Einleitung
Der vorliegende Artikel ist ein Auszug aus der entstehenden Dissertation „Honig in
der Wundbehandlung“ der Autorin, die unter anderem die Inhaltsstoffe des Honigs und
deren Wirkung auf die Wundheilung behandelt.
Zur besseren Übersichtlichkeit werden die Inhaltsstoffe des Honigs grafisch dargestellt
([Abb. 1]).
Abb. 1 Inhaltsstoffe des Honigs nach [8], S. 21.
So wird deutlich: Die verschiedenen Kohlenhydrate stellen mengenmäßig den größten
Bestandteil des Honigs dar und dürften eine entscheidende Rolle in der Wundheilung
spielen.
Es ist anzunehmen, dass die Eigenschaften und die restlichen Inhaltsstoffe des Honigs,
wie Mineralien, Aminosäuren, Vitamine, Enzyme, Säuren, Inhibine und Aromastoffe, einen
unterstützenden und synergistischen Effekt zur Wirkung der Kohlenhydrate in Bezug
auf die Wundheilung haben.
Auch wenn Zucker im Honig noch andere Wirkungen hat, beschränkt sich dieser Artikel
primär auf die Wasseraktivität. Z. B. wird durch das Enzym Glukoseoxydase, ein Enzym
aus den Hypopharynxdrüsen der Bienen, der Abbau von Glukose über Gluconolacton zu
Gluconsäure und Wasserstoffperoxid katalysiert. H2O2 hat eine antiseptische Wirkung [2]
[6].
Wirkung des Zuckers – Haltbarmachung
Um die Verderbnis von Lebensmitteln hinauszuschieben, gibt es verschiedene Verfahren.
Da Mikroorganismen zum Überleben und Vermehren Wasser benötigen, ist eines der ältesten
Methoden die Trocknung.
Im Falle des Honigs übernehmen das bereits die Bienen selbst. Sie trocknen den Honig
auf einen Wasseranteil von ca. 17 % [6].
Nun ist aber nicht die absolute Wassermenge entscheidend für die Haltbarkeit eines
Lebensmittels, sondern die frei verfügbare Wassermenge. In der Lebensmittelchemie
wird dies mit der sogenannten Wasseraktivität, dem einheitslosen aw-Wert, beschrieben. Wasseraktivität ist definiert als das Verhältnis des Wasserdampfdruckes
über einem Lebensmittel (p) zu dem Wasserdampfdruck über reinem Wasser (p0) bei der gleichen Temperatur:
Wichtig ist: Der aw-Wert des Wassers sinkt bei abfallender Temperatur. Er beträgt bei 20 °C 1, jedoch
bei minus 30 °C nur noch 0,7 [3]. Daher beziehen sich die nachfolgenden aw-Werte auf Raumtemperatur um 20 °C. Da der aw-Wert nicht über 1 liegen kann, müssen die Wachstumsgrenzen der Bakterien auch in
der Wundbehandlung bei 37 °C Körpertemperatur zutreffen.
Der durchschnittliche aw-Wert für Honig ist 0,75, der für gesättigte Fruktoselösung entspricht 0,63 [3]. Danach müssten Honige mit einem hohen Fruktoseanteil, wie z. B. Robinienhonig,
einen niedrigeren aw-Wert besitzen.
Mikroorganismen benötigen eine Mindestmenge an freiem Wasser, um zu überleben. Diese
Wassermindestmenge wird als untere Wachstumsgrenze mit dem niedrigsten aw-Wert angegeben.
Bei Bakterien allgemein liegt die Wachstumsgrenze bei einem aw-Wert von 0,9, bei Clostridien bei 0,95 bis 0,98. Staphylokokken als Haut- und Wundkeime
benötigen einen minimalen aw-Wert von 0,78, für Staphylokokkus aureus ist ein aw-Wert von 0,86 erforderlich. Schimmelpilze allgemein wachsen noch bei 0,75. Nur die
osmophilen, also Zucker liebenden, Hefen und einige xerophile, also Trockenheit liebende,
Pilze wie die Xeromyces tolerieren sogar noch einen aw-Wert von 0,6.
