Dialyse aktuell 2012; 16(09): 533-534
DOI: 10.1055/s-0032-1331654
Forum der Industrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interview mit Prof. Ketteler zur Veranstaltungsreihe "Nephrologie Up2Date" – "Man kann mit Paricalcitol ein breites Spektrum an Patienten mit sHPT erfolgreich therapieren"

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Publication Date:
07 December 2012 (online)

 
 

Ein Gespräch mit Prof. Markus Ketteler, Coburg.

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Prof. Markus Ketteler

? Die Veranstaltung "Nephrologie Up2Date" läuft seit Jahren höchst erfolgreich und erfreut sich einer zunehmenden Teilnehmerzahl. Wie erklären Sie den Erfolg?

Prof. Markus Ketteler: Der Erfolg dieser Reihe liegt zum einen an dem ungewöhnlichen Modus: Sie ist interaktiv wie derzeit kaum eine andere Fortbildungsveranstaltung im Bereich der Nephrologie. Die Teilnehmer sitzen in Gruppen an Tischen zusammen und sind über Computerbildschirme am gesamten Vortragsgeschehen beteiligt. Via eines TED-ähnlichen Systems beantworten die einzelnen Teams im "Wettkampf" gegeneinander Fragen zu den Vorträgen – und jeder Teilnehmer kann jederzeit während der Veranstaltung den Referenten per E-Mail eine Frage stellen. Durch die Gruppierung an den Tischen kommt eine, in der Regel äußerst lebhafte, kollegiale Diskussion zustande, die von einem professionellen Gesprächsleiter moderiert wird.
Aber auch inhaltlich bietet diese Veranstaltung viel, da aktuelle und praxisrelevante Forschungsdaten präsentiert werden. Wir unternehmen den Versuch, eine translationale Komponente des medizinischen Wissens einzubringen, also die Themen von "bench to bedside" aufzubereiten. Es werden neue präklinische, experimentelle Befunde zu Rate gezogen und in Kontext mit den vorliegenden epidemiologischen Daten und klinischen Studien zum Themenbereich gestellt. Wie der Name der Veranstaltung "NephrologieUp2Date" schon aussagt, gibt es hier keinen Stillstand: Die aktuellsten Ergebnisse werden zusammengetragen und den Teilnehmern vermittelt.

? Die Veranstaltung wird von der Fa. Abbott organisiert, die einen selektiven VDR-Aktivator herstellt. Werden nur Themen aus dem Bereich sHPT/VDRA besprochen oder werden auch andere Themenkomplexe behandelt?

Ketteler: Natürlich wird auf den Themenbereich sHPT/Vitamin D/Mineral- und Knochenhaushaltsstörungen bei Niereninsuffizienz fokussiert, aber es werden bei jeder Veranstaltung auch immer wieder neue thematische Aspekte eingebracht und dafür auch neue Referenten eingeladen. In den letzten Jahren haben beispielsweise namhafte Experten die jeweils neu publizierten Leitlinien der ­KDIGO-Initiative kommentiert, u. a. die Leitlinien zur Glomerulonephritis, zur Therapie des akuten Nierenversagens oder zur Nierentransplantation. In der jüngsten Veranstaltungsreihe wurde Prof. Danilo Fliser, Homburg/Saar, eingeladen, um die neuen KDIGO-Anämie-Leitlinien darzulegen. Die Organisatoren der Veranstaltung versuchen also, neueste Entwicklungen und Updates in der Nephrologie – auch jenseits des Kernthemas – zu präsentieren. So werden immer die Highlights aus der Literatur der letzten 12 Monate und Kasuistiken aus dem klinischen Alltag jenseits des Krankheitsbildes sHPT vorgestellt und intensiv diskutiert.

? Bietet die Veranstaltung auch praktische Übungen/Workshops etc.?

Ketteler: Was wir im vergangenen Jahr neu aufgenommen haben, war die Möglichkeit für Teilnehmer, auch praxisbezogenen Hands-on-Erfahrungen zu sammeln. 2012 war geprägt durch die Vermittlung von Einsichten in die Nierenbiopsie, wobei nicht nur Befunde besprochen wurden oder Fallvorstellungen stattfanden, sondern die Teilnehmer darüber hinaus auch Gelegenheit hatten, selbst zu mikroskopieren sowie Einblicke in die Färbetechniken und sogar in die Elektronenmikroskopie zu gewinnen. Solche Programmpunkte bieten auch für den praktisch tätigen Nephrologen interessante Einblicke und erweitern das Verständnis. Bei den Veranstaltungen, an denen ich selbst teilgenommen habe, war das Feedback zu diesem Ansatz durchweg positiv.

? Welches Highlight erwartet die Besucher dann im nächsten Jahr?

