Der Klinikarzt 2012; 41(11): 560-561
DOI: 10.1055/s-0032-1331330
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Nosokomiale Infektionen – Clostridium difficile ist ein wesentlich größeres Problem als MRSA

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Publication Date:
29 November 2012 (online)

 
 

Krankenhausinfektionen, Hygienemängel, Antibiotikaresistenzen – über diese Themen liest man aktuell immer wieder in Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen. Häufig geht es dabei um MRSA (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus). Dass aber andere Erreger, wie z. B. Clostridium difficile, ein deutlich schwerwiegenderes Problem in Krankenhäusern darstellen und nicht nur Hygienemängel die Ursache für Krankenhausinfektionen sind, wird dabei häufig unterschlagen. Wir sprachen mit Prof. Dr. Petra Gastmeier, Leiterin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin an der Berliner Charité sowie Direktorin des Nationalen Referenzzentrums für Surveillance von nosokomialen Infektionen über die Bedeutung nosokomialer Infektionen und Hygienevorschriften im Allgemeinen sowie über die Zunahme von Clostridium-difficile-Infektionen im Besonderen.

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Prof. Dr. Petra Gastmeier

? Welche Bedeutung haben nosokomiale Infektionen für Patienten und Behandler?

Prof. Dr. Petra Gastmeier: Eine nosokomiale Infektion verkompliziert in der Regel die Behandlung. Der Patient muss länger im Krankenhaus bleiben. Eventuell sind zusätzliche Maßnahmen wie Operationen oder andere Behandlungen, wie z. B. eine zusätzliche Antibiotika-Gabe, notwendig. Insgesamt steigen dadurch natürlich auch die Kosten. Das schlimmste Risiko für den Patienten ist jedoch, dass er an einer nosokomialen Infektion versterben kann.

? Was sind aus Ihrer Sicht die größten Risikofaktoren für nosokomiale Infektionen?

Gastmeier: Die meisten Krankenhaus-Infektionen kommen dadurch zustande, dass die Patienten fakultativ pathogene Erreger mitbringen, z. B. auf der Haut oder im Darm. Wenn dann im Krankenhaus invasive Maßnahmen wie Harnweg- oder Gefäßkatheter zum Einsatz kommen, können Erreger in andere Körperkompartimente eindringen. Ist der Patient dann auch noch geschwächt, kann er schnell eine Infektion bekommen.
Zentrale Venenkatheter, Intubation und Harnwegkatheter sollten also nur nach sehr strenger Indikationsstellung eingesetzt werden. Außerdem muss der Umgang mit diesen Devices optimiert und trainiert werden. Das kann man nicht nur in der Vorlesung oder aus einem Buch lernen, das muss man üben.

Weiterer Risikofaktor: Antibiotika
Bei bestimmten Infektionskrankheiten, wie z. B. MRSA und Clostridium difficile, spielt auch der Einsatz von Antibiotika als Risikofaktor eine Rolle. Für die Zunahme von Clostridium-difficile-Infektionen sind zum Beispiel besonders Breitspektrum-Antibiotika, zum Beispiel Drittgenerations-Cephalosporine verantwortlich, die häufig als perioperative Prophylaxe gegeben werden. In vielen Krankenhäusern werden Antibiotika noch 2–3 Tage postoperativ gegeben, obwohl es dafür keine Evidenz gibt.
Im Rahmen der nationalen Prävalenz-Studie haben wir festgestellt, dass der Anteil der Antibiotika- Anwendungen, die prophylaktisch verordnet werden, ungefähr 35 % aller Antibiotika-Anwendungen im Krankenhaus beträgt. Ungefähr die Hälfte davon umfasst die perioperative Prophylaxe, die über den OP-Tag hinaus geht. Man könnte also relativ leicht schätzungsweise 15 % der Antibiotika-Anwendungen im Krankenhaus einsparen und damit weniger Selektionsdruck für Clostridien und multiresistente Erreger schaffen.

? Wie könnte man ein solches Vorgehen durchsetzen?

Gastmeier: Ich glaube, da gibt es eine psychologische Barriere. Viele Chirurgen denken, ihre Patienten vor Infektionen zu schützen, indem sie ihnen noch 2 oder 3 Tage postoperativ ein Antibiotikum geben. Manchmal wird auch vergessen, das Antibiotikum abzusetzen. Sinnvoll wäre dann ein Reminder-System, das den Arzt fragt, ob die Antibiotika-Einnahme noch nötig ist. In dem Fall müsste er sich ganz bewusst für die Verabreichung entscheiden. In einigen Ländern wird ein solches System bereits genutzt.

? MRSA-Infektionen sind in aller Munde. Welchen Stellenwert haben im Vergleich dazu aus Ihrer Sicht Clostridium-difficile-Infektionen (CDI)? Gibt es aktuelle Zahlen bezüglich der CDI-Verbreitung für Deutschland?

