Relevant ist nur der starke AFP-Anstieg
Seminomatöse Keimzelltumoren des Hodens mit einer relevanten Erhöhung des Serum-Tumormarkers-Fetoprotein
(AFP) sind selten. In 20 Jahren wurden im Memorial Sloan Kettering Cancer Center in
New York 22 Patienten gesehen, die mit einer AFP-Erhöhung bei Erstdiagnose eines histologisch
reinen Seminoms von im Mittel 248ng/ml vor Ablatio testis bzw. 279ng/ml nach Ablatio
testis auffielen. AFP-Werte in dieser Höhe deuten tatsächlich auf nicht-seminomatöse
Anteile (meist Dottersack oder Teratom) eines Keimzelltumors hin, die eine Therapie
entsprechend der Behandlung nicht-seminomatöser Hodentumoren anraten lassen (d.h.
bei metastasierten Patienten zunächst Chemotherapie gefolgt von einer Residualtumorresektion
bei Residuen>1cm). Bei reinen Seminomen würde man auf die Residualtumorresektion nach
Chemotherapie und Markerkonversion in den meisten Fällen verzichten. In der Tat befanden
sich auch 95% der beschriebenen Patienten im metastasierten Stadium II oder III mit
einer durchschnittlichen Erhöhung des Serummarkers "humanes Choriongonadotropin" (hCG)
für syncytiotrophoblastäre Riesenzellen und damit Seminomanteilen von über 800mIU/ml.
Eine Untersuchung des MD Anderson Cancer Centers bei 10 Patienten mit AFP-Erhöhung
eines Seminoms ergab, dass bei nur geringer AFP-Erhöhung (bis 20ng/ml) nicht zwangsläufig
ein nicht-seminomatöser Anteil die Prognose dominiert [
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]. D.h. nur wirklich relevante AFP-Erhöhungen wie in der MSKCC Serie von >200ng/ml
sollten zum Abweichen vom üblichen Behandlungsweg eines Seminoms führen. Einschränkend
muss angemerkt werden, dass in der Pathologie-Review im MSKCC natürlich nur repräsentative
Schnitte der oftmals außerhalb abladierten Patienten vorlagen. D.h. bei einer primär
kompletten Einbettung des Primärtumors steht zu vermuten, dass die NSGCT-Anteile bereits
im Primärtumor gefunden worden wären.
Fazit
Zusammenfassend sollten nur relevante AFP-Erhöhungen bei Primärdiagnose eines Seminoms
zu einer Therapieanpassung führen. Es handelt sich hierbei fast ausschließlich um
metastasierte Stadien, sodass die initiale primäre Therapie (Chemotherapie) die gleiche
bleibt. Die Indikation zur Residualtumorresektion wäre im Unterschied zu metastasierten
reinen Seminomen allerdings großzügiger zu stellen. Aber in allen Fällen empfiehlt
sich grundsätzlich vor Therapiebeginn zunächst eine akkurate 3mm Aufarbeitung des
gesamten Primärpräparats, denn es bleibt zu vermuten, dass die genaue Aufarbeitung
NSGCT-Anteile aufdeckt. Bei geringen AFP-Erhöhungen bis etwa 20ng/ml sollten nicht
in jedem Fall Konsequenzen gezogen werden, denn hier ist die Seminomhistologie sicher
dominant für die Prognose und damit auch die Therapie. Bei frühen Stadien des Keimzelltumors
und geringer AFP-Erhöhung spielt somit dieser Befund kaum eine Rolle.
Prof. Dr. Peter Albers, Düsseldorf