bzw. Coronoid Process.
Außer diesen 9 Subregionen sind im Mandibularbogen 4 Übergangs- bzw.
„Transitional Zones“ vorgegeben. Dabei handelt es sich um vertikal
ausgerichtete Korridore in der Kronenbreite der Eckzähne bzw. der
3. Molaren. Die beiden Korridorpaare, d. h. die „Anterior“ bzw. „Posterior
Transitional Zones“, haben die Funktion, Frakturlinien an Grenzen von 2
benachbarten Subregionen eindeutig zuzuordnen.
Verläuft eine Frakturlinie in voller Gänze innerhalb einer der „Transitional
Zones“, so wird sie der dorsal davon lokalisierten Subregion zugeschrieben. Mit
anderen Worten: komplett in der „Anterior Transitional Zone“ lokalisierte
Frakturlinien werden dem Unterkieferkorpus, komplett in der „Posterior
Transitional Zone“ befindliche Frakturen der Angle/Ramus Subdivision
zugerechnet.
Frakturlinien, deren Ausläufer von dorsal bzw. ventral kommend in einer der
Übergangszonen enden, werden der vorwiegenden Lokalisation entsprechend entweder
der dorsal oder ventral gelegenen Subregion eingeordnet.
Falls Frakturen zu beiden Seiten über die „Transitional Zones“ hinausgehen,
werden beide Subregionen einbezogen.
Im zahnlosen Kiefer (Level 3) sind die „Transitional Zones“ approximativ als 5 mm
bzw. 7 mm breite vertikale Streifen vor dem Foramen mentale und in der
Retromolarregion platziert.
Singuläre bzw. unilokuläre Frakturen oder Mehrfach- („Plural“) bzw. multilokuläre
Frakturen (z. B. unilateral in benachbarten oder räumlich getrennten Regionen,
bilateral) werden durch Kennzeichnung einer oder mehrerer Subregionen
dokumentiert.
Statt die Subregionen mit Mausklick zu markieren, kann in AOCOIAC der Pointer
auch durch Doppelklick in einen Zeichenstift umgewandelt werden. Im zentralen
Fenster lässt sich damit der in der Bildgebung beobachtete Frakturenverlauf
einzeichnen. Die Zuordnung einer Fraktur zu den Subregionen nach den o. g.
Regeln erfolgt dann automatisiert ([Abb. 8 b ]). Mit
Ausnahme des Coronoid Process (C) können Frakturen in allen anderen mandibulären
Subregionen im Level 3 näher qualifiziert werden.
Abb. 8 a und b Mandible Icon Level 2 im zentralen unteren
Fenster – exemplarisch: bilaterale Fraktur. a Die fragmentierten
Subregionen (S, B right, P left) sind blau eingefärbt; die Kennzeichnung
kann über direktes Anklicken oder das Pull-down-Menü erfolgen. Nach der
Auswahl für Level 2 sind darin die Level-3-Optionen aufgelistet;
b eingezeichnete Frakturlinienverläufe; die Fraktur rechts beteiligt
A und B und überkreuzt die „Anterior Transitional Zone“.
Mittelgesichtsfrakturen – 92 Midface
Mittelgesichtsfrakturen – 92 Midface
Midface Level 2
Der Level 2 definiert das Mittelgesicht als den Oberkiefer und mit seinen Flanken
verbundene Skelettanteile bis an die Stirnbeinpfeiler (lateral: Sutura
zygomatico-frontalis; medial: Sutura fronto-maxillaris bzw. fronto-nasalis). Die
Supraorbitalränder und das Orbitadach gehören zum Os frontale und zählen damit
zur Schädelbasis.
Das Mittelgesicht einschließlich der internen Orbita (= Orbitawände) wird in
Teilbereiche und Subregionen gegliedert und deren Topografie im Einzelnen
präzisiert.
In vertikaler Anordnung werden zentrale und laterale
Mittelgesichtskompartimente voneinander abgegrenzt ([Abb. 9 ]).
Abb. 9 a bis c Midface Level 2 – Subregionen.
a Frontalansicht: zentrales Mittelgesicht mit Aufteilung in UCM, ICM
und LCM; laterales Mittelgesicht: Zygoma/Jochbein und Jochbogen;
b Lateralansicht (links): Pterygoid Process (Pt ) processus
pterygoideus/Flügelfortsatz – eigentlich zum Keilbein gehörend. Durch
farbliche Absetzung als eigenständige Subregion gekennzeichnet;
c Kaudalansicht: Palate (P )/palatum durum/harter Gaumen –
eigentlich keine Entität, hier aber als In-toto-Struktur konzipiert. Nicht
zu verwechseln mit Palatine Bone/os palatinum/Gaumenbein (siehe Text).
Der Oberkiefer oder das zentrale Mittelgesicht besteht aus den 2 Maxillae,
welche die Apertura pririformis umgeben und über die frontomaxillären
Pfeiler den Kontakt mit der Schädelbasis herstellen.
In Frontalansicht erinnert die Dreiecksform des Oberkiefer bzw. des zentralen
Mittelgesichts an die Umrisse einer Pyramide, was bei 3-dimensionaler
Betrachtung dann kaum mehr zutrifft.
Das zentrale Mittelgesicht wird in 3 übereinander liegende, horizontale
Untereinheiten aufgeteilt (Abkürzung in Großbuchstaben zur Notation in
alpha-numerischem Code):
UCM = Upper Central Midface
ICM = Intermediate Central Midface (= Parapiriform
Maxilla/Infraorbital Maxilla)
LCM = Lower Central Midface (= Maxillary bodies)
Das obere zentrale Mittelgesicht (UCM) entspricht dem Nasenskelett einschließlich
der frontalen Maxillafortsätze. Das intermediäre zentrale Mittelgesicht (ICM)
ist mit den parapiriformen bzw. infraorbiatlen Maxillaanteilen gleichzusetzen.
Das untere zentrale Mittelgesicht (LCM) ist mit den massiveren Knochenstrukturen
(Gaumendach, Oberkieferbasis, Alveolarfortsätze = Korpusbereich) des Oberkiefers
identisch. Zu beachten ist, dass LCM die Tuberregion bis an die mediale Kante
der Fissura orbitalis inferior einschließt.
Das Nasenseptum und Vomer finden erst in Level 3 Berücksichtigung.
Das laterale Mittelgesicht setzt sich aus dem Zygoma/Jochbein und dem Zygomatic
Arch/Jochbogen zusammen. Obgleich zwei Drittel des Jochbogens de facto ein
Fortsatz des Os temporale/Schläfenbeins sind, wird er in gesamter Länge in die
schematische Einheit (Z) einbezogen und ist in Kombination mit dem
Jochbeinkörper zu sehen. Die hintere Begrenzungslinie dieser Einheit verläuft
durch den temporalen Ansatz der Kiefergelenkgrube.
Separat von der Zygoma Einheit wird die facies orbitalis/lateral orbital flange
des Jochbeins der lateralen Orbitawand zugerechnet und dort lokalisierte
Frakturen werden als Frakturen der internen Orbita dokumentiert ([Abb. 10 ])
Abb. 10 Internal Orbit (O ) Level 2. Die 5 Subregionen nach
geometrischem Konzept (N. s. Text).
