Abkürzungen
ALRUD:
akute longitudinale radioulnare Dissoziation
AO:
Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen
a.–p.:
anterioposteriorer Strahlengang
AWMF:
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V.
CRPS:
Complex regional Pain Syndrome (komplexes regionales Schmerzsyndrom)
CT:
Computertomografie
CTS:
Carpal Tunnel Syndrome (Karpaltunnelsyndrom)
DRUG:
distales Radioulnargelenk
FCR:
M. flexor carpi radialis
KD/K-Draht:
Kirschner-Draht
LT:
lunotriquetral
MdE:
Minderung der Erwerbsfähigkeit
MRT:
Magnetresonanztomografie
SL:
skapholunär
SLAC:
Scapholunate advanced Collapse
SNAC:
Scaphoid non Union advanced Collaps
TFCC:
Triangular Fibrocartilage Complex (triquetraler fibrokartilaginärer Komplex)
Epidemiologie und Ätiologie
Epidemiologie und Ätiologie
Die distale Radiusfraktur entsteht in der Regel durch einen Sturz auf die abfangende
Hand. Betroffen sind einerseits junge, sportlich aktive und risikobereite Menschen,
die durch ein Trauma mit erheblicher Gewalteinwirkung Radiusfrakturen erleiden. Viel
mehr aber sind ältere Patienten, zumeist Frauen mit Osteoporose betroffen, bei denen
durch sogenannte „low energy falls“ eine Fraktur des distalen Radius entsteht.
In Deutschland werden pro Jahr etwa 200 000 distale Radiusfrakturen behandelt. In
epidemiologischen Studien wird das Risiko für eine Fraktur des Radius mit 1 : 1000
für Menschen unter 65 Jahre beziffert. Dieses Risiko steigt bei über 85-Jährigen auf
12 : 1000. Frauen sind etwa 4 × häufiger betroffen als Männer.
Die distale Radiusfraktur wird als Indikatorfraktur für eine osteoporotische Stoffwechsellage
angesehen, in deren Folge das Risiko, im nächsten Jahrzehnt weitere osteoporotische
Frakturen wie eine pertrochantäre Femurfraktur oder Wirbelkörperfrakturen zu erleiden,
deutlich steigt.
85 % der Patienten mit distaler Radiusfraktur weisen zum Frakturzeitpunkt eine Kalksalzminderung
auf und etwas über die Hälfte eine manifeste Osteoporose.
Diagnostisches Vorgehen
Symptomatik
Bei Vorstellung zur Erstbehandlung klagen die Verletzten über Schmerzen und Funktionseinschränkungen
im verletzten Handgelenk.
Fehlstellung
Typisch ist eine Fourchette- oder Bajonett-Fehlstellung zusammen mit Schwellung und
tastbarer Krepitation. Die Bajonettfehlstellung entsteht dadurch, dass das distale
Radiusfragment sich speichenwärts und handrückenwärts verschiebt (Abb. [1]).
Abb. 1 Typisches klinisches Bild bei distaler Radiusfraktur (Bajonettfehlstellung).
Unfallmechanismus
Zu erfragen ist der Unfallmechanismus. Je nach Stellung der Hand zum Zeitpunkt des
Aufpralls entstehen unterschiedliche Frakturtypen. Man unterscheidet zwischen
Begleitverletzungen
Bei der klinischen Untersuchung muss auf Begleitverletzungen geachtet werden, insbesondere
auf die in der [Checkliste] genannten Traumata.
Mögliche Begleitverletzungen der distalen Radiusfraktur
-
Skaphoidfrakturen
-
Radiusköpfchenfrakturen
-
Verletzungen des triquetralen fibrokartilaginären Komplexes (TFCC)
-
Verletzungen des distalen Radioulnargelenks (DRUG)
-
Beeinträchtigungen des N. medianus
-
zusätzlich vorliegende Verletzungen der Metakarpalia oder Phalangen
-
karpale Instabilität
-
Verletzungen der Ulna bzw. des Radioulnargelenks
An begleitende unfallbedingte karpale Instabilitäten durch Ruptur der skapholunären
Bänder oder des lunotriquetralen Bandapparats muss gedacht werden.
Bei distalen Radiusfrakturen muss immer auch nach einer Fraktur der Ulna gesucht werden.
