Tumoren stehen während ihrer Entwicklung und Progression in steter Wechselwirkung
mit dem Immunsystem, diese Tumor-Host-Interaktion beeinflusst wiederum die Biologie
der Tumorerkrankung. Das Konzept der Immunosurveillance ist von Burnett begründet
und in den letzten Jahren von Lloyd Old und Bob Schreiber weiter im Detail ausgearbeitet
worden. Das Konzept besagt, dass eine Art Balance zwischen Tumorwachstum und Immunabwehr
besteht, die auf die eine oder andere Seite verlagert werden kann, was wiederum in
Tumorprogress oder Regress resultieren kann.
Es liegt nahe, diese Wechselwirkungen zwischen Tumor und Host therapeutisch beeinflussen
und das unbalancierte Gleichgewicht Richtung Tumorkontrolle verschieben zu wollen,
also die Immunosurveillance wieder herstellen zu wollen.
Die Identifizierung sogenannter tumorassoziierter Antigene (TAA), die überwiegend
tumorspezifisch exprimiert werden, initiierte Therapiestrategien, bei denen mittels
verschiedener Vakzineverfahren potente zelluläre Immunantworten gegen solche tumorassoziierten
Antigene induziert bzw. verstärkt werden sollten. Solche Vakzineverfahren zeigten
bei wenigen Patienten klinisch messbaren Erfolg, die meisten Krankheitsverläufe blieben
von solchen Vakzineansätzen unbeeinflusst. Allerdings wurden in vielen der Vakzinestudien
die immunologischen Endpunkte erreicht, das heißt, dass die Initiierung bzw. Verstärkung
von antigenspezifischen T-Zell-Antworten im peripheren Blut erfolgreich war, ohne
direkten Einfluss auf das Tumorwachstum zu haben. Diese Beobachtungen waren Anlass,
den Einfluss des Tumormilieus genauer zu untersuchen, um sogenannte Immunescape-Mechanismen
von Tumoren zu verstehen. Es wurde schnell klar, dass Tumoren sich einer Vielzahl
von sogenannten Escape-Mechanismen bedienen, um sich einer potenten zellulären Immunantwort
zu entziehen: Tumorzellen verlieren die Expression von MHC-Klasse-I-Antigenen und
werden dann von antigenspezifischen T-Zellen nicht mehr gesehen; Tumorzellen verlieren
die Expression der relevanten TAAs; Tumoren umgeben sich mit einem immunfeindlichen
Milieu, welches immunsupprimierende Zellen anlockt, die wiederum TAA-spezifische T-Zell-Antworten
unterdrücken können. Neuere Untersuchungen zeigen etwa beim kolorektalen Karzinom
(CRC), dass CRC-Metastasen aktiv Zytokine und Chemokine sezernieren oder Stromazellen
und infiltrierende Immunzellen zur Produktion immunsuppressiver Cytokine und Chemokine
anregen.
Welche Therapiekonzepte können nun solche Abwehrstrategien von Tumoren überwinden?
Moderne Immuntherapieansätze müssen verschiedene Aspekte miteinander kombinieren:
Neben der Induktion einer potenten zellulären Immunantwort muss das lokale Tumormilieu
moduliert werden, um Infiltration und Killing von Effektor-T-Zellen zu ermöglichen.
Die Zulassung eines ersten immunmodulierenden Antikörpers (Ipilimumab) für die Therapie
des metastasierten Melanoms hat unsere Möglichkeiten einer gezielten Immunmodulation
bereits erweitert. Ipilimumab blockiert einen inhibierenden Rezeptor auf zytotoxischen
T-Lymphozyten und dendritischen Zellen (DCs). Durch Inhibierung dieses CTLA-4-Rezeptors
wird die Herunterregulation von T-Zell-Antworten gehemmt, man löst mit dieser Substanz
sozusagen die Bremse im Rahmen der T-Zellaktivierung. Dadurch können T-Zellantworten
und damit Anti-Tumor-Antworten generell verstärkt werden; als typische Nebenwirkung
unter Ipilimumabtherapie sieht man daher Autoimmunphänomene, häufig Kolitis, Hyphophysitis,
Hautreaktionen und andere. Weitere neue Substanzen, die ähnliche Mechanismen bedienen,
werden in Kürze folgen (Anti- PD-1 u. a.).
Substanzen, die gezielt bestimmte Zytokine und Chemokine zum Ziel haben, um das lokale
immunologische Milieu im Tumor zu beeinflussen, sind in früher klinischer Testung.
