Dialyse aktuell 2012; 16(10): 558-559
DOI: 10.1055/s-0032-1332761
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Arzt-Patienten-Seminar in Berlin

Bericht zur Veranstaltung am Campus Virchow Klinikum
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Publication Date:
11 December 2012 (online)

 
 

Ende September veranstaltete das Transplantationszentrum Virchow-Klinikum und der AKTX in Berlin das jährliche Arzt-Patienten-Seminar. Die Redner informierten die anwesenden Patienten umfangreich zum Thema "Transplantationsskandal" und klärten eventuelle Missverständnisse auf. Auch die Patienten äußerten ihre Wünschen an die Politik und Mediziner. An die Vorträge schlossen sich rege Diskussionen an.

Am 29.09.2012 fand das jährlich vom Transplantationszentrum Virchow-Klinikum und vom AKTX veranstaltete Arzt-Patienten-Seminar statt. Dies ist für Patienten gedacht, die dort auf der Warteliste für eine Nierentransplantation stehen.

Es lagen circa 350 Anmeldungen vor und das Seminar war somit sehr gut besucht. Es gab im Vorfeld viele Telefonanrufe im Transplantationsbüro von verunsicherten Patienten, sodass das Arzt-Patienten-Seminar ausschließlich dem "Transplantationsskandal" gewidmet wurde. So sollten möglichst viele Verunsicherungen, die durch die verschiedenen Pressemitteilungen bei den Patienten entstanden sind, aus dem Weg geräumt werden. Es wurden namhafte Vertreter aus Medizin und Politik eingeladen, um Rede und Antwort zu stehen.

Umfangreiche Informationen für Patienten

Der ärztliche Direktor der Charité Prof. Ulrich Frei und Prof. Peter Neuhaus, Leiter der chirurgischen Klinik am Campus Virchow, begrüßten die Teilnehmer. Beide bedauerten die Vorfälle in Göttingen und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Organspendebereitschaft in der Bevölkerung und den ohnehin schon bestehenden Organmangel. Prof. Petra Reinke, Leiterin der Nierentransplantation am Campus Virchow, stellte im ersten Vortrag noch einmal dar, wer, wann, wie und warum transplantiert wird und welche Allokationssysteme es im Eurotransplantverbund gibt. Außerdem sprach sie über die Lebendspende als immer wichtiger werdende Alternative zur Leichenspende. PD Andreas Pascher, Transplantationschirurg am Campus Virchow, ging in seinem Beitrag u. a. auf die Verteilung der Organe und auf die Prinzipien der Organallokation ein, wie:

  • allgemeine Verfügbarkeit der Transplantationsmöglichkeit

  • gerechter Zugang zur Transplantation

  • Organzuteilung nach medizinischer Dringlichkeit

  • Zuteilung muss objektiv, reproduzierbar und transparent sein

Des Weiteren sprach er über die Organisation der Organallokation, wie:

  • Regelallokation

  • Hoch-Dringlichkeits-Allokation

  • beschleunigte Allokation

Letztere Verteilungsart ist in der Presse vielfach in Verruf geraten. Zu diesem beschleunigten Vermittlungsverfahren kommt es, …

  • … wenn sogenannte kritische Spenderorgane (meist von älteren, vorerkrankten Spendern) von 5 Transplantationszentren aus medizinischen Gründen abgelehnt wurden.

  • … wenn das Nierenangebot von außerhalb des Eurotransplantverbundes kommt.

  • … wenn die kalte Ischämiezeit (die Zeit außerhalb des Körpers) über 20 Stunden beträgt.

Dann darf das Organ im entnehmenden Zentrum transplantiert werden. So werden Organe gerettet, die sonst nicht transplantiert werden würden. Durch den erfreulichen medizinischen Fortschritt gibt es immer weniger junge Organspender, aber häufig ältere Spender. Diese Organe müssen genutzt werden – daraus resultiert auch das seit einigen Jahren etablierte Old-for-Old-Programm. Die Transplantationskoordinatoren Petra Hecker und Oliver G. Laurich vom Transplantationsbüro des Campus Virchow sprachen im nächsten Vortrag über die "Charité-Realität" bei der Organverteilung. Die Intention hierfür war, den Patienten auf der Warteliste zu vermitteln, dass die Organverteilung einer strengen Kontrolle unterliegt und nicht an Eurotransplant vorbeigeht. Bei der Allokation spielen das Geschlecht, die Ethnizität, der soziale Status, ökonomische Interessen und die Krankenkasse keine Rolle. Die lange Wartezeit resultiert aus dem Organmangel, aus immer größeren Wartelisten und den älter werdenden Spendern.