Der Pterygoid process (Pt)/processus pterygoideus/Flügelfortsatz sowie der
Orbital Apex/Apex orbitae/Augenhöhlen Konus/Dorsale Orbita sind zwar
Bestandteile des Sphenoids/Os sphenoidale/Keilbeins und gehören somit zur
Schädelbasis, werden zur Vereinfachung aber im Level 2 als zwei unabhängige
Regionen betrachtet.
Anatomisch stellt der Palate (P)/Hartgaumen keine knöcherne Entität dar, sondern
insgesamt tragen 4 Bausteine (Maxilla jederseits mit je einer horizontalen
Platte/processus palatinus für die vorderen zwei Drittel und die Lamina
horizontalis des Gaumenbeins jederseits für das hintere Drittel) zur
Konstruktion des Gaumendachs bei; im Kontext von Level 2 wird dennoch eine
einzige übergeordnete Struktur daraus.
Die Interna Orbita, sprich die Orbitawände werden im Level 2 nach ihrer Geometrie
ausgewertet, d. h. ohne detaillierten Bezug auf die 7 am Aufbau beteiligten
Einzelknochen. Im vorderen Orbitaabschnitt und in der Midorbita (= mittlerer
Orbitaabschnitt) sind die 4 Wände in einem viereckigen Querschnitt angeordnet
(vgl. Abb. 1rc – Jaquiéry et al. – Beitrag in diesem Heft), der sich nach dorsal
verjüngt.
Bei 3-dimensionaler Betrachtung entspricht dies einer Pyramiden Konfiguration,
deren Basis sich auf den Vordereingang/Aditus ad orbitae projiziert. Das hintere
Ende des Orbitabodens geht in die mediale Orbitawand über, sodass die Apex
region bzw. der dorsale Orbita-Abschnitt eine Trianguläre Konfiguration
bekommt.
Nach diesen Vorgaben setzt sich die interne Orbita folgendermaßen
zusammen:
Anterior Orbital Section and Midorbit:
Orbital superior Wall (Os )/Orbital Roof
Orbital lateral Wall (Ol )
Orbital medial Wall (Om )
Orbital inferior Wall (Oi )/Orbital floor
Posterior Orbital Section:
Das Orbitadach (Os) ist, wie bereits erwähnt, ein integraler Teil des Os
frontale/Stirnbeins und der Schädelbasis zuzurechnen. Nach dem Level-2-Schema
ist es als Untereinheit der Augenhöhle aufzufassen.
Der Apex oder Conus orbitae stellt den posterioren Orbitaabschnitt dar. Dieser
beginnt am Hinterende der Fissura orbitalis inferior. Der Apex orbitae wird vom
Os sphenoidale gebildet. Der Canalis opticus liegt superomedial zwischen kleinem
Keilbeinflügel und Keilbeinkörper. Die Fissura orbitalis superior ist der Spalt
zwischen kleinem und großen Keilbeinflügel. Die meisten neurovaskulären
Strukturen betreten die Orbita durch diese beiden Einlassöffnungen.
Die Frakturlinien nach der Originalbeschreibung von Le Fort verlaufen entlang
der oberen Grenzlinien von LCM (= Le Fort I), UCM + ICM (= Le Fort II) u.
UCM + ICM + Zygoma (Le Fort III). Definitionsgemäß (s. o.) handelt es sich
um Blockfrakturen, die immer beide Seiten betreffen und die Processus
pterygoidei involvieren.
Zur Anwahl der Original-Le-Fort-Frakturen stehen im Level 2 insgesamt 12 Icons
zur Verfügung, in denen die Ausdehnung der 3 Le-Fort-Blöcke jeweils aus 4
Ansichten als farblich unterlegte Felder gezeigt ist (s. Beispiel [Abb. 11 ]).
Abb. 11 Le-Fort-III-Fraktur nach der Originalbeschreibung. Integration
in 4 Ansichten (lateral rechts, frontal, lateral links, kaudal). Die
Selektion in einer Ansicht wird automatisch auf alle zugehörigen Icons
übertragen. Die orange eingefärbten ICM weisen darauf hin, dass in diesen
Subregionen keine Frakturlinien vorhanden sind.
Eine oder mehrere Subregionen im Mittelgesichtsbereich werden selektioniert, um
zu dokumentieren, dass innerhalb dieser Zonen oder an deren Grenzen
Frakturlinien verlaufen. Bspw. wird eine isolierte Fraktur der fazialen
Kieferhöhlenwand durch Markierung von ICM eingegeben.
Die Wahl mehrerer Subregionen steht für Le-Fort-analoge Frakturmuster, d. h. für
Frakturkombinationen auf oder in den 3 Le-Fort-Ebenen bzw. Jochbeinfrakturen. So
kann das Nebeneinander von Fragmenten im Sinne von Le-Fort-I- und
Le-Fort-II-Frakturen jederseits sowie eine einseitige Jochbeinfraktur unilateral
gekennzeichnet werden ([Abb. 12 ]).
Abb. 12 a und b Midface Frontal View Icon Level 2 im zentralen
unteren Fenster – exemplarisch: Le-Fort-analoges Frakturmuster mit
Koexistenz von Frakturen innerhalb von LCM, ICM, UCM und Jochbein links oder
anders ausgedrückt auf der Le-Fort-I- und -II-Ebene beidseits sowie der Le
Fort III einseitig. Die Processus pterygoidei sind nicht involviert. Interne
Orbitafrakturen: Orbitaboden rechts, medio-infero-laterale Orbitawände
links; a Die Farbcodierung der Subregionen lässt sich in einen
Schwarz-Weiß-Modus umschalten, dadurch kommt das Le-Fort-analoge
Frakturmuster klarer zum Ausdruck.
Bei einem Hemi-Le-Fort-I-, -II-, -III-Frakturmuster liegt eine
Median-Sagittal-Fraktur vor; die Le-Fort-Ebenen – bzw. repräsentativ dafür LCM,
ICM, UCM und Jochbein – sind nur in einer Gesichtshälfte betroffen ([Abb. 13 ]). UCM ist im Level 2 immer nur als
bilaterales Strukturelement markierbar.
Abb. 13 Hemi-Le-Fort-I, -II-, -III-Frakturmuster rechts. Der Processus
pterygoideus ist nicht mitfragmentiert.
Kurz zusammengefasst integriert Midface Level 2 einerseits die Le-Fort-Frakturen
und ermöglicht anderseits die Extrapolation auf davon abweichende, aber
grundsätzlich analoge Frakturmuster.
Außerdem sind Frakturen der internen Orbita, wenn auch auf eine einfache
Architektur reduziert, registrierbar ([Abb. 14 ]).
Abb. 14 Subregionen des Mittelgesichts im Treppenschema. Zur
Kennzeichnung von Le-Fort-Frakturen i. e. S. müssen alle Felder bzw.
