Schlüsselwörter
Pränataldiagnostik - Mutterschaftsvorsorge - Gendiagnostikgesetz - Ersttrimester-Screening
- Ultraschall - Chromosomenanomalie - intrauterine Therapie
Nicht jede Schwangerschaft verläuft komplikationslos. Manche Risiken für Mutter und
Kind lassen sich durch die Pränataldiagnostik jedoch schon früh erkennen. So bietet
sich die Chance, rechtzeitig medizinische Hilfe zu leisten – und mütterliche wie kindliche
Morbidität zu vermindern. In der Schwangerschaftsvorsorge ist zu unterscheiden zwischen
der Basisuntersuchung per Ultraschall in der frauenärztlichen Betreuung – und der
differenzierten Diagnostik, ggf. inklusive invasiver Verfahren beim Pränatalmediziner.
Für alle Untersuchungen gilt aber: Die psychischen Belastungen und Konsequenzen eines
auffälligen Befundes sind für die Eltern gravierend. Pränataldiagnostiker müssen daher
speziell geschult sein und interdisziplinär beraten.
Definition
Unter pränataler Diagnostik (PND) versteht man vorgeburtliche Untersuchungen des Ungeborenen,
die Aussagen über bestimmte Krankheiten des ungeborenen Kindes sowie mögliche Gefahren
für Leben und Gesundheit der Schwangeren und des Ungeborenen zulassen. So kann man
ggf. eine Therapie einleiten, um den Ausgang der Schwangerschaft zu verbessern.
Häufigkeit von Fehlbildungen
Etwa 4 % aller neugeborenen Kinder haben angeborene Erkrankungen, die nur teilweise
außerhalb spezialisierter Pränatalambulanzen im Rahmen der frauenärztlichen Ultraschalluntersuchungen
erkannt werden können. Zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen zählen:
Nutzen der Pränataldiagnostik
Es gilt heute als unstrittig, dass das vorgeburtliche Wissen um eine Erkrankung den
Lebensstart eines Neugeborenen deutlich verbessern kann:
-
Manche Fehlbildungen (z. B. spezielle Herzfehler, Zwerchfellhernie, Neuralrohr- oder
Bauchwanddefekte) erfordern eine Operation innerhalb der ersten Lebenstage.
-
Hier kann die Vorbereitung auf die Geburt eines kranken Kindes für die werdenden Eltern
hilfreich und für das Kind lebensrettend sein.
Wichtigstes Instrument: Ultraschall
Schwerpunkt der PND liegt auf der detaillierten Ultraschalluntersuchung.
-
Zum einen kann man die mütterlichen Schwangerschafts- und Geburtsrisiken reduzieren
(z. B. Verzicht auf Sectio bei infauster fetaler Prognose oder primäre Sectio bei
Plazenta prävia).
-
Zum anderen lassen sich Schäden des Neugeborenen mindern, wenn man Risiken (z. B.
plazentare Mangelversorgung oder angeborene Fehlbildung / Erkrankung) erkennt und
ggf. entsprechend behandelt (z. B. intrauterine fetale Bluttransfusion oder vorzeitige
Entbindung).
Ergebnis auffällig – und dann?
In den letzten 20 Jahren haben sich die Handlungsoptionen im Rahmen der PND erweitert:
-
von der Entscheidung zwischen Abbruch vs. Fortsetzen der Schwangerschaft
-
um die Möglichkeiten aktiver (medikamentöser und chirurgischer) Interventionen zur
Verbesserung des Langzeit-Outcomes des Fetus.
Pränataldiagnostik ist interdisziplinär
Pränataldiagnostiker kooperieren eng mit den betreuenden niedergelassenen Frauenärzten
und Hebammen, mit den Kollegen der Geburtsmedizin, den Neonatologen und anderen Fachrichtungen
der Kinderheilkunde – u. a. der Kinderkardiologie, -nephrologie, -neurologie und -chirurgie.
Weitere Schnittstellen gibt es mit der Humangenetik und Reproduktionstoxikologie ([Kasten S. 238]) sowie mit psychologischen Beratungs- und Begleitungsangeboten.
Die gesetzliche Mutterschaftsvorsorge
Die gesetzliche Mutterschaftsvorsorge
Ziel der Vorsorge
Bereits die gesetzlich geregelte ärztliche Schwangerschaftsbetreuung ist als pränatale
Diagnostik anzusehen, die gewisse Basisanforderungen erfüllen soll:
„Durch die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung
sollen mögliche Gefahren für Leben und Gesundheit von Mutter oder Kind abgewendet
sowie Gesundheitsstörungen rechtzeitig erkannt und der Behandlung zugeführt werden.
