In den letzten Monaten wurde in vielen Zeitschriften die neue Leitlinie eigentlich
unkritisch vorgestellt und als Paradigmenwechsel bezeichnet. Für mich als Hausarzt
mit pneumologischer Spezialisierung entbehrt diese Empfehlung jeglichen Praxisbezugs
und Praktikabilität und wird eher zu einer Verschlechterung der Situation unserer
COPD-Patienten führen. Diese Feststellung erhält ihre Bestätigung in der Tatsache,
dass in dem Empfehlungstext zum besseren Verständnis extra ein Beispiel angeführt
werden muss.
Leitlinien können nur von Erfolg gekrönt sein, wenn sie leicht, schnell und ohne großen
Aufwand umzusetzen sind und die spezielle Arbeits- und Zeitsituation in der HA-Praxis
bei den Empfehlungen berücksichtigt wird!
In einer Pneumologenpraxis ist es aufgrund der hohen Zahl von Patienten mit COPD (Diagnosenhitliste
der KV NO: Asthma 40,9 % Rang 1, sonstige chron. obstr. Lungenkrankheit 33,7 %, Rang
2) leicht möglich, beim Eintreffen des Patienten einen Fragebogen auszuhändigen und
bis zur Vorstellung beim Arzt ausfüllen zu lassen. Ich wage zu bezweifeln, dass das
trotz dieser guten Voraussetzungen in jeder Pneumologenpraxis so gehandhabt wird.
In einer Hausarztpraxis ist das fast unmöglich. Keine Arzthelferin wird beim Eintreffen
eines Patienten wissen oder Zeit raubend nachschauen, ob dieser u. a. auch unter einer
COPD leidet, ob er sich aktuell wegen der COPD oder einer anderen Gesundheitsstörung
vorstellt, ihn ggf. danach fragen und dann auch noch daran denken, diesem Patienten
(Diagnosenhitliste: Asthma 6,3 %, Rang 11, sonstige chron. obstr. Lungenkrankheit
5,6 %, Rang 16) den Fragebogen für COPD-Patienten auszuhändigen. Das einmal völlig
abgesehen davon, dass bei den vielen unterschiedlichen Krankheiten auch viele andere
Fragebögen zu diversen Fragestellungen einschließlich Fragebögen zur Früherkennung
von Krankheiten (Diabetes, Schilddrüse, Hypertonie etc.) als Screening auszugeben
wären, ginge es nach den diversen Fachgremien. Die Arbeitszeit einer Arzthelferin
und Zeit, die ihr für diesen Patienten zur Verfügung steht, wird bereits durch den
Aufwand an Bürokratismus, Vorbereiten von Rezepten, Überweisungen etc. mehr als übermäßig
strapaziert.
Der Hausarzt müsste somit die Fragen zu den Symptomen während der Konsultation mit
dem Patienten durchgehen, sofern er auch diesen Fragenbogen als einen von vielen zur
Hand hätte. Die nächste Hürde wäre dann das Quadrat zur Einordnung in die richtige
Risikogruppe. Zusammen mit der eventuellen Beschreibung der Risikogruppen und dazu
gehöriger Therapieempfehlung sind das zwei bis drei weitere Spickzettel unter den
vielen, die unter der Schreibtischunterlage Platz finden müssen. Die Zeit für die
Konsultation muss nebenbei bemerkt aber auch noch reichen, den oder die DMP-Dokumentationsbögen
auszufüllen und vielleicht sogar andere Krankheiten (Hypertonie, Diabetes, KHK) zu
beachten.
Seit vielen Jahren wissen wir,
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dass die meisten Patienten mit einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung in
der HA-Praxis einheitlich mit einer fixen Kombination aus ICS + LABA behandelt werden,
und zwar ungeachtet, ob es sich um Asthma oder COPD handelt.
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Nicht in allen HA-Praxen wird eine Lungenfunktionsuntersuchung vorgenommen.
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Ein Bronchospasmolysetest zur Diagnostik oder im Verlauf wird nur in den wenigsten
Praxen durchgeführt. Es ist zu befürchten, dass die Frequenz dieses Tests weiter gesunken
ist, seitdem dieser nicht mehr gesondert vergütet wird.
Einfacher, praktikabler und vielleicht in den nächsten Jahren eher durchsetzbar wären
folgende oder ähnliche Empfehlungen:
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Differenziere zwischen Asthma und COPD
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Beim Asthma beinhaltet die Therapie immer ein ICS! Alle anderen Substanzen sind zur
Ergänzung, niemals aber als Ersatz für ein ICS zu sehen!
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Sollten Sie nicht absolut sicher sein, dass eine COPD vorliegt, behandeln Sie wie
Asthma (? Monate) und lassen Sie den Erfolg der Therapie bei der Entscheidung helfen!
Hilfreich für die Diagnose Asthma kann auch ein Kortisontest (20 mg Prednisolonäquivalent
für 10 Tage) mit anschließender Lungenfunktion und Vergleich der Ergebnisse sein.
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Bei COPD beginne die medikamentöse Therapie
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Mit einem LAAC oder LABA und
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Steigere die Therapie bei unzureichendem Erfolg mit der Kombination aus beiden, d. h.
LAAC + LABA
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Bei intensiven Beschwerden beginne direkt mit dieser Kombination
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Sollte der Patient mehr als 2 Exazerbationen/Jahr haben, ist der Einsatz eines ICS
hilfreich und sollte (zusätzlich) eingesetzt werden.
Diese oder eine vergleichbare Empfehlung ist leicht zu merken, benötigt keine Hilfsmittel
und könnte viel schneller Einzug in die tägliche Arbeit in der HA-Praxis halten als
die komplizierten neuen Empfehlungen. Mangelnde Praxisnähe und damit ausbleibende
Umsetzbarkeit der Empfehlungen bestätigt dann wieder einmal mehr die Feststellung,
„die HA sind nicht in der Lage, eine COPD richtig zu behandeln!“