Subregionen in den rot umrandeten Säulen mit den Nummern I, II oder III
beider Seiten ausgefüllt sein. Le Fort-analoge-Frakturmuster und deren
Terminologie ergeben sich daraus, inwieweit bzw. wie viele
Felder/Subregionen innerhalb der Le-Fort-I, -II-, -III-Säulen beteiligt
sind.
Unterkieferfrakturen – 91 Mandible
Unterkieferfrakturen – 91 Mandible
Mandible Level 3
Mandible Level 3 geht den nächsten Schritt und erweitert die topografische
Zuordnung (= Level 2) von Frakturen um die Beschreibung individueller
prätraumatischer Befunde (Zahnstatus bzw. Zahnlosigkeit und Atrophiegrade nach
Luhr), die Aufzeichnung von Zahn- und Parodontaltraumen und um die
Frakturenmorphologie (hier: Fragmentation). Vorausssetzung dazu ist eine
multiplanare und/oder 3-D-Bildgebungstechnik (CT/DVT). In konventioneller
Röntgendarstellung und Panoramaschichtaufnahmen ist der Unterkiefer nicht von
der Medial- bzw. Dorsalseite beurteilbar – man könnte sagen im
„Blacksmith/Farrier View“, da der Anblick ans Hufbeschlagen bei Pferden
erinnert. Nur bei Betrachtung beider Ansichten ist der Grad der Fragmentation
und das Vorkommen von Sagittalfrakturen im Mandibularbogen sowie in der
Angulus/Ramus-Region genau zu bestimmen ([Abb. 15 ]).
Abb. 15 a bis e Mandibula. a Außenansicht;
b Innenansicht; c und d 3-D-CT im Halbprofil von beiden
Seiten mit 3-fach-Fraktur des Unterkiefers im Rahmen eines sog. panfazialen
Traumas; e „Hufbeschlag“-Ansicht – der basale Keil in der
Unterkiefersymphyse beschränkt sich auf die Außenkortikalis.
Bei partieller oder vollständiger Zahnlosigkeit (Vor-Trauma) lässt sich der
Atrophiegrad der Unterkieferalveolarfortsätze bzw. des Unterkiefers mit der
Luhr-Klassifikation angeben (Luhr et al. 1996) (s. auch Cornelius et al.
2013 – dieses Heft).
Der sichtbare Abbau der Unterkiefer-Vertikalhöhe spielt sich in den
Korpusregionen und der Symphyse ab und kann für jede diese Subregionen einzeln
angegeben werden. Bei einer Höhe von > 20 mm liegt definitionsgemäß noch
keine Atrophie vor. Die Atrophiegrade darunter folgen der nachstehenden
Einteilung:
1 = Mild Atrophy: Vertical Height > 15–20 mm (Luhr Class I)
2 = Moderate Atrophy: Vertical Height > 10–15 mm (Luhr Class II)
3 = Severe Atrophy: Vertical Height ≤ 10 mm (Luhr Class III)
Daraus ergibt sich in den 3 Subregionen ein Grid mit 9 Feldern, das eine
Klassifikation aller denkbaren Atrophievarianten zulässt ([Abb. 16 ]).
Abb. 16 a und b Panoramaansicht eines teilbezahnten und eines
zahnlosen Unterkiefers mit Projektion der Luhr-Klassen in Form eines Grids;
a Moderate Atrophie im Korpusbereich beidseits, Höhe im
Symphysenbereich erhalten; b extrem fortgeschrittene
Alveolarfortsatzatrophie über dem gesamten Mandibularbogen.
Der vermutliche Vor-Trauma-Zahnstatus im Unter- und Oberkiefer wird nach dem
FDI-Schema (Fédération Dentaire Internationale) eingetragen.
Unter Bezug auf diese prätraumatische Ausgangssituation können dann aktuelle
Verletzungen der Zahnhartsubstanz (Kronen und Wurzelfrakturen) und des
Zahnhalteapparats (Zahnlockerung, Avulsion) für jeden Zahn aufgezeichnet
werden ([Abb. 17 ]).
Abb. 17 Dentales und parodontales Trauma in Begleitung einer
Unterkieferfraktur (Symphysis/Body right) mit zugehöriger Farbkennzeichnung.
Vor-Trauma-Zahnverluste von 38, 37 und 48, traumatisch bedingte Zahnverluste
32, 31, 41, 42 („cross hatch“), Zahnlockerung 43 („blue crown, red root
silhouette“), Kronen/Wurzelfraktur 44 („pink crown“), Verletzung ohne nähere
Angabe 45 („blue crown“). Neben 32 ist das Pull-down-Menü mit der Liste der
Auswahlmöglichkeiten gezeigt.
Alveolarfortsatzfrakturen sind marginale Knochenaussprengungen, die sich
kastenförmig über ein oder mehrere Zahnfächer erstrecken. Sie sind von 2
vertikalen Frakturlinien begrenzt; die verbindende horizontale Frakturlinie
verläuft auf Höhe der Wurzelspitzen bzw. an der Grenze zwischen basalem
Mandibularbogen und Processus alveolaris. Alveolarfortsatzfrakturen werden
dokumentiert, indem der oder die Knochenblöcke in den betroffenen
Zahnregionen (nach FDI-Formel) einfach nacheinander markiert werden ([Abb. 18 ]).
Abb. 18 a und b Alveolarfortsatzfrakturen. a Im
bezahnten Unterkiefer Regio 32 bis 35 – Pull-down-Menü neben 35; b im
unbezahnten Unterkiefer Regio 45 bis 32; hier wird so verfahren, als seien
die Zähne noch vorhanden, außerdem Fraktur (Body right) des basalen
Mandibularbogens.
Zur Angabe des Grades der Fragmentation (Bedeutung siehe Info-Box 1) von
Unterkieferfrakturen stehen 3 Kategorien (non-fragmented, minor, major
fragmented) zur Verfügung.
Bei der Auswertung der CT-Bilder müssen die äußere und die innere Oberfläche des
Unterkiefers überprüft werden (vgl. [Abb. 15 ]). Der
höchste Fragmentationsgrad, ob auf der Außen- oder Innenseite gelegen, ist für
die Klassierung bestimmend.
In den mandibulären Subregionen Symphyse und Korpus/Body haben die 3
Fragmentationsgrade folgende Bedeutung ([Abb. 19 ]):
Abb. 19 a bis c a No Fragmentation/Grade 0;
b Minor Fragmentation/Grade 1; c Major Fragmentation/Grade 2
(Einzelheiten s. Text).
No Fragmentation/Grade 0 bezieht sich auf eine einzelne Frakturlinie ohne
oder mit „intermediären Mikrofragmenten“ in ihrem Verlauf ([Abb. 19 a ]).
