Harnwegsinfekte treten bei pädiatrischen Patienten häufig auf, v. a. wenn diese jünger
als 2 Jahre sind. Unspezifische Symptome erschweren jedoch die Differenzialdiagnose
zwischen einer Pyelonephritis und einer Infektion der unteren Harnwege. Laut der aktuellen
Studie eignet sich Procalcitonin hier als Marker, um das Risiko einer Schädigung der
Niere vorherzusagen.
J Urology 2011; 186: 2002–2008
mit Kommentar
DMSA-Scan bei akuter Pyelonephritis (links). Laut der aktuellen Studie ist ein erhöhter
PCTWert bei Pyelonephritis ein unabhängiger Risikofaktor für eine spätere Vernarbung
der Niere – sowohl vor als auch nach der Behandlung.(Bild: Stein R, Beetz R, Thüroff
JW, aus: Kinderurologie in Klinik und Praxis; Thieme 2011)
Ji-Nan Sheu, Chuang Shan Medical University, Taichung / Taiwan, und Kollegen untersuchten
Kinder bis zu einem Alter von 2 Jahren, die wegen ihres ersten febrilen Harnwegsinfekts
stationär behandelt wurden. Als Diagnosekriterien galten:
-
Fieber über 38 °C,
-
Leukozyturie,
-
positive Urinkultur,
-
kein Harnwegsinfekt in der Vorgeschichte,
-
keine Nieren- oder Blasenerkrankung und
-
keine anderen Begleitinfektionen.
Alle Patienten erhielten für mindestens 3 Tage Cephazolin und Gentamicin intravenös,
ggf. wurde die Gabe später antibiogrammgerecht angepasst. Bei allen Studienteilnehmern
erfolgte eine Sonografie des Harntrakts und innerhalb von 5 Tagen nach Aufnahme eine
Szintigrafie mit 99mTc-Dimercaptosuccinat, um Läsionen des Nierenparenchyms festzustellen.
Die Szintigrafie wurde nach 6 Monaten wiederholt. Ferner bestimmten die Autoren die
Zahl der Leukozyten, das C-reaktive Protein (CRP) und den Procalcitonin-Wert (PCT).
PCT, CRP und Leukozytenzahl bei akuter Pyelonephritis erhöht
In die Analyse gingen 66 Jungen und 46 Mädchen im medianen Alter von 5 Monaten ein
(24 Tage bis 24 Monate). Nach den Ergebnissen der Szintigrafie mit 99m Tc- Dimercaptosuccinat
wiesen 76 eine akute Pyelonephritis auf und 36 einen Infekt des unteren Harntrakts.
Bei Patienten mit akuter Pyelonephritis waren folgende Werte im Mittel signifikant
höher als bei Patienten mit Infekt der unteren Harnwege:
-
PCT: 2,95 vs. 0,35 ng / ml
-
CRP: 9,61 vs. 3,09 mg / dl
-
Leukozytenzahl: 16,1 vs. 13,6
Die Genauigkeit der Diagnose war bei einem PCT-Wert unter 1 ng / ml am größten, mit
einer Sensitivität von 81,6 % und einer Spezifität von 91,7 %. Eine kombinierte Analyse
des PCT- und CRP-Wertes war dem alleinigen PCT-Wert nicht überlegen, um eine akute
Pyelonephritis zu diagnostizieren. Von 76 Patienten mit Szintigrafie-Kontrolle hatten
34 (47,2 %) Vernarbungen der Niere. Auch bei diesen war sowohl der anfängliche mediane
PCT-Wert signifikant höher (8,57 vs. 1,45 ng / ml) als auch der PCT-Wert nach der
Behandlung (1,13 vs. 0,08 ng / ml). In der logistischen Regressionsanalyse erwies
sich der PCTWert bei Aufnahme und nach Behandlung als unabhängiger Prädiktor für Vernarbungen
der Niere.
Der Procalcitonin-Wert besitzt für die Diagnose einer akuten Pyelonephritis bei Kindern
im Alter von 2 Jahren und jünger eine hohe diagnostische Genauigkeit. Höhere Werte
zu Beginn einer akuten Pyelonephritis und nach der Behandlung seien unabhängige Risikofaktoren
für eine spätere Vernarbung der Niere, so die Autoren.
Dr. Johannes Weiß, Bad Kissingen
Kommentar
Procalcitonin als kinderurologische Wunderwaffe beim Harnwegsinfekt?
Dr. Silke Riechardt ist Oberärztin in der Kinderurologie des Altonaer Kinderkrankenhauses / Universitätsklinik
Hamburg-Eppendorf, Hamburg
Procalcitonin ist eine Vorstufe des Calcitonin, das von den C-Zellen der Schilddrüse
als Reaktion auf eine Hypercalcämie ausgeschüttet wird. Bei gesunden Menschen ist
des Procalcitonin kaum nachweisbar, die Konzentrationen liegen im Nanobereich. Bei
bakteriellen Infektionen steigt es innerhalb von 6–8 Stunden auf bis zu 1 000 ng /
ml und ist ein etablierter Marker zur Einschätzung der Schwere von septischen Krankheitsbildern
[
1
].
