Einleitung
Mit zunehmendem Alter steigt – insbesondere bei Frauen – die Wahrscheinlichkeit für
das Vorliegen einer verminderten Knochenqualität und -stabilität durch die
Osteoporose. Der Knochenum- und -abbau kann am distalen Radius gut dargestellt
werden. Durch Ausdünnung und Rarefizierung der Trabekel wird die Spongiosastruktur
beim älteren Menschen erheblich minimiert ([Abb. 1])
[6].
Abb. 1 Darstellung der trabekulären Struktur des distalen Radius im
Sagittalschnitt beim Jugendlichen (links) im Vergleich zum älteren Patienten
(rechts).
Die im Alter vermehrte Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankungen mit begleitender
orthostatischer Dysregulation und daraus folgenden Schwindelattacken erhöht gerade
beim älteren Menschen die Sturzgefahr deutlich. Das Parkinson-Syndrom oder
Polyneuropathien, z. B. als Folge eines langjährigen Diabetes mellitus, führen zu
ausgeprägten Gangunsicherheiten. Die Einnahme neurotroper Medikamente (z. B.
Antidepressiva, Schlafmittel) verstärkt diese Effekte weiterhin.
Die altersbedingt schwächere Muskulatur, die Verringerung der Reaktionsfähigkeit und
der Reflexe sowie die durch degenerative Vorgänge verringerte Gelenkbeweglichkeit
führen dazu, dass der Sturz häufig nicht mehr hinreichend und rechtzeitig abgefangen
werden kann. Der osteoporotisch veränderte Knochen hat weder die notwendige
Festigkeit noch die Elastizität, den einwirkenden Kräften standzuhalten, und es
kommt wesentlich leichter zur Fraktur [1].
Hauptteil
Generelles
Bei der Versorgung von distalen Radiusfrakturen des älteren Menschen müssen
verschiedene Punkte in die Therapieplanung einfließen.
Neben der genauen Darstellung der Frakturmorphologie ist die Kenntnis des
sozialen Umfelds genauso wichtig wie das Wissen um Komorbiditäten, die den
Heilungsverlauf negativ beeinflussen können.
Im Rahmen der Behandlungsplanung muss der Chirurg entscheiden, ob der Patient in
der Lage ist, ein u. U. restriktives Mobilisationsschema zu befolgen. Die
Therapie wird unter Zusammenschau aller Aspekte unter Berücksichtigung des
Alters und des Allgemeinzustands individuell für jeden Patienten einzeln
festgelegt. Grundlage für eine adäquate Behandlung älterer Patienten ist eine
interdisziplinäre Zusammenarbeit von Chirurg, Anästhesist und Geriater. Gerade
in den letzten Jahren hat sich das Aktivitätsniveau der älteren Patienten und
somit auch der funktionelle Anspruch an die Hand verändert. Diesen gestiegenen
Ansprüchen bei einem immer größer werdenden Anteil in der älteren Bevölkerung
sollte bei der Therapieplanung Rechnung getragen werden. Bei der Fraktur des
distalen Radius beim alten Menschen kommt es zu einer irreversiblen Stauchung
der schon osteoporotisch ausgedünnten Spongiosa, die im Rahmen der Reposition
nach „Entstauchung“ der Fraktur als knöcherner Defekt deutlich wird.
Daher gilt im höheren Alter besonders der Ausspruch: „Eine Fraktur, die reponiert
werden muss, sollte auch operiert werden.“
Die Altersgrenze für eine „stabile“ Reposition liegt etwa bei 50 Jahren.
Eingestauchte Radiusfrakturen jenseits dieser Altersgrenze sintern zu einem
großen Anteil wieder auf die ursprüngliche frakturbedingte Fehlstellung zurück
[5]. Diagnostisch sollte die Indikation zur
Dünnschicht-CT-Untersuchung des Handgelenks bei Verdacht auf intraartikuläre
Frakturen zur besseren Planung der Versorgung großzügig gestellt
werden.
