Die grundsätzliche Bedeutung des PSA-Werts im Rahmen des Screenings und der Früherkennung
des Prostatakarzinoms wird in öffentlichen Medien zunehmend in Zweifel gezogen. Nachfolgende
diagnostische und therapeutische Maßnahmen bei Feststellung eines krankhaft erhöhten
PSA-Wertes werden kritisiert. Anlass hierzu sind nicht nur Empfehlungen der U.S. Preventive
Services Task Force vom Oktober 2011, sondern auch die im Juli 2012 im NEJM veröffentlichten
Daten der sogenannten PIVOT-Studie und der GEK-Krankenhausreport der Barmer Krankenkasse.
Die aktuell publizierte US-amerikanische PIVOT-Studie schloss 731 Männer mit klinisch
lokalisiertem Prostatakarzinom zwischen Radikaloperation und Beobachtung in einem
Zeitraum von 1994 bis 2002 ein. Das mittlere Alter der Studiengruppe lag bei 67 Jahren
und der mediane PSA-Wert bei 7,8ng/ml. Etwa 50% der Männer hatten ein nicht palpables
(cT1c) Stadium der Erkrankung, 75% wiesen einen Gleason-Score < 7 auf. Die Autoren
schlossen 40% der Tumoren als eine Erkrankung mit niedrigem Risikograd ein.
Hohe Gesamtmortalität nach 10 Jahren Follow-up in PIVOT-Studie
Hohe Gesamtmortalität nach 10 Jahren Follow-up in PIVOT-Studie
Nach einem medianen Follow-up von 10 Jahren waren 47% der Patienten in der operierten
Gruppe (n=171) und 50% in der Beobachtungsgruppe (n=183) verstorben. Die beobachtete
absolute Reduktion des Risikos um 2,9% war statistisch nicht signifikant. Auffällig
in dieser Studie ist die hohe Gesamtmortalität nach 10 Jahren. Dies deutet auf eine
hohe Komorbidität der behandelten Patienten hin. Dieses Ergebnis unterscheidet sich
wesentlich von anderen Studien, wie bspw. der kontrollierten schwedischen Vergleichsstudie
von Bill-Axelson und Kollegen, in der die Gesamtmortalität nach 12 Jahren Nachbeobachtung
bei lediglich 25% lag. Im Gegensatz zum Gesamtkollektiv verbesserte sich in der PIVOT-Studie
bei Patienten mit intermediärem Risikoprofil das Überleben durch die Operation signifikant
um 12,6% und bei Patienten mit einem PSA-Wert über 10ng/ml signifikant um 13,2%. Neben
der potenziellen Reduktion der Sterblichkeit wird die Beeinflussung der oft mit erheblichen
Symptomen verbundenen Metastasierung im Knochen im Rahmen dieser über viele Jahre
verlaufenden chronischen Tumorerkrankung oftmals vernachlässigt. Die Entwicklung von
Knochenmetastasen betrug in dieser Studie bei operierten Patienten 4,7 vs. 10,6% im
Beobachtungsarm.
Funktionserhaltende OP-Techniken zu selten eingesetzt
Funktionserhaltende OP-Techniken zu selten eingesetzt
Kritisch diskutiert wurden auch die möglichen Nebenwirkungen der Behandlung. Bei 21,4%
der operierten Männer registrierten die Autoren postoperativ Komplikationen innerhalb
der ersten 30 Tage nach der Operation. Nach 2 Jahren war die vom Patienten angegebene
Rate an Inkontinenz und Potenzstörungen in der Gruppe operierter Patienten statistisch
erhöht gegenüber der Beobachtungsgruppe. Allerdings wurde nur bei gut einem Drittel
der Patienten ein nervenschonendes, potenzerhaltendes Operationsverfahren eingesetzt.
Laut dem Bericht der Barmer GEK wird ein solches Verfahren in Deutschland bereits
bei 55% der Operationen eingesetzt. In spezialisierten deutschen Zentren liegt diese
Rate bei >80%. Konsequenterweise lag die Rate an Erektionsstörungen in der US-Studie
bei rund 80%, doch wiesen auch 44% der beobachteten Patienten eine Erektionsstörung
auf, die in diesem Alterskollektiv durchaus schon per se häufig ist. Die Inkontinenzrate
war gegenüber der Kontrollgruppe ebenfalls um rund 10% erhöht, was erneut den mangelnden
Einsatz funktionserhaltender OP-Techniken widerspiegelt.
6,5% der operierten Patienten generell unzufrieden
6,5% der operierten Patienten generell unzufrieden
Nach den aktuellen Daten der Barmer GEK und einer Befragung von 825 ihrer Prostata-Patienten
lag die Rate an inkontinenten Patienten bei 19,6%. Dennoch berichten 49% der operierten
Patienten über uneingeschränkte Zufriedenheit mit dem Behandlungsergebnis und der
Behandlungsentscheidung. Weitere 45% der Patienten gaben eine eingeschränkte Zufriedenheit
und 6,5% eine generelle Unzufriedenheit mit dem Ergebnis an.
