Therapieziel
Hauptziel der Behandlung ist die anatomische und funktionelle Wiederherstellung der
Hand unter Berücksichtigung des Frakturtyps und evtl. Begleitverletzungen [8], [9]. Operiert werden die per
se instabilen Flexionsfrakturen sowie instabile Extensionsfrakturen, wenn hier
mindestens 2 von 6 Instabilitätskriterien vorliegen [14]
([Tab. 1]). Durch die OP sollen die Böhler-Winkel,
die radiale Länge sowie die stufenfreie Gelenkfläche wiederhergestellt und
ligamentäre Begleitverletzungen mitversorgt werden [9].
Tab. 1 Instabilitätskriterien bei distalen
Radiusextensionsfrakturen nach Jupiter.
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OP-Zeitpunkt
Alle grob dislozierten oder Luxationsfrakturen werden unter Anästhesie
schnellstmöglich reponiert und dann zeitnah operiert [6], [12]. Offene Brüche oder Störungen des N.
medianus müssen notfallmäßig operiert werden.
OP-Verfahren
Osteosynthese mit Kirschner-Drähten/kanülierten Schrauben [4], [14]
Bei guter Knochenqualität können mit diesem Verfahren stabile A2-, instabile A3-,
B1- und C1-Frakturen versorgt werden. Nach Armtischlagerung wird unter
Anästhesie geschlossen unter Bildwandlerkontrolle reponiert und über kleine
Hautinzisionen über dem Processus styloideus radii unter Schutz einer Bohrhülse
1,6- oder 1,8-mm-Kirschner-Drähte bzw. eine kanülierte 2,7- oder 3,5-mm-Schraube
eingebracht. Man unterscheidet eine intrafokale Drahtplatzierung nach Kapandji
von einer extrafokalen Drahtplatzierung nach Willenegger. Die Drähte werden
umgebogen und wie Schrauben subkutan versenkt. Zur Nachbehandlung ist für meist
4 Wochen eine Ruhigstellung im Fixateur externe, im Gips oder in einer Orthese
erforderlich. Drähte können nach 6 Wochen entfernt werden, Schrauben nur bei
Bedarf. Bei korrekter Indikation und technischer Durchführung können gute
Ausheilungsergebnisse erzielt werden. Nachteilig ist die Notwendigkeit der
Drahtentfernung, das Risiko einer sekundären Dislokation oder
Implantatlockerung, evtl. Infektion, insbesondere bei schlechter
Knochenqualität. Insofern kann die Osteosynthese mit Kirschner-Drähten bei alten
Patienten nur ausnahmsweise empfohlen werden.
Die Osteosynthese mit Kirschner-Drähten kann bei alten Patienten nur noch
ausnahmsweise empfohlen werden
Fixateur externe
Bei polytraumatisierten Patienten und/oder Frakturen nach Hochenergietrauma mit
höhergradig geschlossenem oder offenem Weichteilschaden ist die meist temporäre
Ruhigstellung von A3-Frakturen, aber insbesondere von komplexen intraartikulären
Frakturen im Fixateur externe angezeigt [14]. Unter
Nutzung des Prinzips der Ligamentotaxis können so gute Repositionsergebnisse
erzielt werden. Ein im Fixateur externe durchgeführtes CT erlaubt eine sehr
genaue Planung der definitiven Versorgung (3-Stufen-Konzept nach Rikli):
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Reposition und Fixateur externe
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CT
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definitive Versorgung
Nach Stichinzisionen über dem MC2 radiodorsal werden 2 Schanz-Schrauben der
Stärke 3 mm nach Vorbohren mit einem 2-mm-Bohrer eingedreht. Gleiches Vorgehen
am distalen Radius ca. 10 cm proximal des Processus styloideus radii. Dieses
Vorgehen erlaubt eine spätere Plattenosteosynthese von dorsal oder palmar bei
liegendem Fixateur. Spätestens nach etwa 10 Tagen muss zur Schonung der
ligamentären Strukturen der Längszug evtl. nachgelassen werden. Im Fixateur
externe sollte nicht länger als 6 Wochen behandelt werden, idealerweise erfolgt
nach einigen Tagen die offene Reposition und interne Osteosynthese. Wie bei der
KD-Osteosynthese besteht das Risiko von Lockerung und/oder Infektion der
Schanz-Schrauben, insbesondere bei schlechter Knochenqualität [14].
