Gastroenterologie up2date 2012; 08(03): 164-165
DOI: 10.1055/s-0032-1325688
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Lynch-Syndrom – Routinemäßiges molekulares Screening von CRC-Patienten sinnvoll?

Christian Pox
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Publication Date:
20 September 2012 (online)

Kommentar zu

Vergleich zwischen generellem molekularem Screening auf Lynch-Syndrom und revidierten Bethesda-Kriterien in einer großen bevölkerungsbasierten Kohorte von Patienten mit kolorektalem Karzinom

Comparison between universal molecular screening for Lynch syndrome and revised Bethesda guidelines in a large population-based cohort of patients with colorectal cancer

Pérez-Carbonell L, Ruiz-Ponte C, Guarinos C, Alenda C, Payá A, Brea A, Egoavil CM, Castillejo A, Barberá VM, Bessa X, Xicola RM, Rodríguez-Soler M, Sánchez-Fortún C, Acame N, Castellví-Bel S, Piñol V, Balaguer F, Bujanda L, De-Castro ML, Llor X, Andreu M, Carracedo A, Soto JL, Castells A, Jover R; Unidad de Investigación, Hospital General Universitario, Alicante, Spain

Hintergrund: Das Lynch-Syndrom ist die häufigste Ursache für erblichen Dickdarmkrebs. Es wird durch Mutationen in den „DNA-Mismatch-Repair“-Genen (MMR-Gene) der Keimbahn verursacht. Die derzeitige Strategie zur Selektion von Patienten, bei denen ein Lynch-Syndrom-Screening indiziert ist, sieht vor, dass diese mindestens 1 Kriterium der revidierten Bethesda-Kriterien erfüllen müssen. Im positiven Fall erfolgt dann eine MMR-Status-Analyse. L. Pérez-Carbonell et al. verglichen die aktuelle Vorgehensweise mit einer Strategie, bei der sich Patienten mit kolorektalem Karzinom (Colorectal Cancer, CRC) einem universellen molekularen Screening unterziehen.

Methoden: An der Untersuchung nahmen 2093 CRC-Patienten teil. Diese gehörten zu 2 Kohorten von Patienten, die Bestandteil der landesweiten, multizentrischen spanischen Studien EPICOLON I und II waren. Unter Verwendung von Tumorgewebe wurden eine immunhistochemische Analyse von MMR-Proteinen (MLH1, MSH2, MSH6, PMS2) und/oder eine Analyse zur Mikrosatelliteninstabilität (MSI) durchgeführt. Eine Keimbahn-Mutations-Analyse bezüglich MLH1 und MSH2 erfolgte bei Patienten, deren Tumoren keine MLH1- bzw. MSH2-Färbung aufwiesen. Eine MSH6-Analyse führten die Autoren bei Patienten mit Tumoren mit fehlender MSH6-Expression oder kombiniertem Fehlen von MSH6- und MSH2-Expression durch, bei denen keine MSH2-Mutation vorlag. Ein genetischer Test hinsichtlich PMS2 erfolgte bei Patienten, die ausschließlich einen Verlust der PMS2-Expression aufwiesen. Bei Probanden mit MSI-Tumoren und solchen ohne immunhistochemische Analyse wurden alle 4 MMR-Gene untersucht.

Ergebnisse: Das Durchschnittsalter der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose betrug 70,5 Jahre (Spanne: 26 – 101). 60 % waren männlich. Im Rahmen der „routinemäßigen“ molekularen Screeningstrategie zeigten 180 Patienten (8,6 %) keine MMR-Protein-Expression und/oder wiesen eine MSI auf. Diese unterzogen sich einem genetischen Test. 486 Patienten (23,2 %) erfüllten einige der revidierten Bethesda-Kriterien; 61 wurden genetisch getestet. Von den 14 Patienten (0,7 %) mit einer MMR-Genmutation erfüllten 12 mindestens eines der revidierten Bethesda-Kriterien, 2 (14,3 %) hingegen nicht; d. h. unter Anwendung der aktuellen Bethesda-Strategie blieben 2 Fälle von Lynch-Syndrom unentdeckt.

Folgerung: Ein bei CRC-Patienten routinemäßig durchgeführtes molekulares Screening auf Lynch-Syndrom ist laut Studienergebnis sensitiver in Bezug auf die Identifizierung von Trägern einer Mutation als die Anwendung der revidierten Bethesda-Richtlinien. Die Autoren sprechen sich dafür aus, bei CRC-Patienten grundsätzlich den MMR-Status zu bestimmen.

