Bei Patienten mit frühen, lokal begrenzten Prostatakarzinomen ist nicht abschließend
geklärt, welchen Einfluss eine kurzzeitige Androgen-Entzugstherapie vor und während
einer Strahlenbehandlung auf die Krebskontrolle und die Gesamtüberlebensrate von Patienten
mit frühen, lokal begrenzten Prostatakarzinomen hat. Laut einer aktuellen Studie aus
den USA senkte die Kombinationsbehandlung die Mortalität und Metastasierungsrate,
v. a. bei Patienten mit intermediärem Risiko.
N Engl J Med 2011; 365: 107–118
mit Kommentar
Christopher Jones, University of Pennsylvania / USA, und Kollegen untersuchten in
der aktuellen Studie, welchen Effekt eine kurzzeitige Androgen-Entzugstherapie in
Kombination mit einer Strahlenbehandlung auf das Gesamt- und krankheitsspezifische
Überlebensrate von Patienten mit Prostatakarzinom hat. Dafür schlossen sie 1979 Patienten
in Stadium T1b–T2b und mit einem prostataspezifischen Antigen (PSA) von < 20 ng /
ml in ihre Studie ein. In 212 amerikanischen und kanadischen Zentren erhielten 987
der Patienten die Kombinationsbehandlung in Form von 4 Monaten Antiandrogen-Therapie
und ab Woche 9 die Bestrahlung des kleinen Beckens (Prostata und lokale Lymphknoten)
mit insgesamt 46,8 Gy sowie der Prostata mit 19,8 Gy. Ausschließlich bestrahlt wurden
992 Patienten der Studie. Der primäre Endpunkt war definiert als Gesamtüberlebensrate.
Die sekundären Endpunkte beinhalteten die krankheitsbezogene Mortalität, Fernmetastasen,
ansteigendes PSA und positive Befunde bei Rebiopsien nach 2 Jahren.
Krankheitsbezogene Mortalität in Kombinationsgruppe lag bei 4 %
Die 10-Jahres-Überlebensrate betrug 62 % in der Gruppe mit der Kombinationsbehandlung
aus Bestrahlung und Hormontherapie und 57 % in der Gruppe mit der Monotherapie in
Form von Bestrahlung (Hazard Ratio 1,87; 95 %–Konfidenzintervall [KI] 1,27–2,74; p
= 0,001). Die krankheitsbezogene Mortalität lag bei 4 vs. 8 % (Kombinations- vs. Strahlentherapie).
Auch Fernmetastasen traten in der Kombinationstherapie-Gruppe signifikant seltener
auf (6 vs. 8 %; p = 0,04). Nach 2 Jahren erfolgte bei 44 % der Patienten (n = 439)
in der Kombinationstherapiegruppe und 41 % (n = 404) in der Bestrahlungsgruppe eine
Rebiopsie. Bei 20 % der Patienten der Kombinations- und bei 39 % der Strahlentherapiegruppe
fanden die Autoren weiterhin Karzinomzellen.
Ein Anstieg des PSA-Spiegels, Fernmetastasen und positive Befunde bei Rebiopsien waren
in der Gruppe mit Kombinationstherapie signifikant geringer. Die akute und Langzeit-Radiotoxizität
war in den Gruppen nicht wesentlich verschieden und stärkere Hormon-Nebenwirkungen
traten bei weniger als 5 % der Patienten auf.
Die Kombinationsbehandlung verlängerte das Gesamt- und das krankheitsspezifische Überleben
in erster Linie bei Patienten mit intermediärem Risiko. Die Analyse zeigte, dass ein
Gleason-Score ≥ 7 ein negativer prognostischer Faktor für die Gesamtüberlebensrate,
die krankheitsbezogene Mortalität, Fernmetastasen und den Anstieg des PSA-Spiegels
war. Andere Risikofaktoren waren
-
eine höhere Altersgruppe und eine nicht weiße ethnische Zugehörigkeit auf die Gesamtüberlebensrate,
-
T2-Stadium auf die krankheitsbezogene Sterblichkeitsrate und
-
ein PSA ≥ 4 ng / ml für ein biochemisches Rezidiv.
Die Kombination aus Bestrahlung und 4-monatiger Hormontherapie verlängere bei Patienten
mit lokal begrenztem Prostatakarzinom die Gesamtüberlebensrate und senke die krankheitsbezogene
Mortalität, so die Autoren. Laut der Post-hoc-Analyse gelte dies nur für Patienten
mit mittlerem Risiko, jedoch nicht für Niedrigrisikopatienten.
Dr. Susanne Krome, Melle
Kommentar
Kombination aus Hormontherapie und Radiatio bringt Überlebensvorteil
Dr. Burkhard Beyer ist Assistenzarzt an der Martini-Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
(UKE), Hamburg
Dr. Lars Budäus ist Oberarzt an der Martini-Klinik am UKE, Hamburg
Prof. Markus Graefen ist Chefarzt an der Martini-Klinik am UKE, Hamburg
In einer großen Studie aus dem NEJM wird der Effekt der begleitenden kurzzeitigen
hormonablativen Therapie untersucht, die vor bzw. während der Radiatio bei Prostatakarzinompatienten
eingesetzt wird. Bei Patienten mit einer Hochrisikokonstellation, sowie bei Vorliegen
eines lokal fortgeschrittenen Tumors wurde in unterschiedlichen vorherigen Studien
ein Überlebensvorteil der Kombination aus hormonablativer Therapie und Radiatio im
Vergleich zur alleinigen Bestrahlung gezeigt [
1
], [
2
].
