Nach einer Blasenaugmentation bei kongenitalen Blasenanomalien kann es zu malignen
Transformationen kommen. Obwohl Daten über die tatsächliche Tumorinzidenz fehlen,
ist eine jährliche Kontrolle mittels Zystoskopie und Endoskopie gängige Praxis. Eine
US-amerikanische Studie kam nun zu der Schlussfolgerung, dass die standardmäßige jährliche
Urinzytologie und Zystoskopie unnötig sind.
J Urology 2011; 186: 1791–1795
mit Kommentar
T. Higuchi, Department of Urology, Mayo Clinic / Minnesota, und Kollegen schlossen
in ihre prospektive Studie 50 erwachsene Patienten ein, bei denen zwischen 1986 und
1998 die Blase wegen einer kongenitalen Blasenfunktionsstörung augmentiert wurde.
Die Patienten waren zu Studienbeginn im Mittel 28 Jahre alt und nahmen mindestens
10 Jahre an den Verlaufskontrollen teil. Nach 5 Jahren wurden die jährlichen Zytologien
und Endoskopien durch ein modifiziertes Kontrollschema ersetzt: Endoskopien waren
dann nur noch bei bestimmten Kriterien indiziert.
In der aktuellen Studie waren Blasensteine die häufigste Komplikation von Patienten,
deren Blase wegen einer kongenitalen Blasenfunktionsstörung augmentiert wurde. Einen
Blasentumor entwickelte jedoch keiner der 50 Studienteilnehmer während der im Median
15-jährigen Verlaufskontrolle.(Bild: Sökeland J, Rübben H, aus: Taschenlehrbuch Urologie;
Thieme 2007)
Tumorverdacht nach Zytologie radiologisch nicht bestätigt
Von insgesamt 250 Urinzytologien lieferten 26 einen Tumorverdacht. In deren Folge
führten die Autoren 18 Kontrastmittel-CTs und 8 Ausscheidungsurogramme durch. Die
radiologischen Untersuchungen belegten jedoch in keinem dieser Fälle urotheliale Unregelmäßigkeiten
im oberen Harntrakt. Außerdem waren endoskopisch bei keinem dieser Patienten Anomalien
erkennbar. Die Spezifität der Urinzytologie lag bei 90 %, während über die Sensitivität
keine Aussage getroffen werden konnte, da keine Blasentumoren auftraten.
Verdächtige Blasenläsionen zeigten 4 der insgesamt 250 Endoskopien. Die darauf folgenden
Biopsien ergaben einmal eine persistierende squamöse Metaplasie, und in 2 Fällen ein
nephrogenes Adenom. In keinem Fall kam es innerhalb der Nachbeobachtungszeit zu einem
Rezidiv.
Ein Drittel der Komplikationen wurden nur zufällig entdeckt
Im Rahmen des modifizierten Kontrollschemas, an dem die Patienten im Median 15 Jahre
teilnahmen, entwickelte kein Patient einen malignen Blasentumor. Allerdings hatten
25 Patienten in diesem Zeitraum insgesamt 41 Komplikationen. Die häufigsten waren
Blasensteine (30 %), Vernarbungen der Niere (18 %) und eine progressive Hydronephrose
mit Niereninsuffizienz (8 %). 12 dieser Komplikationen (29 %) verliefen unbemerkt
und wurden lediglich im Rahmen der Routinekontrollen entdeckt.
Die Autoren raten von Nachsorgeuntersuchungen mittels Zytologie und Zystoskopie bei
Patienten mit Blasenersatzplastik ab. Die Inzidenz maligner Transformationen sei zu
gering und die Kosten der Untersuchung zu hoch, da der Nutzen der Kontrolluntersuchung
bisher nicht nachweisbar sei. Dennoch empfehlen die Autoren ausdrücklich eine jährliche
Kontrolluntersuchung bei Patienten mit Blasenaugmentation – diese sollten dann jedoch
einen Ultraschall der Nieren und der Blase, Laborwerte (Elektrolyte, Kreatinin und
Vitamin B12) und eine Urinanalyse beinhalten. Statt nach seltenen malignen Transformationen
zu suchen, zielen diese Untersuchungen auf wesentlich häufigere Komplikationen, zumal
diese in der vorliegenden Studie oft nur zufällig entdeckt wurden.
Dr. Bettina Rakowitz, Sachsen b. A.
Kommentar
Evidenzbasierte Empfehlung zur Nachsorge derzeit nicht möglich
Prof. Tilman Kälble ist Direktor der Klinik für Urologie und Kinderurologie, Klinikum Fulda
Das gegenüber der Allgemeinbevölkerung anerkanntermaßen erhöhte Kolonkarzinomrisiko
nach Ureterosigmoidostomie mit einer Tumorlatenzzeit um 20 (Range 6–54) Jahre resultiert
in der Empfehlung jährlicher endoskopischer Kontrollen ab dem 5. bis 10. postoperativen
Jahr [
1
]. Die mittlerweile vorliegenden Fallberichte über Tumorentstehung in verschiedensten
Formen der Harnableitungen unter Verwendung von Darmsegmenten ohne Stuhlbeimengungen
nach einer Latenzzeit von 1–40 Jahren [
2
], [
3
] führt zur Empfehlung jährlicher endoskopischer Kontrollen ab dem 10. postoperativen
Jahr in einigen Publikationen, was von Higuchi et al. kritisch hinterfragt wird. Bei
40 Patienten mit Ileozystoplastik und 10 Patienten mit Kolozystoplastik – alle im
Alter < 18 Jahren wegen neurogener Blasenentleerungsstörungen, Blasenextrophie oder
Klappenblasen operiert – wurden zwischen dem 10. und 15. postoperativen Jahr routinemäßig
jährliche Endoskopien und Zytologien durchgeführt. 226 der insgesamt 250 Urinzytologien
waren negativ, die restlichen 10 % falsch-positiv. Lediglich ein tubulovillöses Adenom
nach Kolozystoplastik wurde detektiert.