In der Kinderurologie hat Procalcitonin bereits 1998 Eingang in der Einschätzung der
Schwere einer akuten Pyelonephritis gefunden [
2
], [
3
]. Bei der Diagnose einer Pyelonephritis werden die klinischen Befunde und verschiede
Marker angewendet (z. B. Höhe des Fiebers, Urinbefunde, Höhe des CRP und der Leukozytose).
Jedoch kann bisher keiner dieser Befunde eine Aussage machen über
Nur der DMSA-Scan (DMSA: Dimercaptosuccinylsäure) erlaubt eine sichere Aussage über
die akute Nierenbeteiligung, ist aber mit Sedierung der Kinder und Strahlenbelastung
verbunden und in der Akutphase nicht immer verfügbar.
Procalcitonin-Spiegel bei Pyelonephritis erhöht
In der vorliegenden Studie untersuchten die Autoren bei 112 Kindern < 2 Jahre mit
Pyelonephritis die Rolle des Procalcitonins als prädiktiver Faktor für spätere Nierennarben
und das Vorliegen eines Refluxes. Das ist besonders bei Kindern dieser Altersgruppe
interessant: die Unterscheidung zwischen einer fieberhaften Harnwegsinfektion ohne
Nierenbeteiligung und einer Pyelonephritis ist bei kleineren Kindern und Säuglingen
besonders schwierig. Außerdem treten die ersten fieberhaften Harnwegsinfektionen typischerweise
innerhalb des ersten Lebensjahres auf. Die Autoren belegten, dass sowohl in der Akutphase
einer Pyelonephritis (nachgewiesen durch ein DMSA-Scan) als auch nach 6 Monaten bei
bestehender Nierennarbe das Procalcitonin signifikant höher bleibt. Es konnte ein
direkter Zusammenhang zwischen der Höhe des Procalcitonins bei Aufnahme und der Schwere
der Nierenbeteiligung im DMSA-Scan während des stationären Aufenthalts gezeigt werden.
In der Regressionsanalyse ist das Procalcitonin als einziger unabhängiger Faktor für
das Auftreten von Nierennarben signifikant. Keiner der sonst gebräuchlichen Befunde
oder Marker erreicht dieses Signifikanzniveau. Daraus folgern die Autoren nach einer
ROC-Analyse, dass ein Cut-off des Procalcitonins von 3,5 ng / ml bei stationärer
Aufnahme und von 1 ng / ml nach 6 Monaten, das Risiko von Nierennarben mit einer Sensitivität
von 82 % und einer Spezifität von 92 % vorhersagen kann. Diese hohe Sensitivität und
Spezifität wurde auch von anderen Autoren gezeigt. Van de Breul et al. fanden die
höchste Sensitivität und Spezifität bei der Diagnose einer akuten Pyelonephritis bei
Kindern in der Kombination von CRP und Procalcitonin [
4
]. Im Gegensatz dazu zeigten Rustici et al. eine geringere Spezifität bei Procalcitonin
im Vergleich zum CRP [
5
].
Eine weitere Frage ist, ob auch der vesikoureterale Reflux als anerkannter Risikofaktor
für das Entstehen von Nierennarben über das Procalcitonin erkannt werden kann, um
die Anzahl der Miktionszystogramme zu reduzieren. Hier lag in der vorliegenden Studie
kein Zusammenhang zwischen Höhe des Procalcitonins und dem Reflux vor. Auch das Alter
der Kinder konnte nicht mit der Höhe des Procalcitonins in Verbindung gebracht werden.
Hierzu haben Leroy et al. und Ipek et al. [
6
], [
7
], [
8
], [
9
] andere Ergebnisse gefunden. Leroy et al zeigten in einer europaweiten Studie, dass
abhängig von der Höhe des Procalcitonins auf ein MCU verzichtet werden kann. Auch
Ipek et al. kamen zu ähnlichen Ergebnissen, allerdings nur bei sehr kleinen Patientenzahlen.
Blanchais et al. [
10
] zeigten für die Anwendung der Höhe des Procalcitonins als Entscheidungshilfe für
die weitere Diagnostik bei Pyelonephritis eine deutliche Kostenreduktion.
Verlässlicher Marker, um Langzeitschäden zu vermeiden
Insgesamt scheint sich mit dem Procalcitonin ein Marker herauszukristallisieren, der
in der Akutphase der pädiatrischen Pyelonephritis aufgrund seines schnellen Anstiegs
eine sehr frühe Einschätzung der Schwere der Infektion möglich macht und das Abschätzen
der Nierenbeteiligung erleichtert. Auch im Verlauf liefert dieser Marker verlässliche
Hinweise auf langfristige Schäden. Ob das in Zukunft die Durchführung eines DMSA-Scans
in der Akutphase einer Pyelonephritis überflüssig macht, müssen weitere Studien klären.
Wünschenswert wäre es, um neben den Kosten die Belastung der Kinder in der Akutphase
der Erkankung so gering wie möglich zu halten. Ob das Procalcitonin auch eine Bedeutung
in der Erkennung und Diagnostik des vesikoureteralen Refluxes hat, lässt sich leider
aus der vorliegenden Studie und der momentanen Datenlage nicht ablesen, sollte aber
weiterhin im Fokus bleiben.
Dr. Silke Riechardt, Hamburg