Dabei ist auf eine Instabilität des distalen Radioulnargelenks zu achten. Eine dislozierte
Fraktur des Processus styloideus ulnae kann hinweisend sein auf eine Verletzung des
TFCC und damit eine Instabilität des distalen Radioulnargelenks. Die Sonderform der
Galeazzi-Verletzung mit Subluxation oder Luxation des Ulnakopfes bei gleichzeitiger
Zerreißung der Membrana interossea sollte nicht übersehen werden.
Seltener sind Verletzungen aus dem als ALRUD (akute longitudinale radioulnare Dissoziation)
bekannten Formenkreis, die auch als Essex-Lopresti-Verletzung bezeichnet werden. Selten
sind gleichzeitige akute Sehnenrupturen oder ein Entrapment einer Sehne zwischen Frakturfragmenten.
Häufiger kommen Sehnenrupturen im Behandlungsverlauf vor. Besonders gefährdet ist
die dünnkalibrige Sehne des M. extensor pollicis longus, die durch ihren Verlauf um
das Tuberculum Listeri durch scharfe Frakturkanten oder durch das Osteosynthesematerial
in Mitleidenschaft gezogen werden kann.
Bildgebende Diagnostik
Röntgen
Zielgerichtete Diagnostik
Konventionelle Röntgenaufnahme
Mit einer guten konventionellen Röntgenaufnahme des Handgelenks a.–p. und seitlich
können die meisten Radiusfrakturen ausreichend beurteilt werden.
Besteht der Verdacht auf eine Ulna-minus- oder -plus-Variante, kann eine Vergleichsaufnahme
der unverletzten Gegenseite hilfreich sein.
Computertomografie
Eine CT-Untersuchung empfiehlt sich bei Impressionen oder Trümmerzonen der Gelenkfläche,
um den operativen Zugangsweg zu planen. Die CT-Untersuchung ist bei karpalen Begleitverletzungen,
insbesondere der Skaphoidfraktur, präoperativ notwendig. Nur in einem Feinschicht-CT
lässt sich sicher beurteilen, ob eine Skaphoidfraktur instabil und somit osteosynthetisch
versorgungspflichtig ist.
Magnetresonanztomografie
Die MRT gehört nicht zur Standarddiagnostik bei der distalen Radiusfraktur, kann aber
als ergänzende Untersuchung zur Abklärung von ligamentären Begleitverletzungen, insbesondere
einer skapholunären Dissoziation, und zur Beuteilung des TFCC hilfreich sein.
Arthroskopie
Auch die Arthroskopie ist kein Standarddiagnostikum bei Vorliegen einer distalen Radiusfraktur,
gilt aber als sicherste Methode, eine TFCC-Läsion und eine skapholunäre (SL) Bandruptur
zu diagnostizieren. Bei zentraler Impression kann die Reposition der Gelenkfläche
intraoperativ arthroskopisch beurteilt werden.
Klassifikation
Von einer Radiusfraktur loco typico spricht man bei einer Fraktur auf Höhe der anatomischen
Schwachstelle metaphysär proximal der Strecksehnenfächer. Eine grobe Einteilung unterscheidet
nach dem Unfallmechanismus zwischen
Eine intraartikuläre Fraktur mit isoliertem Processus-styloideus-radii-Fragment wird
Chauffeurfraktur genannt.
Die Einteilung nach Barton unterscheidet zwei intraartikuläre Frakturtypen.
-
Bei der Barton-Fraktur ist der dorsale Rand des distalen Radius betroffen, teilweise
mit Luxation des Radiokarpalgelenks.
-
Bei der umgekehrten Barton-Fraktur ist der palmare Rand des distalen Radius betroffen.
Genauer ist die AO-Klassifikation der distalen Radiusfraktur, für die eine gute Interbeobachterreliabilität
und Reproduzierbarkeit nachgewiesen sind, weshalb sie am weitesten Verbreitung gefunden
hat.
Die AO-Klassifikation unterscheidet zwischen
-
extraartikulären Frakturen
-
partiell artikulären Frakturen und
-
intraartikulären Frakturen (Tab. [1]).
Tabelle 1 AO-Klassifikation der distalen Radiusfraktur.
Typ
|
|
|
Typ A
|
extraartikuläre Fraktur
|
|
A1
|
Fraktur Ulna
|

