Einleitung
Bei der Therapie des Lungenkarzinoms gewinnen molekulare Veränderungen im Tumorgenom
zunehmend an Bedeutung. Neben der Mutation im EGF-Rezeptor wurde 2007 zuerst über
eine erworbene EML4- und ALK-Translokation berichtet, die zur Produktion eines ALK-Onkoproteins
bei Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom führte. Über Phosphatidylinositol
3-kinase (PI3K) und HSP 90 kommt es dann zu einer Zellproliferation und Zellüberleben.
Crizotinib, ein oraler Tyrosinkinaseinhibitor, hemmt ALK und zeigt ein deutliches
Tumoransprechen in Patienten mit dieser Translokation. Die Zulassung erfolgt durch
die EMA im November 2012 zur Behandlung von Erwachsenen mit vorbehandeltem EML4-ALK-positivem
fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom unter dem Handelsnamen Xalkori.
Dies ist somit nach der EGFR-Mutation eine weitere Gruppe von Lungenkarzinom-Patienten,
die von einer zielgerichteten Therapie einen erheblichen Nutzen haben.
Pathologie
Auf Basis groß angelegter molekularer Screeningstudien wurden unterschiedliche Faktoren
wie z. B. die anaplastische Lymphomkinase (ALK) identifiziert, welche ggf. eine zielgerichtete
Tumortherapie des pulmonalen nicht-kleinzelligen Karzinoms (NSCLC) ermöglichen [1]. Entsprechende Alterationen von ALK finden sich in ~ 3 % [2]
[3] der Adenokarzinome (ADC), vorwiegend bei jungen Nichtrauchern (never/light smokers)
mit EGFR- und K-RAS-Wildtyp [4]
[5], teilweise jedoch auch in Plattenepithelkarzinomen (SQCC) [1]
[6] und adeno-squamösen Karzinomen (ASC) [7]. Auf Basis der Literaturdaten und unserer eigenen Beobachtungen kommen ALK-Translokationen
im Wesentlichen in prädominant azinären oder prädominant soliden Adenokarzinomen vor
[1]
[8]
[9]
[10]
[11], wobei auch eine Assoziation zu anderen Tumordifferenzierungen beschrieben ist [3].
Die ALK-Expression ist assoziiert mit einem genomischen Rearrangement (Inversion),
in dessen Folge die Kinasedomäne von ALK unter die Promotorkontrolle von EML4 (echinoderm
microtubule-associated protein-like 4) gerät [1]
[5]. Der chromosomale Bruchpunkt innerhalb von EML4 tritt in unterschiedlichen Bereichen
auf, was zu zahlreiche Varianten von EML4-ALK-Fusionen führt [12]. In seltenen Fällen variiert auch der Bruchpunkt innerhalb von ALK [13]. Weitere zwischenzeitlich identifizierte Fusionspartner von ALK sind u. a. TFG [14] und KIF5B [15]
[16]. Neben der Translokation von ALK sind Amplifikationen sowohl von ALK als auch von
EML4 beschrieben [2]
[17], wobei eine alleinige ALK-Amplifikation offenbar nicht zwingend zu einer Expression
von ALK auf Proteinebene führt [17]. Jüngere Untersuchungen zeigen zudem, dass in NSCLC-Tumorzellen neben einer aktivierenden
EML4-Translokation auch weitere molekulare Veränderungen detektiert werden können,
wie eine aktivierende EGFR-Mutation, ALK-Amplifikation oder Mutationen in der ALK-Kinase-Domäne
[18]. Viele dieser Veränderungen gelten als möglicher Resistenzmechanismus gegenüber
einer Therapie mit Crizotinib, allerdings bleiben der klinische Stellenwert und die
Prävalenz dieser weiteren molekularen Veränderungen aktuell noch unklar.
