Zentralbl Chir 2013; 138(01): 14-18
DOI: 10.1055/s-0033-1341298
Rechtliches – Urteile und Hintergründe
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Urteil des LG Fulda vom 28.05.2009, AZ: 2 O 460/07 – Urteil des OLG Kassel vom 27.11.2012, AZ: 14 U 134/09 – Tod nach septischem Schock

A. Thiede
,
Hans- Joachim Zimmermann
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Korrespondenzadressen

Prof. Dr. med. Prof. h. c. A. Thiede
Ehemaliger Direktor der Chirurgischen Universtätsklinik und Poliklinik Würzburg (ZOM)
Oberdürrbacher Straße 6
97070 Würzburg
Dr. Hans-Joachim Zimmermann
Dr. Zimmermann & Partner GbR
Mergentheimer Str. 40
97082 Würzburg

Publication History

Publication Date:
06 March 2013 (online)

 
 

Ein 35-jähriger Patient wird wegen einer komplizierten Sigmadivertikelerkrankung stationär behandelt. Nach einer konservativen Therapie wird er mit Operationsempfehlung entlassen, vier Tage später minimalinvasiv operiert. Nach postoperativem Normalverlauf ist der Patient mobilisiert, wenig später kommt es zu unerwarteten Komplikationen mit Todesfolge.

Medizinischer Sachverhalt

Ein 35-jähriger Patient wurde vom 03.–13.06.2003 stationär wegen eines frischen Schubes einer langstreckig einengenden, entzündlich komplizierten Sigmadivertikelerkrankung behandelt. Nach Abklingen des akuten Schubes unter konservativer Therapie wurde er vorübergehend am 13.06. nach Hause entlassen mit einer kurzfristig wahrzunehmenden Operationsempfehlung. Bei ihm bestanden eine Adipositas, Bluthochdruck und eine relative chronische Koronarinsuffizienz. Am 16.06. wurde er erneut stationär aufgenommen und am 17.06.2003 assistiert minimalinvasiv operiert. Weder die Operationsindikation noch die OP-Strategie und -Technik wiesen Sorgfaltspflichtverletzungen auf. Die Standards wurden eingehalten.

Der anfängliche postoperative Verlauf entsprach bis Samstag, den 21.06.2003 – dem 4. postoperativen Tag – dem Normverlauf nach derartigen Operationen. Der Patient war mobilisiert.

Am Morgen des 21.06. gegen 9:15 Uhr führte der Patient spontan ab und bemerkte danach plötzlich akut heftig auftretende Schmerzen im Genitalbereich. Das herbeigerufene Pflegepersonal verabreichte Schmerzmittel und Beruhigungsmittel.

Die um 10:30 Uhr vorgenommene ärztliche Visite bestätigte die heftigen Beschwerden im Penis- bzw. Genitalbereich, fand einen unauffälligen Abdominalbefund und ging von einer Urethritis bei liegendem Blasenkatheter aus. Bei einer erneuten ärztlichen Visite etwa 1 Stunde später wies der Patient Kreislaufsymptome und Verwirrtheitszustände auf. Ein psychiatrisches Konsil (Vorgeschichte Suizidversuch 1997) ergab keine psychiatrisch bedingten Symptome, sondern organisch bedingte Schmerzen mit eventueller psychiatrischer Überlagerung.

Gegen 12.30 Uhr fanden sich Entzündungszeichen (Temperaturanstieg auf 38,8 Grad Celsius) und Kreislaufsymptome (RR-Anstieg und Tachykardie). Eine Stunde später wurde der Patient zwecks intensiver Überwachung auf die Wachstation verlegt. Als Ursache der Symptome wurde auch an eine Nahtinsuffizienz mit beginnender Peritonitis gedacht. Röntgenologisch ließ sich eine solche durch einen KE (Kontrast-Einlauf) jedoch nicht nachweisen, sondern es ergaben sich laborwertmäßig Hinweiszeichen in Richtung Pankreatitis.