Minor Fragmentation/Grade 1 steht für „kleine intermediäre Fragmente“,
die entweder entlang des basalen Unterkieferrands oder im Bereich des
Alveolarfortsatzes verteilt sind. Der Unterkiefer darf dabei nicht in
voller Höhe von diesen Fragmenten durchsetzt sein ([Abb. 19 b ])
Major Fragmentation/Grade 2 bezieht sich auf intermediäre Fragmente –
kleinst, klein, oder groß –, die sich über die gesamte Vertikalhöhe des
Unterkiefers ausdehnen. In diese Kategorie gehören auch parallel
angeordnete Frakturlinien, die ein großes intermediäres Fragment
zwischen sich demarkieren ([Abb. 19 c ]).
Auf die speziellen Bedingungen zur Beschreibung von Fragmentationsgraden in der
Angulus/Ramus-Region wird hier nicht eingegangen (s. AOCOIAC und Cornelius et
al. 2013 b).
Ein traumatischer Knochenverlust (d = defect) im Unterkiefer hat unterschiedliche
funktionelle Auswirkungen, je nachdem, wie groß und wo der Substanzverlust
lokalisiert ist. Bei einer Defektfraktur wird in der Regel an einen
Kontinuitätsverlust im basalen Unterkieferkompartiment gedacht. Für die
Klassifikation hier ist jedoch allein ausschlaggebend, ob in der Bildgebung
erkennbare ossäre Defizite, ursächlich durch Trauma, vorliegen, ohne weitere
Quanti- und Qualifizierung.
Displacement/(deutsch : Dislokation), die 2. wesentliche Variable zur
Beschreibung der Frakturenmorphologie, ist bis jetzt nicht Gegenstand der
Mandible Level 3-Klassifikation, u. a. weil Okklusionsstörungen als Ausdruck
eines vielleicht geringfügigen, aber klinisch relevanten Displacements in der
Bildgebung nicht feststellbar sein müssen und da sich die Fragmente bei
Bewegungen des Unterkiefers leicht weiterverschieben, sodass die Situation in
der Bildgebung nicht statisch ist.
Unterkiefer – 91 Mandible
Unterkiefer – 91 Mandible
Kiefergelenkfortsatzfrakturen/Condylar Process Fractures Level 3
Die Klassifikationsmöglichkeiten für Kiefergelenkfortsatzfrakturen im Mandible
Level 3 sind umfassend und vielschichtig (Neff et al. 2013), sodass hier nur die
„Essentials“ ausführlich wiedergegeben werden können.
Topografisch werden am Gelenkfortsatz in Bezug auf 3 in Etagen angeordneten
Referenzlinien folgende Frakturtypen (vgl. Schiel et al. 2013 in diesem Heft
sowie Schiel et al., diese Zeitschrift 2012; S. 194–210) unterschieden
([Abb. 20 ]):
Abb. 20 Lateralansicht des aufsteigenden Unterkieferasts mit
Topografie der Subregionen. Die „Incisura-sigmoidea-Linie“ trennt die
Gelenkfortsatzbasis/Condylar Base (B ) vom Gelenkhals/Collum/Neck
(N ). Zur Abgrenzung der Gelenkwalze (H ) vom Collum
(N ) wird eine Tangente (Condylar Head Line) kaudal an einen Kreis
(grün) gelegt, der den lateralen Pol der Walze umgibt. Das untere Drittel
der Gelenkfortsatzbasis kann mit der „Masseteric Notch Line“ von den oberen
zwei Dritteln abgegrenzt werden, um damit den hinteren Giebelfuß der
Angle/Ramus-Subregion (A ) zu definieren. Alle Referenzlinien stehen
im Lot auf der posterioren Ramuslinie.
Condylar Head Fractures/Gelenkwalzenfrakturen (Synonyme: Gelenkkopf oder
diakapituläre Frakturen)
Condylar Neck/Gelenkhals – bzw. „Collum“-Frakturen
Condylar Base Fractures/Gelenkfortsatzbasis-Frakturen
Fragmentation – Begriffserklärung
Eine Variable zur Charakterisierung von Frakturen ist die Vielfalt der
Bestandteile, Einzelstücke oder Fragmente in der Bruchzone oder die sog.
Fragmentation.
Der Begriff Fragmentation wird oft als Synonym für Trümmerung bzw.
Comminution verwendet, was seinen Grund darin haben mag, dass letztere
Begriffe oftmals als „Fragmentierung der Fragmente“ bzw. „Fragmentation of
Fragments“ definiert werden.
Im Kontext der AO CMF Fracture Classification wird Fragmentation vielmehr als
Oberbegriff verwendet für das Erscheinungsbild bzw. Muster, das durch eine
oder mehrere Frakturlinien hervorgerufen wird.
Neben 2 Hauptfragmenten, die durch eine Frakturlinie entstehen, können sog.
„intermediate fragments“, also Zwischenstücke vorliegen. Dazu sind 2 oder
mehr Frakturlinien notwendig, die untereinander in Verbindung stehen oder
sich in direkter Nachbarschaft befinden. Dies gilt gleichermaßen im
Unterkiefer, Mittelgesicht und Orbitabereich.
In den mandibulären Subregionen variieren „intermediate fragments“ in der
Größe (Partikel bis massive Zwischenstücke), in der Anzahl und in der
Anordnung über die Höhe und Längsausdehnung des Unterkiefers.
Eine Prämolarenkrone dient bei Frakturen im Mandibularbogen als Maßstab, um
die Größe von „intermediate fragments“ unabhängig von verschiedenen
Vergrößerungsfaktoren in der Bildgebung 3-dimensional abzuschätzen. Die
Schwelle zwischen „minute“ Fragments bzw. kleinsten oder auch
Mikrofragmenten, die bei der Festlegung des Fragmentationsgrads keine Rolle
spielen, und relevanten „small fragments“ ist dementsprechend durch die
Prämolarenkrone als Bezugsgröße gegeben.
Condylar Head (H) Fractures bzw. Gelenkwalzen-Frakturen verlaufen in
Sagittalrichtung des Capitulum und werden nach ihrer Beziehung zur „Lateral
Condylar Pole Zone“ in 2 Typen unterteilt ([Abb. 21 ]):
Abb. 21 a bis f Topografie und Fragmentation von Condylar Head
(H )/Walzenfrakturen. a Frakturen medial der lateralen
Polzone; b Frakturen innerhalb oder lateral der lateralen Polzone;
c Non-fragmented: keine oder ignorierbare
Mikro-Intermediärfragmente; d Fragmented minor: eines oder mehrere
Intermediärfragmente, strukturelle Integrität durch ein großes Fragment
erhalten; e und f Fragmented major: eines oder mehrere
Intermediärfragmente, die keine strukturelle Integrität mehr erkennen
lassen.
Der Fragmentationsgrad wird in den bereits bekannten 3 Kategorien angegeben: Die
Bewertung als „minor“ oder als „major fragmented“ gründet sich darauf, ob die
strukturelle Integrität des Gelenkkopfs durch ein Hauptfragment insgesamt noch
erhalten oder aber beeinträchtigt ist ([Abb. 21 c ],
[d ] und [f ]).
