Schlüsselwörter
Schwangerschaft - physiologische Veränderungen - Teratogenität - „Off-lableuse“ -
Plazentapassage
Viele Medikamente sind plazentagängig – und stellen somit ein Risiko für das ungeborene
Kind dar. Trotzdem lässt es sich nicht immer vermeiden, einer Schwangeren Medikamente
zu verordnen: z. B. bei ungeplanten Krankenhausaufenthalten oder in der Geburtshilfe.
Dabei muss man jedoch die physiologischen Veränderungen während der Schwangerschaft
sowie die möglichen negativen Effekte häufig eingesetzter Substanzen auf Mutter und
Fetus berücksichtigen. Nur so kann man die Anwendung so sicher wie möglich gestalten.
Grundlagen
Medikamente zurückhaltend verordnen
Die Verabreichung von Medikamenten in der Schwangerschaft oder zur Geburtshilfe sollte
aus Verantwortung gegenüber Mutter und Kind sehr bedacht erfolgen. Die Plazenta stellt
eine nur eingeschränkte Barriere für pharmakologische Substanzen zwischen mütterlichem
und fetalem Kreislauf dar. Da sich nahezu alle eingenommenen Medikamente der Mutter
auch auf das Ungeborene auswirken, sollten potenziell fruchtgefährdende Arzneimittel
[Tab. 1] vermieden werden und eine generelle Einnahme nur zurückhaltend erfolgen. Trotzdem
kommt man nicht immer darum herum, Medikamente zu verordnen.
Tab. 1 Mod. nach [1].
Gründe für Medikamentengabe in der Schwangerschaft
Häufig notwendig wird dies im Rahmen von ungeplanten Krankenhausaufenthalten während
der Schwangerschaft oder zu geburtshilflichen Maßnahmen.
-
Etwa 0,5–2 % aller Schwangeren müssen sich pro Jahr einem nicht gynäkologischen Eingriff
unterziehen [2].
-
Zudem steigt die Rate der Schnittentbindungen an: 2008 erfolgten in Deutschland nahezu
30 % der 663 000 Entbindungen per Kaiserschnitt. Dies entspricht einer Steigerung
um etwa 12 % in den letzten 10 Jahren [3]. In speziellen neonatologischen Zentren liegt die Rate der Schnittentbindungen bereits
bei bis zu 40 % [4].
Eine Indikationsstellung zur Verabreichung von Medikamenten während der Schwangerschaft
erfolgt allerdings nicht nur aufgrund operativer Eingriffe, sondern hat vielfältigste
Ursachen.
-
Häufig bestehen bereits Verordnungen häuslicher Medikation.
-
Gelegentlich entwickeln sich schwangerschaftsspezifische Komplikationen, die eine
Einnahme von Präparaten erfordern.
Was sollte man beachten?
Aufgrund mangelnder Routine mit diesem speziellen Patientenkollektiv treten häufig
Unsicherheiten bezüglich physiologischer Veränderungen, sowie Wirkungen und Wechselwirkungen
der Medikamente auf. Oft herrscht Unklarheit über die Anwendbarkeit verschiedener
Pharmaka im Rahmen einer Schwangerschaft. Zu bedenken sind bei der Auswahl der Medikamente,
der anästhesiologischen Prozedur und Adjuvanzien:
-
Einflüsse auf die uteroplazentare Perfusion
-
teratogene oder mutagene Effekte
-
Induktion von Abort oder Frühgeburtlichkeit
-
postpartale Adaptationsstörungen (kardiozirkulatorische oder neuromuskuläre Depression)
Im Falle der Anwendung von Pharmaka während einer Schwangerschaft gilt es nicht nur,
die Erkrankung der Mutter sicher und erfolgreich zu behandeln, sondern auch, unerwünschte
nachteilige Effekte für das ungeborene Kind zu vermeiden.
Besonderheiten bei Eingriffen
Anästhesie bei Sectio
Eine nationale deutsche Umfrage aus dem Jahr 2005 zeigte, dass
Notfallsituationen, mütterliche Koagulopathie, regionale Kontraindikationen, Sepsis,
das Versagen regionaler Verfahren oder Ablehnung durch die Patientin stellen aber
weiterhin Indikationen zur Durchführung einer Allgemeinanästhesie dar.
Vorteile bieten die möglichst rasche Sicherung des Atemwegs und die geringere Rate
an Kreislaufinstabilitäten im Vergleich zu regionalen Verfahren. Nachteile ergeben
sich meist aus den Komplikationen während der Sicherung des Atemwegs.
