Z Orthop Unfall 2013; 151(03): 220
DOI: 10.1055/s-0033-1349249
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frakturen der oberen Extremität – "Herr Doktor, kann ich mit dem Gipsarm Auto fahren?"

Contributor(s):
Philipp Herlyn
Stevenson HL et al.
An objective assessment of safety to drive in an upper limb cast.

J Hand Surg Eur 2013;
38: 321-324
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Publication History

Publication Date:
14 June 2013 (online)

 

Sollte sich ein Patient mit Gipsverband hinters Steuer setzen? Ob man mit einem Cast an der oberen Extremität fahrtüchtig ist, haben Orthopäden im nordwestlichen England nun untersucht.
Stevenson HL et. An objective assessment of safety to drive in an upper limb cast. J Hand Surg Eur 2013; 38: 321–324

Einleitung

Die Frage nach der Fahrtüchtigkeit mit einem anliegenden Gips an der oberen Extremität wird dem Chirurgen häufig von Patienten im Rahmen der Behandlung gestellt. Um etwaigen juristischen Konsequenzen auszuweichen, wird die Empfehlung üblicherweise in Richtung der Fahrvermeidung gehen. Hierdurch sind, abgesehen von alltäglichen Einschränkungen in der Mobilität für alle Patienten, insbesondere Selbstständige oder Patienten mit vorwiegend geistiger Tätigkeit beeinträchtigt, deren Arbeitsfähigkeit häufig von der Mobilität im Auto abhängt.


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Methoden

In dieser englischen Studie wurde die Fahrtüchtigkeit von Probanden mit verschiedenen Casttypen an der oberen Extremität überprüft. Hierzu erhielten 6 Probanden (3 männlich, 3 weiblich; Alter 27–43 Jahre) verschiedene Formen der Ruhigstellung an der oberen Extremität – Oberarmcast, Unterarmcast und Daumencastschiene – und wurden hinsichtlich ihrer Fahrsicherheit beurteilt. Alle Probanden waren im Besitz einer gültigen britischen Fahrerlaubnis und wurden nacheinander mit jeweils allen o. g. Casts an beiden oberen Extremitäten getestet. Die Untersuchung fand im Sinne einer englischen Führerscheinprüfung statt und wurde von einem staatlichen Fahrprüfer objektiviert. Darüber hinaus wurden die Probanden während der Prüfung von einem Ergotherapeuten hinsichtlich individueller Situationen, wie Schalten, Blinker setzen, Steuern und Verhalten im Kreisverkehr, mithilfe eines subjektiven Scores (1 = sichere Kontrolle bis 4 = unsicher) bewertet.

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Ergebnisse

Bei insgesamt 36 durchgeführten Fahrtests fielen nur 5 Probanden bei einem Test durch. Es handelte sich in 4 Fällen um Probanden mit einem links anliegenden Oberarmcast und in einem Fall um einen Teilnehmer mit links anliegender Daumenschiene. Alle Tests mit rechts anliegenden Casts wurden bestanden. Die Ergebnisse der Bewertung durch den Ergotherapeuten zeigten korrespondierend eine hohe Unsicherheit der Fahrer, die mit einem Oberarmcast links versorgt waren, bei den anderen Tests bestanden keine statistisch signifikanten Unterschiede.

Die Autoren schließen daraus, dass die Empfehlung bezüglich der Fahrtüchtigkeit zu rigide gehandhabt wird und abhängig von der verwendeten Ruhigstellung durchaus eine großzügigere Freigabe zum Fahren erfolgen könnte. Zusätzlich werden die Ergebnisse im Licht der britischen Gesetzgebung und gängigen Versicherungspraxis diskutiert. Ferner wurden verschiedene staatliche und private britische Institutionen mit Bezug zum Straßenverkehr direkt mit den Ergebnissen der Studie konfrontiert und hinsichtlich ihrer Bewertung der Studie befragt. Als Konsequenz wird die Drivers Medical Group der DVLA (vergleichbar mit der deutschen Kfz-Zulassungsbehörde) die Ergebnisse bei der Neuauflage des Safety to Drive Manual berücksichtigen.


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Kommentar

Die Qualität der Studie ist hoch, und die Ergebnisse sind gleichermaßen interessant und begrüßenswert. Es wurde ein im Alltag wichtiges Problem identifiziert und mit dazu geeigneten Methoden bearbeitet. Ein Kritikpunkt ist die Verwertbarkeit des ergotherapeutischen Scores. Hier gab es eine statistisch signifikante Verschlechterung bei links getragenen Oberarmcasts, alle anderen Casts hatten in etwa den gleichen Punktwert. Es wäre interessant zu erfahren, wie die individuellen Scores ohne Gipsanlage ausgesehen hätten. Ein weiterer Kritikpunkt ist sicherlich auch, dass ausschließlich junge, gesunde Probanden untersucht worden sind und keine Patienten, denen ein schlechteres Abschneiden zu unterstellen wäre.

Die Studie ist selbstverständlich nicht unmittelbar auf die Situation in Deutschland übertragbar. Abgesehen vom Linksfahrgebot in Großbritannien bestehen hier andere gesetzliche und versicherungstechnische Voraussetzungen. Gerade deswegen sollte jedoch auch bei uns eine Überprüfung der gängigen Empfehlungen anhand objektivierbarer Kriterien hinsichtlich der Fahrtüchtigkeit von Patienten mit einer Ruhigstellung am Oberarm erfolgen.


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