Einleitung
Wenn sich ein Malignes Melanom während der Schwangerschaft bei einer Patientin bildet, ist es sowohl für die Betroffenen als auch für die behandelnden Ärzte eine Herausforderung. Da es kein genau definiertes Standardvorgehen gibt, sind Therapieempfehlungen individuell für die Betroffenen zu erarbeiten. Eine Operation ist zwar während der Schwangerschaft möglich, jedoch sind zur optimalen Behandlung sowohl für die Mutter als auch für den Fötus viele weitere Entscheidungen erforderlich. Sowohl Diagnostik als auch Therapie sind individuell zu besprechen und werden auf Wunsch der Patientinnen zum Wohle des Kindes oft erst später bzw. erst nach Entbindung eingeleitet. Im Folgenden wird über eine Patientin berichtet, bei der ein Melanom während der Schwangerschaft diagnostiziert wurde, jedoch eine Systemtherapie zur Behandlung von Hirnmetastasen erst nach Entbindung eingeleitet werden konnte; mit einer erstaunlichen Überlebenszeit.
Fallbericht
Eine damals 23-jährige Patientin wurde im Juni 2007 vom niedergelassenen Kollegen in das Hauttumorzentrum Wiesbaden überwiesen. Im Bereich der rechten Schulter wurde ein ulzeriertes Malignes Melanom mit einer Tumordicke von 3,8 mm, Clark-Level IV mit Lymphangiosis melanomatosa diagnostiziert. Die Patientin befand sich in der 20. Schwangerschaftswoche. Es erfolgte Ende Juni 2007 die stationäre Aufnahme zur ausgedehnten Lokalexzision mit einem ausreichenden Sicherheitsabstand von 2 cm, die Defektdeckung erfolgte mittels Verschiebelappenplastik. Die Patientin entschied sich für eine schwangerschaftserhaltende Therapie, weshalb zum Staging lediglich eine Sonografie des Abdomens und der Lymphknoten erfolgte, ohne pathologischen Befund. Das nach Leitlinien empfohlene komplette Staging wurde erst nach Entbindung gewünscht, die Durchführung einer Sentinel-Lymphknotenbiopsie zum Wohle des Kindes abgelehnt. Die laborchemische Untersuchung von Protein S-100 zeigte sich normwertig.
Nach natürlicher Entbindung eines gesunden Mädchens im Dezember 2007 wurde das Staging komplettiert. Im Schädel-CT nativ fiel supratentoriell kaudoventral des rechten Seitenventrikelvorderhorns eine ca. 1 cm große, unscharf begrenzte Läsion auf. Eine neurologische Symptomatik bestand nicht. Im daraufhin durchgeführten MRT-Schädel wurde der hochgradige Verdacht auf eine intrazerebrale Metastasierung mit drei rechtshemisphärischen Hirnmetastasen bis zu einer Größe von 1 cm erhärtet ([Abb. 1], [Abb. 2]). Die CT-Thorax-Untersuchung zeigte keinen Hinweis auf Filiae. Das Tumorstadium betrug nun pT3b N0 M1c.
Abb. 1 Metastase frontal rechts (1,3 cm messend ) vor Therapiebeginn.
Abb. 2 Metastase frontal rechts mit deutlichem perifokalem Ödem vor Therapiebeginn.
Vor Beginn einer Chemotherapie wurde die Patientin am 20.12.2007 erstmalig mittels Gamma-Knife-Therapie behandelt mit einer Tumorranddosis von 20 Gy. Parallel dazu wurde ab Januar 2008 zusätzlich eine Chemotherapie mit Temozolomid, zunächst mit einer Dosis von 245 mg 1 × tgl. sowie Granisetron 2 mg 1 × tgl. für 5 Tage durchgeführt. Die Behandlungen wurden von der Patientin gut vertragen, weshalb weitere Chemotherapiezyklen im Februar, März, April und Mai mit einer gesteigerten Dosierung von 320 mg pro Tag erfolgten. Während des 5. Zyklus entwickelte die Patientin starke abdominelle Beschwerden, weshalb die Chemotherapie abgebrochen wurde. Eine Ileus-Symptomatik konnte ausgeschlossen werden. Weitere Temozolomid-Therapie-Zyklen erfolgten wieder im Juni, August und September. Zwischenzeitlich wurde parallel die Gamma-Knife-Therapie im Februar und September 2008 fortgesetzt. Nach einer MRT-Kontrolle nach 6 Monaten konnte bereits ein gutes Ansprechen der behandelten Metastasen verzeichnet werden, die sich auch in den MRT-Kontrolluntersuchungen weiterhin rückläufig darstellten ([Abb. 3]).
Abb. 3 Größenregrediente Metastase frontal rechts 2 Jahre nach Gamma-Knife-Therapie und Temozolomid-Therapie.
2009 wurde ein stationärer Aufenthalt zur Behandlung eines Zoster generalisatus erforderlich. Zur Therapie wurde eine Aciclovir-Infusionstherapie durchgeführt. Seitdem wies die Patientin keine weiteren Komplikationen durch die immunsuppressive Therapie auf.