Cave Bei Intubationsnarkosen stehen Komplikationen wie Intubationsschwierigkeiten mit
Hypoxämie, Aspiration und Awareness im Vordergrund.
OP birgt Gefahr für Fehlgeburten
Unter den nicht gynäkologischen Eingriffen bei Schwangeren ist das akute Abdomen mit
einer Inzidenz von 0,1–0,4 % beschrieben. Hier überwiegt die akute Appendizitis mit
einer Inzidenz von 0,05–0,1 %. Eine symptomatische Cholezystolithiasis (< 0,1 %) ist
bei ca. 2–4 % Gallensteinträgern mit einer sich anschließender Cholezystektomie seltener.
Auch ein akutes Abdomen aufgrund eines Ileus ist ein seltenes Krankheitsbild bei Schwangeren
(0,01–0,03 %). Als Ursache findet sich zumeist eine mechanische Störung der Darmpassage
bei Briden oder Verwachsungen.
-
Zu beachten ist, dass bei Eingriffen im 1. Trimenon die Abortrate am höchsten ist
und
-
dass bei Eingriffen im 3. Trimenon mit einer erhöhten Rate an Frühgeburtlichkeit (teilweise
bis 8 %) gerechnet werden muss [9].
Die mütterliche Mortalität ist bei chirurgischen Eingriffen insgesamt eher gering
und wird mit < 1:10 000 angegeben.
Physiologische Veränderungen während der Schwangerschaft
Kardiovaskuläres System
Das Herzzeitvolumen (HZV) nimmt während der Schwangerschaft um ca. 30–40 % zu, wobei
weniger die Herzfrequenz ansteigt als das Schlagvolumen (+30 %).
Der systemische vaskuläre Widerstand (SVR) nimmt aufgrund reduzierter Vasopressin-
und Angiotensinsensitivität ab [10].
Auch das Blutvolumen steigt um etwa 30–40 %. Hier erhöht sich v. a. das Plasmavolumen,
während sich korpuskuläre Anteile nicht in gleichem Maße verändern.
Plasmaproteine
Auch die Plasmaproteine erfahren eine gesteigerte Synthese, jedoch in Relation zur
Zunahme des Plasmavolumens quantitativ geringer.
-
Durch diese relative Hypoproteinämie verringert sich der kolloidosmotische Druck (KOD)
und bedingt eine generalisierte Ödemneigung.
-
Als Folge der Schwellung von Schleimhäuten im pharyngo-laryngealen Bereich ist mit
einer erhöhten Inzidenz an erschwerten Intubationen (etwa 4 %) zu rechnen [11].
Gerinnung
Eine Hyperkoagulabilität ist die Folge einer vermehrten Synthese der Gerinnungsfaktoren
I, II, VII, VIII, IX, X und XII. Dies soll gegen Blutverluste schützen, ist aber auch
häufig die Ursache für thrombembolische Ereignisse. Begünstigt wird dies auch durch
venöse Abflussbehinderung aus der unteren Körperhälfte durch den vergrößerten Uterus
und einer möglichen cavalen Kompression.
Eine während der Schwangerschaft abnehmende Fibrinolyse verändert sich unter der Geburt
in eine hyperfibrinolytische Aktivität [12].
Respiratorisches System
Die Atmung ist gekennzeichnet durch eine Zunahme des Atemminutenvolumens (AMV) um
ca. 40–50 % und eine gesteigerte alveoläre Ventilation um bis zu 65%. Die Atemfrequenz
steigt nur geringfügig an (bis zu 10 %). Grundlage hierfür ist der um etwa 20 % gestiegene
Sauerstoffverbrauch (VO2). Durch die Größenzunahme des Uterus erhöht sich der intraabdominelle Druck und reduziert
gleichzeitig die funktionelle Residualkapazität (FRC) um 20 %.
Gastrointestinaltrakt
Aufgrund des steigenden intraabdominellen Drucks, der Hyperazidität des Magensaftes,
einer reduzierten Motilität des Magens sowie verringertem gastroösophagealem Sphinktertonus
besteht eine erhöhte Gefahr zur Regurgitation und Aspiration.
Niere und glomeruläre Filtrationsrate
Der renale Blutfluss sowie die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) erhöhen sich während
der Schwangerschaft um bis zu 50 %. Die GFR normalisiert sich zum 3. Trimenon wieder
[13]. Es bestehen veränderte Tubulusbarrieren mit erhöhten Verlusten an Glukose und Aminosäuren.
Endokrinum
Komplexe Änderungen in Hormonhaushalt und Stoffwechselprozessen bedingen Veränderungen
des Kohlenhydrat-, Fett- und Proteinstoffwechsels zugunsten des fetalen Wachstums.
