Dialyse aktuell 2012; 16(10): 592-593
DOI: 10.1055/s-0032-1332766
Forum der Industrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

4. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie – Sevelamer verbessert die Prognose chronisch nierenkranker Patienten

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Publication Date:
11 December 2012 (online)

 
 

CKD-Patienten haben ein dramatisch erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und somit eine deutlich verringerte Lebenserwartung [ 1 ]. Grund dafür ist vor allem eine spezielle Form der Gefäßverkalkung: Neben der "klassischen Verkalkung" mit Intimaveränderungen, konsekutiver Plaqueentstehung und Lumenverengung kommt es bei chronisch nierenkranken Patienten zur Verkalkung und Versteifung der Media (Mediasklerose). Das Thema eines Lunch-Symposiums der Firma Sanofi und des anschließenden Expertengesprächs auf der 4. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) Anfang Oktober in Hamburg waren daher diagnostische und therapeutische Überlegungen zur Senkung der hohen Mortalität nierenkranker Patienten.

Eine effektive Methode, die kardiovaskuläre Mortalität positiv zu beeinflussen, ist die Wahl der Phosphatbindertherapie, wie Dr. Antonio Bellasi, Bologna (Italien), auf dem Kongress hervorhob. Wie mehrere Studien belegt haben, kann die Therapie mit dem kalzium- und metallfreien Phosphatbinder Sevelamer (Renvela®) den Progress der Gefäßverkalkung im Vergleich zu kalziumhaltigen Präparaten deutlich verlangsamen.

Die erste prospektive randomisierte Studie, die das eindrucksvoll belegte, war die "Treat-to-Goal"-Studie [ 2 ] im Jahr 2002: Dort wurden 200 Hämodialysepatienten randomisiert und erhielten entweder Sevelamer oder kalziumhaltige Phosphatbinder. Während die Verkalkung der Koronararterien in Woche 52 um 25 % unter kalziumhaltiger Therapie angestiegen war, wurde in der Sevelamergruppe lediglich ein Fortschreiten um 6 % beobachtet. Der Unterschied war statistisch signifikant und bestätigte sich auch in den nachfolgenden prospektiven Studien [ 3 ], [ 4 ], [ 5 ]]. Dass dieser verkalkungsinhibierende Effekt bereits in den Prädialysestadien zum Tragen kommt, konnten Russo et al. [ 6 ] 2007 zeigen: Auch in dieser Patientengruppe verlangsamte Sevelamer den Progress der Kalzifizierung signifikant.

Neue Studie zeigt: geringere Mortalität unter Sevelamertherapie

Zwar ist die Kausalkette "höhere Gefäßverkalkung → höhere Mortalitätsrate" pathophysiologisch mehr als einleuchtend, aber bislang lagen nur wenige klinische Daten dazu vor. Die DCOR[ 1 ]-Studie [ 7 ], in der 2103 Dialysepatienten beobachtet wurden, verfehlte das Signifikanzniveau. Allerdings zeichnete sich in den Subgruppen der über 65-Jährigen sowie der Patienten, die über 2 Jahre dialysepflichtig gewesen waren, ein signifikanter Nutzen der Therapie mit Sevelamer hinsichtlich des Überlebens ab. Die Langzeitauswertung der RIND[ 2 ]-Studie [ 8 ] konnte dann auch insgesamt eine signifikant gesenkte Mortalität zeigen.

Auf dem Kongress stellte Bellasi nun neueste Outcomedaten vor, denen zufolge Sevelamer die Prognose der Patienten nachhaltig verbessern kann. Wie die Daten zeigen, geht der gefäßschützende Effekt von Sevelamer auch mit einem verbesserten Überleben der Patienten einher.

Bellasi präsentierte die vor einem halben Jahr publizierte Studie [ 9 ] der INDEPENDENT Study Investigators zur Prädialysepopulation. 239 nicht dialysepflichtige CKD-Patienten wurden randomisiert und erhielten entweder Sevelamer (n = 107) oder ein kalziumhaltiges Phosphatbinderpräparat (n = 105), um das Serumphosphat in die Zielbereiche von 2,7–4,6 mg/dl (bei CKD 3–4) bzw. 3,5–5,5 mg/dl (CKD 5) zu senken und zu halten. Initial sowie nach 6, 12, 18, und 24 Monaten wurde der Verkalkungsgrad der Koronargefäße bestimmt.

Es zeigte sich, dass bei 24 Patienten mit vorbestehenden Kalzifizierungen ein signifikanter Rückgang der Koronarverkalkung durch die Sevelamertherapie erreicht werden konnte, während ein solcher nur bei 2 Patienten aus der Kalziumgruppe zu beobachten war. Bei den Patienten, die anfangs keine Koronarverkalkung aufwiesen, wurde nach 24 Monaten unter Sevelamertherapie lediglich bei 5 Patienten eine Neuverkalkung gefunden – in der Gruppe, die mit kalziumhaltigen Phosphatbindern behandelt worden waren, immerhin bei 45 Patienten.