Ein Displacement von Gelenkwalzen-Frakturen spielt sich so ab, dass die
Anlagerung des medialen Fragments an das laterale Fragment, d. h. die „Vertical
Apposition“, zunehmend verloren geht, weil das mediale Fragment nach
anterokaudal disloziert werden kann bzw. einfach abrutscht. Die Vertical
Apposition an der Frakturebene wird in 3 Graden abgestuft:
Grade 0 = Complete – voll erhaltener Kontakt
Grade 1 = Partial – nur teilweise aufrecht erhaltener Kontakt
Grade 2 = Lost – kein Kontakt mehr bestehend
Condylar Neck (N) and Base (B)/Fractures bzw. Collum- und
Kiefergelenkfortsatzbasis-Frakturen werden als solche angesprochen, wenn der
zugehörige Frakturlinienverlauf zu mehr als 50 % innerhalb der jeweiligen
Subregion liegt.
Die Fragmentation in den beiden Subregionen wird in ähnlicher Weise
(non-fragmented, minor or major fragmented) beurteilt wie bei
Gelenkwalzenfrakturen.
Beim Displacement nach einer Condylar Neck oder Base Fracture sind bei der
Klassierung folgende Formen von Fragmentverschiebung (= lat.: dislocatio) zu
unterscheiden:
Sidewards Displacement/Shift to side/seitlicher Versatz der
Fragmentschäfte (= lat.: dislocatio ad latus) ([Abb. 22 a ]):
None = kein Seitversatz, vollständiger Kontakt der
Fragmentenden
Partial = seitlicher Versatz mit reduziertem Kontakt der
Hauptfragmente in der Frakturebene
Full/Complete = Versatz um komplette Schaftbreite, kein Kontakt
mehr bestehend
Override/Shortening/Shift in Long Axis with Shortening/Längenverschiebung
mit Verkürzung (= lat.: dislocatio ad longitudinem). Voraussetzung ist
eine komplette Seitwärtsverschiebung um die volle Schaftbreite von
Ramusstumpf und gelenktragendem Fragment. Zum einen kann der Override
und seine Richtung (z. B. lateral oder medial über eine Windrose auf
Bruchflächenniveau) angegeben werden ([Abb. 22 b1 ], [b2 ] und [c ]), zum anderen können die Auswirkungen auf
die gesamte Ramushöhe quantifiziert werden.
Axial Angulation/Achsenknick (= lat.: dislocatio ad axim): Die
Längsachsen der Hauptfragmente (midline axis of ramus and condyle
bearing fragment) stehen im einem Winkel zueinander ([Abb. 22 d ]). Einteilung der Angulation in 3
Wertebereiche:
0 = None (≤ 5°)
1 = Angulation ≤ 45°
2 = Angulation > 45°
Abb. 22 a bis e a Sidewards Displacement des Condylar
Process: Partial und Complete in Dorsalansicht; b1 Medial Override in
Dorsalansicht; b2 Lateral Override in lateraler Ansicht – der
Gelenkkopf sitzt nicht mehr vollständig in der Fossa articularis;
c Windrose auf Höhe der Bruchfläche zur Festlegung des Sideward
Displacements nach anterior, posterior bzw. lateral, medial und daraus
resultierenden Zwischensektoren; d Axial Angulation mit Skizzierung
der Winkelbereiche; e Windrose auf Höhe der Gelenkwalze zur
Festlegung der Richtung einer Axial Angulation.
Neben der Winkelstellung hat die Angulation auch eine Richtung ([Abb. 22 e ]). Da mit jeder größeren Achsenabweichung
eine Fehlstellung des Gelenkkopfs in Bezug zur Gelenkgrube einhergeht, ist die
Windrose zur Richtungsangabe lateral, medial bzw. anterior, posterior) kranial
platziert.
Zu beachten ist, dass die unterschiedlichen Displacement-Formen oftmals
kombiniert vorkommen.
Nach einer Condylar Base oder Neck Fracture kann der Gelenkkopf in Normalstellung
in der Fossa articularis verblieben sein. Als besondere Form von Displacement
kann eine Teil- oder vollständige Luxation[
2
] des
Gelenkkopfs auftreten, deren Richtung genauso dokumentierbar ist wie bei der
Achsenknickung ([Abb. 23 ]).
Abb. 23 a bis c Displacement des Gelenkkopfs in Relation zur
Fossa articularis (Sagittalebene, Frontalebene und Aufsicht von basal auf
die Gelenkgrube, Fossagrenzen: grün; Umriss Kopf: blau, Fadenkreuz zur
Richtungsangabe). a „No displacement“ (Grade 0);
b „Displacement“ (Grade 1): Gelenkkopf befindet sich teilweise
außerhalb der Fossagrenzen – hier im postero-medialen Sektor;
c „Dislocation“ (Grade 2) – vollständige Luxation2 des
Gelenkkopfs aus der Fossa – hier nach anteromedial.
Mittelgesichtsfrakturen – 92 Midface
Mittelgesichtsfrakturen – 92 Midface
Midface Level 3
Midface Level 3 beschäftigt sich mit den topografischen Subregionen des
Mittelgesichts noch intensiver als Level 2.
Im zentralen Kompartiment des Mittelgesichts wird bspw. das UCM, bestehend aus
Nasenskelett und den nasofrontalen Maxillafortsätzen bzw. medialen
Orbitarändern, in seine anatomischen Komponenten gegliedert, die einzeln
anwählbar sind ([Abb. 24 ]). Oder die
Nasenscheidewand wird in loser Übereinstimmung mit der Verbindungslinie der
Lamina perpendicularis des Siebbeins und Vomer in ein Upper und Lower Nasal
Septum vertikal halbiert.
Abb. 24 Zentrales Mittelgesicht und Unterteilung von UCM, ICM und LCM
in weitere Subregionen – die Orbitaränder/Orbital Rims sind als
kontinuierlicher äußerer Ring um die Öffnung zur Augenhöhle eingezeichnet.
1 Frontonasal maxillary Process/medial orbital Rim (Rm );
2 Nasal Bone/Os nasale; 3 Upper nasal Septum;
4 Medial Part of inferior orbital Rim (Ri )/medialer Teil des
Infraorbitalrands; 5 Facial antral Wall/faziale Kieferhöhlenwand;
6 Lower nasal Septum; 7 Oberkiefer-Alveolarforsätze mit
Kennlinien der Atrophiegrade bei Zahnlosigkeit.
Auf Basis des verfeinerten Layouts der Subregionen können typische
Frakturentitäten wie Nasenskelett- und Naso-Orbito-Ethmoidalfrakturen (NOE) oder
auch Frakturen des Jochbeinkomplexes in ihren Varianten sehr akkurat
dokumentiert werden.
Das Jochbein (Zygoma)/Jochbogen-Ensemble entspricht dem lateralen
Mittelgesichtskompartiment. Während Zygoma und Zygomatic Arch im Midface
Level 2 zu einem Baustein zusammengefasst waren, bringt Level 3 eine
minutiöse Aufteilung dieser Region unter Berücksichtigung der 5 Fortsätze,
die das Jochbein mit der Stirn, dem großen Keilbeinflügel, der Maxilla im
Bereich des Infraorbitalrands sowie der Crista zygomatico maxillaris und dem
Schläfenbein verbinden ([Abb. 25 ]).
