Diabetes schädigt bei ca. 60 % der Betroffenen die peripheren Nerven. Spontane Schmerzen
und überhöhte Empfindlichkeit einerseits und gleichzeitig geringere Wahrnehmung äußerer
Schmerzreize andererseits sind die paradoxe Folge der diabetischen Neuropathie.
Wissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und der
Universität Heidelberg haben jetzt im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts
eine der Ursachen für das gestörte Schmerzempfinden entdeckt: ein eigentlich natürlich
vorkommendes Stoffwechselgift, das im Körper von Patienten mit Diabetes aber verstärkt
produziert wird und nicht mehr richtig abgebaut werden kann. "Vor allem lange Nervenfasern
werden bei diabetischer Neuropathie geschädigt", sagt Prof. Susanne Sauer, Erlangen.
"Das führt zu einem widersprüchlichen Bild von Symptomen: Die Patienten leiden zum
einen unter Missempfindungen, wie ‚Ameisenlaufen‘ und Kältegefühl trotz warmer Haut,
einem Brennschmerz in den Füßen oder krampfartigen Schmerzen der Wadenmuskulatur.
Andererseits aber gehen Warm- und Kaltempfindung zurück, und schmerzhafte Reize von
außen werden nicht mehr wahrgenommen." "Die Ursachen der Nervenschädigung bei diabetischer
Neuropathie gehen zwar auf den erhöhten Blutzucker zurück, sind aber nicht der Glukose
selbst zuzuschreiben", erläutert Sauer. Stattdessen haben die Heidelberger Diabetologen
um Prof. Peter Nawroth gezeigt, dass dafür das Zuckerabbauprodukt Methylglyoxal verantwortlich
ist. Bei gesunden Menschen wird es durch Enzyme im Körper abgebaut und unschädlich
gemacht. Durch das Überangebot an Zucker wird Methylglyoxal bei Diabetikern aber vermehrt
produziert und kann gleichzeitig schlechter abgebaut werden. Seine Anreicherung in
den Nervenzellen hat einen Einfluss auf die sogenannten Nozizeptoren.
Die Forschungen in Erlangen
Diese speziellen Nervenfasern machen den Körper empfindlich gegen potenziell schädigende
Reize. Hierzu sind die Nozizeptoren mit einer Vielzahl von Sensoren und mit verschiedenen
Natriumionenkanälen ausgestattet. Diese Ionenkanäle bilden Nervenimpulse, die ins
Gehirn geleitet werden und dort eine Schmerzempfindung auslösen können. "Methylglyoxal
modifiziert zumindest 2 dieser Natriumkanäle", erklärt Sauer. "Einer der Kanäle wird
durch Methylglyoxal in seinen biophysikalischen Eigenschaften so verändert, dass die
Erregbarkeit der Nervenfasern steigt. Die Folge ist schmerzhafte Überempfindlichkeit,
zum Beispiel gegen Hitze und mechanische Reize." Im anderen Natriumkanal, den man
auch in Neuronen des vegetativen Nervensystems findet, senkt Methylglyoxal hingegen
die Erregbarkeit drastisch. Das könnte unter anderem die Schwäche von Magen- und Darmmuskulatur
bzw. der Harnblase bei Diabetikern erklären.
Das internationale Forschungsprojekt wurde u. a. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG), der Juvenile Diabetes Research Foundation in den USA, der German Diabetes Association
und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung gefördert. Die Ergebnisse wurden in Nature
Medicine (http://www.nature.com/nm/journal/vaop/ncurrent/full/nm.2750.html) veröffentlicht.
Quelle: Pressemeldung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg