Via medici 2012; 17(05): 3
DOI: 10.1055/s-0032-1331266
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Innere Schweinehunde

Dieter Schmid

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Publication Date:
16 November 2012 (online)

 

Die Zahl ist beschämend. Angenommen in Deutschland liegt eine Person auf dem Boden – ohne Atmung, blau angelaufen, die Augen verdreht. Wissen Sie, wie viele Menschen in einer solchen Situation stehen bleiben, um Wiederbelebungsmaßnahmen zu starten? Ganze 16 Prozent! Diese Rate nennt eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie (DGAI) [[1]]. Die Experten schätzen, dass pro Jahr bis zu 10.000 Menschen mehr gerettet werden könnten, wenn die Deutschen hier ein bisschen entschlossener wären. Besonders peinlich: Mit diesen 16 Prozent stehen wir im internationalen Vergleich außerordentlich schlecht da. In Skandinavien beginnen laut DGAI zum Beispiel 60 Prozent der Passanten eine Reanimation, wenn ein Mensch einen Kreislaufstillstand erleidet. Woran liegt es, dass so viele Deutsche es nicht hinkriegen, in einer solchen Situation ihren „inneren Schweinehund“ zu überwinden? Ich hielte es für ausgemachten Blödsinn, diesen Sachverhalt einem in den Medien oftmals beklagten Mangel an Zivilcourage zuzuschreiben. Meiner Ansicht nach sind wir nicht ängstlicher oder mutiger als andere Völker. Schaut man genauer hin, erkennt man rasch, dass die wahre Ursache, wie bei vielen Problemen, in einem Mangel an Bildung und Aufklärung liegt. So ist in Skandinavien das Thema Reanimation zum Beispiel auch in den Schulen präsent. Und Studien zeigen, das sich auch in Deutschland unter Schülern die Bereitschaft zur Beatmung und Herzdruckmassage dramatisch steigern ließe, wenn im Unterricht die Grundlagen der Wiederbelebung geübt würden [[2]]. Kein Wunder: Denn wer weiß, wie’s geht, hat auch weniger Angst, etwas falsch zu machen. Das gilt natürlich auch für junge Mediziner. Deswegen erläutern wir Ihnen in diesem Heft ausführlich die aktuellen Leitlinien zum „Basic and Advanced Life Support“ (BLS und ALS). Im Artikel „Rhythm of Life“ auf S. 38 finden Sie alles, was Sie brauchen, wenn Sie Menschen mit Herz-Kreislauf-Stillstand ins Leben zurückholen möchten.

Um „innere Schweinhunde“ ganz anderer Natur geht es im „Facharzt-Check: Psychiatrie“ auf S. 18. Die Ärzte in diesem Fach kämpfen gegen Krankheiten der fiesesten Sorte – nämlich die Leiden der Seele. Dabei räumt dieser Artikel mit einem weit verbreiteten Vorurteil auf: Psychiatrie ist keineswegs „bloßes Gerede“. Wer Wahngedanken, Depressionen und Ängste behandeln möchte, muss auch das „Soma“ seiner Patienten im Blick haben! Denn mitunter steckt hinter einer Depression eine Borreliose, hinter Angstattacken ein Phäochromozytom – und wenn ein Alkoholkranker delirant wird, braucht man notfallmedizinische Kenntnisse.

Mein Wunsch so kurz vor der Adventszeit: Mögen sich sämtliche „Schweinehunde“ – egal welcher Natur – von Ihnen fernhalten! Ich wünsche Ihnen eine friedliche Vorweihnachtszeit!

Herzlichst, Ihr

Dieter Schmid

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„Bist du dir auch ganz sicher, dass er Hilfe benötigt? Ich würde ihn ungern bei irgendwas stören ...“


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Dr. med. Dieter Schmid,
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