Z Orthop Unfall 2012; 150(06): 559-562
DOI: 10.1055/s-0032-133184
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kongressbericht: DKOU 2012 – Qualität, Ethik, Effizienz

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Publication Date:
07 January 2013 (online)

 
 

Der DKOU entwickelt sich zu einem der wichtigen Foren für die Versorgungsforschung. Eine Überraschung am Rande der diesjährigen Tagung: Der ungewohnt kooperative Ton zwischen manch Krankenkasse und der Facharztszene.

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Die Kongresspräsidenten Professor Christoph Josten, Professor Wolfram Mittelmeier und Dr. Andreas Gassen. (Foto: Starface / Ingo Schwarz)

Habe man richtig gehört, wollten die verblüfften Teilnehmer eines Symposiums über Zentren der Alterstraumatologie vom Kassenvertreter im Raum wissen. Biete die AOK tatsächlich an, ihren Riesenpool an Routine-, alias Versorgungsdaten zusammen mit den Fachgesellschaften auszuwerten? "Das Angebot steht", erwiderte Jürgen Malzahn vom AOK Bundesverband. Applaus im Saal. Danke, sagte der Vorsitzende der AG Alterstraumatologie der DGU, Professor Erich Hartwig. Nun gebe es eine Chance, das neue Zertifikat für solche Zentren zusammen zu erarbeiten.

Es blieb nicht der einzige Austausch von Artigkeiten. Der diesjährige DKOU machte klar, dass Kasse und Fachärzte mehr und mehr zusammen Versorgungsforschung betreiben möchten.

Qualität, Ethik, Effizienz war das Motto der drei diesjährigen DKOU-Präsidenten vom 23. bis 26. Oktober. Es waren DGOOC-Präsident Professor Wolfram Mittelmeier aus Rostock, Dr. Andreas Gassen, Vizepräsident beim BVOU und DGU-Präsident Professor Christoph Josten aus Leipzig.

Mit rund 11 000 Teilnehmern war der DKOU auch dieses Jahr wieder gut besucht.

Keine Frage: Der Kongress war erneut das Forum von O&U für die Diskussion um die großen Systemfragen und für viele Verbesserungen der Versorgung im Detail.

"Wie viel Qualität können wir uns leisten?"

Dies war Fragestellung für eine Podiumsdiskussion am Mittwoch. Angesichts von knapp 22 Milliarden Euro Überschüssen in der GKV im ersten Halbjahr 2012 sei es endlich mal ausgesprochen "komfortabel" zum Thema zu sprechen, freute sich der Gesundheitsexperte der CDU / CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag Johannes Singhammer. Auch wenn man jetzt "nicht alle Hähne aufdrehen" könnte, habe die Bundesregierung Pläne mit einem Teil der Überschüsse. Singhammer: "Wir wollen bei der Prävention Geld in die Hand nehmen."

"Monti, was sagst du dazu?" übergab Moderator Professor Axel Ekkernkamp an den BÄK-Präsidenten Frank Ulrich Montgomery. Der sah das anders. Die BÄK fordere bitte schon jetzt eine Debatte über Priorisierungen, die mit der nächsten Finanzkrise im Gesundheitswesen sowieso wiederkehre. In der Praxis fände Rationierung längst heimlich statt. Ein besonderes Dilemma sieht Montgomery in der medial überhöhten "Skandalisierung", sobald die Ärzteschaft eine transparente Diskussion um das Thema anstoße. Die BÄK wünsche sich vielmehr endlich eine "intellektgesteuerte" Diskussion. Montgomery forderte auch eine generelle Entschlackung für das SGBV: Es gebe heute niemanden mehr, der die Komplexität des SGBV überblicke – habe einer der Väter des Gesetzeswerks gesagt, der SPD-Gesundheitsexperte Rudolf Dreßler.

BVOU-Präsident Helmut Mälzer monierte die Verluste durch eine "gigantische" Bürokratie. Ein Beispiel sei Osteopathie, die etwa die TK ihren Versicherten als Satzungsleistung bezahlt. Vorausgesetzt, der Patient bringt eine Bescheinigung seines Arztes. Er könne Schein wie Beratung dafür aber nicht auf Versichertenkarte, sondern nur nach GOÄ abrechnen, erklärte Mälzer. Bis er dem Patienten das wiederum alles erklärt habe, sei viel zu viel Zeit vergangen.

