Aktuelle Urol 2012; 43(03): 137-138
DOI: 10.1055/s-0032-1315667
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nahrungssupplemente – Erhöht eine Vitamin-E-Zufuhr das Prostatakrebsrisiko?

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Publication Date:
25 May 2012 (online)

 

Vor nicht so langer Zeit stellte man sich die Frage: Kann Vitamin E vor Prostatakrebs schützen? Hinweise aus präklinischen und epidemiologischen Untersuchungen deuten zumindest daraufhin. Die nun von Eric A. Klein et al. veröffentlichten Nachbeobachtungsergebnisse der Studie SELECT (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial) kommen allerdings zum gegenteiligen Ergebnis.
JAMA 2011; 306: 1549–1556

mit Kommentar

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Die SELECT-Studie wurde vorzeitig abgebrochen, da das Vitamin-E-Supplement im Verdacht stand, das Prostatakrebsrisiko zu erhöhen.(©Alterfalter/Fotolia.com)

SELECT ist eine 2001 initiierte, groß angelegte, doppelblinde Krebspräventionsstudie. An der Studie nahmen 35 533 gesunde Männer über 50 Jahre aus den USA, Kanada und Puerto Rico teil. Die Probanden wurden auf 4 Gruppen randomisiert: Sie erhielten entweder Vitamin E (400 IU/ Tag) plus Placebo, Selen (200 μg/Tag) plus Placebo, eine Kombination aus beiden Präparaten oder beide Placebos. Alle Teilnehmer hatten einen PSA-Wert ≤4 ng/mL und einen unauffälligen rektalen Tastbefund. Die erste Interimsanalyse war für 2008 geplant (mittlere Beobachtungszeit 5,5 Jahre). Versuchspersonen, die Vitamin E zu sich genommen hatten, besaßen ein insignifikant erhöhtes Prostatakrebsrisiko. Unter Selen wurde ein leicht erhöhtes Risiko für einen Typ-2-Diabetes beobachtet. Die Studie wurde daraufhin abgebrochen, die Probanden aber bis Juli 2011 weiter verfolgt. Während dieser Zeit traten 521 weitere Prostatakarzinome auf.

Insgesamt wurden 54 464 zusätzliche Personenjahre ausgewertet.

Erhöhtes Krebsrisiko statt präventiver Wirkung

Die Autoren beobachteten in allen 3 Verumgruppen ein höheres Prostatakrebsrisiko. Dies war jedoch nur in der Vitamin-E-Gruppe von statistischer Signifikanz. So erhöhte die Einnahme von Vitamin E das relative Risiko an Prostatakrebs zu erkranken um 17 %. Unter Selen und der Kombinationstherapie stieg das Risiko tendenziell um 9 bzw. 5 %. Der absolute Risikoanstieg war gering. Auf 1000 Personenjahre kam es unter Vitamin E zu 1,6 zusätzlichen Prostatakrebserkrankungen. Unter Selen waren es 0,8 und unter der Kombinationstherapie 0,4. Sekundäre Endpunktanalysen zeigten, dass die Einnahme von Vitamin E oder Selen weder Auswirkungen auf die Gesamtkrebsinzidenz oder die Gesamtmortalität noch auf kardiovaskuläre Ereignisse, Darm- oder Lungenkrebs hatte. Der Trend zu einem erhöhten Diabetesrisiko unter Selen bestätigte sich nicht.

Fazit

Die regelmäßige Einnahme von Vitamin E in einer Dosierung von 400 IU/Tag scheint bei gesunden Männern über 50 Jahren das Risiko zu erhöhen, an Prostatakrebs zu erkranken. Die Autoren warnen daher vor einem unkontrollierten Konsum von Vitamin E oder anderen rezeptfreien Nahrungsergänzungsmitteln.