Die nachfolgende [Tab. 1] listet die ungefähren minimalen aw-Werte und pH-Werte für das Wachstum von Mikroorganismen auf. Honig und Fruktoselösung
sind fett hervorgehoben.
Tab. 1
Wachstumsgrenzen verschiedener Mikroorganismen in Abhängigkeit vom aw- und pH-Wert.
Mikroorganismen
|
Minimaler aw-Wert
|
Minimaler pH-Wert
|
Clostridium botulinum Typ E
|
0,96
|
5,0 – 5,2
|
Clostridien allgemein
|
0,95 – 0,98
|
|
Bacillus cereus
|
0,95
|
4,9
|
Clostridium botulinum A, B
|
0,95
|
4,5
|
Salmonellen
|
0,95
|
4,0 – 4,5
|
Listeria monocytogenes
|
0,93
|
5,6
|
Mucor, Botrytis, Rhizopus
|
0,93
|
|
Laktobazillen
|
0,91 – 0,95
|
3,8 – 4,4
|
Bakterien allgemein
|
0,90 – 0,95
|
4,0 – 4,5
|
Penicillum
|
0,90
|
|
Hefen allgemein
|
0,87 – 0,94
|
3,0 – 4,0
|
Aspergillus niger
|
0,87
|
|
Staphylokokkus aureus
|
0,86
|
4,0 (Toxinbildung ab 4,8)
|
Halophile Arten
|
0,86 – 0,91
|
5,6
|
Staphylokokken
|
0,78
|
|
Schimmelpilze allgemein
|
0,75 – 0,93
|
2,0 – 4,0
|
Xerotolerante Schimmelpilze
|
0,60 – 0,78
|
2,0 – 4,0
|
Osmotolerante Hefen
|
0,60 – 0,65
|
3,0 – 4,0
|
Honig
|
0,75
|
3,5 – 5,5
|
Fruktose (gesättigte Lösung)
|
0,63
|
|
Quelle: [3], S. 512, 1151, 1152
Daraus ist abzuleiten, dass normale Bakterien schon einfach aufgrund der Trockenheit,
also des nicht frei verfügbaren Wassers, im Honig nicht überleben können. Allerdings
bilden einige Arten wie die aeroben Bazillen und die anaeroben Clostridien überlebensfähige
Dauerformen, nämlich Sporen, die bei verbesserten Lebensbedingungen auskeimen. Hefen
sind sicher vorhanden, und eventuell auch Schimmelpilze.
In der Lebensmittelchemie ist bekannt, dass steigende Zuckerkonzentrationen ab 40 %
zunehmend haltbarkeitsverbessernd sind. Zucker und damit auch Honig ist hygroskopisch,
Wasser bindend. Das frei verfügbare Wasser wird dem Honig durch Wasserstoffbrückenbindungen
entzogen.
Die Interaktion tritt bei Zuckern zwischen dem Wasserstoff des Zuckers und dem Sauerstoff
des Wassers oder zwischen dem Sauerstoff des Zuckers und dem Wasserstoff des Wassers
auf.
Wie viel Wundwasser kann Honig aufnehmen, damit Bakterien nicht wachsen? Meine Annahme
ist eine Rechnung über Dreisatz.
Wenn 100 g Honig 17 g Gesamtwasser enthalten und der aw-Wert 0,75 beträgt, dann könnte Honig 20 g Wundwasser aufnehmen und hätte einen aw-Wert von 0,9, was der unteren Wachstumsgrenze von Bakterien allgemein entspräche
([Tab. 2]).
Tab. 2
Veränderung des aw-Wertes in Abhängigkeit vom aufgenommenen Wasser und der unteren Wachstumsgrenze verschiedener
Mikroorganismen.
