Via medici 2012; 17(04): 3
DOI: 10.1055/s-0032-1328897
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Schmerzgrenzen

Dieter Schmid

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Publication Date:
20 September 2012 (online)

 

    Was ist für Sie die größte Errungenschaft der modernen Medizin? Die Erfindung der Antibiotika? Die bildgebenden Verfahren? Der ICD-10-Schlüssel?? Mein persönlicher Favorit, weil in dieser Hitliste oft übersehen, ist die Fähigkeit der Medizin zur Analgesie! Schmerz ist nicht nur das häufigste, es ist vielleicht auch das quälendste Leitsymptom. Welch großer Fortschritt ist es, dass Ärzte heute fast jedem Patienten, der zu ihnen kommt, eine Therapie anbieten können, die diese medizinische „Kernbeschwerde“ auf ein erträgliches Maß reduziert – zumindest theoretisch. Denn die Realität sieht leider nicht ganz so rosig aus: 80% der Menschen weltweit haben von den famosen Möglichkeiten der Schmerztherapie herzlich wenig, denn sie haben keinen ausreichenden Zugang zu potenten Analgetika. In Afrika werden nur 0,2% (!) des weltweit verfügbaren Morphins verbraucht. In Burundi waren es z. B. zwischen 2007 und 2009 nur 500 g – für das ganze Land [[1]]! Doch auch in Deutschland ist die Situation nicht optimal. Viele ältere Menschen oder Pflegebedürftige leiden unbemerkt, zum Teil sind sie auch gezielt untertherapiert, weil ihre Ärzte das Suchtpotenzial von Opioiden fürchten. Wieder andere, meist Jugendliche, nehmen Analgetika wie Tilidin ein – nicht weil sie tatsächlich Schmerzen hätten, sondern weil die Substanz euphorisiert und sie sich einbilden, dass sie damit besser durch den Alltag kommen.

    Wenn Sie dazu beitragen möchten, dass der globale Schmerzpegel in den kommenden Jahren deutlich herunterreguliert wird, dann lesen Sie unseren Artikel „Schmerz, lass nach!“ auf S. 44. Er vermittelt die Grundlagen der modernen Schmerztherapie – vom WHO-Stufenschema bis zum Umgang mit dem Non-Responder-Problem bei Opioid-Applikation. Quasi hauptberuflich mit dem Thema befasst sind die Ärzte, deren Fachgebiet wir im Artikel „Wächter über Schlaf und Schmerz“ auf S. 18 vorstellen: die Anästhesisten. Sie sind heutzutage nicht mehr nur dafür zuständig, dass Patienten während OPs tief schlafen – mit Verfahren wie dem Nervus-femoralis-Katheter nach Knie-OPs können sie postoperative Schmerzen so unterdrücken, dass sie unter die Wahrnehmungsgrenze fallen.

    Um „Schmerzgrenzen“ ganz anderer Art geht es im Artikel „Wo der Rubel rollt“ auf S. 24, in dem wir die ungleiche Verteilung der Ärztegehälter in der Welt beleuchten. Ganz unten rangieren hier die Ärzte in Peru. Die Fachärzte in dem Andenstaat verdienen pro Monat gerade mal knapp 1.500 Euro. Am anderen Ende dieser Skala stehen die US-amerikanischen Fachärzte – z. B. die Orthopäden. Diese verdienen im Mittel ca. 350.000 US$ pro Jahr. Meiner Ansicht nach sind auch hier gewisse Schmerzgrenzen erreicht. Ach so: Und laut einer Umfrage fühlen sich trotzdem 53% der US-Orthopäden unterbezahlt [[2]]. Autsch!

    In diesem Sinne: Ich wünsche Ihnen einen schmerzlosen Einstieg ins Wintersemester! Herzlichst, Ihr

    Dieter Schmid

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    „... und für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie doch Schmerzen bekommen sollten: Einfach kurz klingeln – und die Schwester kommt sofort!“


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    Dr. med. Dieter Schmid,
    Redaktionsleitung



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