Vorrangiges Ziel der ärztlichen Schwangerenvorsorge ist die frühzeitige Erkennung
von Risikoschwangerschaften und Risikogeburten“ [1].
Routineuntersuchungen
Im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge sind in Deutschland für unkomplizierte Schwangerschaften
3 Ultraschalluntersuchungen vorgesehen:
-
Screening: von Beginn der 9. bis zum Ende der 12. Schwangerschaftswoche (SSW)
-
Screening : von Beginn der 19. bis zum Ende der 22. SSW
-
Screening: von Beginn der 29. bis zum Ende der 32. SSW
Das 1. Screening
Bislang werden bei der ersten Routineuntersuchung (9.–12. SSW) der Sitz der Schwangerschaft
(intra- oder extrauterin), die Vitalität und Anzahl der Feten, bei Mehrlingen die
Chorion- und Amnionverhältnisse, das Alter der Schwangerschaft anhand der Schädel-Steiß-Länge
sowie die körperliche Integrität (Ausschluss grobstruktureller Fehlbildungen) untersucht.
Das 2. Screening
Für die Untersuchung der fetalen Morphologie ist vor allem der Ultraschall im 2. Trimenon
relevant (18+0 bis 21+6 SSW). Er dient dazu, die Biometrie des Fötus zu erfassen und
eventuelle Hinweiszeichen für Entwicklungsstörungen zu erkennen [Tab. 1]. Da die bisherigen Vorgaben einen weiten Interpretationsspielraum zulassen, soll
gemäß einer geplanten Erweiterung der gesetzlichen Vorgaben schon bei der Routineuntersuchung
nach Fehlbildungen /fetalen Zuständen gesucht werden, die
-
mit dem Leben nicht vereinbar sind
-
mit hoher Morbidität bzw. Langzeitbehinderung einhergehen
-
das Potenzial für eine intrauterine Therapie beinhalten
-
eine postnatale Untersuchung oder Behandlung erfordern.
Es ist geplant, Schwangeren die Option zu eröffnen, im 2. Trimenon zwischen einer
biometrischen Sonografie mit oder ohne systematische Untersuchung der fetalen Morphologie
durch einen besonders qualifizierten Untersucher zu wählen.
Diese erweiterte Ultraschalluntersuchung soll dann ebenfalls zum Programm der Mutterschaftsvorsorge
gehören, aber nicht Bestandteil des Screenings sein. Sie soll nicht auf die Abklärung
genetischer Eigenschaften ausgerichtet sein und damit nicht in den Anwendungsbereich
des Gendiagnostikgesetzes (GenDG, [Kasten S. 239]) fallen [2].
Tab. 1 Morphologische, strukturelle und physiologische Parameter, die im Fokus des Ultraschalls
im 2. Trimenon stehen. Bestimmte Veränderungen stellen sonografische Hinweiszeichen
für Entwicklungsstörungen dar.
Das 3. Screening
Das Basis-Screening im 3. Trimenon von Beginn der 29. bis zum Ende der 32. SSW umfasst
die Kontrolle auf mögliche Hinweiszeichen für Entwicklungsstörungen gemäß dem 2. Screening.
Differenzierte Pränataldiagnostik
Differenzierte Pränataldiagnostik
Für wen?
Im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge sollen Risikoschwangerschaften und mögliche Risikogeburten
erkannt und besonders eng überwacht werden. Dazu gehören
Typische Risikokonstellationen
Häufige Indikationen für die Überweisung zum Spezialisten der Pränataldiagnostik,
ggf. bei fortgeschrittener Schwangerschaft (> 24. SSW) in Kooperation mit einem Perinatalzentrum,
sind:
Früherkennung von Chromosomenfehlern bei „älteren“ Schwangeren
Die erste Amniozentese zum Nachweis von Chromosomenaberrationen wurde in Deutschland
1969 durchgeführt. Nach den aktuellen Mutterschafts-Richtlinien gilt jede Schwangere
ab 35 Jahren als Risikoschwangere – und soll an einen Spezialisten überwiesen werden,
der eine Fruchtwasseruntersuchung oder Chorionzottenbiopsie durchführen kann. Der
Grund:
Als die Mutterschafts-Richtlinien 1985 in Kraft traten, waren nur etwa 5 % der Schwangeren
in Deutschland älter als 35 Jahre – konzipierten aber 30 % der Feten mit Chromosomenfehler.