Therapie
Zeitfenster
Wie bei nahezu allen frischen Verletzungen empfiehlt sich besonders beim älteren
Patienten eine zügige Versorgung frischer distaler Radiusfrakturen. Bei
Patienten, die unter dauerhafter Marcumartherapie stehen, sollte die
Antikoagulation auf Heparin umgestellt werden. Je nach Operationsdringlichkeit
kann der INR nach Rücksprache mit den Gerinnungsphysiologen durch
Gerinnungsprodukte (z. B. PPSB) akut oder durch Vitamin-K-Substitution langsam
angehoben werden. Die besten Eigenschaften für eine operative Therapie bietet
das Gewebe innerhalb der ersten 6 Stunden [6]. Später
wird die Präparation durch die Gewebsschwellung und Verhärtung sowie durch in
Organisation befindliche Hämatome deutlich schwieriger. Zudem wird nach etwa 1
Woche die Knochenqualität noch weiter durch ein „Aufweichen“ des im Hämatom
liegenden Knochens schlechter, sodass die Schrauben fast ohne Bohrer eingedreht
werden können. Ist eine zügige operative Versorgung nicht möglich, sollte
zunächst die Ruhigstellung in einer Schiene erfolgen. Bei stark dislozierter
Fraktur sollte diese unter adäquater Analgesie zunächst im Mädchenfänger
ausgehangen, reponiert und anschließend in einer Unterarmschiene ruhig gestellt
werden. Bei hochgradig instabilen Frakturen, die auch in einer Unterarmschiene
nicht hinreichend stabil gehalten werden können, bietet sich überbrückend die
Anlage eines handgelenksübergreifenden Fixateur externe ([Abb. 2]) an. Im Anschluss sollte die Zeit zur Durchführung intensiver
abschwellender Maßnahmen – wie Lymphdrainage und AV-Kompression – genutzt
werden. Die definitive operative Versorgung sollte dann innerhalb von 7 Tagen
erfolgen.
Abb. 2 Patientin mit angelegtem handgelenksübergreifendem Fixateur
externe bei distaler Radiusfraktur.
Konservative Therapie
Die konservative Therapie sollte v. a. bei gering oder nicht dislozierten
distalen Radiusfrakturen erwogen werden.
Die Reposition muss unter adäquater Analgesie erfolgen. Hierzu bieten sich die
Bruchspaltanästhesie, die intravenöse Regionalanästhesie nach Bier, die
Plexusanästhesie oder die Allgemeinnarkose an.
Operative Therapie
Jede stärker dislozierte oder instabile distale Radiusfraktur sollte operativ
versorgt werden. Die Entscheidung, ab welchem Grad der Dislokation die Operation
durchgeführt werden soll, trifft letztendlich der Chirurg, wobei die Kenntnis
des sozialen Umfelds und der Komorbiditäten des Patienten in die Therapieplanung
mit einfließen müssen. Zur Versorgung der distalen Radiusfraktur stehen
verschiedene OP-Verfahren zur Verfügung.
Anästhesie
Die operative Versorgung distaler Radiusfrakturen erfolgt in Allgemein- oder
Plexusanästhesie, wobei Letzterer v. a. beim älteren Menschen aufgrund ihrer
geringen Komplikationsrate und der geringen Invasivität Vorzug gegeben werden
sollte.
Der Eingriff erfolgt in Rückenlage, während der zu operierende Arm auf einen
Handtisch in 90°-Abduktion ausgelagert ist. Durch diese Lagerung kann sowohl die
palmare als auch die dorsale Seite des Radius adressiert werden.
Kirschner-Draht-Osteosynthese
Diverse Techniken der Kirschner-Draht-Osteosynthese (wie z. B. nach Willenegger)
ermöglichen eine minimalinvasive Retention der distalen Radiusfraktur. Der
Reposition einzelner (gerade intraartikulärer) Fragmente sind bei diesem
Verfahren jedoch Grenzen gesetzt. Besonders beim osteoporotischen Knochen
besteht die Gefahr der Lockerung der K-Drähte mit sekundärem Korrekturverlust.
Bei Anwendung dieses Verfahrens ist präoperativ streng zu prüfen, ob der Patient
in der Lage ist, eine lang andauernde Gipsruhigstellung zu tolerieren (Cave:
Gefahr der Reflexdystrophie!).
Fixateur externe
Neben der Notfallstabilisierung eignet sich der handgelenksübergreifende Fixateur
externe in einigen Fällen auch bei alten Menschen zur Ausbehandlung komplexer
Frakturen. Hierbei werden je 2 Schanz-Pins im Radiusschaft und im Schaft des 2.