|
A2
|
Fraktur Radius einfach
|

|
A3
|
Fraktur Radius mehrfach
|

|
Typ B
|
partielle Gelenksbeteiligung
|
|
B1
|
sagittale Radiusfraktur (Chauffeurfraktur/Hutchinson-Fraktur)
|

|
B2
|
Fraktur dorsaler Rand (Barton-Fraktur)
|

|
B3
|
Fraktur palmarer Rand (umgekehrte Barton-Fraktur)
|

|
Typ C
|
intraartikuläre Fraktur
|
|
C1
|
artikulär einfach, metaphysär einfach
|

|
C2
|
artikulär einfach, metaphysär Mehrfragmentfraktur
|

|
C3
|
Komplex (Mehrfragmentfraktur)
|

|
Wir benutzen im folgenden Text diese Einteilung, da sie von den wissenschaftlichen
Fachgesellschaften wie der AWMF und in der aktuellen internationalen Literatur häufig
verwendet wird und damit Studienergebnisse vergleichbar macht. Es existiert eine Vielzahl
unterschiedlicher Klassifikationssysteme für diese häufige Verletzung, z. B. nach
Frykman, Melone, Mayo, Pechlaner, um nur einige zu nennen (s. Infobox [„Hintergrund“], S. 255). Eine kurze Zusammenfassung der gebräuchlichsten Klassifikationen ist zu
finden bei der AWMF unter www.awmf.org/leitlinien.html.
Weitere Klassifikationssysteme der distalen Radiusfrakturen
Bewertungsschema nach Lindstrom:
-
Kriterium A (Funktion): Schmerz, Beweglichkeit
-
Kriterium B (Röntgen): Verkürzung, Verkippung, Verschiebung
-
Kriterium C: Ästhetik, Deviation
Klassifikation nach Frykmann:
-
Typ I: extraartikulär, ohne Ulnafraktur
-
Typ II: extraartikulär, mit Ulnafraktur
-
Typ III: intraartikulär (radiokarpal), ohne Ulnafraktur
-
Typ IV: intraartikulär (radiokarpal), mit Ulnafraktur
-
Typ V: intraartikulär (radioulnar), ohne Ulnafraktur
-
Typ VI: intraartikulär (radioulnar), mit Ulnafraktur
-
Typ VII: intraartikulär (radiokarpal und radioulnar), ohne Ulnafraktur
-
Typ VIII: intraartikulär (radiokarpal und ulnokarpal), mit Ulnafraktur
Klassifikation nach Melone:
-
Typ I: stabile Fraktur
-
Typ II: instabile Fraktur
-
Typ II: A retinierbare Fraktur
-
Typ II: B nicht retinierbare Fraktur
-
Typ III: instabile Spike-Fraktur
-
Typ IV: instabile Mehrfragmentfraktur
-
Typ V: Trümmerfraktur
Klassifikation nach Fernandez:
-
1 – Biegungsfraktur: eine metaphysäre Kortikalis gibt der einwirkenden Zugspannung
nach, die Gegenkortikalis weist eine Trümmerzone auf, extraartikuläre Fraktur
-
2 – Abscherfrakturen der Gelenkfläche: Barton; umgekehrte Barton-Frakturen des Processus
styloideus, einfache artikuläre Fraktur
-
3 – Kompressionsfrakturen: Fraktur der Oberfläche des Gelenks mit Impaktion der subchondralen
und metaphysären Knochen („die-punch“), intraartikuläre Trümmerfrakturen
-
4 – Avulsionsfraktur: Bruch der Bandansätze des ulnaren und radialen Processus styloideus
radii; radiokarpale Luxationsfraktur
-
5 – Kombinationen: Kombinationsverletzungen, Hochenergieverletzungen
Mayo-Klassifikation für intraartikuläre Radiusfrakturen:
-
Typ 1: extraartikulär radiokarpale Fraktur, intraartikulär radioulnar
-
Typ 2: intraartikulär Fossa scaphoidea
-
Typ 3: intraartikulär Fossa lunata ± sigmoidea
-
Typ 4: intraartikulär Fossa scaphoidea, lunata und sigmoidea
Pechlaner-Klassifikation:
-
Typ I-1: dorsale metaphysäre Fraktur
-
Typ I-2: dorsale metaphysär-artikuläre Fraktur
-
Typ I-3: dorsale Luxationsfraktur
-
Typ II-1: zentrale metaphysäre Fraktur
-
Typ II-2: zentrale metaphysär-artikuläre Fraktur
-
Typ II-2A: zentrale Impressionsfraktur
-
Typ II-2B: Fraktur des Processus styloideus radii
