Z Orthop Unfall 2012; 150(04): 345-347
DOI: 10.1055/s-0032-1326705
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ultraschall der Säuglingshüfte – Bessere Maßstäbe für die Qualitätskontrolle

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Publication Date:
28 September 2012 (online)

 
 

Seit April 2012 gilt eine neue "Qualitätssicherungsvereinbarung" beim Ultraschall der Säuglingshüfte. Sie soll dafür sorgen, dass sich die in manch Arztpraxis unzureichende Qualität der Untersuchung verbessert. Manch Experte fordert allerdings bereits eine neue Zulassungsprüfung.

Einer ist am Ziel, zumindest vorerst mal: "Das ist jetzt endlich klar, Alpha und Betawinkel sind jetzt klar vorgeschrieben und die KVen werden das auch checken", freut sich Hans Dieter Matthiessen. Der Orthopäde aus Dortmund meint zwei Winkel, die dem Laien nichts sagen. Beide, Alpha wie Beta, muss allerdings jeder kennen, der sich mit der Ultraschalluntersuchung der Hüfte von Säuglingen beschäftigt. Denn beide müssen bestimmt werden, um eine mögliche Fehlstellung der kindlichen Hüfte auch richtig zu diagnostizieren .

Manch Arzt war offenbar bislang der Ansicht, nur einer von beiden sei nötig. Und konnte dieser Ansicht sogar jahrelang treu bleiben, denn die Qualitätskontrolle griff nicht. Dafür sorgte eine unklare Trennung und Überschneidung gleich mehrerer Vorschriften zur Qualitätssicherung beim Ultraschall der Säuglingshüfte.

Da wäre einmal die Qualitätssicherungsvereinbarung zur Sonographie der Säuglingshüfte, die als Anlage V zur Ultraschall-Vereinbarung gehört. Verfasst wird sie von KBV und GKV-Spitzenverband.

Daneben gibt es eigene Durchführungsbestimmungen zu der Untersuchung bei den so genannten Kinder-Richtlinien, deren Autorenschaft beim G-BA liegt. Und letztere fordern bis heute nur, dass der Arzt dokumentiert, dass er den Alpha-Winkel gemessen hat. Von Beta keine Rede. Die Folge waren vor Ort regelmäßig "groteske Situationen" (Matthiessen), wenn die Qualitätskontrolleure nicht wussten, nach welcher Vorschrift jetzt zu prüfen sei (siehe auch das Interview und den Kasten). Zumindest im groben Ganzen, hofft Matthiessen, sei das Problem jetzt bereinigt. Die zum April 2012 endlich novellierte Qualitätssicherungsvereinbarung – Matthiessen hat an ihr mitgeschrieben – habe auch noch einige andere Fehler ausgeräumt. "Zu 90 Prozent ist die jetzt auf der Höhe der Zeit" (siehe auch das Interview, S. 347).

Womöglich ist es trotzdem nur ein Etappensieg auf dem Weg zu mehr Qualität. Der Ultraschall der Säuglingshüfte ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein undurchsichtiges Vorschriftengestrüpp am Ende Qualitätskontrolle mehr behindert, denn fördert. Dabei geht es um eine Untersuchung, die als echter medizinischer Fortschritt gilt.

Drei von 100 Kindern kommen hierzulande mit einer Fehlstellung der Hüfte, einer Hüftgelenksdysplasie zur Welt. Die genetischen Ursachen sind unklar, die Prävalenz schwankt regional stark. Jedoch lässt sich eine verzögerte Verknöcherung des knorpeligen Pfannendaches nachweisen. Reinhard Graf, mittlerweile pensionierter ärztlicher Leiter des LKHs Stolzalpe in der österreichischen Steiermark ist im deutschsprachigen Raum der Pionier einer Ultraschalluntersuchung, bei der ein Arzt idealerweise direkt nach der Geburt eine Hüftgelenksdysplasie so frühzeitig erkennt, dass sie sich zumeist ohne Operation, mittels konservativer Therapie beheben lässt.

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Wenn die Hüftgelenksdysplasie rechtzeitig erkannt wird, kann diese mit konservativen Methoden behandelt werden. Der Untersucher muss allerdings sein Handwerk verstehen, was laut GKV-Spitzenverband vielerorts nicht der Fall ist.(Foto: M. Rohlf/Fotolia)

Bei der Methode nach Graf muss der Arzt eben just den Pfannendachwinkel Alpha sowie den Knorpeldachwinkel Beta bestimmen. Zusammen mit weiteren Parametern ist das Grundlage für den von Graf entwickelten Behandlungsalgorithmus (s. auch http://de.wikipedia.org).

