Drug Res (Stuttg) 2013; 63(S 01): S18-S20
DOI: 10.1055/s-0033-1346715
Symposium der Paul-Martini-Stiftung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Auf dem Weg zu einer Impfung gegen Alzheimer?

R. Dodel
Neurologische Klinik, Philipps-Universität Marburg
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Publication Date:
15 November 2013 (online)

 

„We make Alzheimerʼs history“ war das Leitthema mit dem die Firma ELAN im Jahre 2002 auf der International Conference on Alzheimerʼs Disease and Related Disorders in Stockholm für eine aktive Immunisierung bei Patienten mit Demenz vom Alzheimertyp auftrat. Kurz zuvor war von der Gruppe um Darryl Schenk gezeigt worden, dass eine aktive Immunisierung gegen Aβ1–42 zu einer Reduktion der Plaqueablagerung in einem transgenen Mausmodell führte [12]. Basierend auf diesen Untersuchungen war eine aktive Immunisierungsstudie am Menschen mit AN-1792 und QS-21 als Immunstimulans initiiert worden, die aufgrund von schweren Nebenwirkungen bei den Patienten vorzeitig abgebrochen werden musste [11]. Trotz der initialen Rückschläge bei dem innovativen Behandlungsansatz sind inzwischen mehr als 20 passive und aktive Immunisierungsansätze entwickelt worden und werden in klinischen Studien getestet. Unterschiedliche Ansätze werden in den Immunisierungsstudien verfolgt.

1. Passive Immunisierung. Bei der passiven Immunisierung werden entweder humanisierte oder humane monoklonale Antikörper eingesetzt, Teile von Aβ-erkennenden Antikörpern oder Nanokörperchen. Kürzlich ist auch die Gabe von Immunglobulinen untersucht worden [2].

Der wohl gängigste Ansatz bei einer passiven Immunisierung ist die Generierung von „humanisierten“ Antikörpern, die ursprünglich auf Maus-Antikörpern beruhen. Mittels molekularbiologischer Verfahren werden die im konstanten Teil der Antikörper befindlichen murinen Sequenzen entfernt und durch humane Sequenzen ersetzt. Der so generierte monoklonale Antikörper wird als „humanisierter monoklonaler Antikörper“ bezeichnet. Diese Ansätze sind z. B. für Solenazumab (Lilly); Ponemazumab (Pfizer); Bapineuzumab (Wyeth) verwendet worden. Vollständig humane Antikörper können neuerdings auch mittels Bacteriophage Display oder transgenen Kaninchen generiert werden [6]. Diese Ansätze sind von AstraZeneca (AZD3102) und Roche/Morphosys (UuCal) verfolgt worden. Inwiefern hier die Zuckerseitenketten auch menschlichen Antikörpern entsprechen, ist nicht ausreichend untersucht. Fragmente von Antikörpern (z. B. single chain variable fragment) sind in verschiedenen präklinischen Studien untersucht worden [10], [13]. Eine neue Entwicklung stellen die Nanokörperchen dar [7], [9]. Hierbei handelt es sich um Antikörper, die von der Familie der Kameliden (z. B. Lama) oder Knorpelfischen generiert werden und sich in ihrem Aufbau von menschlichen Antikörpern unterscheiden; es sind Einzeldomänenantikörper, die aus einer einzelnen, monomeren variablen Domäne eines Antikörpers bestehen. Sie sind mit einer Molekülmasse von etwa 12–15 kDa die kleinsten Antikörperfragmente, die zur Antigenerkennung befähigt sind und können im Gegensatz zu herkömmlichen Antikörpern ihr Antigen nur mit einer Kette binden. Vorteile sind eine bessere Löslichkeit, eine hohe Hitzebeständigkeit und eine größere Stabilität. Zudem können spezifische Nanokörper die Bluthirnschranke leichter überwinden. Fortgeschrittene klinische Studien stehen hier noch nicht zur Verfügung. Bei den Immunglobulinen handelt es sich um kommerziell erhältliche IgG-Fraktionen, die aus einem Pool von > 5000 Spendern gewonnen werden. In einer kürzlich publizierten Phase-II-Studie und in einer abgeschlossenen Phase-III-Studie ist die Gabe von Immunglobulinen bei Patienten mit leichter bis moderater Krankheit untersucht worden [1], [5].