Vorteile für Patienten mit intermediärem Risiko
In der aktuellen Arbeit sank die krankheitsspezifische Mortalität bei Betrachtung
aller Risikogruppen (niedrig, mittel, hoch) bei zusätzlichem Einsatz einer hormonablativen
Therapie zur Radiatio. Allerdings ergab die Subgruppenanalyse, dass dieser Überlebensvorteil
nur für Patienten der intermediären Gruppe signifikant ist. In der Niedrigrisikogruppe
fanden die Autoren keinen Unterschied bez. der krankheitsspezifischen- und Gesamtmortalität
zwischen denjenigen Patienten, die eine Radiatio und hormonablativen Therapie bzw.
nur eine Radiatio erhielten. Möglicherweise werden diese Ergebnisse durch das langsame
Wachstum der Niedrigrisikotumoren beeinflusst, sodass evtl. trotz der langen Studiendauer
von 10 Jahren erst bei einer längeren Nachbeobachtungszeit ein Effekt der hormonablativen
Therapie sichtbar wäre.
Die fehlende Signifikanz des Einflusses der Kombination aus hormonablativer Therapie
und Radiatio in der Hochrisikogruppe bestätigt die Ergebnisse aus anderen großen Serien
und führt zu der allgemeinen Empfehlung einer längeren hormonablativen Therapie zur
Radiatio für diese Patienten [
3
], [
4
]. Die aktuelle S3-Leitlinie rät zu einer mindestens 2- besser 3-jährigen hormonablativen
Therapie in Kombination mit der Radiatio [
5
].
Empfohlene Bestrahlungsdosis liegt bei 70–72 Gy
In der vorliegenden Studie wurde perkutan eine Gesamtdosis von 66,6 Gy appliziert.
Die Weiterentwicklung der Bestrahlungstechniken führte in den vergangenen Jahren jedoch
zu einer Veränderung der Nebenwirkungen und Höhe der eingesetzten Dosis. Basierend
auf dem Nachweis einer besseren onkologischen Wirksamkeit, werden heutzutage höhere
Strahlungsdosen mit gleichen oder niedrigeren Toxizitäten im Bereich des Gastrointestinal-
und Urogenitaltrakts erreicht [
6
]. Daher besteht die heutzutage empfohlene Bestrahlungsdosis in den aktuellen S3-Leitlinien
bei 70–72 Gy [
5
]. Für diese Dosis wurde in mehreren großen Serien eine bessere onkologische Wirksamkeit
gezeigt.
Aufgrund der besseren Wirksamkeit dieser Dosis bleibt es fraglich, ob mit der heutigen
Bestrahlungstechnik die Wirkung der hormonablativen Therapie nicht ebenfalls durch
die höhere Strahlendosis erreicht wird und somit auch der positive Effekt der hormonablativen
Therapie auf das krankheitsspezifische- sowie das Gesamtüberleben ausgeglichen wird.
Nebenwirkungen der hormonablativen Therapie
Bei der Prüfung der Indikation zur Durchführung einer begleitenden kurzfristigen hormonablativen
Therapie zum Erreichen des beschriebenen Überlebensvorteils sind die zu erwartenden
Nebenwirkungen dieser Therapie zu beachten. Neben der höheren Impotenzrate, einer
gesteigerten Hepatotoxizität und weiteren typischen Nebenwirkungen einer hormonablativen
Therapie (Hitzewallungen und Libidoverlust), sind aufgrund der häufig bestehenden
kardialen Komorbiditäten, die von einigen Autoren unter hormonablativer Therapie beschriebene
höhere Inzidenz von Herzinfarkten, Schlaganfällen, aber auch Diabetes mellitus zu
beachten [
7
], [
8
].
Fazit
Die vorliegende Arbeit zeigt deutlich den Vorteil der kurzzeitigen hormonablativen
Therapie über 4 Monate für Patienten mit einer intermediären Risikokonstellation.
Vergleichbare Ergebnisse existieren auch für die Therapiedauer von 6 Monaten [
9
]. Somit stellt diese Kombinationstherapie eine gut evaluierte Therapieoption für
Patienten der intermediären Risikogruppe dar. Allerdings ist zu beachten, dass die
heutzutage eingesetzten modernen Strahlentherapieformen eine erhöhte Bestrahlungsdosis
(> 70 Gy) bei einem gleichen oder geringeren Nebenwirkungsspektrum erlauben. Somit
bleibt ungeklärt, ob bei den heutigen höheren Strahlendosen eine zusätzliche hormonablative
Therapie tatsächlich notwendig ist.
Daher sollte die Entscheidung zur adjuvanten hormonablativen Therapie bei Patienten
aus der intermediären Risikogruppe bzw. Anwendung einer höheren Strahlendosis unter
Abwägung der potenziellen Risiken einer erhöhten Strahlendosis bzw. des potenziellen
Nutzens der hormonablativen Therapie gemeinsam mit dem Patienten, Strahlentherapeuten
und den behandelnden Urologen im Rahmen einer individuellen Entscheidung gefällt werden.
Dr. Burkhard Beyer,
Dr. Lars Budäus und
Prof. Markus Graefen, Hamburg