Vom 19.-22. September 2012 fand in Hamburg zum 6. Mal die Herbsttagung der Deutschen
Gesellschaft für Allgemein- & Viszeralchirurgie statt. Nach 2009 war die
Hansestadt schon zum 2. Mal Austragungsort der gemeinsamen Tagung der 2 wichtigsten
viszeralmedizinischen wissenschaftlichen Fachgesellschaften, der Deutschen
Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten mit der Sektion für
gastroenterologische Endoskopie (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Allgemein-
und Viszeralchirurgie (DGAV) mit ihren Arbeitsgemeinschaften.
Der gemeinsame Anspruch der Tagungspräsidenten Prof. Dr. Peter Layer (DGVS, Hamburg)
und Prof. Dr. Stefan Post (DGAV, Mannheim) war es, einen Kongress zu gestalten, der
dem intensiven wissenschaftlichen Austausch und der Vermittlung aktueller
Forschungsergebnisse genauso diente wie der Vermittlung wichtiger praxisrelevanter
Fortschritte. Auch wurde die Werbung um den qualifiziertesten Nachwuchs für die
Viszeralmedizin nicht nur gefordert, sondern in einem attraktiven und bisher nicht
dagewesenen Umfang in den Kongress integriert.
Einen Akzent setzte der Präsident der DGAV Prof. Stefan Post schon im Rahmen der
Eröffnungssitzung am Mittwochnachmittag. Im Hinblick auf den Nachwuchs- und
Ärztemangel forderte er, nicht in das bekannte Lamento einzufallen, sondern stellte
pointiert fest, dass die Ärztedichte in Deutschland im internationalen Vergleich
hoch sei, die Deutschen deutlich häufiger als ihre europäischen Nachbarn den Arzt
aufsuchten und es ein hohes Maß an Redundanzen zwischen dem ambulanten und
stationären Sektor gäbe. Seiner Meinung nach liegt die Lösung der aktuellen
Problematik nicht in „noch mehr Ärzten“, sondern im sinnvollen Ressourceneinsatz und
dem Aufbrechen nicht mehr zeitgemäßer Versorgungsstrukturen.
Ein Höhepunkt des 1. Kongresstags am Mittwoch, der traditionell von den gut besuchten
und inhaltlich hochkarätigen Postgraduiertenkursen geprägt war, war die Verleihung
der Walter-Kausch-Medaille an Keith D. Lillemoe, den Direktor des Department of
Surgery des Massachusetts General Hospital und Professor an der Harvard Medical
School, Boston, USA. Professor Lillemoe, der seine akademische und chirurgische
Ausbildung an der Johns Hopkins Universität Baltimore erhielt, war von 2003 bis 2011
Leiter der Chirurgischen Klinik an der Indiana Universität in Indianapolis, bevor
er
an die Harvard Medical School berufen wurde. Durch seine umfangreiche
wissenschaftliche und klinische Expertise im Bereich benigner und maligner Pankreas-
und Gallenwegserkrankungen steht Professor Lillemoe als 1. US-amerikanischer Träger
der Walter-Kausch-Medaille in einer Linie mit den vorhergehenden Preisträgern Prof.
Ihse, Lund, Schweden, Prof. Trede, Mannheim, und Prof. Beger, Ulm. Und so würdigte
Prof. Lillemoe in seinen Dankesworten auch die besonderen Verdienste von Walter
Kausch, der bereits 1909 und damit 25 Jahre vor Allen O. Whipple, die 1. partielle
Duodenopankreatektomie durchführte.
Die klassischen Kongresstage Donnerstag und Freitag standen ganz im Zeichen
wissenschaftlicher Vorträge. Hierbei reichte das angebotene Spektrum von den
wissenschaftlichen Grundlagen bis zu aktuellen Leitlinienempfehlungen.
Auch schon in guter Tradition wurden die 11 Arbeitsgemeinschaften der DGAV in die
Kongressplanung eingebunden und richteten eigenständig AG-Sitzungen aus, in denen
die aktuellen Fragen und Techniken des jeweiligen Schwerpunkts diskutiert wurden.
Sehr positiv wurde aufgenommen, dass die Kongressteilnehmer mit maximal 3 parallel
laufenden chirurgischen Hauptsitzungen mit jeweils unterschiedlichen
Themenschwerpunkten die Möglichkeit hatten, ihr individuelles Kongressprogramm
entsprechend der jeweiligen Interessen zu gestalten. Hierbei war auch die kostenlose
Kongress-App für Smartphones eine viel genutzte Hilfe.
Besonders großes Interesse fanden die Vorträge mit ganz praktischem Bezug wie die
Sitzung: „Chirurgie des Häufigen: Was ist wirklich evidenzbasiert?“ oder die
Sitzungen mit aktiver Teilnahme aller Zuhörer. Die 2 DGAV-TED-Sitzungen zum
Themenschwerpunkt „Komplikationsmanagement“ übertrafen nicht nur das
Fassungsvermögen der Säle bei Weitem. Auch inhaltlich waren die Fallpräsentationen
vor dem hochkarätigen Expertengremium mit der Möglichkeit der interaktiven Teilnahme
eine Bereicherung für alle Zuhörer – vom Medizinstudenten bis zum emeritierten
Ordinarius –, was die regen Diskussionen bewiesen.