Die kaufmännische Leiterin des chirurgischen Zentrums der Charité Leonore Boscher fragte in ihrem Beitrag "Ist eine Transplantation ein lukratives Geschäft?", wie es in der Yellow Press dargestellt wird. Für eine Nierentransplantation zahlt die Krankenkasse 20 000 Euro. 16 000 Euro sind die Fallkosten – übrig bleiben somit im besten Fall 4000 Euro. Die Zahlen sprechen für sich. Die Bundesärztekammer hat im Rahmen einer Begutachtung infolge der Vorfälle in Göttingen der Charité Campus Virchow bescheinigt, vollständig korrekt und transparent bei der medizinischen und organisatorischen Durchführung, der Dokumentation sowie beim Prozess der Vorbereitung, Durchführung und Nachbetreuung von Organtransplantationen zu sein.

Dr. Detlef Bösebeck, geschäftsführender Arzt der Region Nord-Ost der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), ging in seinem Vortrag anhand von Umfragen, welche die DSO gemacht hatte, auf die Organspendebereitschaft der deutschen Bevölkerung näher ein. 2008 erklärten 67 % der Bevölkerung ihre Bereitschaft zur Organspende, 2010 waren es 74 %. 2008 hatten 17 % einen Organspendeausweis, 2010 ist die Zahl der Ausweisträger auf 25 % gestiegen. Allerdings hatten 2011 nur 10 % der tatsächlichen Organspender ihren Willen dokumentiert.

Für die Entnahme eines Organs ist nicht die Bereitschaft zur Spende ausschlaggebend, sondern die Erklärung der Bereitschaft zur Spende. Aus einer Umfrage vom August 2012 (nach "Göttingen") geht hervor, dass 45 % der Bevölkerung Bedenken hat, sich als Organspender zur Verfügung zu stellen, 36 % wollten keine Bereitschaft bekennen. Das Vertrauen ist gesunken: 69 % glauben, dass man mit Spenderorganen viel Geld verdienen kann, und 46 % glauben, potenziellen Organspendern werden Organe zu früh entnommen. Dennoch ist eine Entscheidung immer eine Erleichterung für die Familie. Für eine nachhaltige Akzeptanz in der Bevölkerung ist das Vertrauen in

  • die Priorität der Lebensrettung,

  • die sichere Todesdiagnostik,

  • eine faire Verteilung und

  • institutionelle Regelungen unabdingbar.

Auch Frank-Walter Steinmeier, Bundestagsabgeordneter und Nierenlebendspender für seine Frau, sagte in seinem Beitrag, dass die Wiederherstellung des Vertrauens in das System entscheidend ist. Im Moment ist es durch Einzelfälle erschüttert. Straf- und berufsrechtliche Verfolgung und bundesweite Transparenz können dies verbessern. Auch eine Reduzierung der Transplantationszentren könnte dazu beitragen. Vor Göttingen gab es im Zuge der Gesetzesänderung eine sachliche Debatte. Es kam Bewegung in die Diskussion um Organspende, Zwischenmenschlichkeit und Solidarität wurden angesprochen.

Nach "Göttingen" ist das Gesetz immer noch die richtige Antwort, die Entscheidungslösung ist die Entscheidung für das Leben. Die Krankenkassen haben aber erst einmal die Aussendung der aufklärenden Materialien gestoppt, da diese durch die Verunsicherung der Menschen eher im Papierkorb landen würden. Eine überparteiliche Regelung ist auf dem Weg. Man muss in Deutschland ein System schaffen, mit dem kein Schindluder getrieben werden kann.


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Wünsche der Patienten

Verschiedene Vertreter von Patientenorganisationen waren im Auditorium. Eine Vertreterin sprach in ihrem Vortrag aus, was sich Patienten von allen Beteiligten wünschen, um das Vertrauen wiederherzustellen. Von der Politik wünschen sie sich …

  • … ein Gesetz, das tatsächlich zu mehr Transplantationen führt.

  • … , dass die Entscheidungslösung in Kraft tritt.

  • … , dass die Bevölkerung immer wieder aktiv angesprochen wird.

  • … , dass die Verantwortlichkeiten klar definiert sind.

  • … , dass Transplantationsbeauftragte flächendeckend eingesetzt werden.

  • … die konsequente Aufklärung der Vorfälle in Göttingen.

Von den Medizinern wünschen sie sich:

  • Gespräche auf Augenhöhe zwischen Arzt und Patient

  • eine transparente Warteliste

  • eine bessere Kooperation innerhalb und außerhalb der Klinken

  • keine leistungsbezogenen Verträge für Ärzte für Transplantationen

  • ein 6-Augen-Prinzip bei der Organvergabe

  • wirksame Kontrollmechanismen

In der anschließenden Podiumsdiskussion stellten sich die Referenten den zahlreichen Fragen aus dem Publikum. Es kam eine interessante Diskussion zustande.

Esther Wichmann, Berlin

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