2. Aktive Immunisierung. Bei der aktiven Immunisierung werden unterschiedliche Ansätze betreffend das Antigen, das Adjuvans und die Applikationsweise untersucht. Insbesondere das Adjuvans scheint besonders kritisch zu sein, da man annimmt, dass die autoimmune Reaktion in der aktiven Immunisierungsstudie AN-1792 durch das Immunstimulans (QS-21) und β-Amyloid und deren Interaktion für die TH1-Reaktion bedingt wurde. Dies konnte in Tierversuchen bestätigt werden [3]. Derzeit werden andere Adjuvantien in Studien getestet, wie z. B. CRM19 (ACC001), Qb viruslike particle (CAD-106) und Iscomatrix (V-950). Welches Antigen bzw. welche Epitopsequenz gewählt werden soll, ist weiterhin in der Diskussion. Bei den gegen den N-terminus des Aβ gerichteten Immunisierungsansätzen, die bisher getestet wurden, konnte in den Gehirnen von Alzheimer-Patienten im Vergleich zu Kontrollen eine deutlich reduzierte Amyloid-Last nachgewiesen werden, allerdings hatte diese Abnahme keinen Einfluss auf die Kognition [8]. Die modifizierte Amyloid-Hypothese sieht als primäres toxisches Agens die oligomeren Vorstufen des Aβ. Hierauf zielen verschiedene Ansätze ab, jedoch konnte noch nicht der Beweis erbracht werden, dass durch das „Abfangen“ der Oligomeren des Aβ eine Besserung der kognitiven Leistungsfähigkeit beim Menschen erreicht werden kann. Verschiedene Ansätze verfolgen diesen Ansatz (z. B. Affitope).

Schließlich ergeben sich noch eine Reihe von Fragen, die bisher noch nicht gelöst sind.

  • Welches Target ist das beste Ziel für eine Immunisierung, unabhängig davon, ob eine passive oder aktive Immunisierungsstrategie gewählt wird.

  • Bei Ansätzen, die auf der Amyloid-Hypothese aufbauen, stellt sich weiter die Frage, ob Oligomere, Fibrillen oder in Plaques abgelagerte Aβ die zentrale Rolle spielen. Entsprechend den Ergebnissen aus den histopathologischen Studien der AN-1792-Studie scheint eine Plaque-Reduktion keinen wesentlichen Effekt auf den Parameter Kognition zu haben.

  • Welches Ziel-Epitop auf dem β-Amyloid wäre am sinnvollsten (N-terminal, midterminal, C-terminal; s. Abb. [1])?

  • Weiter bleibt die Frage bestehen: Muss der Antikörper die Blut-Hirnschranke überwinden, um seine Aufgaben zu erfüllen oder würde auch ein peripher verabreichter Antikörper („peripheral sink hypothesis“) seine Aufgaben erfüllen können [2]. Es konnte gezeigt werden, dass ein in der transgenen PDAPP-Maus verabreichter Antikörper zu einem Shift des Aβ von einem zentralen Pool (Gehirn) in die Peripherie (Blut) führen kann [4].

  • Ist eine hohe Menge des Aβ im Gehirn bei Patienten mit Alzheimer-Krankheit abzubauen oder würden wenige mg ausreichen? Nach heutigen Erkenntnissen befinden sich zwischen 30 mg und 175 mg Aβ im Gehirn von Patienten mit AD. Somit wäre zu klären, wieviel Aβ denn im Gehirn entfernt werden müsste, um eine sinnvolle Wirkung für die Kognition zu bedingen.

  • Muss dieser Abbau kontinuierlich stattfinden oder würde auch eine Behandlung für mehrere Wochen ausreichend sein?

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Abb. 1 Epitope des β-Amyloid durch passive und aktive Immunisierungsansätze.