Ketteler: Für 2013 sind wir noch mit der Planung befasst. Eine Idee ist aber, dass wir mit der Gruppe in ein High-Tech-Laborinstitut gehen und uns dort vor Ort die heute gebräuchlichen und für die Nephrologie relevanten Messmethoden anschauen. Die praktischen Einblicke sollen dann von einem Vortrag flankiert werden, der insbesondere die Präanalytik und die modernsten Biomarker im Bereich der Störungen des Knochen- und Mineralhaushalts bei Niereninsuffizienz darstellt. Auch neuere Parameter wie beispielsweise FGF-23, für den eine automatisierte Messung am Horizont erscheint, sollten voraussichtlich Gegenstand dieses Programmpunkts sein.

? Kommen wir zu dem Schwerpunktthema der Veranstaltung, zur VDR-Aktivierung: Warum kann diese bei nephrologischen Patienten wichtig sein?

Ketteler: Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass es bei chronischer Nierenerkrankung durch den Verlust der Nierenmasse zu einem Abfall der aktiven Vitamin-D-Produktion kommt, d. h. die 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D-Konzentrationen bzw. Calcitriolspiegel praktisch linear mit Verlust der Nierenfunktion abfallen. Dieser Umstand kann zur Entwicklung eines sHPT beitragen. Auch werden immer wieder neue Bausteine der sHPT-Pathogenese bekannt, wie beispielsweise die Entdeckung des phosphatregulierenden Faktors FGF-23. Dieser nimmt auch unmittelbar auf die Calcitriolproduktion Einfluss, indem er sie aktiv supprimiert. Was wir im Augenblick noch herausfinden müssen, ist, was an diesem Prozess adaptiv und was maladaptiv ist.
Insgesamt erscheint es sinnvoll, die sinkenden Calcitriolspiegel der Patienten durch die Gabe von VDR-Aktivatoren zu korrigieren – zumal auch mehrere epidemiologische Studien gezeigt haben, dass eine VDR-Aktivierung bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung mit einem verbesserten Überleben assoziiert ist [ 1 ], [ 2 ]. Auch die Frage, ob diese Therapie über die Behandlung der eigentlichen Indikation, der Therapie des sHPT, hinaus noch Vorteile bietet, wird derzeit diskutiert – die prospektive, randomisierte PRIMO[ 1 ]-Studie [ 3 ] hatte allerdings in einer ersten Analyse keine kardioprotektiven Effekte der selektiven VDR-Aktivierung gezeigt. Weitere Erhebungen sind aber noch notwendig, um zu einer gesicherten Aussage zu kommen. Auch die Frage, welche Rolle die basale Vitamin-D-Supplementation spielt und bis zu welchem Maß der basale Vitamin-D-Mangel ausgeglichen werden muss, ist noch offen und wird immer wieder auf unserer Veranstaltung neu thematisiert.

? Welche Vorteile sehen Sie in der selektiven VDR-Aktivierung im Vergleich zu nicht selektiven Präparaten?

Ketteler: Selektive VDR-Aktivatoren haben den Vorteil, dass sie weniger häufig Hyperkalzämien und/oder Hyperphosphatämien induzieren. Sie wirken gezielt an der Nebenschilddrüse, stimulieren aber weniger die Kalzium- und Phosphataufnahme aus dem Darm sowie die Kalzium- und Phosphatfreisetzung aus dem Knochen. Somit ist eine effiziente PTH-Senkung mit deutlich geringeren klassenspezifischen Nebenwirkungen von Vitamin-D-Analoga mit Paricalcitol möglich.

? Für Dialysepatienten mit sHPT stehen derzeit 2 Nebenschilddrüsenantagonisten zur Verfügung, Cinacalcet und Paricalcitol. Im vergangenen Jahr haben Sie eine Head-to-Head-Studie veröffentlicht: Wie war das Ergebnis und welche Konsequenz ziehen Sie für die klinische Praxis?

Ketteler: Die IMPACT-SHPT[ 2 ]-Studie [ 4 ] konnte zeigen, dass die Therapie mit Paricalcitol, einem selektiven VDR-Aktivator, mit der Möglichkeit einer Rescuetherapie mit Cinacalcet hinsichtlich der Erreichung der KDOQI-Zielparameter des Parathormons (150–300 pg/ml) im parenteralen Therapiearm erfolgreicher war als die Kombination von Cinacalcet mit einer niedrig dosierten, fixierten, aktiven ­Vitamin-D-Therapie (in den USA i. v. mit 1 alpha-D2, in Europa mit oralem 1 alpha-D3) (Abb. [ 1 ]). Darüber hinaus kam es in der Cinacalcetgruppe mit einer relativ hohen Inzidenz zu Hypokalzämien. Diese waren allerdings klinisch nicht bedeutsam, da sie in der Regel in einem Bereich von 2,0 mmol/l lagen, was praktisch kein Gefährdungspotenzial birgt. Unter Paricalcitol traten wie erwartet kaum Hyperkalz­ämien auf – das Präparat erwies sich diesbezüglich also auch in dieser Studie als sicher.
Generell muss man aber die IMPACT-SHPT-Studie, die eine Überlegenheit von Paricalcitol demonstrierte, im Vergleich zu einer früheren Studie, der im Jahr 2008 publizierten ACHIEVE[ 3 ]-Studie [ 5 ], interpretieren. Diese Studie hatte ein ähnliches Design, allerdings wurde im VDRA-Arm nicht allein Paricalcitol eingesetzt, sondern auch Doxercalciferol; der jeweilige Anteil der Präparate im VDRA-Arm wurde nicht publiziert. ­Außerdem wurde im Gegensatz zur ­IMPACT-SHPT-Studie langsam von einer niedrigen VDRA-Dosierung auf höhere Dosen hochtitriert – und nicht mit hohen Dosierungen begonnen. In dieser Studie zeigte sich eine – allerdings statistisch nicht signifikante – Überlegenheit hinsichtlich der Zielwerterreichung pro Cinacalcet, was deutlich macht, wie sehr auch das Stu­diendesign Einfluss nehmen kann. Zusammenfassend ist für mich das Ergebnis der IMPACT-SHPT-Studie so zu interpretieren, dass man mit Paricalcitol ein breites Spektrum an Patienten mit sHPT erfolgreich therapieren kann, ohne in das Risiko zu laufen, dass die Patienten unkontrollierbare Hyperkalzämien oder Hyperphosphatämien entwickeln.

! Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Ketteler.

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Abb. 1 Primäre Wirksamkeitsanalyse: Anteil der Studienteilnehmer mit einem mittleren iPTHWert zwischen 150 und 300 pg/ml während der Evaluationsphase (Woche 21–28).
* Paricalcitol (Zemplar®) zzgl. Cinacalcet bei Hyperkalzämie (i. v. Stratum n = 3/52, orales Stratum n = 5/57). Wurden die 8 Patienten, die aufgrund einer Hyperkalzämie zusätzlich Cinacalcet erhielten, von der Analyse ausgeschlossen, lag der Anteil an Patienten, die unter Paricalcitol den iPTH-Zielbereich erreichten, im i. v. Stratum bei 59,2 % (p = 0,015) und im oralen Stratum bei 53,8 % (p = 0,331).

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Abbott GmbH & Co. KG, Ludwigshafen.
Das Interview führte die Medizinjournalistin Dr. Bettina Albers, Weimar.

Terminankündigung

Die nächsten Veranstaltungen dieser Reihe finden an folgenden Terminen statt:

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  • 15.–16. Juni 2013

  • 31. August–1. September 2013

  • 21.–22. September 2013


Die Orte werden noch bekannt gegeben bzw. sind ab Ende des Jahres bei der Fa. Abbott, Ludwigshafen, Abteilung Renal Care, oder über den Außendienst der Firma zu erfragen.


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1 Paricalcitol Capsules Benefits in Renal Failure Induced Cardiac Morbidity in Subjects With Chronic Kidney Disease Stage 3/4


2 Improved Management of iPTH with Paricalcitol-centered Therapy vs Cinacalcet Therapy with Low-Dose Vitamin D in Hemodialysis Patients with Secondary Hyperparathyroidism


3 Optimizing the Treatment of Secondary Hyperparathyroidism: A Comparison of Sensipar® and Low Dose Vitamin D vs. Escalating Doses of Vitamin D Alone


  • Literatur

  • 1 Teng M et al. N Eng J Med 2003; 349: 446-456
  • 2 Teng M et al. J Am Soc Nephrol 2005; 16: 1115-1125
  • 3 Thadhani R et al. JAMA 2012; 307: 674-684
  • 4 Ketteler M et al. Nephrol Dial Transplant 2012; 27: 3270-3278
  • 5 Fishbane S et al. Clin J Am Soc Nephrol 2008; 3: 1718-1725

  • Literatur

  • 1 Teng M et al. N Eng J Med 2003; 349: 446-456
  • 2 Teng M et al. J Am Soc Nephrol 2005; 16: 1115-1125
  • 3 Thadhani R et al. JAMA 2012; 307: 674-684
  • 4 Ketteler M et al. Nephrol Dial Transplant 2012; 27: 3270-3278
  • 5 Fishbane S et al. Clin J Am Soc Nephrol 2008; 3: 1718-1725

 
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Prof. Markus Ketteler
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Abb. 1 Primäre Wirksamkeitsanalyse: Anteil der Studienteilnehmer mit einem mittleren iPTHWert zwischen 150 und 300 pg/ml während der Evaluationsphase (Woche 21–28).
* Paricalcitol (Zemplar®) zzgl. Cinacalcet bei Hyperkalzämie (i. v. Stratum n = 3/52, orales Stratum n = 5/57). Wurden die 8 Patienten, die aufgrund einer Hyperkalzämie zusätzlich Cinacalcet erhielten, von der Analyse ausgeschlossen, lag der Anteil an Patienten, die unter Paricalcitol den iPTH-Zielbereich erreichten, im i. v. Stratum bei 59,2 % (p = 0,015) und im oralen Stratum bei 53,8 % (p = 0,331).
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