Plattenosteosynthese nach dem 3-Säulen-Modell ([Abb. 1])
Abb. 1 Drei-Säulen-Modell.
Die plattenosteosynthetische Versorgung distaler Radiusfrakturen sollte gemäß dem
3-Säulen Modell nach folgenden Grundsätzen erfolgen: alle 3 Säulen sollten
stabil resp. stabilisiert sein; die radiale Säule kann sowohl von dorsal als
auch von palmar abgestützt werden; die intermediäre Säule ist der Schlüssel zum
radiokarpalen Gelenk, die formale Revision der Gelenkfläche erfolgt über eine
dorsale Arthrotomie; dorsoulnares und palmar-ulnares Fragment sollen individuell
angegangen werden; ein hyperextendiertes palmares Fragment sollte von palmar
angegangen werden; stellt sich ein disloziertes dorsoulnares Fragment mit
Ligamentotaxis nicht ein, wird es von dorsal angegangen. Das Ziel der
Osteosynthese ist die stabile Fixation im Hinblick auf eine frühfunktionelle
Nachbehandlung. Verwendet werden heute ausschließlich winkelstabile
Plattensysteme.
Die Indikation zur dorsalen Plattenosteosynthese hat sich nach Einführung
kleinerer Plattensysteme im 2,0- bis 2,7-mm-Format oder in der
Doppelplattentechnik mit einem 2,4-mm-System deutlich erweitert [7], [9]. Dabei wird über
einen längs verlaufenden dorsalen Hautschnitt das Retinaculum extensorum
freigelegt. Nach z-förmiger Inzision über dem 3. Strecksehnenfach (bedarfsweise
auch unter dem 2. oder 4. Strecksehnenfach) wird die Sehne des M. extensor
pollicis longus herausgelöst und die Fraktur dargestellt. Größere knöcherne
Defekte können mit Spongiosa oder Knochenersatzmaterial aufgefüllt werden. Die
frühfunktionelle Nachbehandlung wird angestrebt. Die Anwendung einer
konfektionierten Handgelenksorthese für ca. 4 Wochen wird empfohlen ([14], [Abb. 4]). Probleme
können Sehnenirritationen bis hin zu Sehnenrupturen hervorrufen. Nachteilig ist
an jeder Form der dorsalen Plattenosteosynthese die Zugangsmorbidität mit der
Mobilisierung von Strecksehnen und die meist notwendige Metallentfernung ([Abb. 2]).
Abb. 2 a bis d Plattenosteosynthese von dorsal, Pat. C. B.,
23 J., M. a 23-C2, b CT sagittal,
c Plattenosteosynthese (2,4 mm) von dorsal und radial,
d Funktion.
Abb. 3 a bis e Patient K. L., 39 J., Leitersturz. C2-Fraktur,
palmare winkelstabile Plattenosteosynthese (2,4/2,7 mm). a 23-C2,
b FixEx – ORIF, Entfernung FixEx nach 10 Tagen, c + 2
Jahre, d ME + 1 J., e Funktion.
Abb. 4 Konfektionierte Handgelenksorthese (Manoloc – Fa.
Bauerfeind).