Diagnostik der ALK-Translokation
Diagnostik der ALK-Translokation
Erste klinische Studien zeigen eine signifikante Tumormassenreduktion in den meisten
NSCLC-Patienten mit ALK-Translokation, welche mit entsprechenden Inhibitoren behandelt
wurden [19]. Der ALK-Status dieser Patienten wurde mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) bestimmt, wobei hierbei der ALK-Genlokus von zwei fluoreszenzmarkierten
Sonden (z. B. grün und rot) flankiert ist. Durch die Inversion vergrößert sich der
Abstand zwischen den Sonden, wobei hier ein Abstand von 2 Sondendurchmessern zwischen
den beiden Signalen als diagnostisches Kriterium für eine Translokation gilt ([Abb. 1]). FISH ist demnach aktuell der Goldstandard, um Patienten zu selektieren, die möglicherweise
von ALK-Inhibitoren profitieren [4]
[19]. Bei alleiniger FISH-basierter Diagnostik kann jedoch problematisch sein, dass der
Abstand des invertierten ALK-Genlokus sehr kurz ist (~12 Megabasen) und nur etwa ~ 5 %
der Gesamtlänge von Chromosom 2 betrifft. Da die Inversion ein dreidimensionales Ereignis
ist, in der FISH aber nur zweidimensional dargestellt werden kann, kann die Interpretation
des Sondenabstandes, insbesondere bei nur wenig vorhandenen Tumorzellen, deutlich
erschwert sein. FISH kann daher potenziell zu falsch negativen Ergebnissen führen
[9], weshalb ein kombinierter diagnostischer Ansatz mit weiteren Methoden sinnvoll erscheint
[9]
[20]. Da ALK-Inhibitoren gegen ALK-Proteine und nicht spezifisch gegen eine ALK-Translokation
gerichtet sind, könnte perspektivisch der Nachweis einer ALK-Expression auf Proteinebene
genügen, um Patienten mit ALK-Inhibitoren zu behandeln. Potenziell könnten z. B. auch
epigenetische Veränderungen in Tumoren zu einer ALK-Expression führen. Das Ansprechen
entsprechender Tumoren auf ALK-Inhibitoren ist Gegenstand aktueller Studien.
Abb. 1 Beispiele von Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) und Immunhistochemie.
a FISH mit fusionierten roten und grünen Signalpaaren (gelb), kein Nachweis einer ALK-Translokation;
b FISH, Nachweis einer ALK-Translokation. Die Trennung der roten und grünen Signale
ist deutlich zu erkennen; c immunhistochemisch schwache Reaktion, geringe ALK-Expression; d immunhistochemisch starke Reaktion, deutliche ALK-Expression.
Als ergänzende Methoden der ALK-Diagnostik bieten sich neben der Immunhistochemie
auch PCR-basierte Ansätze mit spezifischem Nachweis entsprechender Fusionstranskripte
an, z. B. auf Basis einer Multiplex RT-PCR [21] oder einem Exon-Array-Profiling [12]
[22] ( [Tab. 1]). Bei diesen Ansätzen besteht jedoch die Problematik, dass in der Regel nur bekannte
EML4-ALK-Varianten bzw. ALK-Translokation mit anderen Fusionspartnern nachgewiesen
werden können. Alleine die bis heute berichtete Anzahl unterschiedlicher Varianten
und Fusionspartner spricht somit eher gegen diese Methodik. Die Immunhistochemie ist
eine verlässlich durchführbare und kostengünstige Methode der gewebsbasierten Diagnostik,
welche in Deutschland flächendeckend zur Verfügung steht. Ein Ringversuch zur Detektion
ALK-positiver NSCLC wurde aktuell von der Qualitätssicherungs-Initiative Pathologie
durchgeführt (http://www.quip-ringversuche.de) und abgeschlossen. 36 Institute erhielten ein Qualitätszertifikat. Initial bestand
das Problem, dass die zur Verfügung stehenden ALK-Antikörper für die Lymphom-Diagnostik
etabliert wurden, die ALK-Expressionslevel im NSCLC jedoch deutlich geringer sind.
Zwischenzeitlich wurde jedoch ein offenbar sensitiverer Antikörper entwickelt [23], welcher nun auch kommerziell erhältlich ist. Prinzipiell besteht auch nach unseren
eigenen Erfahrungen eine hohe Konkordanz zwischen ALK-Translokationen und der immunhistochemisch
nachweisbaren ALK-Expression [3]
[6]
[19].
Tab. 1
Vergleich verschiedener Labormethoden zum Nachweis einer EML4-ALK Translokation.
|
Immunhistochemie
|
FISH
|
RT-PCR
|
Vorteile
|
-
kostengünstig
-
einfach auszuwerten
-
überall verfügbar
|
|
|
Nachteile
|
-
geringe Sensitivität einiger Antikörper, ggf. in einzelnen Fällen negativ, weitere
Validierung erforderlich
-
kein etabliertes Scoring-System
-
Ansprechen positiver Fälle auf ALK-Inhibitoren nicht abschließend geklärt
|
-
teuer
-
Interpretation schwierig
-
nicht überall verfügbar
|
-
ggf. nicht überall verfügbar
-
technisch anspruchsvoll
-
nur bekannte EML4-ALK-Varianten und Fusionen mit weiteren Translokationspartnern können
nachgewiesen werden
-
keine Studiendaten verfügbar (Ansprechen auf ALK-Inhibitoren)
|
Klinik
Patienten mit EML4-ALK-Translokation sind meist jünger und Nichtraucher. Selten besteht
eine weitere Mutation wie EGF-R oder KRAS.