Bei weiterhin sich verschlechterndem Gesamtzustand einschließlich kardio-pulmonaler Insuffizienzzeichen und der auf einen entzündlichen Prozess hinweisenden Laborkonstellation in Richtung Pankreatitis wurde zur Erkennung bzw. Ausschluss einer Nahtinsuffizienz und deren Folgen eine kontrastmittelunterstützte Computertomographie durchgeführt. Auch diese ergab keinen richtungweisenden Hinweis auf eine Nahtinsuffizienz, nach der gezielt gesucht wurde.

Nach Besprechung der CT-Befunde und der sonstigen klinischen Befunde und Laborbefunde durch den Radiologen und betreuenden Chirurgen wurde der Patient weiterhin intensivmedizinisch beobachtet betreut unter der Arbeitsdiagnose einer Pankreatitis. Eine eventuell angedachte Laparotomie sollte vorerst unter weiterer intensiver Beobachtung nicht vorgenommen werden.

Bei wesentlich sich verschlechterndem Allgemeinzustand und eindeutigen Zeichen eines septischen Schocks mit massiven Kreislaufstörungen wurde bei jetzt allerdings zunehmenden Oberbauchbeschwerden und eingetretener Abwehrspannung als Ultima ratio am 22.06.2003 gegen 9 Uhr eine Laparotomie vom betreuenden Oberarzt vorgenommen. Als Ursache des septischen Schocks fand sich eine 4-Quadrantenperitonitis bei Nahtinsuffizienz zwischen Colon descendens und Restsigma. Beides wurde standardmäßig versorgt und ein Anus praeter zur Sicherung der übernähten Anastomose vorgeschaltet.

Bei weiterhin schlechter Kreislaufsituation und zunehmendem septischen Schock wurde am 23.06., wie geplant, eine Relaparotomie und Etappenlavage vorgenommen. Dabei fand sich ein grenzwertig durchbluteter Dünndarm sowie Nekrosen im Omentum majus (großes Netz) als Folgen des septischen Schocks. Das Omentum majus musste reseziert werde.

Die Kreislaufinsuffizienz hielt postoperativ an, die Zeichen des septischen Schocks waren für den schlechten Zustand des Patienten verantwortlich, die Kreislaufinsuffizienz musste massiv mit kreislaufwirkenden, die peripheren Gefäße verengenden Medikamenten behandelt werden. Die Peritonitis hatte eine eigengesetzliche Verlaufsform angenommen, obwohl die auslösende Ursache – Nahtinsuffizienz – beherrscht schien.

Wenige Stunden später verstarb der Patient infolge des septischen Schocks.

Sektionsergebnis

Die Sektion bestätigte die Peritonitis und die Folgen des septischen Schocks und erbrachte als weiteren erheblichen Risikofaktor neben der bekannten Adipositas eine Kardiomyopathie, die die kardiopulmonale Reserve erheblich eingeschränkt haben dürfte und gemeinsam mit der Adipositas die Widerstandsfähigkeit des Patienten auch für erhebliche Operationskomplikationen, die normalerweise von ansonsten gesunden Patienten überstanden werden, massiv beeinträchtigt hat.

Daran, dass bei Ex-post-Betrachtung die Nahtinsuffizienz der auslösende Faktor für den septischen Schockzustand und damit die Todesursache gewesen ist, besteht allerdings bei Berücksichtigung aller Fakten kein medizinischer Zweifel.


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Beurteilung des Verlaufes bei Ex-ante-Bewertung

Bis zum 21.06.2003 um 9:15 Uhr ist keine besonders zu diskutierende auffällige Situation vorhanden gewesen. OP-Indikation, Operation in assistierter MIC-Technik und postoperativer Verlauf entsprachen der Norm. Es wurden alle Standards eingehalten.

Um 9:15 Uhr desselben Tages fiel während des spontanen Stuhlgangs ein heftig einsetzender Schmerz im Bereich der Genitalorgane auf. Der Dauerkatheter wurde auf Anordnung des betreuenden Oberarztes entfernt. Eine weitere ärztliche Untersuchung erfolgte gegen 10:30 Uhr. Er ging zu diesem Zeitpunkt von einer Urethritis katheterbedingt aus. Gegen diese Annahme sprach allerdings ein um 13:53 Uhr verfügbarer Urinstatus, in dem unter anderem keine Leukozyten dokumentiert sind.