Es bleibt abzuwarten, ob der Einsatz solcher immunmodulierender Medikamente in Kombination
mit herkömmlichen Therapien wie Chemotherapie und Strahlentherapie die therapeutische
Wirksamkeit erhöhen kann.
Die Erkenntnis, dass CD8+-T-Lymphozyten und CD4+-T-Lymphozyten die wesentlichen Immunzellsubsets
darstellen, die für die Tumorabwehr verantwortlich sind, hat zu Therapieansätzen geführt,
wo man CD4+- und CD8+-T-Lymphozyten aus Patienten isoliert, diese T-Lymphozyten dann
außerhalb des Körpers aktiviert und dann Patienten rückinfundiert (adoptiver T-Zell-Transfer).
Es hat sich gezeigt, dass solche Ansätze bei wenigen Patienten zu klinisch bedeutsamen
Remissionen geführt haben; dies konnte vor allem bei Melanompatienten gezeigt werden.
Modernere Ansätze verwenden autologe genmodifizierte T-Lymphozyten: Dabei werden T-Lymphozyten
meist über Gentransfer mittels retroviraler Vektoren mit einem neuen T-Zell-Rezeptor
ausgestattet, der idealerweise ein definiertes Tumorantigen erkennt, welches im Tumor
überexprimiert wird, in Normalgeweben dagegen nicht oder nur auf sehr geringem Level
nachweisbar sein darf. Nach chemotherapeutischer Vorbehandlung mit dem Ziel, immunsupprimierende
Regulationsmechanismen im Patienten auszuschalten, werden dann solche transgenen T-Zellen
in hoher Zahl rückinfundiert und vermitteln meist eine sehr starke Antitumorwirkung.
Ein hoch innovatives Konzept verwendet autologe T-Lymphozyten, die mit einem sogenannten
chimären Antigenrezeptor (CAR) ausgestattet werden, einem künstlichen Rezeptor, den
es so in der Natur nicht gibt. Dabei fusioniert man die Antigenbindungsregion eines
monoklonalen Antikörpers, der sich gegen ein TAA richtet, mit dem intrazellulären
Teil eines T-Zell-Rezeptors. Dabei können bestimmte kostimulierende Moleküle mit exprimiert
werden. Solche Rezeptoren müssen sich anders als T-Zell-Rezeptoren gegen Oberflächenmoleküle
richten. Dieser Therapieansatz mit CAR-modifizierten autologen T-Zellen ist hoch effektiv,
deshalb spielt die sorgfältige Auswahl des Zielantigens eine besonders wichtige Rolle.
Idealerweise sollten Zielantigen weitgehend tumorspezifisch exprimiert sein, da sonst
die Toxizität im Normalgewebe sehr hoch sein kann. Beispielsweise mussten frühe Studien
mit Her2/neu-spezifischen CAR-modifizierten T-Zellen wegen früher plötzlicher Todesfälle
sehr kurz nach Infusion der autologen T-Zellen abgebrochen werden. Offenbar haben
diese T-Zellen Her2/neu im Myokard erkannt und zu einem plötzlichen Herzversagen geführt.
Therapieansätze mit CAR-modifizierten T-Zellen gegen CD19 dagegen waren klinisch hocheffektiv
bei Patienten mit ausbehandelten B-Zell-Neoplasien, ohne erhebliche Toxizität zu verursachen.
Solche modifizierten Zellen behalten die Fähigkeit, zu expandieren und sind bei einigen
Patienten noch Jahre nach Transfer nachweisbar.
Uns stehen heute eine ganze Reihe neuartiger Substanzen und Therapiekonzepte zur Verfügung,
die entweder die patienteneigene Immunantwort gegen Tumor verstärken können, oder
Therapiekonzepte, bei denen man eine ex vivo modifizierte T-Zelle generiert, die hohe
Antitumoreffektivität besitzt, und dann in hoher Zahl infundiert. Solche Ansätze sind
effektiv, je nach Zielantigen sehr tumorzellselektiv, und sie sind in der Lage, bei
einigen Patienten Langzeitremissionen zu bewirken. Der Einsatz solcher neuer Therapieverfahren
setzt voraus, dass individuelle Patienten einer aufwendigen molekularen und immunologischen
Diagnostik unterzogen werden müssen, um für die individuelle Patientensituation die
geeignete Therapiemodalität zu finden.