Wie das Ergebnis zeigt, überträgt sich dieser gefäßprotektive Effekt auch auf die Prognose der Patienten: Die Gesamtmortalität war nach 36 Monaten (primärer Endpunkt) in der Sevelamergruppe signifikant niedriger (12 von 107 vs. 22 von 105, p < 0,05) (Abb. [ 1 ]). Mit der vorgestellten Arbeit liegen nun erstmals harte Outcomedaten für die Prädialysephase vor.

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Abb. 1 Bessere Überlebenswahrscheinlichkeit (p < 0,05) unter Sevelamer vs. kalziumhaltigem Phosphatbinder.

Noch eindrucksvoller seien sogar die Ergebnisse der "Parallelstudie", die am Dialysekollektiv durchgeführt wurde. Wie Bellasi ausführte, waren in dieser Erhebung 466 Neudialysepatienten randomisiert worden und erhielten entweder Sevelamer oder kalziumhaltige Phosphatbinder. Primärer Endpunkt dieser noch unveröffentlichten, prospektiven Studie mit Open-Label-Design war der plötzliche Herztod. Dieser war nach 36 Monaten bei 27 Patienten aus der Kalziumgruppe eingetreten, aber lediglich bei 2 Patienten aus der Gruppe, die mit Sevelamer behandelt worden war. Auch die Gesamtmortalität war unter Sevelamer deutlich niedriger.

Allerdings habe die Studie eine Schwäche im Hinblick auf die Randomisierung, wie Bellasi einräumte: So waren die Studiengruppen zwar hinsichtlich Alter, Geschlecht und der Prävalenz von Diabetes mellitus ausgewogen, aber die Ausgangskalzifizierung war nicht berücksichtigt worden. Daher wurde im Nachgang eine Adjustierung der Auswertung auf verschiedene Kovarianten – mitunter auch des Ausgangs-Verkalkungs-Scores – vorgenommen, doch selbst nach Adjustierung blieb das Ergebnis signifikant, so Bellasi. Er sprach von einem "deutlichen Signal", das beide Studien geben.


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Die pleiotropen Effekte machen Sevelamer zu einer extrem interessanten Substanz

Prof. Lars Christian Rump, Düsseldorf, Vorsitzender des Symposiums, bat Bellasi um seine Einschätzung, welche Eigenschaften von Sevelamer zu dieser bemerkenswerten Outcomeverbesserung geführt haben könnten. Mit Blick auf große Osteoporosestudien [ 6 ] erklärte dieser, dass Kalzium die Gefäßverkalkung forciere und das kardiovaskuläre Risiko erhöhe. Doch wahrscheinlich sei das bessere Outcome nicht allein der Kalziumfreiheit geschuldet: "Wie wir wissen, senkt Sevelamer auch das LDL-Cholesterin, das CrP und die Serumharnsäure, erhöht aber das verkalkungsinhibierende Fetuin A".

Prof. Matthias Blumenstein, München, hob in der anschließenden Diskussion besonders die aktive Einflussnahme des Präparats auf den Fettstoffwechsel und die verkalkungsinhibierende Wirkung auf Proteinebene (Anstieg von Fetuin A, Senkung von FGF-23) als naheliegende Gründe für die Verbesserung des kardiovaskulären Outcomes hervor und schlussfolgerte: "Die pleiotropen Effekte machen Sevelamer zu einer extrem interessanten Substanz, gerade auch im Hinblick auf das kardiorenale Syndrom".


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Das kardiorenale Syndrom erfordert eine interdisziplinäre Behandlung

Denn wie PD Vincent Brandenburg, Aachen, erläuterte, greife die isolierte Betrachtung des Organs Niere zu kurz. Da es im Verlauf der Niereninsuffizienz häufig zu kardiovaskulären Ereignissen komme, sei es umso wichtiger, die Wechselwirkung zwischen Herz und Nieren bei der Behandlungsstrategie zu berücksichtigten. Er verwies auf die relativ junge Indikation des kardiorenalen Syndroms, das die Wechselbeziehung der beiden Organsysteme illustriere und welches Ronco et al. [ 10 ] in 5 Subtypen klassifiziert haben, je nach Ausgangspunkt (renokardial/kardiorenal) und Dynamik der Erkrankung (akut/chronisch). "Sprichwörtlich wurden Herz und Nieren zwar immer schon in einem Atemzug genannt, aber erst seit wenigen Jahren wird dieser Zusammenhang auch in Klinik und Forschung reflektiert", ergänzte Rump.