Patientenorganisationen mühten sich, dem Arzt große Teile der Beratung und Aufklärung abzunehmen, meinte hingegen die Präsidentin der Rheuma-Liga, Professor Erika Gromnica-Ihle. Sie sah primär ein Problem innerhalb der Ärzteschaft, forderte, bei der Honorarverteilung endlich die Sprechende Medizin besser zu gewichten. Vor allem müsse die Patientenbeteiligung im G-BA ausgebaut werden, damit die Gruppe, um die es am Ende geht, eben auch mitentscheide.

Ungewohnt zahme Töne gab es von der AOK zur Qualität der Versorgung auch auf diesem Podium. "Die Sicht der Kassen auf die Qualität ist zunächst mal eine sehr positive", meinte Jürgen Malzahn. Das Niveau in der stationären Versorgung sei gut. Ein Thema bleibe die in manchen Häusern mit über 48 Stunden zu lange präoperative Wartezeit für Patienten mit Schenkelhalsfraktur. Malzahn: "Da haben wir Verbesserungsbedarf."

Zum Modell einer neuen Partnerschaft zwischen Fachgesellschaften und Kassen könnte sich das Endoprothesenregister entwickeln. Professor Joachim Hassenpflug gab in Berlin ein Update zum Stand des EPRDs. Ein jetzt startender Probebetrieb in ausgewählten Kliniken wird dank frisch eingetroffenen 330.000 Euro vom BMG möglich. Hassenpflug gab sich aber zuversichtlich, dass der Routinebetrieb ab Mitte 2013 mit Haushaltsmitteln des EPRD gelingen kann.

Eine kontroverse Pro&Contra-Session umriss am Mittwochnachmittag gleich auch noch die Frage, ob bei Endoprothesen neu nun wirklich gleich besser ist. Und verdeutlichte, wie tief manche Gräben zwischen Herstellern, Anwendern und "Zulassungsstellen" sind.

Professor Hanns-Peter Knaebel, Vorstandsvorsitzender der Aesculap AG pochte darauf, dass sich auf Medizinprodukte wie Endoprothesen eben nicht die Regelungen des Arzneimittelmarktes eins zu eins übertragen lassen. Endoprothetik sei keine standardisierbare Pille. Eine Placebo-kontrollierte Studie sei nicht möglich. Man müsse aber, so seine vorsichtige Öffnungsklausel, das Studiendesign neu überlegen.

Auch Marc D. Michel von der Peter Brehm GmbH hatte schon zuvor argumentiert, dass es für Prothesen längst ein Zulassungsverfahren gebe. Michel: "Bei Endoprothesen als Produkten der Risikoklasse III muss heute eine klinische Prüfung stattfinden und das CE-Kennzeichen ist das Zeichen für die Zulassung."

PD Stefan Sauerland vom IQWiG lehnte den Terminus Zulassung hingegen ab. Das CE-Kennzeichen erfordere eine klinische Prüfung, was aber eben nicht bedeute, dass randomisierte Studien stattfinden.

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Sauerland bekräftigte die IQWiG-Forderung nach randomisierten Studien für Produkte der Risikoklasse III vor Marktzugang. Doch leider werde sich nach den vorliegenden Entwürfen auch nach Novellierung der Medical Device Directive der EU nicht viel ändern. Sauerland sieht die Chance, solche Studien auf nationaler Ebene als Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit von Produkten anzufordern.

Wilfried Reischl vom BMG sah hingegen Chancen, den derzeitigen Entwurf für die neue EU-Directive noch zu verbessern. Reischl: "Bei den Anforderungen an klinische Prüfungen der Produkte muss und wird nachgelegt werden." Auch die Kontrolle der Benannten Stellen, die CE-Zeichen vergeben, müsse strikter werden. Der Terminus CE-Kennzeichnung sei allerdings durch die Skandale der letzten Jahre verbrannt. Reischl: "Vielleicht wird man das anders nennen müssen."

Einen Lopez-Effekt (benannt nach dem einstigen Chefeinkäufer bei VW José Ignacio López, dessen rigide Einsparungen in Qualitätseinbußen mündeten), schloss Harald Meyer von der Firma Zimmer in Freiburg aus. Bei seriösen Firmen in der Endoprothetik werde trotz Kostendrucks die Qualität des Produkts nicht leiden. Denkbar sei aber, dass Hersteller bei der "Software" Abstriche machen, sich aus der Weiterbildung und Schulung der Operateure zurückziehen.


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Wieviel Innovationen brauchen wir?

Das nahm Wolfgang Appelstiel von clinicparnter eG gerne auf: Schulungen, Fortbildungen für die Anwender sollten in Zukunft in der Tat besser die Krankenhäuser leisten. Was im übrigen eine echte Innovation bei den Implantaten sei, hätte er schon gerne mal erklärt bekommen, meinte Appelstiel. Sein Seitenhieb an die Hersteller: "Ich habe wenige gesehen."

