Wir brauchen sichtbaren Protest
Als ich anfing, als Physiotherapeutin zu arbeiten, bekam ich regelmäßig Post vom Berufsverband ZVK, ich solle doch Mitglied werden und könne somit von zahlreichen Vorteilen profitieren. Ich wurde neugierig und wollte wissen, inwiefern sich der ZVK bzgl. meines größten Problems - die katastrophale Vergütung von Rezepten seitens der Krankenkassen - einbringt und ob auch Demos organisiert werden. Auf die Antwort warte ich bis heute! Somit erübrigte sich meine Mitgliedschaft.
Wieso stößt der Vorschlag von Demos auf taube Ohren?! Nur durch SICHTBAREN Protest lässt sich Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erzielen. Er ist wohl das einzige Mittel, um von Politikern ernst genommen zu werden.
Ein großes Lob an physiopraxis für den gelungenen Artikel! Bitte bleibt am Thema dran.
Lisa Steigner aus Herxheim am Berg
Erfahrungen aus 30 Jahren Selbstständigkeit
Das Thema Vergütung brennt mir als altem Profi (35 Jahre Physiotherapeut und 30 Jahre selbstständig) schon lange unter den Nägeln.
Die Kernaussage meines ersten Kontaktes mit einer Funktionärin des ZVK lautete 1980: „Eine Krankengymnastin guckt nicht auf das Geld!“ Kurze Zeit später habe ich begriffen, dass sie das Geld einfach hat, weil ihr Gatte gutverdienender Rechtsanwalt, Arzt oder Ähnliches war. Da brachte die Gründung des IFK erstmals auch betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte mit in die Verbandsarbeit, was mir als jungem Familienvater sehr wichtig war. Allerdings bin ich schon nach wenigen Jahren Mitgliedschaft (u. a. als Beirat) aus dem IFK ausgetreten, weil meine wirtschaftlich begründete Forderung „Zuerst mehr Geld, dann mehr Fortbildung“ auf taube Ohren stieß. Später trat ich in den ZVK ein, aber in Anbetracht von z. B. 13 Prozent weniger Honorar für die Position KG seit Euroeinführung und mangelnder Unterstützung gegen die Ausbreitung von ambulanten Rehazentren (Therapie- ALDI) kehrte ich auch ihm den Rücken.
Wir Freiberufler werden wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen an den Rand gedrängt. Freiberufler genießen u. a. einen steuerlichen Sonderstatus, da ihre Leistungen für die Patienten nicht nur nach finanziellen Kriterien ausgesucht werden sollen, sondern sich am Wohl des Patienten ausrichten mögen. Konkret: Wenn ich einem Patienten aufgrund meiner guten Techniken schon mit vier statt sechs Behandlungen geholfen habe, will ich ihn dann auch gehen lassen können und nicht die Therapiesitzungen abarbeiten müssen, damit die Rechnungen bezahlt werden. Dafür sollen wir aber auch frei von finanziellen Sorgen sein, sprich - die Honorierung soll unseren Lebensunterhalt und den unserer Familien sicherstellen. Das ist nicht mehr der Fall!
Unsere Verbände schlagen uns nun vor, Selbstzahlerleistungen anzubieten. Sie verschweigen aber gerne, dass wir uns damit am Rande der Legalität bewegen (Heilpraktikergesetz). Und dass wir mit unseren Betrieben in die Gewerblichkeit und die Umsatzsteuerpflicht geraten. Das bedeutet eine sofortige Kürzung unserer Kassenhonorare um 16 Prozent. Denn in den Rahmenverträgen steht, dass die Zahlungen inkl. einer evtl. fälligen Umsatzsteuer erfolgen.
Mögliche Lösungen wären:
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> eine komplett neue Gebührenordnung mit der ausschließlichen Position „Physiotherapie“, die auf Basis von circa 75 Euro pro Zeitstunde vergütet wird - verhandelt unabhängig von der Grundlohnsumme
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> bei Nachweis von therapierelevanten Fortbildungen pauschale Erhöhung um einen festzulegenden Prozentsatz (ich behandle immer mit meinem ganzen Wissen und Können!), entsprechende Abzüge bei Nichteinhaltung der Fortbildungsvereinbarung
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> Mit der Verordnung von Physiotherapie sind auch alle ergänzenden Heilmittel abgegolten und können vom Therapeuten patientengerecht abgegeben werden (man muss den Kassen ja auch etwas anbieten!).