Exkurs: Reproduktionstoxikologie
Die Reproduktionstoxikologie befasst sich mit den Auswirkungen von potenziell schädigenden
Faktoren (wie Medikamenten, Arbeitsplatz- und Umweltchemikalien) auf die Fruchtbarkeit
der Eltern und die Entwicklung des Kindes während Schwangerschaft und Stillzeit.
Viele Frauen können während einer Schwangerschaft nicht auf Medikamente verzichten.
Das Problem: Die Arzneimittelhersteller geben ihre Produkte aus Angst vor Schadensersatzforderungen
nicht für Schwangere frei. Hilfreich für den behandelnden Arzt sind dann spezielle
Datenbanksysteme, wie z. B.
http://www.reprotox.de oder http://www.embryotox.de
Hier werden reproduktionstoxikologische Daten aus der Wissenschaft erfasst. Dadurch
stehen aktuelle Erkenntnisse und Informationen über die Folgen einer Medikamenten-
oder Schadstoffexposition in Schwangerschaft und Stillzeit sowie über fruchtschädigende
Umweltfaktoren zur Verfügung.
Heute ist jede 4. Schwangere älter als 35 Jahre. Behielte man dieses Alter als cut-off
für die Amniozentese bei, wäre die Screening-Population unverhältnismäßig hoch.
Seit etwa 1998 hat sich das sogenannte Ersttrimester-Screening (s. unten) etabliert.
Damit steht jeder Schwangeren (nicht nur den > 35-Jährigen) eine individuelle Entscheidungshilfe
für oder gegen eine invasive Diagnostik zum Ausschluss fetaler Chromosomenfehler zur
Verfügung [3]
[6].
Keine Diagnostik ohne Aufklärung und Beratung!
Keine Diagnostik ohne Aufklärung und Beratung!
Ärztliche Beratung vor PND
Im Sinne des GenDG stellen die differenzierte PND und auch die vorgeburtliche Risikoabklärung
eine genetische Diagnostik dar ([Kasten S. 239]).
-
Vor PND hat der verantwortliche Arzt die Schwangere über Wesen, Bedeutung und Tragweite
der (genetischen) Untersuchung aufzuklären. Die Aufklärung umfasst insbesondere
-
Zweck, Art, Umfang und Aussagekraft der Untersuchung einschließlich der erzielbaren
Ergebnisse
-
gesundheitliche Risiken, die mit der Kenntnis des Untersuchungsergebnisses und mit
der erforderlichen Probenahme für den Fötus verbunden sind.
-
Nach der Aufklärung ist der Schwangeren eine angemessene Bedenkzeit bis zur Entscheidung
über die Einwilligung einzuräumen.
Psychosoziale Beratung und Begleitung
Die PND mit ihren diagnostischen und therapeutischen Verfahren stellt Schwangere und
deren Partner manchmal vor schwierige Entscheidungen. Hier ist es hilfreich, neben
der medizinischen Beratung auch soziale und psychische Aspekte zu besprechen.
-
Ziel der psychosozialen Beratung ist es, eine kompetente Entscheidung hinsichtlich
der Inanspruchnahme von vorgeburtlichen Untersuchungen zu ermöglichen sowie
-
Unterstützung und Begleitung bei den dabei entstehenden Herausforderungen anzubieten.
Der Arzt berät die Patientin und stellt auf Wunsch Kontakt zu Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen
her. Dabei sollte er auf die verschiedenen Fragen, die die werdenden Eltern beschäftigen,
näher eingehen:
-
Welche Untersuchungen sind in der individuellen Lebenssituation sinnvoll?
-
Welche Auswirkungen hätte ein auffälliger Befund?
-
Welche Optionen zur weiteren Lebensgestaltung stehen offen?
-
Welche Möglichkeiten der Frühförderung gibt es?
Ausführliche Anamnese
Vor einer differenzierten Pränataldiagnostik erhebt man eine medizinisch-genetische
Anamnese. Dabei muss neben der Dokumentation einer eingehenden Eigen- und Schwangerschaftsanamnese
auch nach Fehl- bzw. Totgeburten sowie nach eventuell genetisch bedingten Erkrankungen
und Behinderungen in der eigenen und der Familie des Kindsvaters gefragt werden.
„Ergeben sich im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge Anhaltspunkte für ein genetisch
bedingtes Risiko, so ist der Arzt gehalten, die Schwangere über die Möglichkeiten
einer humangenetischen Beratung und / oder humangenetischen Untersuchung aufzuklären“
[1].
