Drug Res (Stuttg) 2013; 63(S 01): S22
DOI: 10.1055/s-0033-1346717
Symposium der Paul-Martini-Stiftung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neue Entwicklungen aus der Neuroonkologie

U. Bogdahn
Zentrum für Hirntumoren und Wilhelm Sander-Therapieeinheit NeuroOnkologie, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Regensburg
,
P. Hau
Zentrum für Hirntumoren und Wilhelm Sander-Therapieeinheit NeuroOnkologie, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Regensburg
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Publication Date:
15 November 2013 (online)

 

    Unsere pathogenetischen Vorstellungen zur Entstehung primärer Hirntumoren sind grundsätzlich durch die Konzepte der neuronalen Stammzellen und Tumorstammzellen bzw. der molekularen Neuroonkologie und Neuroimmunologie geprägt. Nicht ausreichend kontrollierte Tumorangiogenese und Migration ins gesunde ZNS sind mit Therapie-Versagen bei unseren Patienten assoziiert. Die Wiederentdeckung des Tumor-Metabolismus kann bei der Entschlüsselung basaler Fehlsteuerungen und deren Korrektur einen wesentlichen Beitrag leisten. Molekulare (Bio-)Marker haben in der Neuroonkologie – wie kaum in einem anderen Bereich solider Tumoren – eine enorme klinische Bedeutung erlangt und die klinische Studienkultur verändert. Hierbei ist v. a. die epigenetisch charakterisierte Methylierung des MGMT-Promotors zu nennen, wodurch ein Enzym für den Abbau klassischer alkylierender Chemotherapeutika in den betroffenen Tumorzellen inaktiviert wird. Neue Befunde aus einer möglichen viralen Co-Pathogenese – insbesondere bei den WHO-Grad IV-Tumoren – lassen in diesem Kontext unser bisheriges Verständnis in einer völlig neuen positiven Therapie-Perspektive erscheinen. Parallel dazu hat die strukturelle und molekulare Bildgebung mit einem Höchstmaß an Standardisierung in der Neuroonkologie einen beispiellosen Siegeszug für Diagnostik und Therapie hinter sich, der die klinische Umsetzung vieler neuer pathogenetischer Erkenntnisse jetzt äußerst wirksam unterstützt und beschleunigt. Die internationale Vernetzung ist hierbei von unschätzbarer kultureller Bedeutung in der neuroonkologischen Wissenschafts-Community.

    Im Vortrag werden zunächst die aktuellen Vorstellungen zur molekularen Pathogenese und zur klinischen Relevanz des Tumorstammzell-Konzeptes diskutiert. Hierbei wird auch versucht, einen Überblick über den augenblicklichen Stand der Tumor-Immunologie und einer möglichen viralen Co-Pathogenese durch Cytomegalievirus-Reaktivierung zu geben. Die aktuellen Entwicklungen der Standardtherapie in den großen Tumorentitäten sowie die Gründe für ein mögliches Therapie-Versagen werden referiert. Besonders hervorgehoben werden hierbei die überraschend positiven Langzeit-Therapie-Ergebnisse bei speziellen Subgruppen maligner Gliome (z. B. anaplastischen Oligodendrogliom), die erstmals in dieser Form durch systematische molekulare Stratifizierung erreicht werden konnten. Neue Herausforderungen in der Rezidiv-Therapie – insbesondere mit den neuen Möglichkeiten der Antiangiogenese – werden erörtert. Die Rolle neuroradiologischer und nuklearmedizinischer Diagnostik (FET-PET) in der Operations- und Strahlentherapieplanung wird zukünftig für die primäre Therapieplanung, insbesondere aber auch in der Rezidivsituation von entscheidender Bedeutung sein; hierzu ist eine Finanzierung durch die Kostenträger zu erreichen.

    Die Wachoperation von Patienten mit Tumoren in kritischen Cortexarealen (sogenannte eloquente Areale, wie Sprachzentrum, motorischer Kortex etc.) hat sich zunehmend durchgesetzt, zumal der enorme prognostisch günstige Effekt einer sogenannten makroskopisch kompletten Tumorresektion bewiesen werden konnte.

    Ethische und gesundheitspolitische Aspekte in der Neuroonkologie zeigen, dass sich dieses früher eher bedrückende Fachgebiet zu einem Paradigma unserer aktuellen gesundheitspolitischen Herausforderungen und riesigen Chancen entwickelt hat. Die internationale Vernetzung der so sehr unterschiedlichen beteiligten Disziplinen hat dies in einem kurzen Zeitraum ermöglicht. Die lokale Vernetzung zu Therapiezentren entlang des nationalen Krebsplanes und der Richtlinien der DKG hat bereits jetzt einen konkreten Überlebensvorteil für die betroffenen und so behandelten Patienten bewirkt. Nicht zuletzt hat sich die Neuroonkologie auch deshalb zu einem zentralen Knotenpunkt für translationale Studien und zum Testfeld modernster pharmazeutischer Entwicklungen in der internationalen Therapie-Entwicklung für solide Tumoren entwickelt.


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    Interessenkonflikte: Advisory Boards: Roche (UB, PH), Merck KGaA (UB), Antisense Pharma (UB, PH), Novartis (UB, PH), Boehringer Ingelheim (UB), Pfizer (PH), Medac (PH).