Renate Ronge, Münster


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Kommentar

Vorsicht geboten bei unkritischem Einsatz

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PD Dr. Alexandre Pelzer ist Leitender Oberarzt der Urologischen Klinik am Klinikum Ingolstadt

Das Prostatakarzinom als die häufigste bösartige Erkrankung von Männern fand in den letzten Jahren auch vermehrt in der Laienpresse Beachtung. Ursächlich hierfür sind nicht nur neue Behandlungsmethoden wie z. B. die Roboterassistierte radikale Prostataektomie oder Active-Surveillance-Strategien, sondern auch Schwächen in der Vorsorge des Prostatakarzinoms. Abseits davon wurden schon 1994 erste Studien zur Prophylaxe des Prostatakarzinoms mit Berichten über mögliche Vorteile einer Vitamin-E-Zufuhr als Antioxidanzien zur Karzinomprophylaxe veröffentlicht. Damals gab es die Hoffnung, dass die Einnahme von Antioxidanzien und anderen Nahrungsergänzungsmitteln das Auftreten des Prostatakarzinoms reduziert und die unbefriedigende Vorhersagekraft in der PSAbasierten Prostatakarzinomvorsorge ausgleichen kann.


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Heterogenität großer Studienpopulationen ist problematisch

In den letzten Jahren nimmt der Verkauf sog. Nahrungsergänzungsmittel in Deutschland inflationär zu. Grundlage dafür sind Studien, insbesondere der späten 1990er-Jahre, die über positive Effekte von Antioxidanzien bei der Entstehung von bösartigen Erkrankungen berichteten. Daraufhin wurden Urologen zunehmend intensiv durch ihre Patienten mit diesem Thema konfrontiert. Dem großen Wunsch der Patienten nachkommend, nach durchgeführter Früherkennung auch wichtige Ernährungstipps auszuhändigen, konnten Kolleginnen und Kollegen nur auf präklinische oder experimentelle Daten zurückgreifen. Klein und Kollegen veröffentlichen nun eine große Beobachtungsstudie. Natürlich hat auch die vorliegende Studie positive und negative Aspekte bez. der Methodik: In der vorliegenden SELECT-Studie kommt es nun nach nochmaliger Verlängerung des Folllow-up auf imposante 54 464 Patientenjahre auf nicht nur ernüchternde, sondern v. a. auf warnende Zahlen. Neben der ernormen Patientenanzahl sind jedoch, ähnlich anderer Großstudien, die Heterogenität der Studienteilnehmer und des Studienprotokolls Kritikpunkte. Aussagen über die Überprüfung des Patientenkollektivs bez. der Compliance bei der Vitamin-E- oder Selen-Einnahme fehlen ebenso wie Angaben über die Methodik der Prostatakarzinomdiagnostik. Nicht beachtet wurden auch andere Einflussfaktoren der Studie wie die mögliche familiäre Vorbelastung der Patienten. Trotzdem versucht die Studie mit großer Sorgfalt und genauen Patientenvisiten und Protokollen mit aufwendigen statistischen Mitteln eine möglichst homogene Aussage zu treffen. Dies gelingt ihr mit dem deutlichen Hinweis durch das wichtige Endergebnis: Männer mit vermehrter Vitamin-E-Zufuhr hatten ein signifikant erhöhtes Risiko an einem Prostatakarzinom zu erkranken.


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Hilft nicht und schadet noch dazu

Mit einem Vergleich der untersuchten Studienmedikamentendosis mit den in Deutschland erhältlichen Dosierungen in frei verkäuflichen Mengen werden wir uns schwer tun – die Frage nach dem Sinn von Vitamin-E zur Prostatakarzinomprophylaxe scheint trotzdem beantwortet: Urologen sollten ihren Patienten dringend davon abraten, zusätzliche Vitaminpräparate einzunehmen. Der Schaden ist höher als der Nutzen und der Spruch „Hilft es nichts, schadet es wenigstens nichts“ hat seine Ungültigkeit bewiesen.

PD Dr. Alexandre Pelzer, Ingolstadt


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Die SELECT-Studie wurde vorzeitig abgebrochen, da das Vitamin-E-Supplement im Verdacht stand, das Prostatakrebsrisiko zu erhöhen.(©Alterfalter/Fotolia.com)
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PD Dr. Alexandre Pelzer ist Leitender Oberarzt der Urologischen Klinik am Klinikum Ingolstadt