Junge PCa-Patienten aggressiv zu therapieren kann sich lohnen
Junge PCa-Patienten aggressiv zu therapieren kann sich lohnen
Zusammenfassend ist die Bewertung von Therapieverfahren des Prostatakarzinoms sehr
komplex. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Mannes ist im Rahmen der demografischen
Entwicklung stark angestiegen und so werden immer mehr Männer mit entsprechend langer
Lebenszeitprognose auch an einem Prostatakarzinom sterben – sofern dieses unbehandelt
bleibt. Alle Daten aus kontrollierten Studien zeigen, dass es sich lohnt, bei jüngeren
Männern frühzeitig ein potenzielles Karzinom zu finden und es, wenn nötig, aggressiv
zu therapieren. Weiterhin scheint die funktionserhaltende, radikale Prostataentfernung
neben der Strahlentherapie die beste von mehreren Optionen zu sein, gleichwohl fehlen
wissenschaftlich gesehen hier abschließende Beweise. Auch die Früh- und Spätkomplikationen
der verschiedenen Therapieoptionen sind bisher nicht sauber erfasst. Ein möglicher
Weg, um die Frage nach der besten Therapieform beim gesicherten, lokal begrenzten
Prostatakarzinom zu beantworten, könnte unter anderem die PREFERE-Studie sein. Diese
Studie wird wesentlich von der DGU und der AUO mitgetragen, um die Frage des Nutzens
und der Nebenwirkungen etablierter Verfahren wie
möglichst rasch anzugehen.
Die öff entliche Medienberichterstattung lässt an der Bedeutung des PSA-Werts im Rahmen
des Screenings und der Früherkennung von Prostatakarzinomen zweifeln. Dazu bezieht
die DGU und AUO aktuell Stellung: Eine aktive Therapie mit vorheriger umfassende Aufklärung
des Patienten über potenzielle Risiken und Chancen seien einer abwartenden Haltung
klar vorzuziehen.(©Thieme / Thomas Möller (nachgestellte Situation))
PSA-Test ist wichtigstes Instrument zur Früherkennung des PCa
PSA-Test ist wichtigstes Instrument zur Früherkennung des PCa
Der PSA-Test ist nach wie vor das wichtigste Instrument für die Früherkennung von
Prostatakrebs. Patienten, bei denen auf Grund eines erhöhten PSA-Wertes ein Prostatakarzinom
mit niedrigem Risiko diagnostiziert wird, werden von deutschen Urologen analog zu
den Empfehlungen der S3-Leitlinie Prostatakarzinom nicht nur über definitive Behandlungsoptionen
wie Operation oder Bestrahlung, sondern auch über alternative Vorgehensweisen beim
Umgang mit der Erkrankung, wie etwa der aktiven Beobachtung (active surveillance)
informiert. Die sichere Abwägung zwischen Beobachtung und Operation bleibt dabei schwierig
und eine umfangreiche und komplexe Beratung und Aufklärung ist notwendig. Insbesondere
bei jüngeren Männern mit einem Prostatakarzinom niedrigen Risikos ist die frühe Therapie
mit sehr guten funktionellen und onkologischen Ergebnissen gegenüber einer zeitlich
verzögerten Therapie mit geringerem Behandlungserfolg und höheren Risiken abzuwägen.
Fazit
In Anbetracht der anhaltend hohen Mortalität des Prostatakarzinoms als dritthäufigste
Krebstodesursache beim Mann und der insgesamt steigenden Lebenserwartung scheint die
grundsätzliche Ablehnung von Früherkennung mittels PSA-Test und gegebenenfalls aktiver,
kurativer Therapie in der Medienberichterstattung fragwürdig. Demgegenüber bezieht
die DGU gemeinsam mit der AUO hier eine klare medizinethische Position im Sinne der
Prostatakarzinompatienten und plädiert für eine umfassende Aufklärung über potenzielle
Risiken und Chancen einer aktiven Therapie gegenüber einer abwartenden Haltung.
Hintergrunddaten Prostatakarzinom
Hintergrunddaten Prostatakarzinom
Das Prostatakarzinom ist mit über 60000 Neuerkrankungen pro Jahr weiterhin die am
häufigsten diagnostizierte Krebserkrankung des Mannes und steht nach Angaben des Robert-Koch-Instituts
bei der Sterblichkeit mit mehr als 12000 Todesfällen pro Jahr an 3. Stelle. Prostatakarzinome
sind pathologisch und biologisch sehr heterogen, bei dem oft langsam wachsenden Tumor
ist der Vor- oder Nachteil verschiedener Therapieoptionen meist erst nach mehr als
10 Jahren statistisch zu bewerten. Dies lässt die zur Verfügung stehenden therapeutischen
Optionen insbesondere bei Patienten mit einem Niedrigrisikokarzinom und im höheren
Alter auf den ersten Blick kritisch erscheinen.
Nach einer Pressemitteilung (DGU)