Gastmeier: Seit der letzten nationalen Prävalenzstudie 1994 ist die CDI-Inzidenz, die damals kaum eine Rolle spielte, deutlich angestiegen. Laut unserer aktuellen Erhebung liegt die Inzidenzdichte, also die Anzahl der Fälle pro 1000 Patiententagen, aktuell bei 0,74, in absoluten Zahlen also bei ungefähr 50 000 bis 60 000 Fällen pro Jahr in Deutschland. Damit liegen CDI inzwischen an vierter Stelle der Häufigkeit der nosokomialen Infektionen.

MRSA ist ein viel geringeres Problem als CDI
Viele Menschen haben große Angst vor MRSA, dabei ist das MRSA-Problem insgesamt ein viel geringeres als das Problem der Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhö (CDAD). Aktuelle Daten von CDAD-KISS (Clostridium-difficile-assoziierte-Diarrhö-Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System) zeigen eine CDAD-Inzidenz von 0,51 im Jahr 2010, während die MRSA-Inzidenz bei 0,98 lag. Bei diesem Wert sind allerdings alle Patienten berücksichtigt, die kolonisiert sind, infiziert ist davon weniger als ein Drittel. Es gibt demnach eindeutig mehr Infektionen mit Clostridium difficile als mit MRSA. Bei MRSA weiß man inzwischen auch, dass ungefähr 90 % der infizierten Patienten schon bei Aufnahme den Erreger haben. Bei der Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhö ist der Anteil der nosokomialen Infektionen deutlich höher. Insgesamt ist daher – gerade aus nosokomialer Sicht – ganz eindeutig CDAD ein wesentlich größeres Problem als MRSA.

? Was sind die Risiken einer CDI? Wie beurteilen Sie den Schweregrad der Verläufe?

Gastmeier: Das Problem ist, dass die Patienten durch die mit einer CDI einhergehenden Durchfälle extrem geschwächt werden und sich dadurch die Heilung ­hinauszögert. Zusätzliche Therapien sind notwendig. Zudem treten eventuell immer wiederkehrende Infektionen (Rezidive) auf, sodass sich die Erkrankung über einen langen Zeitraum hinziehen kann. Im schlimmsten Fall wird eine Kolon-Operation notwendig. Letztendlich kann eine CDI auch zum Tode führen.

? Haben Sie aktuelle Daten bezüglich der Rezidivhäufigkeit und Letalitätsrate von CDI?

Gastmeier: Wir gehen aktuell von 20 % der Patienten aus, die ein Rezidiv erleiden. Die Gesamtletalität lag in der ECDIS-Studie (European Clostridium difficile infection study) bei 22 % [ 1 ]. Bei diesen Todesfällen sind aber auch solche dabei, die aufgrund anderer Erkrankungen sterben, und die zusätzlich am Ende ihres Lebens eine Clostridium-difficile-Infektion hatten. In den Studienprotokollen wurde daher differenziert zwischen Todesfällen aufgrund einer Clostridien-Infektion, unter Beteiligung einer CDI und ganz anderen Todesursachen. In 2 % der Fälle war die Infektion direkt verantwortlich für den Tod, in 7 % hat sie dazu beigetragen.

? Welche Defizite sehen Sie im Umgang mit CDI?

Gastmeier:Ein großes Problem sehe ich in der Diagnostik. Die meisten Krankenhäuser führen nur einen Toxin-Test durch und legen keine Kultur an. Eine weitere Testung ist dann nicht mehr möglich, sodass wir nicht wissen, welche Stämme beteiligt waren. In einem Ausbruchsfall wäre es aber sehr wichtig zu wissen, ob alle Patienten denselben Erregerstamm tragen, um zwischen übertragenen Infektionen oder Selektion zu unterscheiden. Wenn in einem Krankenhaus eine besonders hohe Inzidenz der Infektionen auftritt, fragt man sich natürlich, woran das liegen könnte – daran, dass mehr Antibiotika verwendet werden oder an der Patienten-Zusammensetzung, oder daran, dass es ein hygienisches Problem gibt und die Erreger von einem Patienten zum anderen übertragen werden.
Man geht davon aus, dass zwischen 50 und 66 % der Fälle gar nicht diagnostiziert werden, weil der Stuhl nicht untersucht wird. In Spanien gibt es dazu eine aktuelle Studie. Dort wurde bei jedem Durchfall-Patienten der Stuhl untersucht. Das Ergebnis wurde später, wenn die Stuhluntersuchungsergebnisse vorlagen, mit dem Eintrag in den Patientenakten verglichen. Das Ergebnis: Zwei Drittel der Fälle waren vorher nicht identifiziert worden. In Deutschland scheint mir die Diagnostik-Rate ein bisschen besser zu sein. Das zeigt auch die ECDIS-Studie, in der die CDI-Inzidenz in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern eher hoch ist. Da der Antibiotika-Verbrauch in Deutschland eher im unteren Bereich liegt, gehe ich davon aus, dass die Ursache der vergleichsweise hohen Inzidenz in der besseren Diagnostik liegt. Dennoch würde ich davon ausgehen, dass auch in Deutschland ungefähr 50 % der CDI-Fälle nicht erkannt werden.