Um 13:06 Uhr war schon ein Leukozytensturz auf 2.600 von zuletzt 7.000/micl festgestellt worden. Das C-reaktive Protein wies allerdings keine richtunggebenden Hinweise in dieser postoperativen Situation auf. Der Temperaturanstieg auf 38,8 Grad Celsius darf als Zeichen einer septischen Komplikation gewertet werden.

Es war daher folgerichtig, in den frühen Nachmittagsstunden des 21.06.2003 einer möglichen abdominellen Komplikation, insbesondere einer Anastomosenkomplikation, durch Röntgenuntersuchungen (Abdomenübersicht und KE) nachzugehen.

In der Röntgen-Leeraufnahme fand sich eine Schlingenbildung des Darmes, die für eine Pankreatitis hinweisend sein soll. In Verbindung mit einem Amylaseanstieg war es nachvollziehbar, auch an eine Pankreatitis zu denken und diese als Ursache für den schlechten Allgemein- und Kreislaufzustand sowie die allmählich entstehende Sepsis in Verbindung zu bringen. Bei anhaltend septischem Schockzustand und einer gegen 18 Uhr dokumentierten zunehmenden Verschlechterung war es ebenfalls nachvollziehbar und gerechtfertigt, noch eine kontrastmittelunterstützte Computertomographie vorzunehmen, die keine richtungweisende Information in Richtung Anastomoseninsuffizienz erbrachte. Die rechtsbetonte Flüssigkeit im Unterbauch wurde als typische Operationsfolge gewertet. Von der Dichte her schien es sich um seröse Flüssigkeit zu handeln. Allerdings hätte man diesen Befund auch mit einer beginnenden Peritonitis, wie dies vom radiologischen Zusatzgutachter beschrieben ist, in Verbindung bringen können.

Bei ansteigendem Amylasewert wurde der schlechte Allgemein- und Kreislaufzustand wiederum in Verbindung mit einer Pankreatitis gebracht. Es fehlten allerdings in den späteren CT-Untersuchungen Hinweiszeichen, dass eine Pankreatitis vorlag.

Die mehrfachen klinischen Untersuchungen des Bauches erbrachten keinen Hinweis auf eine ungewöhnliche Druckschmerzhaftigkeit und Abwehrspannung. Die linksseitig nachgewiesene Druckempfindlichkeit bei tiefer Palpation wurde als Operationsfolge gedeutet.


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Weitere Ex-post-Betrachtung

Ob es in Anbetracht der Adipositas gerechtfertigt war, dem Abdomen-Tastbefund zu trauen, ist zu hinterfragen, denn bei sehr fettreichen, relativ dicken Bauchdecken (siehe CT-Bilder) kann eine klinische Untersuchung – Palpationsbefund der Bauchdecken, Bauchmuskelspannung und Druckempfindlichkeit des Bauches – nur mit starker Zurückhaltung als repräsentatives Hinweiszeichen auf intraabdominelle Veränderungen akzeptiert werden.

Bei Berücksichtigung dieser adipösen Bauchdecken, der Flüssigkeitsansammlung im rechten Unterbauch, des septischen Schockzustandes und der Kreislaufinsuffizienz sowie einem erheblich ansteigenden Katecholamin-Bedarf wären weitere Untersuchungen wie eine rektale digitale Untersuchung mit Palpation des Douglas’schen Raumes zum Ausschluss einer Schmerzhaftigkeit im Douglas’schen Raum – Peritonitis-Hinweis – und eine segmentale Coloskopie zum Ausschluss einer Anastomosenkomplikation angezeigt gewesen. Ob diese Untersuchung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Anastomosenkomplikation aufgedeckt hätte, ist allerdings nicht eindeutig zu belegen. Sonographieuntersuchungen hätten sehr wahrscheinlich keinen Informationsgewinn über die Erkenntnisse der Computertomographie hinaus erbracht.

Zum Zeitpunkt der CT-Untersuchung bestand mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine 4-Quadrantenperitonitis. Nachdem die CT-Untersuchung (21.06.2003 um 18:56 Uhr) vorlag, in der eine auffällige Flüssigkeitsansammlung in Richtung Unterbauch imponierte und sich der Zustand weiter verschlechterte, die Kreislaufinstabilität anhielt bzw. zunahm, musste der Patient gegen Mitternacht auf ärztliche Anordnung hin von der Wachstation auf die Intensivstation verlegt werden.