Das führt zu einer diabetogenen Stoffwechsellage bei steigenden Insulinspiegeln und
zunehmender relativer Insulinresistenz.
Uteroplazentare Perfusion
Die uteroplazentare Perfusion nimmt im Verlauf der Schwangerschaft aufgrund des Wachstums
der Plazenta zu. Gegen Ende des 3. Trimenons erreicht sie einen Blutfluss von etwa
500–700 ml/min. Er dient dem Stoffaustausch zwischen Mutter und Feten.
Die uterinen Spiralarterien speisen den intervillösen Raum der Plazenta. Fetale Trophoblasten
bilden an dieser Stelle zum intervillösen Raum die Plazentabarriere aus.
Vasokonstringierende endo- oder exogene Faktoren können durch den Einfluss des Endothels
(erhöhte Produktion an NO oder Prostazyklin) vermindert werden [10]
[12].
[Tab. 2] fasst die typischen Veränderungen in der Schwangerschaft noch einmal zusammen.
Tab. 2 Mod. nach [13].HZV: Herzzeitvolumen, AMV: Atemminutenvolumen, SVR: systemisch vaskulärer Widerstand,
FRC: funktionelle Residualkapazität, GFR: glomeruläre Filtrationsrate, VO2: Sauerstoffverbrauch, PaCO2: arterieller CO2-Partialdruck, Hb: Hämoglobin, KOD: kolloidosmotischer Druck, MAC: minimale alveoläre
Konzentration, PChe: Plasmacholinesterase
Allgemeine Probleme und Schwierigkeiten
Off-label-Use
Der Einsatz vieler Medikamente im Rahmen einer Schwangerschaft erfolgt ohne entsprechende
Zulassung durch den Hersteller im sog. „Off-label-Use“. So finden sich regelmäßig
Hinweise, dass die Applikation einer Substanz im Rahmen einer Schwangerschaft kontraindiziert
ist, bzw. die Fachinformation führt eine Schwangerschaft unter Gegenanzeigen auf.
Der zulassungsüberschreitende Einsatz muss allerdings nicht rechtswidrig sein, wenn
das zugelassene Medikament nach aktuellem Wissensstand hinreichend wirksam, die Indikation
gegeben ist und eine gleichwertige Alternative nicht zur Verfügung steht [13].
Plazentapassage
Die plazentare Austauschfläche beträgt zum Zeitpunkt der Geburt etwa 11 m2. Der Stoffaustausch erfolgt per diffusionem entlang eines Konzentrationsgradienten.
In geringerem Maße sind auch aktive, Carrier-vermittelte Transportmechanismen beteiligt
[2]. Physikochemische Eigenschaften, die einen Übertritt vom maternalen Blut in den
fetalen Kreislauf begünstigen, sind:
-
hoher Konzentrationsgradient
-
hohe Lipophilie
-
geringer Ionisierungsgrad
-
geringe Proteinbindung
-
geringes Molekulargewicht
Zudem beeinflussen anatomische sowie hämodynamische Eigenschaften der uteroplazentaren
Einheit die Plazentapassage von Medikamenten. Hierzu zählen die Plazentareife, die
plazentare Perfusion sowie der maternale und fetale Säure-Basen-Haushalt.
Für viele Pharmaka stellt die Plazenta keine Barriere dar.
Antibiotika und Antihistaminika
Antibiotika und Antihistaminika
Antibiotika
Alle außer β-Lactam-Antibiotika ungeeignet
Penicilline und Cephalosporine können aufgrund fehlender teratogener Effekte eingesetzt
werden. Kontraindiziert sind hingegen:
-
Aminoglykoside, weil sie eine fetale Oto- und Nephrotoxizität aufweisen
-
Tetrazykline, weil sie sich ab dem 2. Trimenon an Zähnen und Knochen anlagern – mit
negativen Folgen für Knochenwachstum und Gelbfärbung der Zähne
-
Chloramphenicol, weil es zum Grey-Baby-Syndrom führt
Auch von der Einnahme von Fluorchinolonen während der Schwangerschaft wird aufgrund
möglicher Knorpelschäden abgeraten. Zwar gibt die aktuelle Datenlage keine Hinweise
auf eine fetale oder neonatale Toxizität – in Tierversuchen wurde jedoch ein gestörtes
Knorpelwachstum bei Ungeborenen und Jungtieren nachgewiesen [14].