Wie Brandenburg ausführte, ist das kardiovaskuläre Risiko von CKD-Patienten multimodal bedingt. Eine große Bandbreite an Faktoren – unter ihnen auch die Parameter des gestörten Mineralstoffhaushalts wie steigende Serum-Phosphat-Werte – tragen zum erhöhten Herz-und Gefäßrisiko von Nierenpatienten bei. Daher müsse auch die Therapie multimodal und interdisziplinär erfolgen. Gerade auch im Bereich der Diagnostik ist die Zusammenarbeit von Nephrologen und Kardiologen aussichtsreich. Zur Risikostratifizierung von CKD-Patienten könne beispielsweise die Echokardiografie, Bestandteil der kardiologischen Diagnostik, herangezogen werden.

Ebenso wichtig sei aber auch die Zusammenarbeit zwischen Allgemeinmedizinern und Nephrologen, gerade im Hinblick auf eine rechtzeitige Intervention: "Unsere Patienten sind nicht erst krank, wenn sie an die Dialyse kommen. Wie die von Dr. Bellasi vorgestellten Daten zeigen, lohnt sich eine rechtzeitige Intervention", so das Fazit von Blumenstein, "dafür müssten die Patienten aber frühzeitiger, also nicht erst kurz vor der Dialysepflichtigkeit, einem Nephrologen vorgestellt werden."

Dr. Bettina Albers, Weimar

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main.

Die Beitragsinhalte stammen vom Symposium "Nephrologie trifft Kardiologie – Können wir gemeinsam das Outcome verbessern?", veranstaltet von der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main, auf der 4. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN), Hamburg.

Die Autorin ist Mitarbeiterin bei albersconcept, Weimar.


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1 Dialysis Clinical Outcomes Revisited


2 Renagel In New Dialysis Patients


  • Literatur

  • 1 Foley RN, Parfrey PS, Sarnak MJ. Clinical Epidemiology of cardiovascular disease in chronic renal risease. Am J Kidney Dis 1998; 32 (Suppl. 03) S112-S119
  • 2 Chertow GM, Burke SK, Raggi P et al. Sevelamer attenuates the progression of coronary and aortic calcification in hemodialysis patients. Kidney Int 2002; 62: 245-252
  • 3 Braun J, Asmus HG, Holzer H et al. Long-term comparison of a calcium-free phosphate binder and calcium carbonate--phosphorus metabolism and cardiovascular calcification. Clin Nephrol 2004; 62: 104-115
  • 4 Block GA, Spiegel DM, Ehrlich J et al. Effects of sevelamer and calcium on coronary artery calcification in patients new to hemodialysis. Kidney Int 2005; 68: 1815-1823
  • 5 Kakuta T, Tanaka R, Hyodo T et al. Effect of sevelamer and calcium-based phosphate binders on coronary artery calcification and accumulation of circulating advanced glycation end products in hemodialysis patients. Am J Kidney Dis 2011; 57: 422-431
  • 6 Russo D, Miranda I, Ruocco C et al. The progression of coronary artery calcification in predialysis patients on calcium carbonate or sevelamer. Kidney Int 2007; 72: 1255-1261
  • 7 Suki WN, Zabaneh R, Cangiano JL et al. Effects of sevelamer and calcium-based phosphate binders on mortality in hemodialysis patients. Kidney Int 2007; 72: 1130-1137
  • 8 Block GA, Raggi P, Bellasi A et al. Mortality effect of coronary calcification and phosphate binder choice in incident hemodialysis patients. Kidney Int 2007; 71: 438-441
  • 9 Di Iorio B, Bellasi A, Russo D. INDEPENDENT Study Investigators. Mortality in kidney disease patients treated with phosphate binders: a randomized study. Clin J Am Soc Nephrol 2012; 7: 487-493
  • 10 Ronco C, Haapio M, House AA et al. Cardiorenal syndrome. J Am Coll Cardiol 2008; 52: 1527-1539

  • Literatur

  • 1 Foley RN, Parfrey PS, Sarnak MJ. Clinical Epidemiology of cardiovascular disease in chronic renal risease. Am J Kidney Dis 1998; 32 (Suppl. 03) S112-S119
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  • 8 Block GA, Raggi P, Bellasi A et al. Mortality effect of coronary calcification and phosphate binder choice in incident hemodialysis patients. Kidney Int 2007; 71: 438-441
  • 9 Di Iorio B, Bellasi A, Russo D. INDEPENDENT Study Investigators. Mortality in kidney disease patients treated with phosphate binders: a randomized study. Clin J Am Soc Nephrol 2012; 7: 487-493
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Abb. 1 Bessere Überlebenswahrscheinlichkeit (p < 0,05) unter Sevelamer vs. kalziumhaltigem Phosphatbinder.