Anmerkung zum Urteil des Bundesgerichtshofes vom 29.03.2012 – Az.: GSSt 2/11
Einführung
Die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen gehört zu den wesentlichen Merkmalen
des Arztberufs. Die Wahl der richtigen Therapie erfolgt danach allein nach medizinischen
Gesichtspunkten und den individuellen Gegebenheiten des Einzelfalles. Wie bereits
berichtet (vgl. RöFo 03/2012, S. 273 ff.), hat diese Anforderung an den ärztlichen
Berufsstand ihren berufsrechtlichen Niederschlag in den §§ 31 ff. Musterberufsordnung
(MBO) bzw. der gleichlautenden Bestimmungen der Landesärztekammern gefunden. Seit
dem Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes (GKV-VStG) vom v. 22.12.2011
(BGBl. I, S. 2983) ist dieser Grundsatz durch die Regelungen in § 73 Abs. 7 i.V.m.
§ 128 Abs. 2 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) auch unmittelbar im Vertragsarztrecht
verankert worden. Hiernach dürfen sich Ärzte für die Zuweisung von Patienten oder
Untersuchungsmaterial keine Entgelte oder andere Vorteile versprechen oder gewähren
lassen bzw. diese selbst versprechen oder gewähren. Um unzulässige Zuwendungen kann
es sich bei unentgeltlichen oder verbilligten Überlassungen von Geräten oder Materialien
und Durchführungen von Schulungsmaßnahmen, der Gestellung von Räumlichkeiten und Personal
oder der Beteiligung an den Aufwendungen hierfür sowie Einkünften aus Beteiligungen
an Unternehmen von Leistungserbringern handeln. Ebenso wird jegliche Form von „Kick-back-Modellen“
zunehmend kritisch gesehen. Voraussetzung für die Annahme einer unzulässigen Zuwendung
ist die Möglichkeit, dass Vertragsärzte hierdurch in ihrem Verordnungs- oder Zuweisungsverhalten
maßgeblich beeinflusst werden können.
Neben den berufs- und vertragsärztlichen Ansätzen für das Verbot solcher Vorgehensweisen
sind auch die strafrechtlichen Normen zu beachten. Zunächst fällt hier das Augenmerk
auf die §§ 331 ff. Strafgesetzbuch (StGB), welche die Möglichkeiten für Straftaten
im Amt behandeln. Neben den Amtsdelikten sind auch die §§ 299, 263, 266 StGB zu beachten.
§ 299 StGB stellt die Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, §
266 StGB die Untreue und § 263 StGB den Betrug unter Strafe.
Aktuelles Beispiel für die strafrechtliche Brisanz von unzulässigen Zuwendungen und
Zuweisungsverhalten ist die mit Spannung erwartete Entscheidung des Großen Senates
für Strafsachen beim Bundesgerichtshof (Beschluss vom 29.03.2012, GSSt 2/11). Hintergrund
dieses Beschlusses war der Umstand, dass die Vorteilsannahme bzw. -gewährung gegenüber
niedergelassenen Vertragsärzten zwar bisher aufgrund der berufs- und vertragsärztlichen
Regelungen verboten ist, jedoch strafrechtlich nicht geahndet werden kann. Diesen
Umstand versuchten mehrere Gerichte über die Dogmatik der Amtsdelikte sowie die Bestechlichkeit
und Bestechung im geschäftlichen Verkehr und das hiermit verbundene Konstrukt des
Arztes als Beauftragten der Krankenkasse zu lösen. Aufgrund der unterschiedlichen
Ansichten der Senate des BGH, wurde der Große Senat angerufen. Der Große Senat des
BGH erteilte der Einschätzung, wonach von einer Einschlägigkeit der genannten strafrechtlichen
Normen bei den geprüften Sachverhalten auszugehen ist, nunmehr eine Absage.
Sachverhalt
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Ausgangsverfahren war eine Pharmareferentin,
die Vertragsärzten Schecks über einen Gesamtbetrag in Höhe von 18 000,00 Euro übergeben
hatte, vom Landgericht Hamburg wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr gemäß §
299 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Auslöser war ein als „Verordnungsmanagement“
bezeichnetes Prämiensystem des Pharmaunternehmens, welches vorsah, dass 5% des Herstellerabgabenpreises
an den Arzt weitergereicht werden sollten.