Aufgenommenes Wundwasser (g)
|
Honigmenge (g)
|
aw-Wert als untere Wachstumsgrenze
|
Mikroorganismus
|
0
|
100
|
0,75
|
|
33,3
|
133,3
|
1
|
|
20
|
120
|
0,9
|
Bakterien allgemein
|
4
|
104
|
0,78
|
Staphylokokken
|
14,6
|
114,6
|
0,86
|
Staphylokokkus aureus
|
Da jeder Mikroorganismus eine andere untere Wachstumsgrenze hat, wäre das z. B. bei
Staphylokokken mit einem aw-Wert von 0,78 nur 4 g Wundwasser, die der Honig aufnehmen könnte, jedoch bei Staphylokokkus
aureus mit einem aw-Wert von 0,86 könnten gut 14 g Wundwasser aufgenommen werden.
Wundverbände mit Honig werden in der Regel täglich gewechselt [5]. Aus [Tab. 2] geht die antibakterielle Wirkung des Zuckers im Honig auch bei multiresistentem
Staphylokokkus aureus nach Aufnahme von Wundwasser hervor. Danach müssten nur stark
nässende Wunden mehrmals täglich verbunden werden, bereits gut abgeheilte trockene
Wunden könnten sogar alle zwei Tage verbunden werden.
Häufig wird auch der saure pH-Wert des Honigs als Grund für die keimhemmende Wirkung
angegeben.
Der pH-Wert des Honigs liegt zwischen 3,5 und 5,5. Der oben aufgeführten [Tab. 1] ist zu entnehmen, dass Bakterien allgemein noch bei einem minimalen pH-Wert von
4,0 bis 4,5 wachsen, Clostridien bei pH 4,5 bis 5,2. Die osmophilen Hefen tolerieren
sogar einen pH-Wert von 3,0 bis 4,0. All diese Wachstumsgrenzen liegen im Bereich
des pH-Wertes von Honig.
Es ist somit nicht der pH-Wert, der das Wachstum der Mikroorganismen primär hemmt.
Das frei verfügbare Wasser in Lebensmitteln, ausgedrückt durch den aw-Wert, muss unbedingt von Osmose unterschieden werden.
Osmose ist definiert als Diffusion an einer semipermeablen Membran, die zwei Lösungen
mit unterschiedlicher Teilchenkonzentration voneinander trennt.
Für Lösungen gilt:
„Im weitesten Sinne können wir eine Lösung als eine homogene Mischung verschiedener
Stoffe mit variabler Zusammensetzung und statistischer Verteilung aller Komponenten
definieren, bei der an jedem Ausschnitt aus der Mischung die gleiche Zusammensetzung
angetroffen wird“ ([1], S. 158).
Nach dieser Definition ist Honig keine Lösung, sondern ein Stoffgemisch. Dieses wird
deutlich, wenn sich Stoffe absetzen und z. B. Mutterlauge entsteht ([Abb. 2]).
Abb. 2 Mutterlauge (Foto: Autorin).
Die beiden wichtigsten Zucker im Honig sind Glukose und Fruktose. Glukose kristallisiert
wesentlich schneller als Fruktose [8].
Wenn Glukose auskristallisiert, wird durch zuvor mit Wasserstoffbrückenbindungen gebundenes
Wasser frei. Es entstehen zwei Phasen. Eine feste untere Phase reich an kristallisierter
Glukose und eine flüssige ungesättigte obere Phase reich an Fruktose. Diese obere
wasserreiche Phase heißt Mutterlauge und bietet den osmophilen Hefen gute Wachstumsbedingungen
mit Gärungstendenz [4]. Ein solcher Honig hat also zwei Phasen mit unterschiedlichen aw-Werten, unten einen niedrigeren aw-Wert als oben. Horn gibt die Gärungstendenz wie folgt an ([Tab. 3]):
Tab. 3
Gärungstendenz in Abhängigkeit des absoluten Wassergehaltes.