Dies war die Reaktion auf die Zustandsverschlechterung des Patienten.

Hätte sich durch eine digitale transanale Untersuchung eine Schmerzhaftigkeit im Douglas nachweisen lassen, so wäre dies ein Hinweis auf eine lokale Unterbauchperitonitis gewesen. Durch eine Endoskopie wäre möglicherweise eine Anastomosenkomplikation nachgewiesen worden. Ein Nachweis wäre frühestens um 21 Uhr vorhanden gewesen. Bei negativem Ausgang dieser Untersuchung hatten aber der Verlauf und die klinische Situation sich bis Mitternacht in derartiger Weise verschlechtert, dass eben oben genannte Verlegung auf die Intensivstation erforderlich wurde. Dies war der Zeitpunkt, zu dem eine Laparotomie zur Klärung der abdominellen Verhältnisse hätte durchgeführt werden sollen.

Eine eigentlich zu diesem Zeitpunkt indizierte Re-Laparotomie zur Identifikation des septischen Herdes erfolgte nicht , sondern der Patient wurde bei sich zunehmender Verschlechterung auf der Intensivstation weiter beobachtet und behandelt. Gegen Morgen waren dann auch eine generelle Abwehrspannung und ein akutes Abdomen vorhanden.

Nach Aussagen der betreuenden Anästhesistin waren schon zum Übernahmezeitpunkt des Patienten ausgeprägte abdominelle Schmerzen und eine schwere Schocksymptomatik eindeutig. Zu diesem Zeitpunkt wäre eine Laparotomie erforderlich gewesen.

Diese Laparotomie fand jedoch erst am Folgetag, dem 22.06., gegen 9 Uhr statt. Es wurde eine Anastomoseninsuffizienz und eine 4-Quadrantenperitonitis festgestellt. Die Anastomose wurde übernäht, der Bauch gespült und ein Anus praeter vorgeschaltet. Diese Maßnahme verschloss die Quelle des Austrittes von Darminhalt in die freie Bauchhöhle. Der eigengesetzliche Ablauf der Peritonitis war jedoch, trotz aller Intensivmaßnahmen, nicht mehr zu stoppen.

Der foudroyante Sepsisverlauf mit Temperaturen über 40 Grad Celsius und eine rasche Entwicklung eines vollständigen Multiorganversagens war trotz intensivmedizinischer Therapie mit Analgosedierung und Beatmung, differenzierter Katecholamin- und Volumentherapie unter invasivem hämodynamischen Monitoring, kontinuierlicher Hämofiltration, Gerinnungsstabilisierung, Breitspektrum-Antibiose usw. nicht mehr entscheidend zu beeinflussen.

Als am Morgen des 23.06.2003 die Katecholamine bis auf Reanimationsniveau gesteigert werden mussten, wurde als Ultima-ratio-Maßnahme eine nochmalige Re-Laparotomie durchgeführt, die zwar im Bereich der Darmübernähung und des Peritoneums gleichbleibende Verhältnisse zeigte. Aufgrund der Vasokonstriktorengabe war es jedoch zu einer Minderdurchblutung des Dünndarmes und zu einer Netznekrose gekommen. Das Netz musste entfernt werden. Es wurde außerdem eine ausgedehnte Lavagierung vorgenommen.

Trotz der beschriebenen Maßnahmen und der Intensivtherapie verstarb der Patient unter Intensivbehandlung und Beatmung noch am selben Tag gegen 16:45 Uhr.


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Gutachterliche Erörterung

Die Operationsmaßnahmen sind in technischer Hinsicht nicht zu kritisieren. Gleiches gilt für die intensivmedizinischen Maßnahmen. Es wurde in einer deletären Situation versucht, das Leben des Patienten zu retten. Dies gelang jedoch wegen der foudroyanten Sepsis nicht mehr. Sie hatte einen eigenständigen Verlauf entwickelt und war nicht mehr zu durchbrechen. Dies führte dann zum Tode des Patienten.