Bis heute haben sich die Hirnfiliae bis auf eine größen- und formkonstante solitäre Filia rechts frontal kortikal zurückgebildet. Weitere Metastasen konnten in den regelmäßig durchgeführten klinischen sowie apparativen Nachsorgeuntersuchungen bis zum heutigen Tag nicht festgestellt werden. Die regelmäßigen Kontrollen des Protein S-100 zeigten sich undulierend um die obere Normgrenze pendelnd. Der Patientin wurde zusätzliche Hilfe durch den psychoonkologischen Dienst des Hauses angeboten, der neben der psychoonkologischen Betreuung auch psychotherapeutische Unterstützung bei ehemaliger Drogenabhängigkeit im Jugendalter und Sorgerechtsstreitigkeiten um die Tochter bot. Zur Behandlung von Schlafstörungen wurde kurzzeitig Mirtazapin 45 mg verordnet.
Im März 2012 kam es zu einem Anstieg von Protein S-100 auf 0,219 μg, jedoch zeigten auch die zuletzt im Sommer 2012 durchgeführten apparativen Untersuchungen keine Hinweise auf Filialisierung, lediglich die bekannte Hirnmetastase rechts frontal zeigte sich weiterhin punktförmig konstant.
Diskussion
Die Prognose bei einem metastasierten Malignen Melanom ist ungünstig. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate beiträgt bei Patienten mit organischen Metastasen weniger als 10 % [1]. Die zerebrale Metastasierungsrate bei fortgeschrittenen Melanomen liegt zwischen 10 – 20 %. Ohne Behandlung sterben diese Patienten meist innerhalb von einem Vierteljahr [2]
[3].
Für die Behandlung von zerebralen Metastasen stehen unterschiedliche Therapie-Möglichkeiten zur Verfügung, je nach Art und Lokalisation der Metastasen: mikrochirurgische Tumorresektion, Ganzhirnradiatio, stereotaktische Einzelbestrahlung, Chemotherapie. Wenn einzelne oder multiple Hirnmetastasen unter 3 cm Durchmesser bestehen und in der Nähe von hochempfindlichen Strukturen liegen, wie es im Falle unserer Patientin vorliegt, ist eine probate Methode die sogenannte Gamma-Knife-Therapie. Lars Leksell hat diese Methode in Schweden 1968 entwickelt.
Dieses nahezu schmerzfreie, hocheffiziente präzise Verfahren geht durch hochdosierte Gammastrahlen direkt das Tumorgewebe an und schont das umliegende gesunde Hirnparenchym weitgehend. Es wird von einer Tumorkontrolle von bis zu 82 % berichtet [4].
Zu den wichtigsten Indikationen der systemischen Chemotherapie gehört die inoperable Fernmetastasierung. Der rechtzeitige Einsatz einer Chemotherapie kann eine Stagnation bis hin zur Rückbildung des Tumors erzielen. Für zerebrale Filialisierung eignen sich Blut-Hirn-Schranken-gängige Chemotherapeutika. Da neuere Chemotherapeutika noch nicht verfügbar waren, wurde im Tumorboard eine Therapie mit Temozolomid (Temodal®), einer alkylierenden Substanz, die in Tablettenform verabreicht wird, beschlossen. Bei einer Gabe von Temozolomid 150 – 200 mg/m² oral 5 Tage alle 4 Wochen ist mit einer Ansprechrate von 12 – 25 % zu rechnen [5]
[6]. In Phase-III-Studien haben Temozolomid und das Standardchemotherapeutikum Dacarbazin äquivalente Wirksamkeiten gezeigt. Das mediane Gesamtüberleben im Temozolomid-Arm betrug 7,7 Monate, gegenüber 6,4 Monaten unter der Dacarbazin-Monotherapie [7].
Eine 2001 veröffentlichte Kasuistik berichtet über eine komplette Remission der Hirnfiliae durch Temozolomid bei einem bereits vorbehandelten Melanompatienten [8]. 2002 wurde über eine mit Fotemustin vorbehandelte Melanompatienten berichtet, die eine Überlebenszeit von 28 Monaten ab Behandlung mit Temozolomid zeigte. In der gleichen Beobachtungsstudie zeigten 2 Fälle eine komplette Remission der Hirnfiliae nach Temozolomid-Therapie [9]. 2004 wurde ebenfalls über eine komplette Remission bei einer Patientin mit Hirnmetastasen berichtet, die mit 6 Zyklen Temozolomid (300 mg täglich über 5 Tage) behandelt wurde [10].
Eine Kombination aus Radiochemotherapie und Temozolomid bietet einen vielversprechenden Therapieansatz. Während Temozolomid initial sequenziell zur Strahlentherapie eingesetzt wurde, ist seit der EORTC-Studie 2005 mittlerweile bekannt, dass Temozolomid auch als Strahlensensitizer wirkt [11]. In einer Studie von Antonadou (2002) führt eine Kombinationsbehandlung zu einer Erhöhung der Ansprechrate von 67 % mit alleiniger Strahlentherapie auf 96 % [12]. Einen Einfluss auf die Erhöhung der medianen Überlebenszeit blieb hier ohne Signifikanz.
In einer retrospektiven klinischen Studie von Summer wurde eine Verbesserung der Gesamtüberlebenszeit des Patienten von 2 – 6 Monate auf 24 Monate beschrieben [13]. Schmidt et al. konnten 2000 bei 9 Patienten mit Hirnfiliae durch eine Kombinationsbehandlung aus Temozolomid und stereotaktischer Bestrahlung bei 5 Patienten eine Krankheitsstabilisierung und bei 3 Patienten eine partielle Remission erzielen [14].
In dem hier vorgestellten Fall wurde die Gesamtüberlebenszeit der Patientin abweichend von der bisherigen Literatur auf bisher 5 Jahre verlängert. Möglicherweise basiert diese erstaunliche Überlebenszeit aufs dem synergistischen Effekt aus Radiotherapie und Chemotherapie.