Trotz der vielen noch ungelösten Fragen und Probleme einer Immunisierung gegen körpereigene Proteinstrukturen sind bereits eine Vielzahl von Immunisierungsansätzen initiiert worden, die in [Tab. 1] zusammengestellt sind. Wie Brody und Holtzman [2] ausführen, sind in der klinischen Tumorforschung von der präklinischen Entwicklung bis zur ersten Anwendung eines Antikörpers in der Klinik annähernd 20 Jahre vergangen. Wahrscheinlich müssen wir uns für die Alzheimer-Krankheit auf einen ähnlich langen Entwicklungsweg für einen Immunisierungsansatz einstellen.

Tab. 1 Aktive und passive Immunisierungsansätze basierend auf der Amyloid-Hypothese.

Substanz

Therapieansatz

Sequenz/Epitop

Stand der Entwicklung

Firma

ACC-001

aktive Immunisierung

AA1–6

Phase II

Elan Pharmaceuticals

CAD-106

aktive Immunisierung

AA1–6

Phase II

Novartis

ACI-24

aktive Immunisierung

AA1–15

Phase I/II

AC Immune/Bayer Schering

UB-311

aktive Immunisierung

AA1–14

Phase I

United Biomedical

V950

aktive Immunisierung

Phase I

Merck

Affitope AD-01/AD-02

aktive Immunisierung

Peptide mit 6 Aminosäuren (N-Terminal)

Phase I/II

Affiris

Bapineuzumab

passive Immunisierung

AA1–5

Entwicklung beendet

Wyeth & Elan Pharmaceuticals

GSK933776A

passive Immunisierung

N-Terminus

Entwicklung beendet

GlaxoSmithKline

Solenazumab LY2062430

passive Immunisierung

AA16–24

Phase III beendet

Eli Lilly

Ponemazumab
PF-04360365/RN-1219

passive Immunisierung

AA33–40

Entwicklung beendet

Pfizer & Rinat Neuroscience

Gantenerumab (R1450)

passive Immunisierung

N-terminal (AA3-12) und midterminal (AA18–27)

Phase III

Hoffmann-LaRoche &MorphoSys

MABT-5102A

passive Immunisierung

AA12–23

Phase II

Genentech/AC Immune

BAN-2401

passive Immunisierung

Aβ Protofibrillen

Phase II

Eisai

Immunglobuline

passive Immunisierung

Mid/endterminal

Phase III beendet

Weill Medical College, Cornell University & Baxter BioScience & NIH


#

Interessenkonflikt: Der Autor hat entsprechend den ICMJE-Kriterien alle potentiellen Interessenkonflikte offengelegt.

  • Literatur

  • 1 Baxter. Baxter, Press Release May 2013. 2013. http://www.baxter.com/press_room/press_releases/2013/05_07_13_gap_study.html
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  • 3 Cribbs DH, Ghochikyan A, Vasilevko V, Tran M, Petrushina I, Sadzikava N, Babikyan D, Kesslak P, Kieber-Emmons T, Cotman CW, Agadjanyan MG. Adjuvant-dependent modulation of Th1 and Th2 responses to immunization with beta-amyloid. Int Immunol 2003; 15: 505-514
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  • 5 Dodel R, Rominger A, Bartenstein P, Barkhof F, Blennow K, Forster S, Winter Y, Bach JP, Popp J, Alferink J, Wiltfang J, Buerger K, Otto M, Antuono P, Jacoby M, Richter R, Stevens J, Melamed I, Goldstein J, Haag S, Wietek S, Farlow M, Jessen F. Intravenous immunoglobulin for treatment of mild-to-moderate Alzheimerʼs disease: a phase 2, randomised, double-blind, placebo-controlled, dose-finding trial. Lancet Neurol 2013; 12: 233-243
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  • 13 Tamura Y, Hamajima K, Matsui K, Yanoma S, Narita M, Tajima N, Xin KQ, Klinman D, Okuda K. The F(ab)ʼ2 fragment of an Abeta-specific monoclonal antibody reduces Abeta deposits in the brain. Neurobiol Dis 2005; 20: 541-549

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