Mit der palmaren Plattenosteosynthese können, insbesondere nach Einführung
der winkelstabilen Implantate, nahezu alle instabilen Flexions- und
Extensionsfrakturen behandelt werden [1], [3], [5], [10], [12], [13], [14]. Lediglich bei
hochgradig instabilen, intraartikulären Trümmerbrüchen vom Extensionstyp (C3)
kann dieses Verfahren überfordert werden und den Einsatz einer evtl.
zusätzlichen Versorgung von dorsal notwendig machen. Über den radiopalmaren
Zugang zum distalen Radius werden Flexionsfrakturen nach dem
Abstützplattenprinzip versorgt. Unter Verwendung von winkelstabilen
Plattensystemen werden auch Extensionsfrakturen nach dem Prinzip des internen
Fixateurs behandelt. Dabei werden die Kräfte aus der subchondralen Schicht der
distalen Radiusgelenkfläche von der winkelstabilen Platte aufgenommen und
proximal der Fraktur wieder in den Radius eingeleitet. Die Platzierung des
Implantats geschieht über einen längs verlaufenden Hautschnitt ulnar der
A. radialis. Die Sehne des M. flexor carpi radialis wird dargestellt und nach
ulnar gehalten. Nach Spaltung der Unterarmfaszie werden die Beuger ohne
Darstellung des N. medianus ebenfalls nach ulnar gehalten und der Pronator
quadratus von seinem radialen Ansatz abgetrennt. Die nun freiliegende Fraktur
kann über 2 grundsätzlich verschiedene Wege reponiert und stabilisiert werden.
Einmal direkt über eine schrittweise Reposition der Fragmente und die
abschließende Platzierung der Platte, wobei sich hier Implantate mit
multidirektionaler Winkelstabilität bewährt haben. Als 2. Variante kommt eine
indirekte Reposition mit der winkelstabilen Platte selbst infrage. Hier werden
im 1. Schritt die winkelstabilen Elemente im Querschenkel der Platte subchondral
verankert und dann wird erst durch das Heranführen des Längsschenkels an den
Radiusschaft die eigentliche Reposition herbeigeführt. Eine Spongiosaplastik bei
knöchernen Defekten ist seit Einführung winkelstabiler Plattensysteme nur
ausnahmsweise angezeigt.
Am Ende der palmaren Plattenosteosynthese wird immer häufiger der M. pronator
quadratus zu refixieren versucht.
Flexionsfrakturen werden durch palmare Plattenosteosynthesen übungsstabil
versorgt und sollten lediglich bis zur gesicherten Wundheilung auf einer volaren
Schiene ruhen. Extensionsfrakturen lassen sich unter Verwendung von
winkelstabilen Implantaten mit streng subchondral platzierten Kraftträgern
ebenfalls übungsstabil versorgen. Auch hier kann nach Konsolidierung der
Weichteile mit der frühfunktionellen Beübung begonnen werden. Lediglich bei
hochgradig instabilen Frakturen mit Osteoporose sollte für 2–4 Wochen eine
zusätzliche Ruhigstellung im Fixateur externe oder Orthese ([Abb. 4]) erfolgen. Die ME ist nur ausnahmsweise
erforderlich. Nach anatomischer Reposition, winkelstabiler Plattenosteosynthese
und frühfunktioneller NB werden in der Literatur überwiegend gute und sehr gute
Ergebnisse beschrieben ([6], [13], [14], [Abb. 3]). Eine typische Komplikation der palmaren
Plattenosteosynthese sind Strecksehnenirritationen bei dorsal überstehenden
Schraubenspitzen. Das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) wird nach
schonender Reposition und frühfunktioneller Beübung nur noch in Einzelfällen
angetroffen [12].
Marknagel
Eine relativ neue Entwicklung zur Behandlung von distalen Radiusfrakturen ist die
intramedulläre Retention mit einem winkelstabilen Nagel-Platten-Hybridsystem. Es
wird gegenwärtig vorzugsweise für instabile extraartikuläre Frakturen (A3)
verwendet. Einzelne evaluierte Ergebnisse liegen vor [2].
Spezielle postoperative Komplikationen
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Strecksehnenirritationen bzw. Rupturen werden durch Implantate bei der
dorsalen Plattenosteosynthese selbst oder durch dorsal überstehende
Schraubenelemente bei der palmaren Plattenosteosynthese verursacht.