Vielen Betroffenen erspart die Anfang der 1980er Jahre in Deutschland eingeführte Untersuchung gefährliche Spätfolgen einer Coxarthrose. Am Ende manchem womöglich aber nicht. Daten zur Qualität der Untersuchung gibt es erst seit 2005.

Damals führten KBV und GKV-Spitzenverband eine regelmäßige Überprüfung "der ärztlichen Dokumentation bei der sonographischen Untersuchung der Säuglingshüfte" ein. Sie ist quasi der Vorläufer der jetzigen Neuvereinbarung. Kernanforderungen bislang: Alle 24 Monate forderte die KV vom Arzt die Dokumentation zu 12 Säuglingen an.

Da die Untersuchung zwei Bilder für jede Hüfte umfasst, macht das 48 Bilder, die einer Qualitätskommission Sonographie zur Verfügung zu stellen sind. Nach einem komplexen Bewertungsschema gibt es dann für jede Untersuchung die Stufe I für "regelgerecht", Stufe II bei "geringen" und Stufe III bei "schwerwiegenden" Mängeln.

Für eine positive Bewertung forderte diese Qualitätssicherung seither unter anderem, dass die Aufnahmen schon den Unterrand des Os ilium zeigen, das Labrum acetabulare, und eine korrekte Schnittebene im mittleren Pfannenbereich. Gefordert sind auch Alpha- wie Beta-Winkel. Eine nach KVen aufgeschlüsselte Statistik veröffentlicht die KBV erst seit wenigen Jahren (siehe http://www.kbv.de/6793.html).

Fest steht: Die Zahlen sind vielerorts dramatisch schlecht. "Immer wieder gibt es Fälle, in denen die Fehlstellung der Hüftgelenke durch den Arzt nicht richtig und rechtzeitig erkannt und behandelt wird", moniert der GKV-Spitzenverband. In besonders schlimmen Fällen könnten permanente Schäden des Bewegungsapparates die Folge sein.

Nach einer Darstellung des GKV-Spitzenverbands hatten Ende 2010 7233 Ärzte eine Genehmigung zur Abrechnung dieser Untersuchung. Etwa jeder Dritte Arzt wurde in jenem Jahr von seiner KV geprüft. Bei 966 Ärzten waren die Dokumentationen in Ordnung, bei 301 (alias 31 Prozent) gab es leichtere, bei 126 (13 Prozent) schwerwiegende Mängel. 129 Ärzten wurde in 2010 die Zulassung für diese Ultraschalluntersuchung entzogen. Summarisch ist nach Angaben des GKV-Verbands der Anteil der "sachgerechten" Befunde seit 2006 von 60 auf gerade mal etwa 70 Prozent gestiegen.

Eine Mängelquote von 30 Prozent sei schlicht "nicht zu akzeptieren". Leidtragende seien die Eltern und vor allem der junge Patient.

"Es gibt leider Fälle, wo die Untersuchung gar nicht korrekt läuft", weiß auch Dr. Rainer Berthold, Sprecher des Arbeitskreises Bewegungsorgane in der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM).

Abhilfe schaffen soll jetzt die novellierte Qualitätssicherungsvereinbarung Säuglingshüfte" nach § 135, Abs. 2 SGBV (siehe auch Link unter "Weiter lesen" in der Online-Version). Sie ist ihrerseits wiederum Teil eines umfangreichen Paragrafenwerks zur Qualitätssicherung in der Sonographie (siehe den Kasten, S.347).

Wichtige Neuerungen

  • Eingangscheck

Jeder Arzt, der die Zulassung für die Untersuchung neu erhalten hat, wird jetzt sofort auf die Qualität seiner ersten 12 Befunde geprüft. Bislang musste ein Arzt erst im Laufe von 24 Monaten mit der Prüfung rechnen.

  • Bei schweren Verstößen ruht die Zulassung gleich

Wer die Initialprüfung besteht (maximal zwei Patientendokumentationen dürfen dabei noch in Stufe II landen), wird erneut nach 24 Monaten, danach bei sachgerechtem Ergebnis erst wieder nach fünf Jahren kontrolliert.

Wer bei der Prüfung mäßiger abschneidet (zwei bis fünfmal die Stufe II hat, und maximal einmal die Stufe III) darf auch weiter untersuchen, wird bereits nach einem weiteren Jahr erneut gecheckt.

Wer mehr als fünf Stufen II hat, oder mehr als einmal die III, dessen Zulassung ruht sofort. Reaktivieren kann er sie durch erfolgreiche Teilnahme an einer entsprechenden Fortbildung. Damit startet der Prüfzyklus dann aber wieder neu, die ersten Fälle werden gleich gecheckt.