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> Physiotherapeuten tragen Budgetverantwortung, das bedeutet Entlastung für die Ärzte und Anreiz für effektive Therapien.
Auf dieser Basis können wir wieder einen Traumberuf zu gerechten Löhnen ausüben und auch Mitarbeiter zu vernünftigen Bedingungen in festen Arbeitsverhältnissen einstellen.
Ralf Pracht aus Meerbusch
Scheinheilige Haltung
Ich bin aus Überzeugung und Leidenschaft Physiotherapeutin. Und trotzdem überlege ich, ob ich den Beruf wechseln soll: Ich merke jetzt schon, dass ich immer mehr und immer härter arbeiten muss, um mein finanzielles Niveau auch nur zu halten.
Was mich aber noch mehr aufregt, ist die scheinheilige Haltung der Verbände. Anstatt dafür zu sorgen, dass Qualifikationen bereits innerhalb der Ausbildung gemacht und anerkannt werden, oder das Studium voranzutreiben, um einen Austausch auf Augenhöhe mit den Ärzten zu ermöglichen, sind sie die größten Nutznießer unserer Misere. Sie verdienen zum Beispiel sehr gut mit dem großen Angebot an Fortbildungen, die den Physios - wie sie selbst ja immer wieder scharfsinnig bemerken - das wenige Geld aus den Taschen ziehen! Es wäre sicherlich mehr Geld für eine Mitgliedschaft übrig, wenn 136.000 Physios nicht mehr in Rückenschullehrer-Fortbildungen rennen müssten, nur um zu beweisen, dass sie sich mit der Wirbelsäule auskennen, Teile der Ausbildung wenigstens für das MTZertifikat anerkennen lassen könnten oder nicht Stunden und Tage mit Rezeptekorrigieren verbringen, damit sie wenigstens die paar Kröten für ein Rezept auch bekommen.
Ein anderer Punkt, der mir aufstößt: Ich wollte dieses Jahr eine Fortbildung zum sektoralen Heilpraktiker beim ZVK machen, die er seit mehreren Monaten anbietet. Bei der Nachfrage Anfang April erfuhr ich, dass der ZVK - anders als andere Anbieter - noch nicht einmal die Anerkennung hat! Was ihn aber natürlich nicht davon abhält, dafür ordentlich Geld zu verlangen. Solange sich die Verbände so verhalten, ist es nicht nur das Geld, das mich davon abhält, Mitglied zu werden.
Sandra-M. Bauer aus Bonn
Zum Artikel „Red Flags erkennen“
, physiopraxis 3/13
Andere Rückschlüsse gezogen
Dieser Artikel kann meiner Meinung nach nicht unkommentiert bleiben. Der Blick auf die Abbildung 1 im Artikel zeigt einen segmentalen Zusammenhang von Th12 und L1 am Rücken sowie ihr Ausstrahlungsgebiet in der Leiste. Auch weitere Angaben weisen auf diese Segmente hin. Dass die Schmerzen in Rückenlage und in Seitlage rechts auftreten, ist meiner Meinung nach noch ein Hinweis darauf, dass bei Sarinees Beschwerden der Rücken beteiligt ist. Die von der Autorin durchgeführte „Bereichslokalisation“ verändert die Stellung der Wirbelsäule ebenso wie die der Hüfte. Somit kann daraus kein Schluss auf die Hüfte als Ursache gezogen werden. Auch die Schlussfolgerung, dass Extension der Hüfte ein Gleiten nach vorne ist, ist nach der Quadrantenregel inkorrekt [1]. Die Theorie des „Rollgleitens“ ist widerlegt und wissenschaftlich nicht haltbar. Das aspezifische Screening der LWS muss in solch einem Fall unbedingt durch eine spezifische Untersuchung ergänzt werden, um, wie gesagt, den thorakolumbalen Bereich abzuklären.
Professionelle Balletttänzerinnen beginnen sehr früh im Leben mit dem Training. Die Osteogenese der Wirbelsäule ist da noch nicht abgeschlossen. Der 12. thorakale Wirbel (kann auch der Th11 oder L1 sein) ist nach kranial als Brustwirbel angelegt und nach kaudal als lumbaler Wirbel. Die BWS ist mehr auf Rotationen ausgelegt, die LWS auf Flexion-Extension. Eine Rotation wird daher im Segment Th12 oder L1 stark abgebremst. Durch hohe Trainingsintensität bildet sich so bei Kindern und Jugendlichen ein hypermobiles Segment aus, das zunächst muskulär kompensiert wird. Wenn weniger trainiert wird, entstehen allerdings häufig Probleme in den genannten Segmenten. Die Anamnese bei Sarinee lässt aus meiner Sicht auf diese Problematik schließen.