Wassergehalt in %
|
Gärungstendenz
|
< 17,1
|
keine, unabhängig von der Zellzahl
|
17,1 – 18,0
|
keine, wenn Zellzahl < 1000/g
|
18,1 – 19,0
|
keine, wenn Zellzahl < 10/g
|
19,1 – 20,0
|
keine, wenn Zellzahl < 1/g
|
> 20,1
|
permanente Gärungsgefahr
|
Quelle: [4], S. 81
Dies bedeutet, je niedriger der absolute Wassergehalt und damit auch der aw-Wert, desto seltener tritt Gärung ein. Steigt das frei verfügbare Wasser, sind stetig
weniger Hefen zur Auslösung einer Gärung nötig.
Auf Bakterien bezogen, wachsen diese umso weniger, je niedriger der aw-Wert ist.
Grundsätzlich sind Zellmembranen der Mikroorganismen und die Zellen des Wundgrundes
durchlässig für kleinmolekulare Stoffe, wie Ionen, Harnstoff und Glukose. Daher stellen
diese Membranen keine ideale semipermeable Membran dar. Dennoch besitzen sie meist
eine erhöhte Permeabilität für Wasser und gelöste Teilchen. Dies bedingt bei einem
Stoffaustausch in der Regel einen begleitenden osmotischen Wasserstrom. Besonders
durchlässig sind Kapillarwände, die nur die großen Plasmaproteine zurückhalten [9].
Osmose wirkt zellunabhängig. Wenn Bakterien durch eine angenommene osmotische Wirkung
geschädigt würden, müssten auch die neu gebildeten Granulationszellen der Wunde geschädigt
werden. Dann hätten Zucker oder Honig eine zelltoxische Wirkung und wären für die
Wundbehandlung nicht geeignet.
Krämer-Eis schreibt in Bezug auf den Wundgeruch:
„Wahrscheinlich schalten die Wundbakterien bei dem plötzlichen Angebot von Zucker
ihren Stoffwechsel auf den Abbau von Kohlehydraten um, sodass die übel riechenden
Stickstoff- und Schwefelverbindungen erst gar nicht entstehen“ ([5], S. 20).
Somit sind Bakterien, die bei dem wenig frei verfügbaren Wasser noch überleben können,
in der Lage, ihren Stoffwechsel an die neuen Bedingungen der hohen Zuckerkonzentration
anzupassen.
Allgemeine Literatur
Borneff J, Borneff M. Hygiene: Ein Leitfaden für Studenten und Ärzte. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 1991
Bort R. Honig, Pollen, Propolis: Sanfte Heilkraft aus dem Bienenstock. Stuttgart: Franckh-Kosmos;
2010
Grey JE, Harding KG. Ärztliche Wundversorgung: ABC der Wundheilung. München: Urban & Fischer; 2008
Hahn H, Falke D, Klein P. Medizinische Mikrobiologie. Berlin: Springer; 1991
Hainbuch F. Die Heilkraft der Bienen: Honig & Co. bei Beschwerden von A-Z. Kandern: Narayana
Verlag; 2013
Harms V. Physik für Mediziner und Pharmazeuten. 18. Aufl. Lindhöft: Harms; 2010
Münstedt K, Hoffmann S. Bienenprodukte in der Medizin: Apitherapie nach wissenschaftlichen Kriterien bewertet.
Aachen: Shaker Verlag; 2012
Potschinkova P. Apitherapie: Die Heilkraft von Honig & Co. 2., Aufl. München: Ehrenwirth; 1999
Stangaciu S, Hartenstein E. Sanft heilen mit Bienen-Produkten: So nutzen Sie die gesunde Kraft von Honig, Propolis,
Gelée Royale & Co. Stuttgart: Trias; 2010