In eine ähnliche Richtung argumentierte Professor Volker Ewerbeck aus Heidelberg. Etablierte Modelle am Markt brächten es in einigen Registern bei den 15-Jahresraten auf Standzeiten von über 95 Prozent. Dagegen stünden neuere Zahlen aus Australien, nach denen über 30 Prozent der Innovationen erheblich schlechtere Standzeiten aufwiesen. Wie hoch ist der Innovationsbedarf wirklich, fragte Ewerbeck.

Es war Michael Morlock von der TU Hamburg-Harburg. Morlock, der die Gegenseite beleuchtete. Die meisten unerwünschten Ereignisse in der Endoprothetik würden eben nicht durch fehlerhafte Implantate, sondern durch Fehler der Chirurgie verursacht. Nötig sei daher ein Führerschein für Chirurgen, und zwar einer, der regelmäßig zu erneuern sei. Ein Punktesystem à la Flensburg, das bis zum Entzug der Zulassung führen kann. Morlock: "Wer eine Pfanne falsch positioniert, sollte einen Monat nicht mehr operieren dürfen. Was meinen Sie, welche Mühe Sie sich beim nächsten Mal geben." Weitere Fehlanreize steckten im System. Morlock: "Anders als bei Unfällen im Straßenverkehr haben Sie als Chirurgen Glück, dass es bei Fehlern keine Konsequenzen gibt, solange der Patient nicht klagt." Am Ende würde bei der Reparatur des Schadens, der Revision, auch noch mal verdient. Ohne Zwang seien daher grundlegende Veränderungen nicht zu erwarten. Sonst, so Morlock, müssten sich die Operateure ja selber verschärfte Anforderungen geben: "Ich würde es an ihrer Stelle auch nicht tun."

Wolfram Mittelmeier, argumentierte Contra Führerschein, war sich aber einig mit seinem Vorredner, dass eine Facharztprüfung in O und U nicht ein Leben lang als Qualifikationsnachweis ausreiche. Eine Antwort der Fachgesellschaft darauf gebe es: EndoCert.

Die DGOOC nutzte den Kongress, um den Start ihres neuen Zertifizierungssystems EndoCert bekannt zu geben (siehe auch http://www.clarcert.com/endoprothetik_zentren_nrw.htm). EndoCert soll für eine hohe Qualität der Chirurgie bei Endoprothesen in einem Haus stehen. Erhältlich ist das Zertifikat in zwei Varianten: Ein Endoprothetik-Zentrum muss mindestens zwei Chirurgen vorweisen, die jährlich je 50 "Operationen im Bereich des Gelenkersatzes" leisten. Für ein Zentrum der Maximalversorgung verdoppelt sich die Mindestzahl auf je 100. Vor allem dafür, dass sich die DGOOC nicht gescheut habe, auch Mindestmengen zu fordern, gab es Lob vom AOK-Bundesverband.

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Immer noch tief sitzt hingegen der unter anderem vom Krankenhausreport 2010 der Barmer GEK lancierte Vorwurf, Orthopäden würden hierzulande vorschnell Patienten mit Endoprothesen versorgen. Hinter den steigenden Zahlen steckten medizinische Notwendigkeiten, rechtfertigte gegenüber Journalisten Professor Karl-Dieter Heller aus dem Vorstand des BVOU. Außerdem stagnierten seit 2010 die Zahlen. Heller: "Es ist jetzt die Menge erreicht, die zur Versorgung nötig ist."

Professor Reinhard Hoffmann von der DGU prognostizierte allerdings einen weiteren Anstieg. Bis 2050 sei bei den peritrochantären Brüchen ein Plus von 300 Prozent zu erwarten. Bei den zwangsläufig entstehenden Kosten müsse man sich gesamtgesellschaftlich einigen, machte Hoffmann klar. Doch die Politik werde versuchen, das wieder an die Fachgesellschaften zu geben.

Ein Dauerbrenner bleibt die Diskussion um Zielvereinbarungen zwischen Chefarzt und Klinikträger. Experten kritisierten auch in Berlin die Praxis, dass so eben doch Mengenausweitungen angeregt werden, die am Ende medizinisch nicht gerechtfertigt sein könnten. 50 bis 55 Prozent aller dieser Verträge enthalten derartige Klauseln. Für Hartmut Siebert Symptom einer "Systemerkrankung im Gesundheitswesen". Der Generalsekretär der DGU war dennoch zuversichtlich, dass die DKG ihre Beratungs- und Formulierungshilfen für Chefarztverträge entsprechend ändern wird.