Genauer zu analysieren ist der Zeitraum zwischen 18 Uhr und Mitternacht am 21.06.2003. Die CT-Untersuchung ist korrekt beschrieben worden. Die Flüssigkeitsansammlung ist im Nachhinein fälschlicherweise als rein serös beschrieben worden. Sehr wahrscheinlich ist dieses schon ein erstes Anzeichen der beginnenden Peritonitis gewesen. Dieses lässt sich jedoch nicht eindeutig aus der CT-Untersuchung verifizieren.

Möglicherweise hätte eine digitale rektale Untersuchung und eine Endoskopie, die sicher bis 21 Uhr hätten durchgeführt werden können, weitere Hinweise auf die Ursache der fortschreitenden Sepsis geben können. Dies ist aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu belegen.

Allerdings hätte die massive Verschlechterung des Patienten bis Mitternacht des 21.06. es gefordert, eine Laparotomie zum Ausschluss einer septischen Komplikation durchzuführen. Dies wird in der Begutachtung einer Schlichtungsstelle bzw. im Ergebnis der Sitzung der Gutachterkommission vom 12.05.2006 in gleicher Weise gesehen.

Es muss als einfache Sorgfaltspflichtverletzung beurteilt werden, dass nicht eine Laparotomie zum Ausschluss eines septischen Herdes gegen Mitternacht am 21.06.2003 durchgeführt worden ist.

Durch weitere Untersuchungen – rektale digitale Untersuchung und Endoskopie – wäre möglicherweise der Zeitpunkt für eine eindeutige Operationsindikation um 3 Stunden vorverlegt worden, wenn durch diese Untersuchungen eindeutige Hinweise auf eine Anastomosenkomplikation zu erbringen gewesen wären und nicht mehr unter der Arbeitsdiagnose Pankreatitis der weitere Verlauf zu betrachten gewesen wäre.

Sicher ist jedoch davon auszugehen, dass eine Operationsindikation für eine Re-Laparotomie zum Zeitpunkt der Verlegung auf die Intensivstation bei weiterer Verschlechterung des Patienten – Zunahme der Sepsis – bestanden hat.

Zu berücksichtigen ist bei diesem Patienten, dass er einmal eine ganz erhebliche Adipositas gehabt hat, die die Beurteilung von Komplikationen massiv erschwert und die ebenfalls die Widerstandfähigkeit des Patienten für Komplikationen, die normalerweise überlebt werden, herabsetzt. Ebenfalls bestand eine Kardiomyopathie bei relativer chronischer Koronarinsuffizienz als weiterem, die Widerstandsfähigkeit des Patienten herabsetzenden, zu berücksichtigenden Faktor.

Der den Patienten betreuende Oberarzt ist engmaschig in die Nachuntersuchung und Komplikationsbehandlung des Patienten eingebunden gewesen. Aus dieser Sicht ist also keine Verletzung ärztlicher Standards vorgekommen. Der Oberarzt hat sich intensiv um den Patienten zeitnah bei jeder Komplikation gekümmert.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war eine Operationsindikation gegen Mitternacht gegeben. Dies wird gutachterlich in Anbetracht der Faktoren der intensiven Überwachung des Patienten und der Bemühungen, die Komplikationen zu erfassen, als eine einfache Sorgfaltspflichtverletzung gesehen – nicht als eine Entscheidung, wie sie einem Mediziner schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Es stellt sich die Frage, ob die Verzögerung der Operation von Mitternacht bis 9 Uhr morgens des 22.06. für den Patienten deletäre Folgen hatte. Es ist davon auszugehen, dass um Mitternacht eine eindeutige Peritonitis und ein septischer Schock vorhanden waren. Dies geht aus den Aussagen der betreuenden Anästhesistin hervor.

Allerdings hätte ein solcher Zustand sich auch bei einer zunehmenden Pankreatitis gezeigt. Auf eine solche deutete der Amylaseanstieg im Serum hin, jedoch war eine schwere foudroyante Pankreatitis durch die Computertomographie am 21.06. ausgeschlossen worden. Es durfte also bei der Verschlechterung nicht zwanglos an ein Fortschreiten einer Pankreatitis gedacht werden, sondern man hätte auch andere Komplikationen in Betracht ziehen müssen – insbesondere, da eine Flüssigkeitsansammlung im rechten Unterbauch vorhanden war, die nicht ausschließlich als Operationsfolge gedeutet werden musste.

