Liebe Leser,
für Zahlenästheten dürfte es unerheblich sein, dass wir mit diesem Heft den 34. Jahrgang
beginnen. Wahrlich keine aufregende Zahl! Aber die Zeitschrift für Phytotherapie steuert
mächtig auf die 40 zu, ein Alter, in dem die Familienbildung allmählich zum Abschluss
kommen sollte. Das bedeutet für die meisten, dass das Haus gebaut ist, Eltern und
Nachwuchs sich darin hoffentlich wohlfühlen: Ärzte und Apotheker, Wissenschaftler
und Hersteller, Autoren und Verlag sowie die bereits 42 Jahre alte Gesellschaft für
Phytotherapie bestimmen Inhalte und Gesicht dieser Zeitschrift. Ihre Qualität hat
sich aus Sicht von Schriftleitung, Redaktion und Verlag kontinuierlich verbessern
lassen. Wir kennen weltweit keine vergleichbare Publikation, die wissenschaftlich
fundierte Information einschließlich Originalia einer primär an der Praxis, aber auch
der Philosophie der Phytotherapie interessierten Fachwelt so aktuell und kompakt darbietet.
Dafür möchten wir in erster Linie allen Vorkämpfern und dem Verlag an dieser Stelle
herzlich danken.
Also Hände in den Schoß legen und so weitermachen? Eine zunehmend wichtige Frage im
gesamten »Setting« ist die nach der Rolle des Bürgers als Gesunder wie als Patient.
Dieser beansprucht einerseits als westlicher Citoyen im Diskurs seines über zwei Jahrhunderte
währenden Autonomiestrebens auch in Bezug auf Gesundheit völlig zurecht mehr Kompetenz,
andererseits legt man ihm die Reduzierung seiner teuren Arztbesuche und deren Folgen
in Form von Arzneiverordnungen durch Zunahme der Selbstmedikation nahe. Darf hierzu
eine partnerschaftliche Beratung gerne noch durch den kompetenten Apotheker erfolgen,
herrscht spätestens an der Kasse strikt das Prinzip Autonomie, d.h. Selbstzahlung.
Dass die Entwicklung hierhin viel vorsichtiger verläuft, als gemeinhin angenommen,
zeigen in unregelmäßigen Abständen, aber mit derselben Methodik durchgeführte Befragungen
durch das Institut Allensbach, zuletzt 2012. Danach hat die Nutzung von »Naturheilmitteln«
(darunter dürfte der Bürger in erster Linie Phytopharmaka verstehen, Homöopathika
z.B. wurden separat abgefragt) 2005 einen Einbruch erlebt, von dem sie sich sieben
Jahre später immer noch nicht erholt hat. Nach dem durch die xte Gesundheitsreform
abgesicherten Rückzug der gesetzlichen Krankenversicherung aus dem Minisegment rezeptfreier
Arzneimittel haben auch viele Ärzte demonstrativ ihr Interesse an der Phytotherapie
verloren, vermutlich weil die Macht ihres Rezeptblocks nicht mehr bis dahin reichte.
Die Selbstmedikation hat diese Lücke bislang nicht gefüllt.
Für diese neue Situation, die offenbar bei uns bleiben wird, muss die seriöse Phytotherapie
Strategien entwickeln. Die einzige nationale Fachgesellschaft diskutiert hierüber
heftig und öffnet sich auf ihrem diesjährigen Kongress (s. ausführliche Ankündigung
in ZPT 6/2012, S. 294-295) auch dem Leipziger Publikum, wie es bereits viele medizinische
Gesellschaften bei entsprechenden Anlässen tun. Darüber hinaus gilt es, die Öffentlichkeit
in Zeiten überbordender Internet-Gesundheitsportale unklarster Provenienz und Interessengemengelage
seriös und unabhängig über die Phytotherapie in ihrer Breite zu informieren. Das können
in Deutschland nur die Kreise, die sich im Umfeld dieser Zeitschrift und der assoziierten
Fachgesellschaft verstehen.
Keine Angst, die ZPT wird nicht populär oder gar populistisch werden, sie bleibt das Fachblatt. Aber neue Aufgabengebiete in der öffentlichen Meinungsbildung müssen erschlossen
und organisiert bearbeitet werden. Natürlich haben wir dazu nicht über Nacht mehr
qualifizierte und engagierte Köpfe. Aber die gerade beginnende intensive Kooperation
zwischen den deutschsprachigen Fachgesellschaften und -kreisen verspricht z.B., die
stets herbeigewünschten Synergien freizusetzen. Die Probleme sind in allen drei Ländern
grundsätzlich gleich - mit einem kleinen Vorsprung für die Schweiz in der erstatteten
Phytotherapie.
Nach Husten, Schnupfen, Heiserkeit, Wechseljahrsoder Prostatabeschwerden, Arthrose,
Depression, Demenz u.v.m. fragen Patienten auch nach bislang für die Phytotherapie
nicht sehr geeignet erscheinenden Massenindikationen wie Hypertonie, Diabetes mellitus
Typ 2 und Fettstoffwechselstörungen. Teile dieses Heftes, insbesondere die Beiträge
von Frau Kraft (S. 6,12), beginnen eine regelmäßige Verfolgung der Fortschritte in
der Phytotherapie des vielzitierten metabolischen Syndroms. Ob neue Perspektiven durch
exotische Pflanzen entstehen, muss kritisch geprüft werden (Beitrag Chrubasik S. 24).