Mittelhandknochens verankert und nach geschlossener Reposition der Fixateurbody
montiert. Zur zusätzlichen Stabilisierung kann die Fraktur mit perkutanen
K-Drähten stabilisiert werden. Auch hier besteht das Problem der Pinlockerung im
osteoporotischen Knochen. Der Fixateur bleibt bei diesem Verfahren bis zur
Frakturheilung in situ. Eine frühfunktionelle Nachbehandlung ist unmöglich.
Gerade dem an Demenz erkrankten älteren Patienten ist häufig eine langzeitige
Behandlung im Fixateur externe nicht zuzumuten, da hier eine hohe Gefahr der
akzidentiellen Selbstverletzung besteht. Auch die im postoperativen Verlauf
durchzuführende Pflege der Pineintrittstellen ist besonders für den älteren
Patienten schwierig.
Plattenosteosynthese
Die meisten distalen Radiusfrakturen können mittels der palmaren winkelstabilen
Plattenosteosynthese anatomisch rekonstruiert und stabil versorgt werden. Auch
erlaubt diese Art der Versorgung bei fehlenden Begleitverletzungen eine
frühfunktionelle Nachbehandlung. Die Verbesserung des Implantatdesigns, z. B.
die polyaxiale Einbringung der Schrauben, hat dazu geführt, dass auch
intraartikuläre Frakturen mit dorsaler Trümmerzone allein durch den palmaren
Zugang stabil versorgt werden können. Exemplarisch ist diese Versorgung anhand
eines Fallbeispiels einer 60-jährigen Patientin in den [Abb. 3]–[11] dargestellt. Wir wählen zur
Versorgung den radiopalmaren Zugang, wobei die Inzision radial der FCR-Sehne
gesetzt wird. Unter Schonung der Sehnenscheide der FCR-Sehne erfolgt die
Präparation in die Tiefe. Bei der weiteren Präparation werden die Beugesehnen
zusammen mit dem von der FCR-Sehne geschützten N. medianus nach ulnar gehalten.
Es erfolgt die Darstellung des M. pronator quadratus und die Abtrennung
desselben von seinem sehnigen Ansatz am Radius bzw. an der Sehne des M.
brachioradialis. Der M. pronator quadratus kann nun vom Radius abgeschoben und
somit die Fraktur dargestellt werden. Die Reposition erfolgt unter Sicht, wobei
dorsale Fragmente zumeist unter Nutzung der Ligamentotaxis eingestellt werden
können.
Abb. 3 Distale Radiusfraktur AO 23 A3 im d. p. Strahlengang.
Abb. 4 Distale Radiusfraktur AO 23 A3 im lateralen Strahlengang.
Abb. 5 Klinischer Aspekt einer distalen Radiusfraktur mit typischer
Bajonettstellung des Handgelenks.
Abb. 6 Winkelstabile 2-Säulen-Platte (Fa. Synthes).
Abb. 7 Blick auf die Fraktur von palmar vor Reposition.
Abb. 8 Situs nach Einbringen der Osteosyntheseplatte.
Abb. 9 Abdecken der Osteosyntheseplatte durch Refixation des M.
pronator quadratus.
Abb. 10 Postoperative Röntgenkontrolle im d. p. Strahlengang.
Abb. 11 Postoperative Röntgenkontrolle im lateralen Strahlengang.
Beim Aufbringen der winkelstabilen Osteosyntheseplatte muss darauf geachtet
werden, diese proximal der palmaren Radiuskante (Watershed-Linie) zu platzieren.
Ein Hinausragen der Platte über diese Linie hinaus kann zu Irritationen und
nicht selten später zur Ruptur der Sehne des M. flexor pollicis longus oder des
Flexor digitorum profundus des Zeigefingers führen.
Die Schraubenlöcher am Plattenschaft können meist mit nicht winkelstabilen
Schrauben besetzt werden, die distalen Plattenlöcher sollten zur besseren
Abstützung der Gelenkfläche und Vermeidung eines Korrekturverlusts mit
winkelstabilen Schrauben besetzt werden. Hierbei muss die Schraubenlänge so
gewählt werden, dass die Schraubenspitzen nicht die dorsale Kortikalis
überragen, da hierdurch die Strecksehnen irritiert werden können.