Gut 2012; 61: 865 – 872

(zusammengefasst von Dr. Frank Lichert, Weilburg)

Früherkennung bei Lynch-Syndrom. Ein Lynch-Syndrom bei Patienten mit kolorektalem Karzinom zu diagnostizieren, hat eine hohe klinische Relevanz. Zum einen benötigen die betroffenen Patienten aufgrund des hohen Risikos, im Verlauf ein metachrones kolorektales Karzinom zu entwickeln, eine engmaschige endoskopische Nachsorge in Form einer jährlichen Koloskopie. Zum anderen ist beim Lynch-Syndrom das Risiko für gewisse extrakolonische Tumoren erhöht (Karzinome des Magens, Dünndarms, ableitende Harnwege und bei Frauen Endometrium und Ovar). Entsprechend gelten hier die Vorsorgeempfehlungen (oder Früherkennungsempfehlungen) der aktuellen S3-Leitlinie (s. Tab. [1]).

Tabelle 1

Früherkennungsempfehlungen bei Lynch-Syndrom gemäß S3-Leitlinie.

Ab dem 25. Lebensjahr jährlich:

  • Koloskopie

  • transvaginaler Ultraschall

Ab dem 35. Lebensjahr zusätzlich:

  • regelmäßig ÖGD

  • jährlich Endometriumbiopsie

Weiterhin hat die Diagnose Lynch-Syndrom eine hohe Relevanz für Verwandte des betroffenen Patienten. Das Lynch-Syndrom wird autosomal-dominant vererbt, d. h. jeder erstgradig Verwandte (Kinder, Geschwister, auch Eltern) hat ein Risiko von 50 %, ebenfalls betroffen zu sein und damit die in Tab. [1] aufgeführten Vorsorgeuntersuchungen zu benötigen.

Generelle Testung bei CRC. Obwohl das Lynch-Syndrom seit Längerem bekannt ist, wird bei vielen betroffenen Patienten die Diagnose nicht oder erst sehr spät gestellt. Es ist daher immer wieder gefordert worden, alle Patienten mit einem kolorektalen Karzinom auf das mögliche Vorliegen eines Lynch-Syndroms zu untersuchen. Die hier vorgestellte Studie aus Spanien zeigt mögliche Vor-, aber auch Nachteile dieses Vorgehens auf. Von Vorteil ist, dass mit diesem Vorgehen vermutlich so gut wie kein Patient mit Lynch-Syndrom übersehen wird. Es ist aber zu bedenken, dass nur bei 14 von 2093 (0,7 %) untersuchten Patienten letztendlich ein Lynch-Syndrom diagnostiziert wurde. Hingegen zeigten 180 Patienten Auffälligkeiten in der Immunhistochemie (IHC) und/oder Mikrosatellitenstabilitätsuntersuchung (MSI) und wurden genetisch getestet, d. h. bei 166 dieser 180 Patienten lag kein Lynch-Syndrom vor. Wie bekannt ist, liegt bei der Mehrzahl von Patienten mit auffälligem IHC/MSI-Befund eine nicht vererbliche Methylierung des MLH1-Promotors vor, d. h. es handelt sich um kein Lynch-Syndrom.

Kosten-Nutzen-Abwägung. Leider fehlen jegliche Angaben zu den entstandenen Kosten durch die Testung. Es ist aber davon auszugehen, dass eine generelle Testung aller kolorektalen Karzinome mit nicht unerheblichen Kosten einhergehen würde. Unter Verwendung des bisherigen Standards der klinischen Bethesda-Kriterien wären deutlich weniger (486) der Patienten auf IHC/MSI und genetisch (61) untersucht worden. Letztendlich wären bei diesem Vorgehen 2 der 14 Patienten mit Lynch-Syndrom übersehen worden (Sensitivität 12 /14 = 85 %).

Fazit. Somit ist der Einsatz der Bethesda-Kriterien zur Selektion von Patienten, die weiter auf das Vorliegen eines Lynch-Syndroms getestet werden müssen, nicht ideal, aber vermutlich für die Praxis ausreichend und mit deutlich geringeren Kosten verbunden. Entscheidend ist jedoch, bei jedem Patienten mit kolorektalem Karzinom die Bethesda-Kriterien abzufragen. Hier besteht weiterhin akuter Handlungsbedarf. In der in Kürze erscheinenden aktualisierten S3-Leitlinie wird u. a. auf diese Punkte genauer eingegangen, und es werden Algorithmen vorgestellt, die für die Diagnose eines Lynch-Syndroms hilfreich sein dürften.