Durch den kontinuierlichen Einstrom von Nozizeption in die Segmente Th12 und L1 entsteht im Hinterhorn eine zentrale Sensibilisierung, was zu einer sekundären Hyperalgesie führt. Alle Strukturen, die zum Segment gehören, werden dadurch in der sensorischen Verarbeitung erhöht. Sarinees Leistenschmerz repräsentiert das Dermatom Th12 und L1, der Rückenschmerz das Myotom Th12 und L1. Somit weist alles darauf hin, dass es sich nicht um ein Hüftproblem handelt, sondern möglicherweise um eine Hypermobilität von Th12. Daher sind auch alle Interventionen nur von kurzem Erfolg.
Kaiserschnittnarben liegen meiner Erfahrung nach ebenfalls im Bereich der Segmente TH12 und L1. Auch Narben sind eine nozizeptive Quelle, die vielleicht an sich keine Symptome hervorgerufen hätten, aber im Verbund mit den beschriebenen Wechselbeziehungen eindeutig berücksichtigt werden müssen.
Im Seitenhorn des betroffenen Segments werden vegetative Subsysteme sensibilisiert, wodurch unter anderem die Empfindlichkeit der Sensoren der Haut erhöht wird. Dadurch löst, wie bei Sarinee, der Autosicherheitsgurt mit leichtestem Druck Schmerzen aus. Auch die Art des Schmerzes ist typisch für vegetative Sensibilitätsveränderungen. Es ist zudem schwer vorstellbar, dass ein so geringer äußerer Druck Hüftgelenkprobleme anzeigt. Da die Sensibilitätssteigerung auch die Nervi nervorum und deren Sensoren im Nerv trifft, fallen neuromeningeale Tests positiv aus, ohne dass neuromeningeale Strukturen betroffen wären.
Drs. Henk J. M. Brils, MSc, Diplom-Physiotherapeut
Antwort der Autorin
Es freut mich zu hören, dass dieses Fallbeispiel detailliert studiert wurde und zu vielen Gedanken und theoretischen Überlegungen Anlass gegeben hat. Als praktisch tätige Physiotherapeutin mit mindestens 60 Behandlungen pro Woche sehe ich mich täglich mit der Synthese von theoretischem Wissen und dessen Umsetzung am Patienten konfrontiert. Das Brickwall-Konzept von G. Maitland beschreibt dieses Dilemma sehr deutlich und scheint mir hilfreich für die tägliche Praxisarbeit zu sein. Dabei demonstriert mir der Patient (wenn, wie in diesem Fall möglich) seine Bewegungsdysfunktionen. Ob dies zu meinen favorisierten theoretischen Hypothesen passt oder nicht, ist dabei irrelevant (übrigens ein klassischer Clinical-Reasoning-Fehler!).
Ich möchte auf einige Einwände eingehen:
Aufgrund des Hinweises, dass bei der Bereichslokalisation auch die LWS bewegt würde und somit nicht auf das Hüftgelenk geschlossen werden kann, möchte ich das Prinzip der Bereichslokalisation (BL) genauer erklären. Die BL basiert auf dem Prinzip der Differenzierung durch selektive Bewegung und beruht auf der Schmerzreproduktion und -linderung. Dass Schmerzreprovokationstests eine gute Evidenz aufweisen, haben mehrere Autoren bestätigt [2].