Nicht selten werden durch zu lange Schrauben die Strecksehnen derart verletzt,
dass es im Verlauf zu sekundären Rupturen kommt. Aus diesem Grund empfehlen wir
beim Setzen der distalen Osteosyntheseschrauben auf eine Perforation der
dorsalen Radiuskortikalis zu verzichten.
Zur Kontrolle empfehlen wir eine tangentiale Röntgenaufnahme des dorsalen
Handgelenks, die 2005 in Jena entwickelt wurde ([Abb. 12] und [13]). Abschließend kann die
Osteosyntheseplatte durch Refixation des M. pronator quadratus an seinem Ansatz
zumeist sicher abgedeckt werden.
Abb. 12 Technik der Tangentialaufnahme der dorsalen
Radiuskortikalis.
Abb. 13 Darstellung der dorsalen Radiuskortikalis im tangentialen
Röntgenbild. Gut zu erkennen ist die Perforation der Kortikalis im
3. Strecksehnenfach durch die 2. Schraube von links.
Der dorsale Zugang zum Handgelenk findet besonders bei Frakturen mit dorsaler
Pathologie wie z. B. der Barton-Fraktur Anwendung. Außerdem kann über den
dorsalen Zugang eine palmar nicht hinreichend stabilisierte Fraktur zusätzlich
abgestützt werden. Ein weiterer Vorteil dieses Zugangs ist die gute Einsicht in
die radiokarpale Gelenkfläche. Trotz deutlicher Verbesserung des
Implantatdesigns mit Einführung schlanker, anatomisch präformierter,
winkelstabiler Implantate sollte dieser Zugang aufgrund seines hohen Grades an
Weichteiltraumatisierung mit der Gefahr der Strecksehnenirritation und
-verklebung möglichst vermieden werden.
Am Ende der Operation sollte eine dynamische Durchleuchtung erfolgen, um karpale
Instabilitäten aufzudecken oder auszuschließen.
Hier ist v. a. die SL-Band-Ruptur zu nennen. Aber auch Instabilitäten des
distalen Radioulnargelenks können bei der Durchleuchtung nach der Stabilisierung
des Radius aufgedeckt werden.
Nachbehandlung
Wichtigstes Ziel einer Versorgung muss die möglichst frühzeitige funktionelle
Nachbehandlung sein. Bei stabiler palmarer Plattenosteosynthese sollte mit einer
frühfunktionellen Nachbehandlung zügig begonnen werden. Je nach Begleitverletzung,
Compliance oder Knochenqualität kann eine zusätzliche Unterarmschiene oder Orthese
für einige Tage bis Wochen notwendig werden.
Schlussteil
Verschiedene Aspekte müssen bei der Wahl des Therapieregimes bedacht werden. Die
osteoporotisch bedingt schlechte Knochenqualität muss genauso in die Therapieplanung
einfließen wie Komorbiditäten und das soziale Umfeld des Patienten.
Auch weiterhin wird die ideale Versorgungsstrategie der distalen Radiusfraktur beim
älteren Menschen diskutiert. Operative wie konservative Verfahren zeigen ähnliche
Langzeitergebnisse [7]. Während bei der Versorgung
komplexer intraartikulärer Trümmerfrakturen Kapoor et al. im langfristigen Verlauf
die Behandlung mittels Fixateur externe favorisieren [4],
scheint bei metaphysären oder einfach intraartikulären Frakturen im langfristigen
Verlauf weder die konservative Behandlung im Gips, noch die Osteosynthese mittels
Fixateur externe, noch die Plattenosteosynthese klare Vorteile aufzuweisen [1].
Im kurzfristigen Verlauf (3 bis 6 Monate) erlaubt allerdings die winkelstabile
palmare Plattenosteosynthese der dislozierten distalen Radiusfraktur eine frühere
Mobilisierung aufgrund der höheren Primärstabilität [1].
Gerade vor diesem Hintergrund sollte unserer Meinung nach der winkelstabilen
Plattenosteosynthese beim älteren Menschen der Vorzug gegeben werden.
Die Plattenosteosynthese erlaubt eine deutlich höhere Selbstständigkeit des alten
Menschen (ADL) und verhindert wirkungsvoll die Ausbildung eines CRPS.
Die Therapie muss individuell an die Patientensituation angepasst werden.