Die Halbwertszeit von Crizotinib beträgt ca. 42 h, und die Resorption ist relativ
unabhängig von den Mahlzeiten. Bei einer Dosis von 250 mg zweimal täglich ist ein
„steady state“ im Plasma nach 15 Tagen erreicht. Die Substanz wird in der Leber über
CYP3A4 metabolisiert und ist ein moderater CYP-Inhibitor. Daher die Empfehlung, starke
CYP-Induktoren (z. B. Carbamazepin, Phenytoin) und Inhibitoren (z. B. Makrolide, Azole,
Grapefruitsaft) zu meiden. Darüber hinaus wurde eine leichte Bradykardie unter Crizotinib
ohne QTc-Verlängerung beobachtet, sodass ein EKG unter Substanzen wie Ciprofloxacin
empfohlen wurde.
Zu den häufigsten möglichen unerwünschten Wirkungen gehören Sehstörungen (62 %), Übelkeit
(53 %), Durchfall (43 %), Erbrechen (40 %), Ödeme (28 %), Verstopfung (27 %) und Müdigkeit
(20 %). Über eine Veränderung der Leberwerte, eine Verlängerung des QT-Intervalls
und vereinzelt eine lebensbedrohliche Pneumonitis wurde berichtet.
Studien
Präklinische Studien wiesen Crizotinib als potenten ALK-Inhibitor aus. Initial zeigte
sich jedoch eine Aktivität als c-MET-Inhibitor, der HGF-vermitteltes Endothelzellüberleben,
Apoptose und Angiogenese blockierte. Eine stärkere Antitumoraktivität fand sich allerdings
bei Zelllinien mit EML4-ALK-Translokation, wobei Zelllinien ohne ALK-Translokation
kein Ansprechen auf Crizotinib zeigten.
Ein Reihe von zum Teil noch laufenden klinischen Studien haben vielversprechende Daten
zu Crizotinib geliefert [24], sodass die Zulassung im November 2012 auf Grund dieser Ergebnisse durch die EMA
in Europa erfolgte.
Die Phase-I-Studie [25] (Profile 1001) untersucht bei ca. 400 Patienten mit ALK-Translokation die Dosiseskalation
bei Patienten mit soliden Tumoren. Zuletzt wurden NSCLC-Patienten eingeschlossen mit
einer Dosis von 250 mg zweimal täglich. In der Phase-II-Studie (Profile 1005) wurden
ebenfalls über 400 Patienten mit vorbehandeltem NSCLC untersucht, die ALK-FISH-positiv
waren. Hier wurde ebenfalls eine Dosis von 250 mg zweimal täglich verwendet. Beide
Studien zeigten eine Ansprechrate von 60 bzw. 53 %. Das progressionsfreie Überleben
betrug 9,2 beziehungsweise 8,5 Monate.
Die beiden Phase-III-Studien untersuchen Crizotinib versus Pemetrexed bzw. Docetaxel
bei vorbehandelten Patienten (Profile 1007) bzw. in der ersten Linie versus Platin/Pemetrexed
(Profile 1014). In beiden Studien wurden über 300 Patienten eingeschlossen. Erste
Ergebnisse wurden beim ESMO 2012 präsentiert und zeigen einen Vorteil für Crizotinib
mit einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens auf 7,7 Monate im Vergleich
zu 3,0 Monaten im Pemetrexed- bzw. Docetaxel-Arm (HR 0.49; p < 0.0001). Die Ansprechrate
war ebenfalls höher mit Crizotinib (65 % vs 20 %; p < 0.0001).
Therapieversagen
Bei einem durchschnittlichen Ansprechen auf Crizotinib von ca. 8 – 9 Monaten stellt
sich die Frage, warum dieser Effekt nicht länger aufrechtzuerhalten ist. Ähnlich wie
bei der EGF-R-Mutation scheint es hier genetische Veränderungen zu geben, die einen
Resistenzmechanismus vermitteln und über die Mutation von C1156Y und L1196 M in ALK
zu einer reduzierten Wirksamkeit von Crizotinib führen [18]
[26]
[27]
[28]
[29]. Möglicherweise werden ALK-Inhibitoren der nächsten Generation, die jetzt in Entwicklung
sind, hier eine höhere Aktivität haben. Darüber hinaus gibt es Daten zur Veränderung
des Tumorgenoms bei Patienten, die unter Crizotinib progredient werden und neue Mutationen,
wie z. B. EGF-R-Mutation, erwerben bzw. die ALK-Translokation verlieren. Somit kann
also bei Progress unter Crizotinib im Rahmen von Studien eine erneute Biopsie mit
Evaluation der Mutationen erforderlich sein, um weitere Therapieoptionen zu erhalten.
Zusammenfassend ist der ALK/c-MET-Inhibitor Crizotinib bei vorbehandelten NSCLC-Patienten
mit einer Translokation von EML4-ALK der zweite zugelassene zielgerichtete molekulare
Therapieansatz beim fortgeschrittenen NSCLC. Eine enge Kooperation mit dem Pathologen
ist erforderlich, um eine qualitativ hochwertige und schnelle Diagnostik zu ermöglichen.