Zum Zeitpunkt der CT-Untersuchung um 18 Uhr war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine 4-QuadrantenPeritonitis, höchstens eine Flüssigkeitsansammlung und eine peritonitische Reizung im Unterbauch vorhanden. Diese hat sich jedoch dann zunehmend weiter ausgebreitet, so dass im Gegensatz zur Untersuchung um 18 Uhr gegen Mitternacht eine allgemeine Bauchsymptomatik wie bei einem akuten Abdomen und ein septischer Schock eindeutig waren. Dies belegen die Aussagen der betreuenden Anästhesieabteilung im Brief vom 27.06.2003.

In der Stellungnahme der Schlichtungsstelle vom 12.05.2006 ist zwar festgehalten, dass die Sepsis gegen Mitternacht ein Ausmaß angenommen hatte, dass die Sepsis unumkehrbar war und der Tod hätte nicht mehr verhindert werden können. Dies ist gutachterlich jedoch eindeutig zu hinterfragen, denn die 4-Quadranten-Peritonitis, die eindeutig um 18 Uhr am 21.06.2003 noch nicht bestand, war wahrscheinlich gegen Mitternacht eingetreten. Der Operationsbefund 9 Stunden später zeigt, dass erhebliche Fibrinbeläge vorhanden waren und die Peritonitis nicht mehr ganz frisch war.

Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass die Beeinflussung der Peritonitis bei einer um 9 Stunden früheren Revision des Bauchraumes bei einem wesentlich kürzeren Einwirkungsgrad der Peritonitis hätte eventuell positiv beeinflusst werden können.

Die Aussage, dass der 9-stündige septische Schockzustand, beruhend auf der jetzt generalisierten Peritonitis, unumkehrbar schon gegen Mitternacht zum Tode geführt hätte, ist reine Spekulation. Je früher der Versuch einer Unterbrechung eines solchen septischen Verlaufes durch Behebung der Ursachen vorgenommen wird, um so eher werden derart septische Verläufe überlebt. Jede weitere Präzisierung, ob der Schockzustand zu einem früheren Operationszeitpunkt wirklich noch hätte durchbrochen werden können, etwa um Mitternacht des 21.06., muss hier offen bleiben.

Es kann sein, dass der Patient den septischen Schock überlebt hätte, es kann aber auch sein, dass er in Anbetracht der doch erheblichen Adipositas und der Kardiomyopathie an der fortschreitenden Sepsis zu diesem Zeitpunkt vor dem Tod nicht mehr zu retten war.


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Beantwortung der vom Gericht gestellten Beweisfragen

  1. Es waren am 21.06.2003 alle Krankheitssymptome vorhanden, die erste Anhaltspunkte für eine beginnende Sepsis darstellen. Dieses waren der Leukozytensturz, eine eindeutige Temperaturerhöhung und Hinweiszeichen auf eine sich allmählich entwickelnde Kreislaufinsuffizienz.

  2. Die nächstliegende, statistisch mit deutlichem Abstand häufigste Ursache einer postoperativen Sepsis bei vergleichbaren Fällen ist eine Nahtinsuffizienz im Bereich der End-zu-End-Anastomose.

  3. Im Falle einer freien Nahtinsuffizienz hat schnellstmöglich eine Re-Laparotomie zu erfolgen, um den Austritt von Flüssigkeit aus dem Darmlumen in die freie Bauchhöhle zu verhindern. Die Naht muss entweder übernäht werden, wenn die Kontinuität des Darmes erhalten und ein Anus praeter vorgeschaltet werden kann, oder es wird eine Inkontinuitätsresektion durchgeführt. Bei beiden Operationstypen wird eine Bauchhöhlenspülung mit mehreren Litern Kochsalz oder einer anderen Flüssigkeit durchgeführt.

    Bei einer gedeckten Perforation ist eine abwartende Haltung möglich.

    Eine Re-Laparotomie sollte allerdings nur durchgeführt werden, wenn eine Nahtinsuffizienz auch eindeutig nachgewiesen ist oder andere Ursachen einer beginnenden Sepsis ausgeschlossen sind.

  4. Bereits relativ kleine Mengen eines ausgetretenen Darminhaltes in das freie Abdomen können eine schwerste, sogar lebensbedrohliche bis tödliche Sepsis auslösen.