Humangenetische Beratung
Die genetische Beratung erfolgt allgemein verständlich und ergebnisoffen.
-
Zu erörtern sind insbesondere die möglichen medizinischen, psychischen und sozialen
Fragen im Zusammenhang mit der Vornahme oder Nichtvornahme einer Untersuchung sowie
-
die Angebote zur Unterstützung bei physischen und psychischen Belastungen durch die
Untersuchung und das Ergebnis.
Kommen genetische Erkrankungen in der Familie der Eltern vor, sollte der Humangenetiker
das potenzielle Wiederholungsrisiko aufzeigen: Bei einer unklaren, wahrscheinlich
genetisch bedingten Behinderung eines Kindes des Paares liegt das Risiko geschätzt
bei 1:16 und bei einer bekannten autosomal-rezessiven Erkrankung bei 1:4.
Exkurs: Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz –
GenDG)
§ 1 Zweck dieses Gesetzes ist es, die Voraussetzungen für genetische Untersuchungen
[…] zu bestimmen [...], um insbesondere die staatliche Verpflichtung zur Achtung und
zum Schutz der Würde des Menschen und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
zu wahren.
§ 2 Dieses Gesetz gilt für genetische Untersuchungen und im Rahmen genetischer Untersuchungen
durchgeführte genetische Analysen bei geborenen Menschen sowie bei Embryonen und Föten
während der Schwangerschaft [...] (Auszug aus dem Gendiagnostikgesetz vom 31. Juli
2009; BGBl. I S. 2529, 3672)
Da die pränatale Untersuchung des Fötus in den Bereich prädiktiver Untersuchung auf
genetische Eigenschaften fällt, regelt das GenDG
Methoden und Zeitpunkt der differenzierten Pränataldiagnostik
Methoden und Zeitpunkt der differenzierten Pränataldiagnostik
Optionen
Nach eingehender Beratung über die Zielsetzung der pränatalmedizinischen Untersuchung
erfolgt eine differenzierte Ultraschalluntersuchung mit
-
hochauflösender 2-dimensionaler Darstellung fetaler und mütterlicher Strukturen,
-
Blutflussdarstellungen, wie fetaler Echokardiografie [Abb. 1] und Dopplersonografie der maternalen und fetalen Gefäße, sowie
-
ggf. 3- [Abb. 2] oder 4-dimensionaler Sonografie (Realtime-3-D, [Abb. 3]).
Die Möglichkeiten weiterführender invasiver Eingriffe wie Chorionzottenbiopsie (Plazentagewebsentnahme),
Amniozentese (Fruchtwasserentnahme) und bei speziellen Fragestellungen Fetalblutentnahme
ergänzen das Spektrum der Pränatalmedizin.
Abb. 1 Fetale Echokardiografie. Oben: Fetus in der 14. SSW. Die Aufnahme zeigt eine (noch
meist physiologische) Tricuspidalinsuffizienz.Unten: Beispiel eines Dobble outlet
aus dem rechten Ventrikel (Fetus in der 28. SSW).
Abb. 2 Fetus 13+3 SSW, unauffällige Oberflächendarstellung im 3-D-Modus
Abb. 3 Fetus mit einseitiger Lippen-Kiefer-Spalte in der 25. SSW, Oberflächendarstellung
im sog. 4-D-Modus. Dabei werden auch die Bewegungen des Kindes aufgezeichnet.
Abb. 4 Thorax-Ultraschallaufnahmen zweier Föten. Oben: Thoraxhypoplasie bei thanatophorer
Skelettdysplasie (30.SSW). Unten: fetale normale Skelettdarstellung (20. SSW).
Ultraschall in der Frühschwangerschaft
Über lange Zeit lag der Schwerpunkt der PND auf dem Nachweis oder Ausschluss von kindlichen
Fehlbildungen im 2. und 3. Trimenon. Nun hat sich ein Schwerpunkt der PND auf die
Frühschwangerschaft verlagert.
-
Im Rahmen der Ultraschalldiagnostik im 1. Trimenon (sog. Erst-Trimester-Screening)
sollen anhand eines Algorithmus die Weichen gestellt werden für eine intensivierte
vs. eine Routine-Schwangerschaftsbegleitung [4].
-
Diese gezielte Fehlbildungsdiagnostik nehmen Untersucher mit entsprechender Erfahrung
vor.