Diese werden durch Implantatkorrektur, ME und bedarfsweise durch Naht
oder Plastik behandelt. Verhindert werden können diese Komplikationen
durch die völlig ausreichende monokortikale Verankerung der von palmar
eingebrachten Plattenelemente [6], [13], [14].
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Beugesehnenläsionen (z. B. Flexor pollicis longus) können durch die
palmare Plattenlage begünstigt werden. Verhindert werden kann dies,
neben der korrekten mittigen Plattenlage und der Verwendung von
Implantaten mit geeignetem Schrauben- und Plattendesign, auch durch die
häufig mögliche [11] und immer häufiger
geübte Refixation des M. pronator quadratus.
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Zur Vermeidung eines postoperativen Karpaltunnelsyndroms sollte für die
palmare Plattenosteosynthese der radiopalmare Zugang ohne Freilegung des
N. medianus gewählt werden. Eine regelhafte Karpaltunnelspaltung ist
nicht indiziert [6], [12].
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Das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) tritt häufiger nach
mehrfachen Repositionsmanövern, Nervenirritationen und bei
fortbestehender schmerzhafter Fehlstellung sowie einer längeren
Immobilisierung auf. Als beste Prophylaxe gilt die schonende
schmerzfreie Reposition und übungsstabile operative Retention mit
frühfunktioneller Beübung [6], [14].
Begleitverletzung
Am Ende jedes operativen Eingriffs ist die kinematografische Untersuchung unter
BV zum Ausschluss von stabilitätsgefährdenden Begleitverletzungen obligat [14]. Zwei Drittel aller distalen Radiusfrakturen
zeigen karpale, radioulnare und ulnokarpale Begleitverletzungen, wobei lediglich
die Hälfte eine klinische Relevanz besitzt.
Am Ende jedes operativen Eingriffs ist die kinematografische Untersuchung
unter AV zum Ausschluss von stabilitätsgefährdenden Begleitverletzungen
(z. B. SL-Dissoziation) obligat.
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Nur bei einer relevanten ulnaren Instabilität können refixationsfähige,
basisnahe Abbrüche des Processus styloideus ulnae mit KD oder einer
kleinen Zuggurtung refixiert und 4 Wochen ruhig gestellt werden [10].
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Bei Läsionen des intrinsischen Bandapparats sollte die statische
Instabilität der skapholunären (SL) und lunotriquetralen (LT) Bänder
durch offene Naht bzw. Refixation und eine temporäre KD-Transfixation
behandelt werden. Die zusätzliche Ruhigstellung im Unterarmgips sollte
6–8 Wochen andauern [9].
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Selten sind distale Radiusfrakturen mit Skaphoidfrakturen kombiniert.
Hier finden dann je nach Frakturtyp vorzugsweise offene und
minimalinvasive Osteosyntheseverfahren zur Sicherstellung einer
möglichst frühzeitigen Beübung Anwendung. Eine initial einsetzende
Medianussymptomatik muss neben einer sofortigen Frakturversorgung über
einen palmaren Zugang auch eine Neurolyse des N. medianus und
Karpaltunnelspaltung beinhalten.
Fazit
Mit der deutlich rückläufigen Toleranz von Fehlstellungen und der Verwendung
winkelstabiler Implantate werden zunehmend bessere Ergebnisse nach operativer
Behandlung der distalen Radiusfraktur beschrieben. Dabei gilt der anatomischen
Reposition und übungsstabilen Retention alle Aufmerksamkeit. Dorsale wie v. a.
palmare Plattenosteosynthesen ermöglichen dieses Vorgehen. Gelenkstufen über 1 mm,
ein Ulnavorschub von über 2 mm und eine Verkippung der Radiusbasis um mehr als 10°
stellen Präarthrosen dar und sollten heute nicht mehr toleriert werden.