Abb. 25 Laterales Mittelgesicht (Zygoma) und Unterteilung in weitere
Subregionen: 1 Temporal Origin of zygomatic Arch; 2 Zygomatic
Arch/Jochbogen; 3 Zygoma Body/Jochbeinkörper; 4 Zygoma Body –
Lateral orbital Rim (Rl ); 5 Lateral orbital Wall – anterior
Part/Facies orbitalis ossis zygomatici; 6 Zygomatico-frontal Suture
(ZFS) ; 7 Zygomatico-sphenoidal Suture (ZSS );
8 Zygoma Part of antero inferior orbital Wall; 9 Zygoma
Part of inferior orbital Rim (Ri ); 10 Zygomatico maxillary
Crest Area (ZMC ).
Die Grenzen dieser Subregionen werden im Tutorial Midface Level 3 (Cornelius et
al. 2014 c) anatomisch genau definiert.
Um den Verlauf und die Anzahl der Frakturlinien exakter anzugeben, werden auch
der Palate/Hartgaumen und die Processus pterygoidei (vertikaler vs. horizontaler
Verlauf) im Level 3 weiter aufgeteilt.
Gleichartig wie im Unterkiefer lässt sich der Atrophiegrad der
Oberkieferalveolarfortsätze bei partieller oder vollständiger Zahnlosigkeit
(Vor-Trauma) in 3 Klassen beschreiben ([Abb. 24 ]):
1 = No or mild atrophy: Vertical height ≥ 11 mm
2 = Moderate atrophy: Vertical height 6–10 mm
3 = Severe atrophy: Vertical height ≤ 5 mm
Zur Dokumentation des Vor-Trauma-Zahnstatus wird, wie im Unterkiefer, das
FDI-Schema (Fédération Dentaire Internationale) verwendet.
Aktuelle Verletzungen der Zahnhartsubstanz und des Zahnhalteapparats lassen sich
dann mit Beachtung der prätraumatischen Ausgangssituation mit den gleichen
Markierungen wie im Unterkiefer ([Abb. 17 ])
festhalten.
Alveolarfortsatzfrakturen im Oberkiefer werden nicht anders als im Unterkiefer
aufgezeichnet. Wenn die obere bzw. horizontale Frakturlinie dabei in die vordere
Kieferhöhlenwand, den Hartgaumen und/oder den Nasenboden eintritt, wird neben
dem alveolären Knochenblock auch das LCM, ICM oder der Hartgaumen als
mitbetroffen angeklickt.
Ein Hauptmerkmal von Midface Level 3 ist die Frakturenmorphologie und ihre
Eigenschaften (Fragmentation, Displacement und Bone Loss).
Die Morphologieeigenschaften können in sämtlichen Subregionen der
Mittelgesichtskompartimente aufgezeichnet werden. Fragmentation wird
wechselweise durch die Vorgabe „non-fragmented“ vs. „fragmented“ notiert.
Bei einer „non-fragmented“ Fracture handelt es sich um die Fraktur einer
Subregion mit singulärer Bruchlinie, die entweder linear/gerade oder
kurvig/gebogen verlaufen kann. Bei einer „fragmented“ Fracture liegen multiple
Bruchlinien (≥ 2) in einer Subregion vor.
Displacement hat eine einfache Definition: die Fragmente haben die originäre
Ausrichtung verloren und befinden sich nicht mehr in der ursprünglichen
Fluchtung (= lack of alignment).
Die Vorgaben für Displacement sind wieder alternierend – „non-displaced“ vs.
„displaced“.
Knochendefizite lassen sich ebenfalls mit einer dualen Wahlmöglichkeit „no bone
loss“ vs. „bone loss“ aufzeichnen.
Die Suturen ZSS und ZFS werden mit den Attributen „non-fractured“, „fractured“
oder „undetermined“ versehen. In der Mehrzahl der Fälle halten sich die
Frakturenlinenverläufe linear an diese Suturen. Falls eine Fragmentierung
auftritt, werden die benachbarten Subregionen als „fragmented“ eingestuft.
Das Ausgangsszenario für die endlose Zahl von Traumavarianten in den Bereichen
von NOE und Jochbein/Zygoma/Jochbogen-Ensemble sind En-bloc- bzw.
Integral-Single-Piece-Frakturen, wobei die Bruchlinien den anatomischen Suturen
folgen. Diese En-bloc-Frakturen können über zugehörige Icons registriert werden.
Für alle komplexeren Fraktursituationen ist ein Katalog mit Frakturmustern zum
Vergleich und zur Wiedererkennung sowie mit Algorithmen zur Auswahl der
passenden Morphologieeigenschaften in den Tutorials als auch im Hilfe-Menü der
AOCOIAC Software Application hinterlegt.
Mittelgesicht – 92 Midface/Orbita Level 3
Mittelgesicht – 92 Midface/Orbita Level 3
Orbita – Frakturen des Rahmens und der Wände
Orbita/Orbitawände
Auf der Basis der geometrischen Betrachtungsweise und Einteilung der Orbita
in wenige Subregionen – Orbitaorbital Rims (R)/Orbitaränder, Internal Orbit
(4 Walls)/Orbitawände, orbital Apex (A)/Orbitaspitze – in Midface Level 2
wird hier zusätzlich eine Dreiteilung in anterior–posteriorer Richtung
vorgenommen.
Da dazu eindeutige, im CT identifizierbare Landmarken notwendig sind, wurden
der vorderste Punkt der Fissura orbitalis inferior (= anterior loop of the
inferior orbital fissure) und der zum Keilbein gehörende Knochensteg über
dem Foramen rotundum als Bezugspunkte gewählt ([Abb. 26 ]). Dieser Steg bildet eine Brücke zwischen Keilbeinkörper
und großem Keilbeinflügel, zugleich trennt er die Fissura orbitalis inferior
von der Fissura orbitalis superior (= bony confluence between inferior and
superior orbital fissures). Eine eigene lateinische Bezeichnung in der
anatomischen Nomenklatur für diesen Steg existiert nicht, in englischer
Terminologie wird er gelegentlich als „maxillary strut“ beschrieben.
Abb. 26 Landmarken zur Dreiteilung der Orbita-Kavität (anterior,
Midorbita, Post/Apex) (s. Text).
Im Klinikjargon ist vielfach von einem vorderen, mittleren und hinteren
Drittel sowohl der Orbita als auch des kürzeren Orbitabodens die Rede. Die
im Orbita-Level 3 definierte Dreiteilung in eine „anterior orbit“,
„midorbit“ und „posterior orbit“ resp. Orbital Apex folgt jedoch keiner
proportionalen Metrik und die Segmente haben sicherlich eine
unterschiedliche Tiefe in der Sagittalachse.
Orbitafrakturen können die Einzelknochen im Bereich der Orbitaränder und
Orbitawände in ganz unterschiedlichen Mustern involvieren und im Extremfall
eines High Energy Impacts alle 4 Wände und sämtliche Ränder in
Mitleidenschft ziehen.