Eingeschränkte Aussagekraft
Bei der Untersuchung in der Frühschwangerschaft sollte man immer berücksichtigen,
dass Erkrankungen, die sich intrauterin erst ausbilden, nicht in jedem Fall in dieser
frühen Schwangerschaftsphase diagnostizierbar und damit auszuschließen sind. Ferner
ist der spätere Erkrankungsverlauf oft nicht abschätzbar und damit eine Prognose nicht
möglich – so z. B. bei obstruktiven Uropathien und konsekutiver Nierenschädigung,
Anhydramnie mit sich entwickelnder Lungenhypoplasie oder bei hämodynamisch wirksamen
Herzfehlern mit konsekutiver Myokardhypertrophie.
Nur eine gesicherte Diagnose einer fetalen Erkrankung kann Grundlage von Überlegungen
gegen eine Fortsetzung einer Schwangerschaft sein.
Ersttrimester-Screening
Die verbesserte Ultraschalltechnik ermöglicht es, die fetale Anatomie schon im 1.
Trimenon detailliert zu untersuchen. Grob-strukturelle Auffälligkeiten wie Anenzephalus,
Holoprosenzephalie, Enzephalozelen, Extremitätenfehlbildungen und andere morphologische
Auffälligkeiten des Fötus sind ab der 11. SSW erkennbar.
-
Dabei hat die subkutane Transparenz zwischen Haut und Weichgewebe über der zervikalen
Wirbelsäule des Fetus, die sog. Nackentransparenz, große Bedeutung: Eine zunehmende
Weite dieser Flüssigkeitsansammlung korreliert mit möglichen fetalen Erkrankungen
[Tab. 2].
Das Ersttrimester-Screening erfolgt standardisiert und ist an Qualitätskontrollen
gebunden.
-
In Kombination mit dem Alter und den Serumparametern der Mutter bietet es eine fundierte
vorgeburtliche Risikoabklärung für mögliche numerische Chromosomenanomalien (Trisomie
21, 13, 18) beim Fötus: So kann das individuelle Risiko mit einer Sensitivität von
bis zu 95 % bei einer Falschpositivrate von unter 5 % spezifiziert werden.
Damit kann man Schwangeren jeden Alters eine Entscheidungshilfe für oder gegen eine
invasive Diagnostik anbieten.
Tab. 2 Die Gründe für eine erweiterte Nackentransparenz (NT) können vielfältig sein (Angaben
aus [5]).
Invasive Diagnostik: Chorionzottenbiopsie
Gibt es vor der 14+0 SSW Verdacht oder erhöhte Risiken für das Vorliegen einer Chromosomenstörung
oder genetischen Erkrankung, lässt sich dies ab 11+0 SSW durch eine Chorionzottenbiopsie
unter Ultraschallsicht abklären.
Die darin enthaltenen Zellen teilen sich spontan und können für eine rasche Analyse
verwendet werden.
Invasive Diagnostik: Amniozentese;
Eine Fruchtwasserentnahme sollte nicht vor der 14+0 SSW, nach anglo-amerikanischen
Leitlinien erst nach 15+0 SSW stattfinden.
Das Fruchtwasser enthält abgeschilferte fetale Zellen (Haut und Urogenitaltrakt).
Diese wachsen in Kultur langsamer als das Plazentagewebe, sodass für eine Analyse
erst nach etwa 2 Wochen genügend Zellen zur Verfügung stehen.
Beide invasive Verfahren – Chorionzottenbiopsie wie Amniozentese – bergen ein etwa
0,5 %iges Risiko für das Auslösen einer Fehlgeburt. Dabei ist jedoch zu bedenken,
dass auch das natürliche Fehlgeburtsrisiko noch zwischen der 12. und 16. SSW auf ca.
0,5–0,3 % abfällt. Ein maternaler Bluttest wäre hier zwar risikolos, stellt derzeit
aber (noch) keine Alternative dar ([Kasten S. 242]).
„Organ-Feindiagnostik“ im 2. Trimenon
Einige Anomalien sind im frühen Stadium der Schwangerschaft noch nicht erkennbar –
darunter ZNS-Fehlbildungen oder manche Herzfehler. Um derartige Fehlbildungen frühzeitig
zu detektieren, folgt dem Ersttrimester-Ultraschall eine detaillierte Sonografie in
der 20.–22. SSW. Sie ergänzt den „Routine-Organultraschall“ beim Frauenarzt.