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Kritik an der Pharmaindustrie

Wie wichtig Transparenz für das Geschäft ist, daran ließ in Berlin noch ein anderer keinen Zweifel. "Über den Umgang mit dem Arzneimittelvertreter – Ansichten eines ehemaligen Pharmamanagers" war das Thema von Patrick Schwarz-Schütte, von 1992 bis 2006 Vorstandsvorsitzender der Schwarz Pharma AG. Sein Vortrag war eine Abrechnung mit seiner eigenen Branche.

Der geht es nicht gut. "Die Effizienz der Forschung ist schlecht", bilanzierte Schwarz-Schütte. 135 Mrd. Dollar steckt die Pharmabranche weltweit in die Forschung. Auf der Gegenseite stehen gerade mal 28 Medikamente, die im letzten Jahr neu auf den Markt kamen. Vermutlich seien "die Früchte, die niedrig hängen, gepflückt". Die einfach zu erschließenden Targets für pharmakologische Wirkstoffe sind gefunden.

In der Branche tobt ein Konzentrationsprozess. Gerade noch 20 Firmen gibt es weltweit, die von der Forschung bis zur Produktplatzierung alles abdecken. Schwarz-Schütte: "Es stirbt sich langsam in dieser Branche. Aber es stirbt sich." Er selber hat die Manege verlassen, Schwarz Pharma wurde 2006 an die belgische UCB verkauft. Schwarz-Schütte: "Man muss den Zirkus verlassen, bevor die Löwen kommen."

Noch gravierender sei der miserable Ruf der Branche. Ärztebestecher, Preistreiber… man habe den Ruf durch eigene Schuld. Die Branche habe es versäumt, klare Regeln für das Verhältnis zwischen dem Pharmavertreter und dem Arzt aufzustellen mit all den bekannten Auswüchsen – Sachgeschenke, die "unsäglichen Anwendungsbeobachtungen", Reisen… Schwarz-Schütte: "Auch meine alte Firma war da nicht unbeteiligt." Immerhin werde 2015 ein neuer Kodex des EU-Branchenverbandes dafür sorgen, dass jede Geschäftsbeziehung offen gelegt werden muss. Für Schwarz-Schütte ein Fortschritt. Das Verhältnis Arzt und Industrie, so seine Analyse, sei eben keine natürliche Partnerschaft: "Wir sollten vielmehr aufgeklärte und kritische Partner werden."


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Prävention: Thema etlicher Symposien

Stichwort Verkehrsunfälle. Nicht nur er habe da ein "Erschrecken" erlebt, meinte Professor Günter Lob aus München. 2011 sind 3.991 Unfallopfer im Straßenverkehr gestorben, damit neun Prozent mehr als 2010 (3.648). Seit 1970 waren die Zahlen bis 2010 stetig gesunken. Statistischer Ausrutscher oder fatale Trendwende?

Womöglich ersteres, wie das Statistische Bundesamt nach dem DKOU vermeldete (die Zahl der Verkehrstoten ist in 2012-I bis III weiter gesunken). Auf dem Kongress analysierte Verbesserungsmöglichkeiten bleiben aktuell. Lob setzt auf neue technische Sensorsysteme, die Autos zum Stoppen oder Ausweichen bringen, lange bevor ein Unfall passiert. Für 250 Euro seien solche Systeme zu haben, der Gesetzgeber sollte sie vorschreiben. Etliche Experten in Berlin bekräftigten die schon im Vorfeld des Kongresses von DGU, DGOOC und DGOU aufgebrachte Forderung nach einer Helmpflicht für Radfahrer, vor allem für die Nutzer von Pedelecs und E-Bikes.

Es waren brutale Bilder, die Stefanie Märzheuser im gleichen Symposium zeigte. Allein für 2010 nennt die bundesdeutsche Polizeistatistik 4.412 Kindesmisshandlungen. Die Grauzone ist groß, wie die Oberärztin in der Kinderchirurgie der Berliner Charité berichtete. Viele Angehörige versuchten, eine Misshandlung aktiv als Unfall zu tarnen, was Ärzte in den Ambulanzen zu aufwändigen Recherchen zwingt.

Oft ist reine Ignoranz Schuld am Unheil. Heiße Bügeleisen, Kinder, die allein zu Hause bleiben, womöglich bei offenem Fenster im 10. Stock. Der Fachterminus heißt dann "billigende Inkaufnahme". Ein großes Präventionspotential stecke in den so genannten "Frühen Hilfen", meinte Märzheuser, die in sozial schwachen Familien gehen und kritische Punkte analysieren. Eine Bundesarbeitsgemeinschaft "Mehr Sicherheit für Kinder" arbeite zum Thema (www.kindersicherheit.de). Ende November, nach dem DKOU, 2012 flog allerdings ein Fall von Kindesmisshandlung durch einen Pfleger just an der Charité auf.