Unter klinischen Gesichtspunkten werden Kombinationen aus Rand- und
Wandfrakturen in folgenden Entitäten bzw. Zonen zusammengefasst:
Supraorbitalränder und Orbitadach
NOE-Frakturen im oberen Mittelgesicht (UCM)
zygomatico-orbitale Frakturen (Jochbein und inferolateraler
Orbitarand = Hauptkomponenten)
Bei „Blow out“- oder „Blow in“-Frakturen sind isoliert nur die Orbitawände
(Orbitaboden > mediale Orbitwand > Orbitadach) und nicht der Rahmen
betroffen (= fractures of the internal orbit).
Abweichend von den zuvor genannten klinischen Zonen werden die
Orbitaränder/Orbital Rims (R) in 4 geometrische Segmente aufgeteilt: medial
(Rm), inferior (Ri), lateral (Rl), superior (Rs). Anatomisch tragen 4
Einzelknochen (Tränenbein/Os lacrimale, Maxilla, Jochbein, Stirnbein/Os
frontale) zu diesen Rim-Segmenten bei.
Deshalb wird das Ri-Segment bzw. der Infrorbitalrand nochmals in einen
maxillären und einen Jochbeinanteil (maxillary and zygoma part) und das
Rm-Segment in ein maxilläres und ein frontales Teilstück gegliedert.
Nach Partitionierung der internen Orbita in ein Gefüge aus insgesamt 12
Subregionen im anterioren Teil, Midorbita und Apex ergibt sich pro
Orbita einschließlich der beiden Suturlinien ZFS und ZSS und der 6
Randabschnitte ein umfangreiches Mosaik aus 20 Bausteinen, in dem sich
jedes denkbare Frakturmuster abbilden lässt ([Abb. 27 ]).
Abb. 27 Strukturelle Aufteilung von Orbitarändern und Orbitawänden
bzw. Apex in 20 Bausteinen pro Orbita. Die faziale Kieferhöhlenwand (s.
[Abb. 24 ]) und die Zygoma-Subregionen
(s. [Abb. 26 ]) sind in das
Dokumentationsschema integriert. ZFS und ZSS sind strenggenommen keine
Untereinheiten, sondern Bruchkanten mit i. d. R. linearem
Frakturlinienverlauf. Zur Verdeutlichung der Zugehörigkeit der
Subregionen sind der Ring aus Orbitarändern und die Orbitawände
untenstehend in blauer Farbmarkierung wiedergegeben.
Die morphologische Eigenschaft Fragmentation erhält in der internen Orbita
besondere Bedeutung, weil die Knochenwände von pneumatisierten Hohlräumen
(Nasen-Nebenhöhlen-System) umgeben sind, in die Fragmente disloziert (Blow
out) werden können, sodass Defektsituationen entstehen. Insofern kann die
Fragmentation folgende Attribute aufweisen:
Linear fractures/lineare Einzelfrakturen, die ohne oder mit einer
Dislokation („non-displaced“ vs. „displaced“) einhergehen können.
Zusätzlich dürfen kleine Fragmente vorhanden sein, die jedoch den
linearen Frakturverlauf nicht grundlegend ändern.
Defect-like lamellar fractures/lamelläre Frakturen, wobei die
Fragmente immer disloziert/displaced sind.
Defects/Defekte, wobei die Fragmente immer disloziert/displaced sind,
und zwar soweit, dass der Weichgewebeinhalt der Orbita keine
ausreichende Abstüzung mehr hat und in das Nasen-Nebenhöhlen-System
prolabiert. Die dislozierten Knochen zeigen dabei keinen oder nur
noch punktuelle Kontakte (offene Falltür, Scharnier) mit
unverletzten Knochenpartien
Unter Displacement bei Frakturen einer Orbitawand ist jede strukturelle
Abweichung von der typischen Formgebung und Oberflächenkonturierung (vgl.
dazu Jaquièry et al. 2013 – dieses Heft) zu verstehen.
Defect-like lamellar Fractures und Defect Fractures mit Displacement des
sog. „posteromedial bulge“ oder auch „key area“ genannt sind von
Interesse, da diese Knochenkonvexität entscheidend für die
Bulbus-Position verantwortlich ist. Die Key Area ist in der Midorbita im
Übergang zwischen Orbitaboden und medialer Orbitawand lokalisiert.
Der Midface/Orbita Level 3 erlaubt, die Beteiligung/Involvement wichtiger
intraorbitaler Strukturen ergänzend zu dokumentieren. Unteren anderem zählen
dazu:
Inferior OrbitaI Fissure (IOF)/Fissura orbitalis inferior: setzt sich
in den Retromaxillarraum und die Fossa infratemporalis fort.
Orbitabodenfrakturen können sich bis in den Medialrand der Fissur
ausdehnen und führen dann zu einer Vergrößerung der Durchlassöffnung
mit konsekutiver Zunahme des Orbitavolumens (Enophthalmus).
Posterior Ledge (PL) ≈ Facies orbitalis des Gaumenbeins (!) am
Dorsalende des Orbitabodens. Die PL ist bei defektartigen oder
Defektfrakturen mit wenigen Ausnahmen erhalten und dient bei der
periorbitalen Dissektion als Landmarke sowie als Auflage (Ledge =
Sims, Ablage) für Rekonstruktionsmaterial (z. B. Titan Meshes).
Inferior orbital buttress (IOB)/Infero medial orbital
Strut/Transition(s) Zone: Knochenverdickung um die Sutura
ethmoido-maxillaris, die als Verstrebungspfeiler zu werten ist.
Diese entspricht der Trennlinie bzw. dem Übergang zwischen
Orbitaboden und medialer Orbitawand, daher der Name Transitionszone.
Die Grundlamelle der Bulla ethmoidalis bedingt die
Knochenverdickung. Falls die IOB bei 2-Wand-Frakturen von
Orbitaboden und medialer Orbitawand erhalten ist, erleichtert das
die Reparatur bzw. Rekonstruktion erheblich.
Optic Canal/Canalis opticus: Kanal für Sehnerven und A. ophthalmica
dorso-supero-medial im Apex orbitae, durch den Optic Strut von der
Fissura orbitalis superior getrennt.
Greater Wing of Sphenoid (GWS)/großer Keilbeinflügel: Baustein der
lateralen Orbitawand in Midorbita und posteriorem Segment, wird
nachposterior zunehmend dicker bei Frakturen meist intrakranielle
Beteiligung (mittlere Schädelgrube).
Medial canthal Ligament Insertion/Ansatz des inneren Lidbands: im
Bereich um den Ductus lacrimalis und der Crista posterior des
Tränenbeins lokalisiert. Ein Ausriss des Lidbands kann nur klinisch
oder intraoperativ festgestellt werden. In der CT-Bildgebung ist
eine Multifragmentierung im Rahmen von NOE-Frakturen jedoch
hinweisend.
Die unendliche Anzahl möglicher Frakturvarianten um und in der Orbita macht
wie im Zygoma/Zygomatic Arch-Ensemble die Erstellung eines Katalogs mit den
wichtigsten Frakturmustern erforderlich, um gewisse Normen dafür vorzugeben,
wie diese in der CMF-Trauma-Software-Applikation durch passende Angabe der
Subregionen von Fragmentation und Displacement zu kennzeichnen sind.
Startszenarien für alle weiteren Permutationen werden dabei isolierte
Orbitawandfrakturen (1-Wand-Frakturen des Orbitabodens oder der medialen
Wand) und aufgrund der Häufigkeit ihres Vorkommens Jochbeinfrakturen mit
Beteiligung der Orbitawände sein, deren Komplexität mit einer Zunahme an
Frakturlinien und Ausdehnung in benachbarte Subregionen steigt ([Abb. 28 ]).
Abb. 28 a bis c Jochbeinfraktur links mit Orbitafraktur(en)
von zunehmender Komplexität – AOCOIAC-Simulation im Sinne eines
Crescendo von Fragmentation und topografischer Ausdehnung über
benachbarte Subregionen. a Vergleichsweise „einfache“
Jochbeinfraktur mit Stückbruch des Infraorbitalrands und der ZMC;
b Frakturmuster a + Abscherfraktur im
Jochbogenursprung, lamelläre Fraktur der Zygomatic orbital Flange,
Mehrfachfraktur der fazialen Kieferhöhlenwand (LCM) analog Le Fort 1;
c Frakturmuster b + Fraktur in Jochbogenmitte,
Involvierung von Stirnbeinpfeiler und Orbitadach und medialer Orbitawand
(Σ Orbita-4-Wand-Fraktur), Multifragmentierung von LCM, ZMC und
Zygomatic orbital Flange.
Fazit und Zukunftsperspektiven
Fazit und Zukunftsperspektiven
Die 3. Generation AO CMF Fracture Classification zusammen mit der
AOCOIAC-Software-Applikation bietet eine umfassende Dokumentationsplattform für
knöcherne Verletzungen im Unterkiefer, Kiefergelenkfortsätzen und Mittelgesicht
einschließlich der Orbitawände (Schädelbasis und Schädeldach sind hier nicht
ausgeführt). Die jetzt vorliegende Klassifikation hat einen langen Weg verschiedener
Entwicklungsphasen, Versuchsstadien und Irrtümern hinter sich und stellt sicherlich
immer noch keine perfekte Lösung dar.
Dennoch bedeutet die Klassifikation in der augenblicklichen Version einen wichtigen
Schritt vorwärts, sie stützt sich auf Bildgebungsdaten, bedient sich zur
Dokumentation und Kommunikation moderner interaktiver Computer- und
Informationstechnologie und umfasst erstmals den gesamten CMF-Bereich.
Dabei wird ein pragmatischer Ansatz verfolgt: für die topografisch anatomischen
Module sind 3 Präzisions-Level definiert, die unterschiedlichen Ansprüchen
genügen.
Das Midface-Level-2-Modell integriert die Original-Le-Fort-Klassifikation und kann
dazu analoge Frakturenszenarios darstellen, indem die involvierten Subregionen
markiert werden. Wie die Berücksichtigung der Le-Fort-Frakturtypen zeigt, ist die
neue AO CMF Fracture Classification keine neue Erfindung, sondern gründet auf
bekannten und gut etablierten Vorläufern, die sich lohnen, wiederentdeckt zu werden.
Das kommt grundsätzlicher Kritik und Kontroversen um das Design und die
Leistungsfähigkeit der neuen Version selbstverständlich nicht zuvor. So sind die
Grenzen der Subregionen durchaus diskutabel (z. B. Angle/Ramus Region) oder
Wortungetüme wie „fragmentierte Fraktur“ sprachlich anfechtbar. Ferner ist die
AOCOIAC-CMF-Software-Applikation mitnichten so intuitiv und selbsterklärend wie
gewünscht. Und die Menge an Informationen in Level 3 stößt an die Grenzen der
Darstellbarkeit durch Icons und Farbgebung auf dem Bildschirm, sodass eigentlich
aufwendige und kostenspielige Animationstechniken mit Objekttransformation – wie in
3-D-Spielen – eingesetzt werden müssten.
Im Moment kommt es in erster Linie aber darauf an, der CMF-Klassifikation z. B. im
Rahmen von Multicenterstudien, zu allgemeiner Verbreitung zu verhelfen, um einen
Anfang zu machen, Expertise aufzubauen und langfristig Konventionen zur
Eingruppierung zu schaffen. Erfahrugsgemäß geht das nicht ohne Instruktionen und
Training für den Anwenderkreis, sowie eine komfortable Verlinkung mit
Klinik-Dokumentations- und -Vergütungssystemen. Weiterentwicklungen und
Verbesserungen werden sich v. a. anhand nicht eindeutiger oder sog. komplexer Fälle
ergeben.
Die Ausdrucksweise „komplexe“ Frakturen ist indessen wenig hilfreich, solange diese
nicht in Bezug auf Lokalisation, assoziierte Subregionen und morphologische
Eigenschaften definiert sind. Spaßeshalber wird im Klinikalltag von „Le Fort
IV“-Frakturen gesprochen, wofür sich jeder in seiner Fantasie andere Umrisse
ausmalt.
Die Vorstellungen und Wünsche für zukünftige Entwicklungen reichen von der
Kompatibilität mit Apple/Mac-Betriebssystemen, über Touchscreen/Tablet-Applikationen
bis zu automatischer Bildanalyse und Klassifikation über Fusionierung von CT-Daten
und Klassifizierungs-Templates inkl. Volumenbestimmungen der Orbitae (Strong et al.
2013).
Jeder technologische Fortschritt in Bildgebung und Evalutionsmethodik wird jedoch
nicht nur zu Verbesserungen bei Befunderhebung und Diagnosefindung beitragen,
sondern auch die Unzulänglichkeiten bestehender Klassifikationssysteme
offenlegen.
Abschließend geben die Autoren ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die 3. AO CMF Fracture
Classification den Kern fortgesetzter Aktivitäten bei der Erarbeitung einer
allgemein akzeptierten Fraktureneinteilung bilden möge.
Und ganz zum Schluss sei kurz an den Sinn und Zweck einer Frakturenklassifikation
erinnert: die Klassierung ist als Wegweiser gedacht, ein individuelles Mapping
der notwendige Folgeschritt als Grundlage zur Behandlung.
Widmung
Der Beitrag ist Herrn Prof. Dr. Wolfgang Dauber, Tübingen – Anatomielehrer des
Erstautors – zum 75. Geburtstag gewidmet!
Anmerkungen
Die Nomenklatur der AOCMF Fracture Classification ist in den Abbildungen in
englischer Sprache belassen.
Ein Skull Base/Cranial Vault Module (Di leva et al. 2013) wird hier nicht
ausgeführt.
Ab Anfang 2014 wird über Links auf der Website der AO Foundation ein Download
der neuesten Windows AOCOIAC-Version mit der vollständigen
AO-CMF-Frakturenklassifikation zur Verfügung stehen.