Detaillierte Sonografie 3. Trimenon
Der differenzierte Ultraschall nach der 28. SSW hat den Vorteil, dass man neben sonomorphologischen
Entwicklungsstörungen, v. a. von Herz und Nieren, auch die Weiterentwicklung zerebraler
Strukturen beurteilen kann [Abb. 5].
-
So können beispielsweise Stoffwechseldefekte zu einem Hydrops fetalis führen, der
sich erst im 3. Trimenon entwickelt.
-
Ebenso gibt es Wachstumsretardierungen und kritische fetale Unterversorgungssituationen,
die erst im 3. Trimenon erkennbar werden.
Abb. 5 Sonografische Untersuchung des fetalen Gehirns (28. SSW). Die Aufnahme erfolgte im
TUI-Modus (TUI: tissue ultrasound imaging), bei dem Ultraschallbilder in verschiedenen
parallelen Schnittebenen angefertigt werden – ähnlich einer CT. Mithilfe dieser Methode
ließ sich im hier abgebildeten Fall eine intraventrikuläre Blutung diagnostizieren.
Vorgehen bei fetalen Auffälligkeiten
Vorgehen bei fetalen Auffälligkeiten
Eingehende Information und Beratung
Stellt man im Rahmen der PND Auffälligkeiten fest, so ist oberstes Ziel, die Schwangere
und ihren Partner bestmöglich über die zu erwartende Erkrankung oder Beeinträchtigung
des Kindes zu informieren. Dies umfasst Informationen bzw. Kontaktvermittlung zu
-
psychosozialer Begleitung
-
Gendiagnostikgesetz (Entscheidungsmöglichkeit für / gegen eine genetische Untersuchung
sowie Bestimmung des Umgangs mit den Ergebnissen und deren Weitergabe)
-
humangenetischer Beratung
-
invasiver Diagnostik, pränataler Therapie, vorzeitiger Entbindung
-
interdisziplinärer Beratung (Kinderärzte, Selbsthilfegruppen)
Bei Anämie: intrauterine Transfusion
Die älteste pränatale Therapie ist die intrauterine fetale Transfusion bei fetaler
Anämie. Maternale Laborparameter (ansteigende Antikörper-Titer) und fetale Doppler-Parameter
(Blutflussgeschwindigkeiten) können sonografisch die Indikation für eine fetale Blutuntersuchung
durch Punktion der Nabelvene geben. Im Rahmen einer Nabelvenenpunktion erfolgt dann
auch eine fetale Bluttransfusion.
Problematische Blutversorgung bei Zwillingen
Hauptindikation für eine intrauterine Laser-Koagulation ist das Zwillingstransfusionssyndrom
(TTS), das bei etwa 15 % der monochorialen Gemini auftritt. Über kommunizierende Gefäße
in ihrer gemeinsamen Plazenta kommt es zu einem unbalancierten Blutaustausch zwischen
beiden Feten mit resultierender Anämie beim Donor und Polyzythämie beim Rezipienten.
Polyhydramnie und Herzinsuffizienz bei Rezipienten und Anhydramnie, Wachstumsretardierung
und Hypoxämie beim Donor bedeuten für beide ein deutlich erhöhtes Mortalitäts- und
Morbiditätsrisiko. Eine intrauterine Laser-Koagulation versucht die Ursache zu beseitigen,
indem die verbindenden Blutgefäße auf der Plazenta unterbrochen werden und damit der
Blutfluss vom Donor zum Rezipienten gestoppt wird.
Fetale endoskopische Tracheal-Okklusion (Fetendo-PLUG) bei Zwerchfellhernien
Eine kongenitale Zwerchfellhernie ist aufgrund der resultierenden Lungenhypoplasie
und pulmonalen Hypertension mit einer hohen postnatalen Morbidität und Mortalität
assoziiert.
Intrauterine chirurgische Therapie bei Spina bifida
Der Vergleich eines pränatalen operativen Verschlusses einer Myelomeningozele mit
einer operativen Korrektur postnatal kann in einer besseren neurologischen Funktion
resultieren. Nachteile jedes pränatalen operativen Vorgehens sind jedoch ein erhöhtes
Risiko für Frühgeburt und uterine Narbendehiszenz [8].
Vorgehen bei infauster Prognose
Vorgehen bei infauster Prognose
Schwangerschaft fortführen oder abbrechen?
Die Entscheidung für oder gegen ein Austragen des Kindes benötigt Informationen und
Zeit. Wollen die Eltern bei infauster Prognose (z. B. Trisomie 13 und 18, nicht mit
dem Leben zu vereinbarende Fehlbildungen) die Schwangerschaft fortführen, kann eine
Sterbebegleitung postpartal vorbereitet werden.