Kaum noch Lehrstühle für Krankenhaushygiene
Insgesamt gibt es in der Krankenhaushygiene auch das Problem, dass es kaum noch Lehrstühle für die Ausbildung gibt. Früher hatte jede Universität ein Hygiene-Institut. Nachdem jedoch viele Lehrstuhlinhaber pensioniert wurden, wurde eine Reihe von Lehrstühlen nicht wieder besetzt. Laut neuem Infektionsschutzgesetz müssen aber Krankenhäuser ab einer bestimmten Bettenzahl einen festangestellten Krankenhaus-Hygieniker haben. Da es aber kaum noch Krankenhaushy­gieniker gibt, wird es dauern, bis dieses Gesetz vollständig umgesetzt werden kann.
Um Hygienevorschriften einzuhalten sind außerdem praktische Übungen in Arbeitsabläufen notwendig. Viele Ärzte und Mitarbeiter in der Pflege sind sich nicht bewusst, welche Tätigkeiten risikoreich sind. Wenn sie zum Beispiel mit Sekreten zu tun hatten, wird eine Hände-Desinfektion gemacht, um sich selbst zu schützen. Wenn sie aber nur ein Infusionssystem anfassen, weil es nicht richtig tropft, desinfizieren sie ihre Hände nicht. Für den Patienten kann es dann problematisch werden, wenn z. B. an der Steckverbindung manipuliert wird und der Arzt oder Pfleger vorher etwas anderes angefasst hat. Das Pflegepersonal lernt das in Handlungsabläufen. So wird z. B. während des Harnweg­katheterlegens an verschiedenen Stellen immer wieder auf die Hände-Desinfektion hingewiesen. Ärzten wird das nur akademisch beigebracht.

Frau Prof. Gastmeier haben Sie vielen Dank für das Interview.

Dieser Text entstand mit freundlicher Unterstützung der Astellas Pharma GmbH.

Clostridium difficile – Häufigste Ursache für Antibiotika-assoziierte Diarrhö

Clostridium difficile (kurz C. difficile) ist ein Bakterium, das sowohl in der Umwelt als auch im Magen-Darm-Trakt von Tieren weit verbreitet ist[ 1 ]. Auch bei rund 3 % der gesunden Erwachsenen kommt der Keim natürlicherweise im Darm vor[ 2 ]. Normalerweise verursachen C. difficile-Bakterien beim Menschen keine Probleme. Wenn allerdings durch die Einnahme von Antibiotika das Bakteriengleichgewicht im Darm verändert und damit die Anzahl "guter" Bakterien reduziert ist, kann es zu einer Vermehrung von C.-difficile-Bakterien sowie zur Produktion von Toxinen durch diese Bakterien kommen. Die Toxine führen zu massiver ­Diarrhö, man spricht dann von einer C.-difficile-Infektion (CDI) oder C.-difficile-assoziierten Diarrhö (CDAD). Oft kommt es dabei zu einer ausgedehnten Kolitis (Darmwandentzündung) mit abdominalen Krämpfen und Fieber. Diese Entzündung kann so schwerwiegend sein, dass die Gefahr weiterer intestinaler Komplikationen, wie Ileus (Darmverschluss), Darmperfora­tion oder Sepsis (Blutvergiftung) besteht, die eine Operation erforderlich machen und sogar lebensbedrohlich verlaufen können.[ 2 ]

CDI kommen besonders häufig in Krankenhäusern und Pflegeheimen vor. Der Keim bildet Sporen, die außerhalb des menschlichen Körpers wochen- oder sogar monatelang überleben können und von Patient zu Patient fäkal-oral übertragen werden, z. B. durch unreine Hände des Pflegepersonals oder durch eine Kontamination der Umgebung. So finden sich Sporen z.B. auf Geländern, Bettpfannen, an Wänden, auf Böden oder in Waschbecken[ 1 ],[ 3 ],[ 4 ], da sie sogar vielen Chemikalien widerstehen, so z. B. dem Großteil aller Desinfektionsmittel und alkoholbasierten Handreinigern[ 5 ],[ 6 ].


1 European Centre for Disease Prevention and Control. Basic facts (Clostridium difficile infection) [Internet] [cite November 13 2011] Available from http://ecdc.europa.eu/EN/HEALTHTOPICS/CLOSTRIDIUM_DIFFICILE_INFECTION/BASIC_FACTS/Pages/basic_facts.aspx


2 McMaster-Baxter NL, Musher DM. Pharmacotherapy 2007; 27: 1029–1039


3 Barbut F, Petit JC. Clin Microbiol Infect 2001; 7: 405–410


4 Gould CV, McDonald LC. Critical Care 2008; 12: 1–8


5 Sunenshine R, McDonald L. Cleve Clin J Med 2006; 73: 187–197


6 Bauer MP et al. Clin Microbiol Infect 2009; 15: 1067–1079




 
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