Vertragsarzt- und berufsrechtlich stand ein Verstoß des Arztes gegen §§ 31, 34 MBO
fest. Hinzutretend stellte sich jedoch die Frage, wie das Verhalten aus strafrechtlicher
Sicht zu beurteilen ist. Problematisch war in diesem Fall, dass sowohl der Kassenärztlichen
Vereinigung als auch den Krankenkassen durch das berufsrechtswidrige Vorgehen kein
unmittelbarer Schaden entstanden war, sodass Betrug und Untreue nach den §§ 263, 266
StGB ausschieden.
Amtsträgereigenschaft i.S.v. §§ 331 ff. StGB
Amtsträgereigenschaft i.S.v. §§ 331 ff. StGB
Die Strafvorschriften der Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme (§§ 331, 333 StGB)
und der Bestechung und Bestechlichkeit (§§ 332, 334 StGB) sind sog. Amtsdelikte. Eine
Anwendbarkeit der §§ 331 ff. StGB setzt voraus, dass der Vertragsarzt Amtsträger oder
ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter ist.
Die gesetzlichen Krankenkassen sind zwar Stellen öffentlicher Verwaltung im Sinne
der Amtsträgerdefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) StGB. Gemäß § 11 Abs. 1 Nr.
2 lit. c) StGB ist „im Sinne dieses Gesetzes … Amtsträger, wer nach deutschem Recht … sonst dazu bestellt
ist, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben
der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform
wahrzunehmen“. Auch erfüllt das System der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes eine aus
dem Sozialstaatsgrundsatz folgende, im hohen Maße der Allgemeinheit dienende, Aufgabe.
Hieraus resultiert aber nach Ansicht des BGH nicht die Beauftragung der Vertragsärzteschaft,
Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen.
Der niedergelassene Arzt ist danach weder Angestellter, noch ein sonstiger Funktionsträger
einer öffentlichen Behörde. In seiner Stellung als Arzt ist er vielmehr ein klassischer
Freiberufler (vgl. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG und § 1 Abs. 2 BÄO). Seine Tätigkeit
beruht nicht auf einer Dienststellung innerhalb einer hierarischen Struktur, sondern
vielmehr auf dem freien Auswahlverhalten der versicherten Personen. Gemäß § 76 Abs. 1
Satz 1 SGB V können die Versicherten unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen
Ärzten frei wählen. Auch der Ansatz, dass der Vertragsarzt bei einer vertragsärztlichen
Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln bestimmten gesetzlichen und untergesetzlichen
Regelungen und Verhaltensanweisungen unterliegt, führt nicht zu dem Umstand, dass
er in Ausführung der öffentlichen Verwaltung handelt. Der Tatsache, dass die Verordnung
den gesetzlich ausgestalteten Leistungsanspruch der Versicherten auf Sachleistung
konkretisiert, steht der Umstand gegenüber, dass sie als enger und untrennbarer Bestandteil
der Behandlung dem zu wahrenden Vertrauensverhältnis zwischen Patient und gewähltem
Arzt unterfällt. Insoweit überwiegt die persönliche Beziehung auf Basis des ausgeprägten
Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient als Ausdruck der freien Entscheidungsbefugnis
des Versicherten wie auch die freiberufliche, nur durch bürokratische Aspekte teilgelenkte,
Tätigkeit, der nur in Anklängen erkennbaren Einbindung in das System der öffentlichen
Verwaltung.
Anders als angestellte Krankenhausärzte, die an einem kommunalen Krankenhaus oder
einer Universitätsklinik tätig sind, sind daher die strafrechtlichen Vorschriften
der sog. Amtsdelikte nach den §§ 331, 332, 333, 334 StGB für Vertragsärzte bereits
tatbestandlich nicht anwendbar.
Beauftragter der Krankenkasse i.S.v. § 299 StGB
Beauftragter der Krankenkasse i.S.v. § 299 StGB
Nach § 299 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe
bestraft, „wer als Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes im geschäftlichen
Verkehr einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert,
sich versprechen lässt oder annimmt, dass er einen anderen bei dem Bezug von Waren
oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzugt.“ Die Vorschrift über die Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr
will unlauteres Verhalten im geschäftlichen Verkehr verhindern.