Unter Berücksichtigung der Datenlage kommen die Autoren zum Schluss, dass ca. 1 000
Endoskopien notwendig wären, um einen malignen Tumor zu entdecken. Da in den bisher
publizierten Kasuistiken über Tumorentstehung in Zystoplastiken meist aggressive Tumoren
vorlagen, kommen Higuchi et al. zum Schluss, dass die geringe Tumorinzidenz und v.
a. auch die geringe Wahrscheinlichkeit, potenzielle Tumoren in einem frühren Stadium
zu entdecken, gegen routinemäßige Endoskopien sprechen, sondern diese nur bei Hämaturie,
Schmerzen, häufigen Infektionen oder radiologischen Auffälligkeiten durchgeführt werden
müssen.
Datenlage bezüglich der Nachsorge ist limitiert
Diese Schlussfolgerung ist nicht richtig und v. a. gefährlich. Die Datenlage bez.
des Tumorrisikos ist keineswegs limitiert, allenfalls bezüglich der Nachsorge. Bereits
bis 2004 publizierten wir 45 Kasuistiken mit Tumoren in Zystoplastiken [
2
], 2010 waren es 56 [
3
]. In unserer 2011 publizierten Multicenterstudie fanden sich 4 Tumoren bei insgesamt
233 Ileozystoplastiken, entsprechend einer Tumorhäufigkeit von 1,71 %, wobei nur einer
der insgesamt 4 Tumoren in unserer Serie innerhalb der ersten 15 Jahre nach Ileozystoplastik
auftrat, die anderen 3 entstanden später nach bis zu 31-jähriger Latenzzeit [
4
]. Da bei Higuchi und Kollegen die routinemäßige endoskopische Nachsorge nach 15 Jahren
endet, ist in deren Serie die Latenzzeit der Tumoren nach Zystoplastik noch gar nicht
erreicht und damit ihre Schlussfolgerung nicht zulässig. Richtig ist, dass die zum
Karzinom führenden Zystoplastiken in der Literatur meist Folge von Schrumpfblasen
mit chronischen Entzündungen nach Tuberkulose, Bestrahlung etc. waren und möglicherweise
nicht vergleichbar sind mit einer Patientengruppe, die zu einem früheren Zeitpunkt
ohne chronischen Entzündungsprozess in der Blase operiert wurde. Ob Zystoplastiken
ohne chronische Entzündungsvorgänge in der Blase eine geringere Tumorhäufigkeit haben,
muss derzeit allerdings spekulativ verbleiben, Informationen über den Operationszeitpunkt
bei den Patienten in der vorliegenden Arbeit liegen nicht vor.
Regelmäßige Nachsorge auch bei Kolozystoplastiken empfohlen
Unabhängig davon zeigt die Multicenterstudie ein 13-fach erhöhtes Tumorrisiko in Ileozystoplastiken
im Vergleich zu anderen kontinenten Formen der Harnableitung – Ureterosigmoideostomien
ausgenommen. Dies ist insofern bemerkenswert, da das Ileum bekanntermaßen ein sehr
niedriges Karzinomrisiko per se hat und Ileumneoblasen in der Multicenterstudie bei
4190 Patienten nur zu 2 Tumoren geführt haben – gegenüber 4 Tumoren in nur 233 Ileozystoplastiken.
Ebenso hatten in der Multicenterstudie Patienten mit orthotopen Kolonersatzblasen
gegenüber Patienten mit Ileumersatzblasen ein signifikant höheres Karzinomrisiko,
das zumindest dem erhöhten Tumorrisiko von Kolonanteilen gegenüber dem Ileum entspricht
– mit der logischen Konsequenz, dass Kolozystoplastiken ähnlich wie Kolonersatzblasen
regelmäßig endoskopischen Kontrollen zu unterziehen sind [
4
].
Fazit
Wenngleich keine Daten über die Wachstumsgeschwindigkeit von Tumoren in Zystoplastiken
vorliegen und es derzeit nicht möglich ist, eine evidenzbasierte Nachsorgeempfehlung
auszusprechen, halte ich es für einen Kompromiss, Zystoplastiken ab dem 10. postoperativen
Jahr nicht jährlich, sondern zumindest 2-jährlich zu endoskopieren – bei den genannten
klinischen Auffälligkeiten natürlich sofort. Dies ist ein Kompromiss, den ich auch
bei Ureterosigmoideostomien und orthotopen Ersatzblasen unter Verwendung von Kolon-
bzw. Ileozäkalregion anwende.
Prof. Tilman Kälble, Fulda