Antihistaminika
Relativ sicher
Die H2-Antagonisten Cimetidin und Ranitidin passieren bei niedrigem Molekulargewicht leicht
die Plazenta, weisen aber weder teratogene noch mutagene Effekte auf. Sie können zur
Reduktion der Magensaftazidität eingesetzt werden. Dimetinden als Vertreter der H1-Antagonisten kann während der gesamten Schwangerschaft Anwendung finden. Teratogene
Effekte sind nicht bekannt. Vor der Einleitung einer Narkose neutralisiert man den
Magensaft bei Patientinnen ab der 20. Schwangerschaftswoche häufig mit 30 ml Natriumzitrat
(0,3 M). Auch dies gilt als unbedenklich [15].
Schmerzmittel
Opiate
Gefahr der Kumulation beim Kind
In Abhängigkeit von Lipophilie und Proteinbindung passieren Opiate die Plazenta unterschiedlich
schnell und führen dosisabhängig zu postpartaler Ateminsuffizienz des Neugeborenen.
-
Bei der Verwendung von Remifentanil fällt eine neonatale Depression vergleichsweise
geringer aus. Grund ist die rasche Metabolisierung durch mütterliche, aber auch fetale
Esterasen.
-
Lipophile Opiate wie Fentanyl und Sufentanil neigen aufgrund ihrer kontextsensitiven
Halbwertszeit bei repetitiver Anwendung zur Kumulation. Dadurch erhöht sich das Risiko
einer Atemdepression des Neugeborenen.
Cave Die Halbwertszeiten von Opiaten können beim Fetus und Neugeborenen 5–7-mal länger
ausfallen als beim Erwachsenen.
In der Epiduralanalgesie
Auch epidurale Applikationen [Abb. 1] von Opiaten führen zu nachweisbaren Spiegeln im Fetus.
-
Nachteilige Effekte für das Neugeborene sind für Sufentanil bei epiduraler Anwendung
bis zu einer Tagesdosis von 30 μg nicht zu erwarten. Dosisabhängig können „späte“
Atemdepressionen nach 12–24 h auftreten (bei Sufentanil seltener, etwas häufiger bei
Morphin).
-
Pethidin, das häufig in der Geburtshilfe eingesetzt wird, überwindet als lipophile
und nur gering proteingebundene Substanz leicht die Plazentabarriere. Repetitiv angewandt,
neigt es durch eingeschränkten Metabolismus des Neugeborenen zur Kumulation und zu
Neugeborenendepression.
-
Für Morphin wurden tierexperimentell teratogene Effekte mit ZNS-Fehlbildungen beschrieben,
wohingegen beim Menschen keine teratogenen oder mutagenen Folgen bekannt wurden.
Mütterliche Hypotonien bei der Anwendung rückenmarksnaher Verfahren sind unbedingt
zu überwachen und entsprechend zu therapieren [16].
Abb. 1 Gerade in der Geburtshilfe ist die Epiduralanalgesie häufig. Meist kommt dann eine
Kombination aus Lokalanästhetikum (Bupivacain, Ropivacain) und Opioid zum Einsatz.
Achtung: Fentanyl ist dabei in Deutschland nicht zugelassen!
Empfehlung für die Praxis
Eine therapeutische, kurzfristige Opiatgabe während der Schwangerschaft wird bei strenger
Indikationsstellung als unproblematisch angesehen. Geburtshilflich ist wegen der raschen
Plazentapassage und der drohenden neonatalen Depression allerdings Vorsicht geboten.
Nichtopioid-Analgetika
Vorsicht: Prostaglandinsynthese geht zurück
Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID), Metamizol und Paracetamol passieren leicht
die Plazenta und inhibieren in unterschiedlichem Ausmaß durch unspezifische Hemmung
der Zyklooxygenase (COX) die fetale Prostaglandinsynthese. Für die pränatale Paracetamoleinnahme
besteht eine erhöhte Inzidenz an kindlichem Asthma, sofern die Mutter eine bestimmte
Variante des Antioxidans-Gens aufweist [17].
-
Eine reduzierte Prostaglandinsynthese ab der 30. Schwangerschaftswoche kann zu einem
vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli mit pulmonaler Hypertonie, folgender
Rechtsherzhypertrophie sowie reduzierter Urinproduktion und Oligohydramnion führen.
-
NSAID sind daher im letzten Trimenon kontraindiziert [11]
[18].
Eine verminderte Prostaglandinsynthese kann zudem durch den wehenhemmenden Effekt
die Geburt verzögern sowie durch Störung der Thrombozytenaggregation die Blutungsneigung
fördern [11].
Am besten: Paracetamol
Während der Schwangerschaft gilt Paracetamol als das Analgetikum und Antipyretikum
der 1. Wahl, Azetylsalizylsäure als Substanz der 2. Wahl. Bezüglich der Einnahme von
selektiven COX-II-Inhibitoren in der Schwangerschaft liegen keine ausreichenden Daten
vor. Metamizol kann zu Blutbildveränderungen sowie dem vorzeitigen Verschluss des
Ductus arteriosus führen. Es ist daher Mittel der 3. Wahl während der Schwangerschaft
und sollte bei mütterlichen Veränderungen des Blutbildes vermieden werden.
Anästhetika und Adjuvanzien
Anästhetika und Adjuvanzien
Volatile Anästhetika
Unerwünschte Wirkungen
Alle Inhalationsanästhetika haben lipophile Eigenschaften und ein geringes Molekulargewicht.
Sie passieren daher rasch die Plazenta und können dosisabhängig zu fetaler Depression
führen.
-
Eine dosisabhängige uterusrelaxierende Wirkung der volatilen Anästhetika kann bei
MAC-Werten (minimale alveoläre Konzentration) ab 1–1,5 beobachtet werden.
-
Neonatale Depressionen kommen bei MAC-Werten von 1,0 bei Sectiones caesareae dagegen
kaum vor, sind bei höheren Werten aber möglich.
-
Teratogene Effekte sind bei Verwendung volatiler Anästhetika in gebräuchlichen Dosierungen
beim Menschen nicht bekannt.
Bis zu einem MAC-Wert von 1,0 kann man Inhalationsanästhetika als unbedenklich einstufen
und unter Beachtung der Nebenwirkungen einsetzen – während der gesamten Schwangerschaft
sowie in der Geburtshilfe [19].
Lachgas vermeiden
Lachgas (N2O) zeichnet sich durch niedriges Molekulargewicht und geringe Lipophilie aus. Die
Plazentabarriere wird rasch überwunden. Fetale bzw. neonatale Depressionen sind beschrieben
und durch Diffusionshypoxie, wie auch direkte Wirkungen auf das fetale Gehirn, möglich.
Durch Oxidation des Cobalamins erfolgt die Beeinflussung des Vitamin-B12-Stoffwechsels und Hemmung der Methioninsynthetase.
-
Dies kann sich negativ auf die DNA-Synthese und die Ausbildung der Mitosespindeln
auswirken und sollte daher zum Zeitpunkt der Organogenese (bis 2. Trimenon) in der
frühen Phase der Schwangerschaft nicht erfolgen [20].
-
Im Rahmen geburtshilflicher Eingriffe sollte die Verwendung unter Berücksichtigung
möglicher neonataler Diffusionshypoxie erst nach der Abnabelung erfolgen.
Injektionsanästhetika
Thiopental ist geeignet
Bislang konnten für Barbiturate keine potenziell teratogenen oder mutagenen Eigenschaften
festgestellt werden. Aus diesem Grunde gelten die Barbiturate als sichere Medikamente
zur Narkoseeinleitung während der Schwangerschaft oder zur Geburtshilfe. Eine Passage
über die Plazenta in das fetale Blut erfolgt rasch. Eine neonatale Atemdepression
ist möglich und dosisabhängig.
Bedingt einsetzbar: Propofol
Propofol ist sehr lipophil und daher auch leicht plazentagängig. Der Hersteller rät
aufgrund mangelnder Studienlage von der Verwendung während der Schwangerschaft ab.
Dosisabhängig kann es negative Auswirkungen durch Atemdepression und reduzierten Apgar-Werten
des Neonaten verursachen. Teratogene oder mutagene Effekte wurden bislang nicht beobachtet.
-
Die Gabe von 2 mg/kg zur Narkoseeinleitung oder die kontinuierliche Gabe bis 5 mg/kg/h
scheint geringe Auswirkungen auf die uteroplazentare Perfusion oder das postpartale
Outcome des Neugeborenen zu haben.
-
In den beschriebenen Dosierungen kann Propofol unter Beachtung der möglichen Nebenwirkungen
in der Schwangerschaft und zur Geburtshilfe eingesetzt werden [Abb. 2].
Abb. 2 Für Propofol ist die Plazentaschranke kein Hindernis. Trotzdem kann es bei Operationen
auch zur Narkose bei schwangeren Patientinnen genutzt werden. Dann aber nur in niedrigen
bis moderaten Dosen.
Etomidat von Vorteil bei Kreislaufinstabilität
Das Hypnotikum Etomidat ist charakterisiert durch ein geringes Molekulargewicht und
eine geringe Proteinbindung. Die Plazenta wird schnell überwunden. Etomidat zeichnet
sich durch ausgeprägte hämodynamische Stabilität bei nur geringer Beeinflussung des
Kreislaufs aus. Teratogene oder mutagene Nebenwirkungen sind nicht bekannt. Ebenso
wurden bislang weder negative fetale noch neonatale Einflüsse beschrieben.
-
Allerdings stellte man erniedrigte Serumkortisolspiegel des Neugeborenen durch eine
reversible Hemmung der 11-β-Hydroxylase fest: Der enzymatisch katalysierte Syntheseschritt
von 11-β-Desoxykortisol zu Kortisol wird gehemmt.
-
Bereits eine einmalige Applikation von Etomidat schränkt die Kortisolsynthese signifikant
ein [21]
[22].
Diese Ergebnisse lassen sich sicherlich auch auf die neonatale Nebennierenrinde übertragen.
Bei Narkoseeinleitung können exzitatorische Phänomene in Form von Myoklonien beobachtet
werden, die ohne epileptoforme Korrelate im EEG ablaufen. Sie entstehen vermutlich
durch Aktivierung von Neuronen im Hirnstamm oder tiefer gelegenen Strukturen (spinale
Ebene).
-
Wegen der Neutralität auf die Hämodynamik bietet sich die Verwendung besonders bei
kreislaufinstabilen Patientinnen an – auch in der Schwangerschaft und Geburtshilfe.
-
Über negative Auswirkung der Nebennierenrindensuppression des Neugeborenen ist bislang
nichts bekannt.
Lokalanästhetika
Gefahr der Kumulation
Lokalanästhetika weisen unterschiedliche Lipophilie, Plasmaeiweißbindung und je nach
pKa-Wert unterschiedliche Ionisierungen auf. Je nach Konzentration, Menge und Perfusion
der Gewebe erfolgt die Absorption in das mütterliche Blut. Von dort aus ist eine leichte
Plazentapassage der basischen Substanzen möglich. Der fetale Mangel an α-1-Glykoprotein
erhöht den freien, ungebundenen Anteil des Lokalanästhetikums.
-
Ein fetaler pH im azidotischen Bereich (bei Hypoxie, Asphyxie oder eingeschränkter
uteroplazentarer Perfusion) bedingt einen höheren Ionisierungsgrad und führt aufgrund
reduzierter Rückverteilung zur Kumulation, dem sog. „ion trapping“.
Eine Kumulation von Lokalanästhetika kann kardiotoxische und zentralnervöse systemische
Nebenwirkungen verursachen.
Kein Prilocain!
Mepivacain, Lidocain und Prilocain passieren leichter die Plazenta als Ropivacain
und Bupivacain. Die üblichen Dosierungen bei rückenmarksnahen Verfahren führen zu
keinen wesentlichen toxischen Effekten für den Fetus oder das Neugeborene – mit einer
Ausnahme:
-
Bei Prilocain ist besondere Vorsicht geboten! Es führt zur Methämoglobinämie, die
sich beim Neugeborenen aufgrund mangelnder Aktivität der Zytochrom-b5-Reduktase schwerwiegender ausprägen kann [16].
-
Prilocain sollte daher in Schwangerschaft und Geburtshilfe nicht mehr eingesetzt werden!
Ropivacain und Bupivacain
In klinisch üblichen Dosierungen kann der Einsatz von Ropivacain und Bupivacain unter
Beachtung der toxischen Konzentrationen [Tab. 3] für die spinale und epidurale Anwendung empfohlen werden.
-
Ropivacain bietet sich im Vergleich zu Bupivacain aufgrund der größeren therapeutischen
Breite und geringeren Kardiotoxizität an [4].
-
Eine Kombination mit Opiaten kann ggf. die effektive Dosis und damit auch toxische
Komplikationen reduzieren.
Tab. 3 Toxische Konzentrationen der Lokalanästhetika Bupivacain und Ropivacain. Dosierungen
unterhalb der genannten Werte sind bei der Spinal- bzw. der Epiduralanästhesie (PDA)
in der Regel unproblematisch.
Benzodiazepine
Risiken
Benzodiazepine sind unterschiedlich lipophil und gelangen leicht über die Plazenta
in den fetalen Kreislauf. Da die fetale Metabolisierung nur eingeschränkt funktioniert,
können die Substanzen kumulieren. Unter Umständen sind pharmakologisch aktive Metabolite
noch nach Tagen und Wochen im fetalen Gewebe nachweisbar.