Für die Praxis bedeutet dies eine gewisse Verschärfung. Wer bislang drei oder mehr Bewertungen der schlechtesten Stufe III hatte, war seine Genehmigung für die Untersuchung zwar auch zunächst los, konnte sie allerdings nach bereits sechs Monaten ohne weitere Auflagen oder Prüfungen einfach neu beantragen.

  • Klarere Anforderungen an die Dokumentation

Vor allem räumt die Neufassung mit fachlichen Mängeln auf. So forderte zwar schon die 2005 erstmals aufgelegte "Überprüfung" beide Winkel in der Dokumentation. Aufgrund unscharfer Formulierungen griff das in der Praxis nicht richtig.

Zur Screening-Untersuchung wurde der Ultraschall der Säuglingshüfte überhaupt erst, indem der damalige Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, Vorläufer des G-BA, sie 1996 in die Kinder-Richtlinien packte. Als Teil der U3-Untersuchung, die in der vierten bis fünften Lebenswoche erfolgen soll.

Das aber führte zu widersinnigen Doppelungen. Denn die dafür verabschiedete Anlage 5 zu den Kinder-Richtlinien (siehe links unter "Weiter lesen") fordert nur die Dokumentation des so genannten Alpha-Winkels. Hans Dieter Matthiessen glaubt jetzt, dass nach der Novellierung die stringenteren Regelungen der Qualitätssicherungsvereinbarung grundsätzlich Vorrang haben (siehe das Interview).


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Kompromiss, aber der richtige Weg

Gewisser Optimismus herrscht auch beim GKV-Spitzenverband. Man habe zusammen mit der KBV auf "erschreckende" Zahlen zur Qualität reagiert und die Qualitätsanforderungen "genauer gefasst", erklärt der Spitzenverband Anfang April 2012. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) "begrüßt" die neue Vereinbarung wenig später. "Ein Kompromiss, aber der richtige Weg, um die Qualität der Untersuchung zu verbessern", meint Rainer Berthold. Das Ziel von Qualitätssicherung müsse schließlich auch sein, dass niemand unterschwellig Angst haben muss, gleich etwas entzogen zu bekommen, wenn sich bei ihm Qualitätsprobleme zeigen. Berthold: "Es geht um einen stetigen Verbesserungsprozess im Dialog mit den Ärzten und die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist dafür gerade im niedergelassenen Bereich weiterhin entscheidend." Und doch bleibt genügend Diskussions-stoff.

  • Nach wie vor harren die "Durchführungsempfehlungen für die sonographische Untersuchung der Säuglingshüfte", Anlage V zu den Kinder-Richtlinien, einer Überarbeitung (siehe auch das Interview).

  • Die Kopplung an die U3-Untersuchung beim Kinderarzt bleibt ein Kompromiss. "Ein früherer Termin, wäre zwar prinzipiell besser", betont Rainer Berthold. Dennoch mache die Integration der Untersuchung in die U3 Sinn. Denn bei ganz kleinen Säuglingen sei die Untersuchung auch methodisch noch anspruchsvoller und Pädiater könnten in der Regel, anders als Orthopäden, die ebenfalls wichtige Ultraschalluntersuchung von Niere und Schädel gleich mit übernehmen.

  • Die KVen handhaben die Qualitätskontrollen nach wie vor unterschiedlich strikt. Mittlerweile kümmert sich ein Gremium bei der KBV um eine Angleichung der Prüfmodalitäten (siehe das Interview).

  • Offen ist, ob eine eigene Zulassung für die Untersuchung zu mehr Qualität führen könnte.

Es sind fast ausschließlich Orthopäden, Kinderärzte und Radiologen, die die Untersuchung durchführen. Um die Leistung auch bei der KV abrechnen zu können, müssen sie laut Ultraschall-Vereinbarung zuvor 200 B-Modus Sonographien von Säuglingshüften nachweisen.

Pädiater bringen die Zahl von 200 Untersuchungen regelhaft bereits in ihrem Weiterbildungskatalog mit. Bei dem neuen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sind hingegen meist nur 50 gefordert, nur bei der Zusatzweiterbildung Kinderorthopädie ist die Säuglingshüfte ein Schwerpunktthema.

Beim GKV-Spitzenverband mag man nicht ausschließen, dass eine Eingrenzung der Zulassungsberechtigten zu Qualitätsverbesserungen führen könnte: Bei einigen Facharztgruppen wie Orthopäden auf dem Gebiet Kinder- und Jugendmedizin gebe es feste Vorgaben für die Untersuchung und würden Mindestzahlen gefordert, die dann im Rahmen der Weiterbildung unter Anleitung erbracht werden, erklärt Sprecherin Ann Marini. "Könnte man die Zulassung entsprechend begrenzen, würde dies unter Umständen zur Qualitätsverbesserung beitragen."