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Mehr Sport in der Schule

Zugleich konstatierten viele Experten mit Sorge den zunehmenden Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen. Bis zum 25. Lebensjahr müsse jeder schauen, dass er sein "Bankkonto" an Knochen und Muskelmasse maximal gefüllt habe, "denn damit müssen wir im Leben auskommen", appellierte Professor Bernd Kladny aus Herzogenaurach. Kladny: "Die Folgen des Bewegungsmangels sind noch gar nicht abzusehen, werden uns für Jahrzehnte begleiten." Guter Rat, wie mehr Bewegung und Sport in Schule und Alltag zu implementieren ist, blieb rar. "Politik und Kostenträgerseite sind gefragt, unsere Kompetenz abzufragen", meinte Andreas Gassen.

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Besser reden mit statt über – es bleibt der wichtigste Beitrag einer Tagung für mehr Qualität, Ethik und Effizienz. Die Hohe Querschnittlähmung als interdisziplinäre Herausforderung diskutierte ein nur spärlich besuchtes Forum der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegie (DMGP).

Jörg Giesecke vom Unfallkrankenhaus Berlin berichtete von haarsträubenden Nachlässigkeiten nach der Rückverlegung der Patienten in die eigenen vier Wände oder in spezialisierte Einrichtungen. Beatmungsgeräte, die in Schränken eingebaut sind, an die bei technischen Störungen keiner herankommt, Kabelsalate um und unter den Betten: Eigentlich müssten er und seine Kollegen regelmäßig rausfahren und nach dem Rechten sehen, meinte Giesecke , was aber nicht immer möglich sei.

Die Experten kritisierten die Versorgung von immer mehr Betroffenen in "ambulanten Wohngemeinschaften". Die Versorgung eines Patienten in der eigenen Wohnung erfordert im Durchschnitt 4,7 Pflegestellen, in den WGs kämen 10 Stellen auf 12 Patienten. Giesecke: "Das ist eine billige Sache und bei Kassen leider ein Modell der Zukunft." Doch manches kann die Szene auch selber lösen. Akutkliniker fänden oft kaum Informationen dazu, wo die jeweils nächstgelegene spezialisierte Reha für solche Patienten sei, meinte Professor Steffen Ruchholtz vom Traumanetzwerk der DGU. Man war sich einig, die Verteiler besser zu pflegen.

Christoph Josten warnte in Berlin vor dem "Killer Gebrochene Hüfte". 160.000 Menschen erlitten nach Schätzungen im Jahr hierzulande eine hüftgelenksnahe Fraktur. Jeder Dritte bis Vierte Patient über 85 stirbt binnen eines Jahres daran. Josten: "Hier wird eine Patientengruppe mit großen Verletzungen nicht richtig wahrgenommen." Denn die Patienten würden oft schlecht versorgt, landeten dann hinterher meist im Altersheim. Josten: "Das ist der Beginn eines Circulus vitiosus." Das Altersheim, das wüssten doch alle, sei der Ort "sozialer Deprivation" mit weiterem Verlust an körperlichen und geistigen Möglichkeiten. Jostens Appell: "Hier geht es nicht um die Kosten, hier bin ich primär für den Aspekt der Ethik."


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Zentren für Alterstraumatologie

Verbesserungen erhofft sich eine AG bei der DGU, die an einem neuen Gütesiegel für Zentren für Alterstraumatologie tüftelt. Ein erster Kriterienvorschlag wird derzeit in einer Pilotphase auf Machbarkeit geprüft. Es geht vor allem um mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Geriatern. Denn, so Professor Reinhard Hoffmann von der DGU, "das unfallchirurgische Polytrauma können wir. Das internistische hingegen, da ist die Frage, ob wir das überblicken". "Wir können das", war die prompte Antwort von PD Romana Lenzen-Großimlinghaus vom Vorstand des Bundesverbands Geriatrie, BVG. Hat der Patient womöglich ein Delir, eine Depression, was ist mit dem sozialem Umfeld? Alles Fragen, die Geriater in den Zentren übernehmen werden, erklärte die Chefärztin am Domenikus-Krankenhaus in Berlin. Immerhin, siehe oben, will die AOK ihren Datenpool für die gemeinsame Arbeit an die Qualitätskriterien öffnen. Vielleicht neue Chancen gegen den "Killer Gebrochene Hüfte".

Der nächste DKOU ist vom 22. bis 25. Oktober 2013 in Berlin. Weitere Infos: www.dkou.org

Bernhard Epping


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