Das zuvor mit der Sache befasste Landgericht Hamburg hat die Vertragsärzte als „Beauftragte“
der Krankenkassen i.S.d. § 299 Abs. 1 StGB angesehen, da sie mit der Verordnung von
Medikamenten der Verpflichtung der Krankenkasse, die Versicherten zu versorgen, nachkommen.
Der Vertragsarzt sei insoweit ein gesetzlicher Leistungserbringer für die Krankenkasse,
der nach §§ 12, 70 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu einer wirtschaftlich angemessenen Versorgung
der Versicherten verpflichtet sei. Hieraus entnahm die Vorinstanz einen Auftrag des
jeweiligen Kostenträgers, den der Arzt zu beachten habe und somit einen Regelungszusammenhang,
der es rechtfertige, die berufliche Eigenständigkeit des Arztes zu vernachlässigen
und eine Beauftragung durch die Krankenkasse anzunehmen. Dieser Wertung folgt der
Große Senat beim BGH nicht.
Der Große Senat hat in seinem Beschluss vom 29.03.2012 klargestellt, dass der niedergelassene
Arzt kein Beauftragter der Krankenkasse ist und somit nicht die Tatbestandsvoraussetzungen
des § 299 Abs. 1 StGB erfüllt.
Gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB V wirken Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, medizinische
Versorgungszentren und Krankenkassen zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung
der Versicherten zusammen. Der dem Begriff des „Zusammenwirkens“ immanente Umstand
der Gleichstellung schließt eine hierarchische Struktur der Vertragsärzte im Verhältnis
zu den Krankenkassen aus. Die klare gesetzgeberische Wertung der Funktion der Mitwirkenden
bedingt also die Gleichordnung ihrer Positionen auf einer Ebene. Der Wortsinn des
Begriffs des „Beauftragten“ lässt bereits deutlich werden, dass die Übernahme einer
Aufgabe im Interesse des Auftraggebers notwendig ist. Hierbei ist zu berücksichtigen,
dass Auftraggeber die Beauftragten in der Regel frei auswählen können und daher gerade
auf diesen Auswahlprozess, aus Gründen der Zuweisung von zumeist wichtigen Tätigkeiten,
besonderen Wert legen. An diesem Auswahlkriterium fehlt es bereits im Verhältnis zwischen
Vertragsärzten und der jeweiligen Krankenkasse. Die Auswahl des Vertragsarztes trifft
hierbei nicht die Krankenkasse, sondern der Versicherte. Dies geschieht aus völlig
autonomen Motiven, auf die keiner der Beteiligten näheren Einfluss hat. Der Versicherte
entscheidet, von welchem Kassenarzt er sich behandeln lässt und diese Entscheidung
muss von der Krankenkasse, aufgrund der freien Arztwahl, akzeptiert werden. Der BGH
stellt klar, dass auch aus objektiver Sicht der jeweilige Vertragsarzt im Interesse
des Versicherten tätig wird. Dieser empfinde ihn in 1. Linie als „seinen“ Arzt. Eben
dieses Begegnen von Arzt und Krankenkasse erfolgt auf Augenhöhe und widerspricht der
von der Norm des § 299 StGB vorausgesetzten Beauftragung.
Hinzu kommt nach Ansicht des BGH der Aspekt die rechtliche Konstruktion der Einlösung
des ausgestellten Rezeptes bei einem Apotheker. Hierbei erwirbt der Apotheker nach
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) einen unmittelbaren öffentlich-rechtlichen
Vergütungsanspruch. Die Rechtsgrundlage für diesen Vergütungsanspruch des Apothekers
ist § 129 SGB V i.V.m. den nach § 129 Abs. 2 und Abs. 5 Satz 1 SGB V abgeschlossenen
Verträgen. Insoweit ist der Apotheker berechtigt und verpflichtet, das verordnete
Arzneimittel an den Versicherten abzugeben, um hierbei den korrespondierenden Vergütungsanspruch
zu erwerben. Infolge dessen wird der Vertragsarzt nicht als Vertreter der Krankenkasse
bei jedem abgeschlossenen Kaufvertrag über ein verordnetes Medikament tätig. Vielmehr
stellt der Vertragsarzt lediglich die medizinischen Voraussetzungen für den Eintritt
des Versicherungsfalles mit Wirkung für die Versicherten und die Krankenkasse fest.
Die Verordnung des Medikaments geht laut Gesetz „zu Lasten“ der Krankenkasse (vgl.
§ 130a Abs. 1 Satz 1 SGB V). Durch diese Formulierung wird nach Ansicht des BGH zum
Ausdruck gebracht, dass die Leistungspflicht der Krankenkasse eine „einem Reflex vergleichbare
Wirkung“ habe. Zudem kommt dem Arzt keine Konkretisierungsmöglichkeit bzw. die Möglichkeit
der Bestimmung der Reichweite der Leistungspflicht im Verhältnis zur Krankenkasse
zu. Die Grenzen sind vielmehr bereits durch eine abstrakt-generelle Regelung, der
nach § 129 SGB V i.V.m. den nach § 129 Abs. 2 und Abs. 5 Satz 1 SGB V abgeschlossenen
Verträgen, festgelegt. Letztendlich kommt hinzu, dass die vertragsärztliche Verordnung
in vielen Fällen durch die Apotheke konkretisiert wird. Dies ist der Fall, wenn das
Rezept das Medikament nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung aufführt oder bei Nennung
eines bestimmten Medikamentes die Ersetzung durch ein Wirkstoffgleiches nicht ausdrücklich
ausgeschlossen ist (sog. Aut-idem-Regelung). Auch die dem Vertragsarzt auferlegte
Pflicht zur Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes nach §§ 70 Abs. 1 Satz 2, 72
Abs. 2 SGB V oder die Plicht nach § 12 Abs. 1 SGB V, bei der Leistungserbringung das
Maß des Notwendigen zu beachten, sprechen gegen eine „Beauftragung“ des Vertragsarztes
durch die Krankenkasse, denn die ärztliche Behandlung, in die sich die Verordnung
der Medikamente einfügt, erfolgt in 1. Linie im Interesse des Patienten. Die Gesamtbetrachtung
ergibt, dass die Bindung an den Patienten im Vordergrund steht und das zugrundeliegende
Auftragsverhältnis der Verpflichtung gegenüber den Krankenkassen überwiegt. Dies gilt
umso mehr, als die Pflicht zur Wirtschaftlichkeit nicht unmittelbar im Verhältnis
zu der jeweiligen Krankenkasse besteht. Vielmehr ist die Krankenkasse nach §§ 106a
Abs. 3 und Abs. 4, § 106 Abs. 4 SGB V auf die Einschaltung der Prüfungsstellen und
Beschwerdeausschüsse bei der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung beschränkt.
Insoweit kann der niedergelassene Arzt kein Beauftragter der Krankenkassen sein, so
dass eine Strafbarkeit nach § 299 StGB für niedergelassene Vertragsärzte im Verhältnis
zur Krankenkasse prinzipiell nicht in Betracht kommt. Andererseits ist die Norm durchaus
einschlägig, wenn Vertragsärzte als Geschäftsführer einer Berufsausübungsgemeinschaft,
einer Ärzte-GmbH oder eines MVZ tätig werden. In diesem Fall sind sie als „Beauftragte“
der jeweiligen Berufsausübungsform anzusehen und können sich bei der Annahme von unzulässigen
Zuwendungen durchaus gemäß § 299 Abs. 1 StGB strafbar machen.
Kernpunkt Straffreiheit
Das Urteil des BGH führt allerdings nicht zu einer umfassenden Möglichkeit von gewinnbringenden
Kooperationen oder Kick-back-Vereinbarungen zwischen Vertragsärzten und der Industrie.
Der Vertragsarzt, der Gelder oder Vergünstigungen von der Industrie annimmt, macht
sich derzeit zwar nicht zwangsläufig strafbar, ein Verstoß gegen das Berufs- und das
Vertragsarztrecht wird dennoch begangen und auch hier drohen Sanktionen, wie beispielsweise
Disziplinarmaßnahmen oder Zulassungsentzug. Des Weiteren drohen erhebliche Regressforderungen,
die u. U. zu der kompletten Rückforderung der auf den Tätigkeiten beruhenden Zahlungen
führen. Ein solches Verhalten ist also keineswegs folgenlos und erst recht nicht zulässig.
In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass mit den durch das GKV-VStG
in das SGB V aufgenommenen Regelungen nicht lediglich das berufsrechtliche Verbot
deklaratorisch wiederholt wird, sondern vielmehr ein eigener spezifischer Regelungsgehalt
im Vertragsarztrecht geschaffen wurde. Deutlich geworden ist, dass der Gesetzgeber
neben den berufsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten parallel hierzu das Vertragsarztrecht
als Instrumentarium zur Behandlung von Verstößen angewendet wissen möchte.
Auswirkungen auf die Radiologie
Auswirkungen auf die Radiologie
Das Urteil ist für Radiologen von erheblicher Bedeutung. Mit dem Urteil entfällt zwar
derzeit die Möglichkeit der strafrechtlichen Sanktionierung von unabhängigen Zuwendungen
durch die Pharmaindustrie und Händler.
Auch sei nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die strafrechtliche Sanktion
unabhängig von der Beurteilung des berufs- und vertragsarztrechtlichen Verstoßes zu
beurteilen ist. Seit dem GKV-VStG ist die Zuweisung gegen Entgelt ausdrücklich über
§ 73 Abs. 7 i.V.m. § 128 Abs. 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch V verboten. § 128 Abs. 5a
Sozialgesetzbuch V stellt klar, dass „Vertragsärzte, die unzulässige Zuwendungen fordern oder annehmen oder Versicherte
zur Inanspruchnahme einer privatärztlichen Versorgung anstelle der ihnen zustehenden
Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung beeinflussen, … gegen ihre vertragsärztlichen
Pflichten (verstoßen)“. Hinzu tritt § 31 MBO bzw. die gleichlautende Bestimmung der Landesärztekammern,
welche klar formuliert: „Ärztinnen und Ärzten ist es nicht gestattet, für die Zuweisung von Patientinnen und
Patienten oder Untersuchungsmaterial oder für die Verordnung oder den Bezug von Arznei-
oder Hilfsmitteln oder Medizinprodukten ein Entgelt oder andere Vorteile zu fordern,
sich oder Dritten versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder
zu gewähren“. Hieraus resultiert neben dem vertragsrechtsärztlichen Verstoß aus den Normen des
Sozialgesetzbuches ein berufsrechtswidriges Verhalten bei der Annahme oder Forderung
von Zuwendungen. Zwar resultieren aus diesen Normen keine strafrechtlichen Konsequenzen,
jedoch disziplinarische Maßnahmen bis hin zum Zulassungsentzug können die Folge sein.
Ebenfalls ist zu beachten, dass die Straffreiheit nach den §§ 299 und 331 ff. StGB
nicht die Loslösung von anderen Straftatbeständen des Strafgesetzbuches beinhaltet.
Vielmehr sind verschiedene Sachverhalte denkbar, über die ein niedergelassener Radiologe
unter die Strafbarkeit anderer Tatbestände fällt.