-
Benzodiazepine können zum sog. „Floppy-Infant-Syndrom“ führen. Es ist gekennzeichnet
durch Atemdepression, Hyporeflexie, schlaffem Muskeltonus, Thermoregulationsstörungen
und vermindertem Apgar-Wert beim Neugeborenen.
Allenfalls in der späten Schwangerschaft
Der Einsatz von Benzodiazepinen im 1. Trimenon kann das Risiko von Spaltbildungen
im Gesichtsbereich um das 10-Fache von 0,06 % auf etwa 0,7 % erhöhen [23].
Zudem besteht bei Einnahme in der Schwangerschaft Suchtpotenzial für Mutter und Kind.
-
In der späteren Schwangerschaft kann unter strenger Indikationsstellung die Gabe von
kurzwirksamen und gering lipophilen Benzodiazepinen (z. B. Midazolam) erfolgen.
-
Von einer Prämedikation vor einer Sectio caesarea wird abgeraten.
Ketamin
Gut – aber erst im 3. Trimenon
Ketamin ist als racemisches Gemisch (S-, R-) und als S-Enantiomer lipophil und mit
geringem Molekulargewicht leicht plazentagängig. Maternal können neben Blutdruckanstiegen,
Hypersalivation, motorischer Unruhe und psychotropen Effekten auch uterine Kontraktionen
ausgelöst werden.
-
Eine Kombination mit einem Benzodiazepin ist sinnvoll, in der Schwangerschaft jedoch
nicht optimal (s. oben).
-
Bei der Verwendung von Ketamin zur Geburtshilfe sind die geringsten Raten an Awareness
sowie die Aufrechterhaltung stabiler Kreislaufverhältnisse beschrieben.
-
Bei Asthma, chronischen Lungenerkrankungen, bei instabiler Hämodynamik oder septischem
Schock bietet sich Ketamin als Einleitungsnarkotikum (1–2 mg/kg KG) an.
Praxistipp Applizieren Sie dem Neugeborenen nach der Entwicklung 0,05–0,1 mg/kg Midazolam, um
psychotropen Effekten vorzubeugen.
Wann ist Ketamin kontraindiziert?
Ein Einsatz von Ketamin in der Frühschwangerschaft (1. und 2. Trimenon) wird wegen
der Steigerung des basalen Uterotonus nicht empfohlen. Auch stellen arterielle Hypertonien
(auch schwangerschaftsinduziert) und Präeklampsie absolute Kontraindikationen dar
[19].
Muskelrelaxanzien
Kaum plazentagängig
Als stark ionisierte und hydrophile Substanzen passieren Muskelrelaxanzien nur in
geringem Ausmaß die Plazenta. Etwa 10 % der mütterlichen Konzentration lassen sich
im fetalen Kreislauf feststellen.
Relativ sicher
Von einzelnen Atemdepressionen des Neugeborenen bei der Verwendung von Succinylcholin
ist berichtet worden. Auch eine Erhöhung des Uterotonus mit eventueller Stimulation
der Wehentätigkeit ist nach der Verwendung von Succinylcholin möglich [11].
-
Für nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien sind bislang in klinisch üblichen Dosierungen
keine fetalen oder neonatalen Depressionen beschrieben.
-
Unter Beachtung möglicher Gegenanzeigen kann die Gabe von Muskelrelaxanzien (auch
Succinylcholin) in klinisch üblicher Dosierung erfolgen.
-
Teratogene oder mutagene Auswirkungen sind nicht bekannt.
Reversierung
Um die Wirkung nicht depolarisierender Muskelrelaxanzien aufzuheben, steht für Rocuronium
und Vecuronium das modifizierte γ-Cyclodextrin Sugammadex zur Verfügung.
Vasoaktive Substanzen
Antihypertonika
Geeignete Substanzen
In der Schwangerschaft als empfehlenswert erachtet werden die Vasodilatatoren und
α-Rezeptor-Antagonisten Urapidil, Dihydralazin und Diazoxin. Für zentral wirksame
antiadrenerge Substanzen wie Clonidin, Moxonidin und α-Methyldopa gibt es widersprüchliche
Empfehlungen [24]
[25].
-
In der Therapie der schwangerschaftsinduzierten Hypertonie (SIH) bevorzugt man derzeit
Dihydralazin und α-Methyldopa.
-
Mit dem Vorteil der peroralen Einnahme kann man auch β-Blocker und Kalziumantagonisten
während der Schwangerschaft einsetzen.
Darauf sollten Sie achten
Auswirkungen auf den Feten ergeben sich durch mögliche Bradykardien, Wachstumsretardierungen
und neonatale Hypoglykämien [2]
[16].