Bei infauster Prognose hat die spontane Entbindung, vorzeitig oder am Termin, oberste
Priorität.
Seelischer Beistand
Begleitungsangebote für Eltern, die ihr Kind – unabhängig von der Schwangerschaftswoche
– verloren haben, können den Eltern helfen, den Verlust zu verarbeiten und wieder
in einen geregelten Lebensrhythmus hineinzufinden.
Termination of pregnancy (TOP)
Ein Abbruch der Schwangerschaft ist unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen
Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt, um eine Gefahr
für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen
oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden – sofern dies nicht
auf eine andere für sie zumutbare Weise geschehen kann.
Rechtliche Grundlagen
Das zum 1.1.2010 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
(SchKG) umfasst folgende Veränderungen:
-
Die Schwangere erhält mehr Beratung im Zusammenhang mit der Diagnose einer Erkrankung
des Kindes, was sowohl medizinische als auch psychosoziale Aspekte angeht.
-
Sie muss durch den Arzt obligatorisch darauf hingewiesen werden, dass sie ein Recht
auf Beratung durch psychosoziale Beratungsstellen hat.
-
Zwischen der Diagnose bzw. Beratung und der Ausstellung der Indikationsbescheinigung
müssen mindestens 3 Tage vergehen (Zeit des Überdenkens).
-
Nur bei „gegenwärtiger erheblicher Gefahr für Leib und Leben der Schwangeren“ (z. B.
bei septischem Abort) gelten diese Fristen nicht.
Nach ausführlicher interdisziplinärer Beratung über das zu erwartende Krankheitsbild
wird der Schwangeren unabhängig von ihrer Entscheidung psychosoziale Begleitung angeboten
und nahegelegt.
Auch für Eltern, die ein Baby durch einen Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer
Indikation verloren haben, besteht die Notwendigkeit der Trauerbewältigung.
Exkurs: Bluttest auf Trisomie 21
Etwa 5 % der DNA im Blut der Schwangeren sind fetalen Ursprungs. Seit Jahren versucht
man daher, fetale Erkrankungen über eine mütterliche Blutprobe zu ermitteln.
Er hat eine ethische Diskussion auf Bundesebene entfacht und wird von den Krankenkassen
derzeit nicht erstattet. In den bislang veröffentlichten Studien liegt die Genauigkeit
der Erkennung < 100 %, bei einer geringen Falsch-positiv-Rate.
Möglicherweise profitieren einzelne Schwangere, die trotz unauffälligem Ultraschall
(aufgrund bestimmter Hormonwerte) mit einem erhöhten Trisomie-21-Risiko konfrontiert
sind: Sie könnten ein Down-Syndrom ihres Kindes weitgehend ausschließen, ohne eine
Fruchtwasserentnahme oder Plazentabiopsie vornehmen zu lassen.
Entbindung bei Risikoschwangerschaft
Entbindung bei Risikoschwangerschaft
Am besten im Perinatalzentrum
Gemäß Mutterschaftsrichtlinie soll der betreuende Arzt die Schwangere auch „bei der
Wahl der Entbindungsklinik unter dem Gesichtspunkt beraten, dass die Klinik über die
nötigen personellen und apparativen Möglichkeiten zur Betreuung von Risikogeburten
und / oder Risikokindern verfügt.“ [1]
Frühgeburtlichkeit
Eine geplante vorzeitige Entbindung kann maternal (schwere Erkrankungen) oder fetal
begründet sein. Mithilfe der differenzierten Sonografie lassen sich mögliche Verschlechterungen
des fetalen Zustandes z. B. bei Plazentainsuffizienz erfassen und eine Schwangerschaftsprolongation
gegen eine vorzeitige Entbindung abwägen. Für die Evaluation des „fetal wellbeing“
ist v. a. ein Doppler der fetalen Herz-Kreislaufzirkulation über die präkardialen
Venen (z. B. Ductus venosus) und die postkardialen Arterien (Aa. cerebri mediae) aussagekräftig.
Es ist Gegenstand laufender und noch zu initiierender Studien, die Frage der geringeren
Langzeitmorbidität von Frühgeburtlichkeit versus intrauterinem Abwarten zu beantworten
[9].
Risiken einer Ultraschalluntersuchung
Für die biologische Wirkung des diagnostischen Ultraschalls wird auf die Stellungnahme
der EFSUMB (European Federation of Societies for Ultrasound in Medicin and Biology)
verwiesen. Zudem wird empfohlen, die Ultraschalluntersuchung so kurz wie möglich zu
halten („As Low As Reasonably Achievable“ – ALARA-Prinzip) [10].