-
Typ II-2C: ulnarer Randbruch
-
Typ II-2D: zentraler Mehrfragmentbruch
-
Typ II-3: zentrale Luxationsfraktur
-
Typ III-1: palmare metaphysäre Fraktur
-
Typ III-2: palmare metaphysär-artikuläre Fraktur
-
Typ III-3: palmare Luxationsfraktur
Ergänzende Parameter:
-
A: Fraktur unverschoben
-
B: Fraktur geschlossen reponierbar und stabil
-
C: Fraktur geschlossen reponierbar und/oder instabil
-
D: metaphysäre Stauchungszone < 5 mm
-
E: metaphysäre Stauchungszone > 5 mm
-
F: intraartikuläre Dislokation der Fragmente < 5 mm
-
G: intraartikuläre Dislokation der Fragmente > 5 mm
-
H: Instabilität des distalen Radioulnargelenks
-
I: begleitende karpale Instabilität
Hilfreich zum besseren Verständnis des Frakturausmaßes erscheint uns das Drei-Säulen-Modell nach Rikli und Reggazoni (1996; Abb. [2]). Das Drei-Säulen-Modell ist das Resultat biomechanischer Betrachtungen des Unterarms.
Es gliedert den distalen Unterarm in 3 Säulen. Die radiale Säule läuft durch den Processus
styloideus radii und die Fossa scaphoidea, die zentrale Säule durch die Fossa lunata
und die Facies articularis ulnae und die ulnare Säule durch die distale Ulna mit dem
ulnokarpalen Komplex.
Abb. 2 Drei-Säulen-Modell nach Rikli u. Regazzoni (1996).
Die radiale Säule ist für die Stabilität verantwortlich. Sie bietet eine radiale ossäre
Abstützung und dient zur Insertion für stabilisierende radiokarpale Bänder. Es gibt
2 Typen von Radiusstyloidfrakturen:
-
Die Avulsionsverletzung entspricht einem ossären Abriss der stabilisierenden radiokarpalen
Bänder und Abscherung der ossären radialen Abstützung (Abb. [3]
a).
-
Impressionen als Resultat von Kompressionskräften finden wir hingegen nur sehr selten,
da die Kraftübertragung nicht über die radiale Säule läuft (Abb. [3]
b).
Abb. 3 Radiusstyloidfrakturen. a Avulsionsverletzung des Radiusstyloids. b Impressionsverletzung des Radiusstyloids.
Die intermediäre Säule ist Hauptträger der Kraftübertragung von der Hand auf den Unterarm.
Bei intraartikulären Frakturen ist das Radiusstyloid meist ein großes, intaktes Fragment
und weist keine Impressionen auf. Die Hauptverletzung im radiokarpalen Gelenk liegt
im Bereich der intermediären Säule. Hier finden wir eine Aufspaltung in ein palmarulnares
und ein dorsoulnares Fragment und häufig auch zentral imprimierte Fragmente durch
das Einwirken von Kompressionskräften.
Bei der operativen Therapie von intraartikulären Radiusfrakturen gilt die intermediäre
Säule deshalb als Schlüssel zum Gelenk.
Die ulnare Säule gewährleistet Kraftübertragung und Stabilität und dient als ulnarer
Pfeiler (Abb. [4]).
Abb. 4 Schema der palmaren radiokarpalen Bandverbindungen.
Therapeutisches Vorgehen
Therapieziele
Behandlungsziel ist die Frakturheilung mit
-
schmerzloser freier Beweglichkeit im Handgelenk,
-
uneingeschränkter Unterarmumwendbewegung,
-
kraftvollem Faustschluss und
-
freier Streckbarkeit der Finger.
Therapieentscheidung
In der AWMF-Leitlinie Unfallchirurgie zur distalen Radiusfraktur von Mai 2008 wird
ein Behandlungsschema vorgeschlagen, das je nach AO-Klassifikation eine unterschiedliche
Therapie von geschlossener Reposition mit und ohne Osteosynthese bis zu offener Reposition
mit den unterschiedlichsten Osteosyntheseverfahren und Kombination derselben zur Auswahl
stellt. Eine wirkliche Therapieempfehlung lässt sich hieraus nicht ableiten. Auch