Mit dem Urteil des BGH (BGH, Urt. v. 15.10.1992, Az.: 4 StR 420/91) zur Strafbarkeit
von Radiologen wegen Betrugs gem. § 263 StGB, bei der Abrechnung von Standardpreisen
für Radionukliden, ohne die Weitergabe von gewährten finanziellen Vorteilen durch
den Händler oder Pharmafirmen an die Krankenkasse, außerhalb von pauschaliert abrechenbarem
Sprechstundenbedarf, ist deutlich geworden, dass erhebliche strafrechtliche Konsequenzen
für hiergegen verstoßende Radiologen bestehen. Der BGH führt hierbei unzweideutig
aus: „wer … zur Angabe seiner individuell errechneten tatsächlichen Kosten verpflichtet
ist, gleichwohl aber ohne jede Berechnung und ohne jede eigene substantiierte Kalkulation
pauschal Beträge geltend macht, die nach seiner Auffassung die tatsächlich entstandenen
Kosten ausmachten, der täuscht“. Spätestens seit dieser Entscheidung sind Radionuklide und Kontrastmittel, außerhalb
von Pauschalvereinbarungen nach den Sprechstundenbedarfsvereinbarungen, nach den tatsächlichen
Kosten abzurechnen. Der Kontrastmittelbezug ist in diesem Sinne exemplarisch zu sehen,
die Wertung gilt für sämtliche Sachkosten. Dies geht auch aus der vergleichbaren Regelung
des § 44 Abs. 5 BMV-Ä hervor, der vorsieht, dass die Kosten für Materialien, die nicht
in den berechnungsfähigen Leistungen des EBM enthalten sind und auch nicht über Sprechstundenbedarf
bezogen werden können, gesondert abzurechnen sind. Zwar nimmt § 44 Abs. 5 BMV-Ä den
Sprechstundenbedarf aus, da dieser nach der Sprechstundenbedarfsvereinbarung abgerechnet
wird, er macht jedoch deutlich, dass der Vertragsarzt grundsätzlich zur Weiterleitung
von geldwerten Vorteilen verpflichtet ist. Die Ausnahme bildet nach § 44 Abs. 5 BMV-Ä
ein Barzahlungsrabatt von 3%. Soweit daher die jeweilige Sprechstundenbedarfsvereinbarung
die Abrechnung der Kontrastmittel nach den tatsächlichen Kosten vorsieht, ist es niedergelassenen
Radiologen grundsätzlich nicht gestattet, geldwerte Vorteile in irgendeiner Form vom
Hersteller, Lieferanten oder Großhändler anzunehmen oder Gewinn aus der Veräußerung
der Kontrastmittel an die Krankenkassen zu erzielen. Gleiches gilt für die Fälle,
wo nicht erbrachte Leistungen abgerechnet oder Verordnungen ausgestellt werden, die
allein der Abrechnung gegenüber der Kasse ohne tatsächliche Leistungserbringung dienen.
Zudem ist darauf hinzuweisen, dass mit der Einführung der Regelung des Verbots der
Zuweisung gegen Entgelt über § 73 Abs. 7 i.V.m. § 128 Abs. 2 Satz 3 SGB V, bei vorsätzlichem
Verhalten und damit durch den Vertragsarzt in Kauf genommenen Verstoß, die Möglichkeit
einer strafrechtlichen Sanktion über den Abrechnungsbetrug droht.
Neben der Strafbarkeit wegen Betrugs nach § 263 StGB ist auch die Untreue gemäß §
266 StGB in den Fokus der Betrachtung zu nehmen. Der Vertragsarzt ist als mit öffentlich-rechtlicher
Rechtsmacht Beliehener anzusehen, sodass seinerseits eine Verpflichtung besteht, den
materiellen und formellen Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung einzuhalten. Dies
ergibt sich eindeutig aus § 12 Abs. 1 SGB V und führt dazu, dass auch ohne direkte
Beziehung zwischen Vertragsarzt und Krankenkasse eine Vermögensbetreuungspflicht im
Sinne des § 266 StGB zu bejahen ist. Die Möglichkeit des Vertragsarztes, mit unmittelbarer
Wirkung für das Vermögen der jeweiligen Krankenkasse Verordnungen zu treffen, ist
als hervorgehobene Pflichtenstellung mit selbstverantwortlichem Entscheidungsbereich
zu qualifizieren, sodass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 266 StGB erfüllt sein
können.
Abschließend kann festgehalten werden, dass in ähnlich gelagerten Fällen nunmehr zwar
eine Rechtssicherheit in Bezug auf die Straflosigkeit nach den Normen der §§ 331 ff.
und 299 StGB besteht, jedoch keineswegs eine Freigabe aus berufs- oder vertragsarztrechtlicher
Sicht besteht und ggf. weitere Strafbarkeitserwägungen hinzutreten können. Demzufolge
kann aus juristischer Sicht nur vor kreativen Lösungen bei der Gewinnoptimierung im
Rahmen des Kontrastmittelbezugs gewarnt werden.
Jens Remmert, LL.M.
Rechtsanwalt
Dr. Peter Wigge
Fachanwalt für Medizinrecht
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