Ihr Hinweis gegen die Theorie des „Rollgleitens“ beruht auf einem weitverbreiteten Irrtum. Sie unterscheiden nicht zwischen Osteokinematik (Bewegungen der Knochen im Raum) und Arthrokinematik (Bewegungen der Anteile der Gelenkpartner innerhalb des Gelenkes). Es behauptet niemand, dass bei Extension des Hüftgelenks der Femur oder der ganze Femurkopf im Raum nach anterior gleitet. Hingegen entspricht es doch wohl den Regeln der Mechanik, dass bei der rotatorischen Bewegung eines Knochens mit konvexem Ende auf einem Knochen mit konkavem Ende die Umdrehungsachse dieser Bewegung im konvexen Ende dieses Knochens liegt. Je nach Veränderung der Krümmungsradien der Gelenkfläche verläuft die momentane Position der Umdrehungsachse bei Änderung der Gelenkstellung auf einem Pfad oder steht relativ still. Daraus ergibt sich, dass die Gelenkfläche des konvexen Gelenkpartners in die umgekehrte Richtung zur Bewegungsrichtung des Knochens bewegt, weil sie auf der anderen Seite der Umdrehungsachse liegt als der Rest dieses Knochens [3]. Ob sie diese Bewegung „Gleiten“ oder „Rutschen“ oder wie immer auch nennen, ist dabei unerheblich. Diese Mechanik der Gelenke ist wohl kaum wissenschaftlich widerlegt und Ihre These nicht haltbar! Wenn diese intraartikuläre Komponente (Arthrokinematik) der Knochenbewegung (Osteokinematik: Extension, Flexion...) nicht richtig funktioniert, ergeben sich Bewegungsdysfunktionen, welche durch strukturelle Überlastung unter anderem auch schmerzhaft werden können.
Auch wenn man davon ausgeht, dass jeder mechanozeptive Input die Nozizeption dämpft, müsste man sich fragen: Warum ist eine Linderung der Symptome auch mit einem mechanozeptiven Reiz möglich, wenn man, wie Sie andeuten, von einer sekundären Hyperalgesie, welche nach längerem Bestehen zu zentraler Sensibilisierung führt [4], ausgehen sollte? An diesem Patientenbeispiel zeigt sich jedoch, dass nicht jede Bewegung, sondern nur Bewegungen in eine bestimmte Richtung Schmerzen reproduzieren beziehungsweise lindern können, was eher auf einen nozizeptiven Schmerzmechanismus hinweist.
Den Einwand, dass ein aspezifisches Screening der LWS unzureichend sei und durch spezifische Untersuchung ergänzt werden muss, kann ich nicht ganz nachvollziehen, waren doch die Bewegungen der LWS asymptomatisch und unauffällig. Im Übrigen kann eine manuelle Testung der einzelnen Segmente nicht als spezifische Untersuchung taxiert werden, ist doch die Validität von manuellen Bewegungspalpationen sehr bescheiden [5]. Ihre Hypothese um die mögliche Hypermobilität von Th12/L1 klingt zwar in der Theorie logisch. Leider trifft sie jedoch auf meine Patientin kaum zu. Ich vergaß im Artikel zu erwähnen, dass sie erst mit 17 Jahren mit Ballett begonnen hat. Zudem zeigen ihre Röntgenbilder der WS keine Auffälligkeiten. Die von Ihnen erwähnte theoretische Abhandlung zur Entstehung eines hypermobilen Segmentes müsste noch bewiesen werden. In diesem Sinne fordere ich Sie auf, die entsprechenden Referenzen von hoher Qualität zu liefern.
Dass der asymptomatische thorakolumbale Übergang einen beitragenden Faktor spielen kann, ist theoretisch möglich und wurde bei der Behandlung berücksichtigt. (Leider mit demselben Erfolg wie die anderen Interventionen.) Dass die Symptome aber aus diesem Bereich primär verursacht wurden, bestreite ich. Warum hätten dann die aktiven Bewegungen dieser Region keine Schmerzen ausgelöst? Warum konnte durch die Behandlung von L1/L2 keine anhaltende Symptomreduktion erreicht werden? Die theoretische Erklärung, dass die Kaiserschnittnarbe einen zusätzlichen Einfluss auf die Problematik haben könnte, ist interessant, aber ob ein kausaler Zusammenhang besteht, müsste nachgewiesen werden.
Es ist interessant, die möglichen Hypothesen theoretisch zu erörtern. Doch viel mehr interessiert es mich bei meiner täglichen Arbeit mit den mir zur Verfügung stehenden praktischen Mitteln, das Optimum für die Patienten zu erreichen. Das habe ich mit der beschriebenen Vorgehensweise, welche zur Rücküberweisung an den verordnenden Arzt geführt hatte, getan. Dadurch wurde eine spezifischere ärztliche Abklärung und Therapie erst möglich. Auch heute, nach mehr als einem Jahr, ist Sarinee beschwerdefrei und trainiert noch immer im gewohnten Ausmaß Ballett.
Jutta Affolter