Fazit Jede Schwangerschaft birgt ein gewisses Risiko, ein behindertes oder krankes Kind
zu bekommen. Bei einigen Frauen ist die Gefahr jedoch überdurchschnittlich hoch. Mithilfe
der Pränataldiagnostik lassen sich viele Auffälligkeiten oder Behinderungen schon
während der Schwangerschaft erkennen. Diese können z. T. intrauterin behandelt werden.
Zur Verminderung von Morbidität (und Mortalität) kann eine vorzeitige Entbindung indiziert
sein. Manchmal muss man die Eltern auch auf die Geburt eines schwerkranken oder toten
Kindes vorbereiten. Ein Schwangerschaftsabbruch ist immer die letzte Option. Erfreulicherweise
können aber durch die komplexen pränatalen Untersuchungen die Sorgen der Schwangeren
meist ausgeräumt werden. Etwa 96 % aller Kinder kommen gesund zur Welt – manche allerdings
zu früh.
Kernaussagen
-
Etwa 4 % aller Kinder haben angeborene Erkrankungen. Außerhalb spezialisierter Pränatalambulanzen
können diese bei den frauenärztlichen Ultraschalluntersuchungen nur teilweise erkannt
werden.
-
Die häufigsten Fehlbildungen betreffen das Herz, die Nieren und ableitenden Harnwege
sowie die Chromosomen.
-
Ist eine kindliche Fehlbildung / Erkrankung vor der Geburt bekannt, kann dies die
Versorgung und den Lebensstart eines Neugeborenen deutlich verbessern.
-
Vor PND sollte beraten werden über:
-
Ziel, Risiko und Grenzen der Untersuchungen – darunter auch pränatal nicht erfassbare
Störungen sowie die Sicherheit des Ergebnisses
-
Art und Schweregrad möglicher bzw. vermuteter Störungen
-
Optionen bei pathologischem Befund
-
psychisches und ethisches Konfliktpotenzial
-
Alternativen zur weiterführenden Diagnostik und Möglichkeiten einer weitergehenden
psychosozialen Beratung sowie Inanspruchnahme von Hilfsangeboten
-
Mithilfe der differenzierten Ultraschalldiagnostik kann man
-
die Versorgungssituation des Ungeborenen bei vorbestehenden oder schwangerschaftsbedingten
Erkrankungen der Mutter beurteilen,
-
eine Gefährdung des Feten rechtzeitig erkennen und
-
ggf. durch eine vorzeitige, rechtzeitige Entbindung oder eine intrauterine Therapie
Schaden abwenden.
-
Ist eine kindliche Erkrankung oder Fehlbildung zu erwarten, ermöglichen einfühlsame
fachübergreifende Beratungen und Begleitangebote den werdenden Eltern, sich auf die
Geburt ihres kranken Kindes vorzubereiten.
-
Das pränatale Wissen um Erkrankungen, die nicht mit dem Leben vereinbar sind (z. B.
Anenzephalus, Trisomie 13, 18),
-
ermöglicht den Eltern das Abschiednehmen vom Kind und eine nachgeburtliche Sterbebegleitung,
-
vermeidet unnötige kinderärztliche Eingriffe und damit eine traumatisierende Trennung
der Mutter von ihrem Kind,
-
vermeidet unnötige operative geburtshilfliche Eingriffe (z.B. Kaiserschnitt) und erhöht
die Chancen für eine weitere Schwangerschaft.
-
Ein Schwangerschaftsabbruch ist bei entsprechender Entscheidung der Schwangeren gesetzlich
erlaubt, wenn
-
eine schwere Behinderung des Kindes zu erwarten ist,
-
dadurch die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen
Gesundheitszustandes der Schwangeren besteht und
-
diese Gefahr nicht auf andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.
-
Kein Arzt kann jedoch zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs gezwungen werden.
-
Auch ein unauffälliges Untersuchungsergebnis garantiert kein gesundes Kind.
-
Maternales Alter als alleinige Indikation für ein Screening auf Chromosomenfehler
ist inakzeptabel, da die Falschpositivrate bei 25 % liegt.
-
Nur interdisziplinäre Zusammenarbeit verbessert das neonatale und mütterliche Outcome.
Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Beitrag online zu finden unter http://www.dx.doi.org/10.1055/s-0032-1325309