Qualitätssicherung beim Ultraschall

Ultraschall gehört zu jenen zwei Drittel aller Arztleistungen, für die jeder niedergelassene Arzt eine Zulassung von seiner KV benötigt.

Den gesetzlichen Hintergrund gibt der §135, Absatz 2 des SGB V, der die Partner der Bundesmanteltarifverträge – GKV-Spitzenverband und KBV – auffordert, bei allen ärztlichen Leistungen, die eine besondere Fachkunde erfordern, auch bundeseinheitliche Qualitätsvorschriften aufzustellen. Aktuell gibt es rund 30 Regelungen zur Qualitätssicherung medizinischer Verfahren – von Akupunktur, ambulantem Operieren bis zur Vakuumbiopsie.

Den Rahmen beim Ultraschall setzt die Ultraschall-Vereinbarung, zuletzt novelliert zum April 2009. Sie unterteilt das Gebiet in einige Dutzend Anwendungsbereiche, von Herz bis Genitalorganen, oft noch unterteilt in einzelne Anwendungsklassen, für die Ärzte jeweils separat eine Zulassung erwerben müssen. Der Ultraschall der Säuglingshüfte hat die Nummer 10.2 B Modus Säuglingshüfte. In der Praxis erwerben die meisten Ärzte heute die Zulassung mit der Facharztprüfung.

Für die spätere Qualitätsprüfung in der Praxis sieht die Ultraschall-Verordnung regelhaft vor, dass jährlich bei drei Prozent der Ärzte die Dokumentation und die Diagnostik überprüft wird – anhand von fünf abgerechneten Ultraschalluntersuchungen. Bei der Säuglingshüfte sind die Anforderungen seit 2005 durch eine eigene Qualitätssicherungsvereinbarung engmaschiger, haben allerdings in der Praxis nur unzureichend gegriffen. Das soll eine Novellierung der Vereinbarung jetzt ändern (siehe Haupttext).

Hans Dieter Matthiessen hingegen favorisiert eine Komplettreform: "Die Integration in die Weiterbildung zum Facharzt war ein Fehler, wir müssen zurück zur Sonographie der Säuglingshüfte als Zusatzausbildung – für den, der sie wirklich machen will." Erst das werde die Qualität der Untersuchung in der Praxis wirklich verbessern (siehe das Interview).

Bernhard Epping (BE)

Weitere Informationen:

Qualitätsvereinbarungen
Neufassung der Qualitätssicherungsvereinbarung Säuglingshüfte" nach § 135, Abs. 2 SGBV:
https://www.aerzteblatt.de/archiv/123838/Neufassung-der-8222-Qualitaetssicherungsvereinbarung-Saeuglingshuefte-8220-nach-135-Abs-2-SGB-V-tritt-zum-1-April-2012-in-Kraft

Die bis April 2012 gültigen Vorschriften von KBV und GKV-Spitzenverband von 2005:
http://www.aerzteblatt.de/archiv/45995/Mitteilungen-Einfuehrung-einer-regelmaessigen-Ueberpruefung-der-aerztlichen-Dokumentation-bei-der-sonographischen-Untersuchung-der-Saeuglingshuefte

Die Ultraschall-Vereinbarung:
http://www.kbv.de/2488.html

Die Anlage V zu den Kinder-Richtlinien:
http://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/15/

Pressemeldungen zur novellierten Qualitätssicherungsvereinbarung
Pressemitteilung DEGUM:
http://www.degum.de/Im_Detail.160+M53c562a7e5e.0.html?&L=1

Qualitätsbericht der KBV 2011 (ab Seite 103 zum Ultraschall):
http://www.kbv.de/presse/6793.html.

Veröffentlichung zur Prüfarbeit der Qualitätssicherungskommissionen bei den KVen:
Tschauner und Matthiessen: Hüftsonografie bei Säuglingen: Checklisten helfen, Fehler zu vermeiden, Orthopädie & Rheuma 2012; 15 (2): 43–47

Achtung Kommentar Matthiessen:
Um eine möglichst hohe Verbreitung zu erreichen, hat der Springer Verlag den Artikel frei gegeben: erschien bereits in der OUP, Deutscher Ärzteverlag, 2012; 1 (7–8).


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Wenn die Hüftgelenksdysplasie rechtzeitig erkannt wird, kann diese mit konservativen Methoden behandelt werden. Der Untersucher muss allerdings sein Handwerk verstehen, was laut GKV-Spitzenverband vielerorts nicht der Fall ist.(Foto: M. Rohlf/Fotolia)