-
Kontraindiziert sind ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten aufgrund
ihres teratogenen Potenzials (Anurie, Schädelhypoplasie, Oligohydramnion)
-
sowie Na-Nitroprussid aufgrund möglicher fetaler Zyanidbelastung.
Vor Einnahme dieser kontraindizierten Antihypertensiva sollte eine Schwangerschaft
ausgeschlossen werden. Bei einer geplanten Konzeption muss eine entsprechende Alternativtherapie
erfolgen.
Diuretika: nur im Spezialfall
Die Verabreichung von Diuretika ist wegen des Einflusses auf fetales Wachstum und
Elektrolythaushalt relativ kontraindiziert und nur speziellen Indikationen vorbehalten.
Vasokonstriktoren
Auf direkte α-Sympathomimetika verzichten
Beachten Sie bei der Therapie maternaler Hypotensionen, dass Vasokonstriktoren auf
Basis α-adrenerger Stimulation die uteroplazentare Perfusion negativ beeinträchtigen.
-
Meiden Sie daher Sympathomimetika mit direkter α-adrenerger Wirkung oder setzen Sie
diese nur mit äußerster Vorsicht ein.
-
Die Verwendung von Akrinor® – einem Kombinationspräparat aus Theodrenalin und Cafedrin mit vornehmlich β-adrenergen
Effekten und geringerer Beeinträchtigung der uteroplazentaren Perfusion – kann empfohlen
werden [2].
-
Auch für den Einsatz von Ephedrin in niedriger Dosierung zur Steigerung des arteriellen
Druckes gibt es keine Einwände.
Cave Von dem Gebrauch von Etilefrin wird abgeraten. Es sind teratogene Effekte beschrieben
[2].
Antikoagulanzien
Am besten Heparin
Das Mittel der Wahl zur Antikoagulation während der Schwangerschaft ist unfraktioniertes
Heparin. Aufgrund der Molekülgröße kommt es nicht zur Passage der Plazenta. Auch für
niedermolekulare Heparine besteht die plazentare Barriere. Eine Anwendung scheint
unbedenklich, sowie das Risiko für eine heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) und
Osteoporose reduziert [26].
Bloß keine Cumarine!
Cumarinderivate sind aufgrund ihrer teratogenen Wirkung absolut kontraindiziert. Bei
Einnahme während der Schwangerschaft kann eine typische Embryopathie resultieren (in
15–30 %), die sich kennzeichnet durch
-
Hypoplasien der Knochen,
-
vorzeitige Epiphysenkalzifizierung und
-
Entwicklungsretardierung.
-
Zudem kann es zu intrazerebralen Blutungen unter der Geburt kommen [1].
Literatur online
Das vollständige Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie im Internet:
Abonnenten und Nichtabonnenten können unter „http://www.thieme-connect.de/ejournals“ die Seite der Lege artis aufrufen und beim jeweiligen Artikel auf „Zusatzmaterial“
klicken – hier ist die Literatur für alle frei zugänglich.
Abonnenten können alternativ über ihren persönlichen Zugang an das Literaturverzeichnis
gelangen. Wie das funktioniert, lesen Sie unter: http://www.thieme-connect.de/ejournals/help#SoRegistrieren
Interessenkonflikt Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Kernaussagen
-
Für nahezu alle Medikamentenapplikationen während der Schwangerschaft kann von einer
Passage der Plazenta und folglich auch einer Wirkung auf den Feten ausgegangen werden.
-
Anästhesieverfahren während der Schwangerschaft oder zur Geburtshilfe können mit erhöhtem
Risiko und nachteiligen Auswirkungen für Mutter und Kind einhergehen.
-
Sofern möglich, sollten Eingriffe außerhalb der sensiblen Phase der Organogenese im
1. Trimenon erfolgen.
-
Ab dem 2. und 3. Trimenon erhöht sich das Risiko einer Frühgeburt.
-
Um möglichst geringe Auswirkungen auf die uteroplazentare Perfusion auszuüben, sollte
die Auswahl der einzusetzenden Medikamente vorsichtig erfolgen.
-
Bei Unklarheit über die Verwendung spezieller Präparate hilft auch die Suche über
das Internetportal http://www.embryotox.de weiter.
-
Zudem ist die Erfahrung von Geburtshelfern und behandelnden Disziplinen, ggf. auch
Pädiatern, oft von unschätzbarem Wert. Streben Sie daher eine interdisziplinäre Zusammenarbeit
unbedingt an.
Beitrag online zu finden unter http://www.dx.doi.org/10.1055/s-0032-1330932