Ohnehin stand die Nachwuchsförderung ganz im Fokus der diesjährigen Viszeralmedizin.
Erstmalig wurde ein Tutorenprogramm für Medizinstudenten der klinischen Semester
angeboten. In Begleitung eines erfahren Fach- oder Oberarztes besuchten die
Studenten in Kleingruppen ausgewählte Sitzungen, die gezielt vor- und nachbereitet
wurden. Durch eine bunte Mischung verschiedener gastroenterologisch-endoskopischer
und viszeralchirurgischer Sitzungsthemen wurde so den Studenten die Vielfalt der
Fächer nähergebracht.
Als weiterer Aspekt der Nachwuchsförderung konnten auch die neu geschaffenen
Kurzvortragssitzungen gesehen werden. Anstelle der konventionellen Posterbegehungen
wurden erstmalig alle angenommenen Abstracts als kompakte Vorträge in eigenen
Sitzungen präsentiert. Von Donnerstag 8:30 Uhr bis Freitag 19:00 Uhr tauschte sich
der wissenschaftliche Nachwuchs in 11 Kurzvortragssitzungen quer durch alle
viszeralchirurgischen Themenbereiche aus – von anspruchsvollen, onkologischen Themen
bis zu klinisch-herausfordernden Kasuistiken. Um den besonderen Stellenwert dieser
Sitzungen noch weiter zu betonen, hatte der DGAV-Vorstand für jede der 11 Sitzungen
einen mit 300 Euro dotierten Vortragspreis ausgelobt.
Im Zentrum standen auch in diesem Jahr die interdisziplinären Sitzungen. Hierbei
wurden klinisch relevante Themen wie die Obstipation genauso beleuchtet wie die
großen Themen der Viszeralmedizin. In kompakten Update-Sitzungen konnten sich die
Teilnehmer über die aktuellsten wissenschaftlichen und klinischen Entwicklungen zu
Themen wie den Malignomen des Gastrointestinaltrakts bis hin zu den
chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen austauschen.
Neben den wissenschaftlichen, viszeralmedizinischen Schwerpunkten der Herbsttagung
wurden aber auch alternative Themenfelder besetzt. Besonders reges Interesse weckte
die Sitzung „‚Der zerbrochene Krug’ – Recht in der Viszeralmedizin“, hier
beleuchteten die Referenten Themen wie Aufklärungsfehler, Delegation ärztlicher
Tätigkeiten und Hygienemängel mit ihren rechtlichen Folgen.
Neben den Vortragspreisen wurde unter allen 173 eingereichten chirurgischen Abstracts
zum 5. Mal der mit € 2000 dotierte Carl-Langenbuch-Preis für den inhaltlich, formal
und sprachlich besten freien Vortrag vergeben. Hier konnte Frau Dr. Petra Kühn,
Oberärztin an der Chirurgischen Klinik des
Universitätsklinikums/Knappschaftskrankenhauses Bochum mit ihrem Vortrag
„Arbeitsbedingungen in der Chirurgie – was wir besser machen können“ überzeugen.
Der Samstag stand dann ganz im Zeichen der Interdisziplinarität und der Übergabe des
Staffelstabs an den kommenden Präsidenten der DGAV, Professor Dr. Matthias Anthuber
aus Augsburg. In der Abschlusssitzung „Highlights aus der Viszeralmedizin 2012“
betonten die künftigen Kongresspräsidenten der Viszeralmedizin 2013 in Nürnberg ihre
Höhepunkte des vergangenen Jahres. Für Professor Anthuber war dies insbesondere die
Leberchirurgie, die unter anderem mit dem In-situ-Splitt-Verfahren als innovativem
Therapieansatz die Grenzen der Resezierbarkeit von Leberprozessen neu zu definieren
scheint. Ebenso spannend fand er die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt einer
Cholezystektomie bei akuter Cholezystitis. Mit Verweis auf die deutsche ACDC-Studie,
der größten prospektiv-randomisierten Studie zu diesem Thema, zeigte er, dass es nun
endlich klare Evidenz für eine frühe Cholezystektomie gibt. Rückblick und Ausschau
zugleich waren auch Professor Anthubers Ausführungen zum Stellenwert der
laparoskopischen kolorektalen Chirurgie. Hierzu betonte er, dass sich die
laparoskopischen Techniken auch in der Chirurgie kolorektaler Malignome langsam
etablieren. Er vermisse jedoch diesbezügliche Daten über die Situation in
Deutschland.
Nicht weniger relevant, aber mit einem Schmunzeln vorgetragen und so auch vom
Auditorium aufgenommen, waren seine abschließenden Worte zur Ausbildung des
chirurgischen Nachwuchses, vom Studenten zum „Homo chirurgicus“.
Den Schlusspunkt dieser Highlight-Sitzung aber setzte ein Internist. Professor
Gerken, der DGVS-Kongresspräsident 2013, stellte klar, die Viszeralmedizin 2012
selbst war ein Highlight.