  5. Um eine Nahtinsuffizienz nachzuweisen, ist ein Kontrasteinlauf eine geeignete Röntgenuntersuchung. Sie gibt aber keine 100 %ige Sicherheit darüber, ob eine gedeckte oder freie Perforation vorliegt. Im positiven Fall, bei Kontrastmittelaustritt in die freie Bauchhöhle, ist eine sofortige Re-Operation erforderlich, ansonsten ist eine abwartende Haltung gerechtfertigt.

  6. Spätestens gegen Mitternacht des 21.06. hätte, trotz nicht nachgewiesener Nahtinsuffizienz, eine Re-Laparotomie erfolgen sollen, da sonstige Ursachen weitestgehend ausgeschlossen waren. Die diskutierte Pankreatitis hatte im CT kein entsprechendes morphologisches Korrelat abgebildet Neben einer Nahtinsuffizienz wäre auch an andere Ursachen zu denken gewesen. Die Nahtinsuffizienz schien zwar durch die CT-Untersuchung ausgeschlossen und eine Flüssigkeitsansammlung im rechten Unterbauch konnte als Operationsfolge diskutiert werden, aber eben auch als Folge einer Nahtinsuffizienz. Ein Abszess in der freien Bauchhöhle war in der CT-Untersuchung nicht vorhanden. Es war daher bei zunehmender Sepsis gegen Mitternacht mit gleichzeitiger Verschlechterung des Allgemeinzustandes und des Kreislaufzustandes gerechtfertigt und erforderlich, eine Re-Laparotomie durchzuführen.

  7. Der Beklagte zu 2) hätte ab Mitternacht des 21.06. mit Übergang auf den 22.06.2003 nicht weiter abwarten dürfen, sondern zu diesem Zeitpunkt die Re-Laparotomie durchführen müssen. Ein weiter anhaltender Zustand der Sepsis hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer weiteren Verschärfung der Sepsiskaskade geführt.
    Ob allerdings eine Re-Operation zu diesem Zeitpunkt den Sepsisverlauf eingegrenzt hätte oder ob die Sepsis zu diesem Zeitpunkt in der Sepsiskaskade schon so weit fortgeschritten war, dass sie unumkehrbar war, lässt sich nicht mit eindeutiger Sicherheit bestätigen oder widerlegen. Wie weit die Kettenreaktion der Sepsis zu diesem Zeitpunkt fortgeschritten war, ist nicht eindeutig klar. Die Annahme, dass eine Re-Laparotomie 9 Stunden vor der tatsächlichen Re-Laparotomie keinen Effekt auf den Verlauf der Sepsis gehabt hätte, ist reine Spekulation.

  8. Die Computertomographie am Abend des 21.06.2003 hat keinen eindeutigen Abszess und keine eindeutige Insuffizienz erkennen lassen. Es war jedoch Flüssigkeit im rechten Unterbauch vorhanden, die als Operationsfolge der Primäroperation diskutiert werden konnte, die aber auch als beginnendes Zeichen einer Peritonitis gewertet werden konnte.

  9. Eine Re-Laparotomie bereits gegen 24 Uhr des 21.06.2003 hätte möglicherweise das Geschehen positiv beeinflusst. Wie weit die Sepsiskaskade zu diesem Zeitpunkt fortgeschritten war, lässt sich nur sehr schwer beurteilen. Dass der Patient in jedem Fall auch bei einem um 9 Stunden vorverlegten Operationstermin an der Sepsis gestorben wäre, lässt sich nicht einfach behaupten. Möglicherweise hätte der Patient zu diesem Zeitpunkt noch Überlebenschancen gehabt. Es handelt sich hier allerdings um einen sehr foudroyanten Verlauf. Die beim Patienten bekannte Adipositas und die vorher nicht bekannte Kardiomyopathie haben diesen Verlauf sehr wahrscheinlich erheblich begünstigt.

Die rechtliche Würdigung durch das Landgericht und das Ergebnis des Berufungsverfahrens folgen im nächsten Heft.


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Prof. Dr. med. Prof. h. c. A. Thiede
Ehemaliger Direktor der Chirurgischen Universtätsklinik und Poliklinik Würzburg (ZOM)
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