nach Metaanalyse der aktuellen Literatur kann kein Therapiealgorithmus für die distale
Radiusfraktur abgeleitet werden, da keine der vorliegenden Studien eine ausreichende
Evidenz für die meisten der benötigten Entscheidungen liefert.
Die distale Radiusfraktur muss als heterogene Verletzung betrachtet werden. Unsere
Therapieentscheidung berücksichtigt daher viele Faktoren wie
-
den Unfallmechanismus,
-
das Frakturmuster,
-
die Weichteilverhältnisse,
-
Bandinstabilitäten,
-
karpale Begleitverletzungen,
-
die Knochenqualität,
-
das Alter des Patienten sowie dessen Wünsche.
Etablierte Indikationen zur konservativen Therapie sind stabile extraartikuläre Frakturen,
nicht oder gering dislozierte intraartikuläre Frakturen und bestehende Kontraindikationen
gegen eine Operation (s. Infobox [„Indikationen]).
Indikationen zur konservativen Therapie der distalen Radiusfraktur
etablierte Indikationen:
-
stabile extraartikuläre Fraktur
-
nicht/gering dislozierte intraartikuläre Fraktur
-
lokale/allgemeine Kontraindikationen gegen eine OP
relative Indikationen:
Indikationen für eine operative Therapie sind u. a. offene und instabile Frakturen,
primär und sekundär dislozierte sowie irreponible Frakturen, daneben Nerven- und Gefäßverletzungen
(s. Infobox [„Indikationen“], S. 257).
Indikationen zur operativen Therapie der distalen Radiusfraktur
absolute OP-Indikationen:
-
offene Fraktur
-
instabile Fraktur (hierzu zählen alle Trümmerfrakturen und dislozierten Flexionsfrakturen)
-
dislozierte intraartikuläre Fraktur
-
irreponible Fraktur
-
sekundär dislozierte Fraktur
-
begleitende Nervenverletzung
-
begleitende Gefäßverletzung
-
Durchblutungsstörungen nach Reposition
-
komplexe Begleitverletzungen der Handwurzel und des Handgelenks
relative OP-Indikationen:
-
beidseitige Frakturen
-
Mehretagenverletzung der oberen Extremität
-
operationspflichtige lokale Zusatzverletzungen
-
Mehrfachverletzungen
-
ausdrücklicher Patientenwunsch, etwa aufgrund spezieller beruflicher oder funktioneller
Anforderungen
Konservative Therapie
Bei undislozierten Radiusfrakturen ohne Instabilitätskriterien (Tab. [2]) ist die Indikation zum konservativen Vorgehen gegeben. Man legt eine Unterarmgipsschiene
in 20° Dorsalflexion des Handgelenks an, die in Abhängigkeit von der Knochenqualität
4–6 Wochen getragen wird. Die Fingergrundgelenke bleiben frei und können sofort beübt
werden. Diese Gipsschiene wird wenig gepolstert und klassischerweise von dorsal angelegt.
Zu achten ist auf eine gute Anmodellierung der Schiene und eine engmaschige Kontrolle.
An die Ruhigstellung schließt sich eine physiotherapeutische Beübung an.
Tabelle 2 Radiologische Instabilitätskriterien
Parameter
|
Wert
|
radialer Höhenverlust
|
> 2 mm
|
Änderung der radialen Inklination
|
> 5°
|
Verlust der Palmarkippung
|
> 10°
|
artikuläre Stufe
|
> 1–2 mm
|
Inkongruenz im DRUG
|
> 1 mm
|
Notfalltherapie dislozierter Frakturen
Dislozierte Frakturen werden zunächst am Unfalltag im Aushang in Bruchspaltanästhesie
reponiert und dann im Unterarmspaltgips retiniert. Brüske wiederholte Repositionsmanöver
ohne ausreichende Schmerztherapie sind dabei zu vermeiden. Bei ungenügender Reposition
ist eine Fixateuranlage zu erwägen.
In Abhängigkeit vom Frakturtyp kann eine interne Osteosynthese im Verlauf notwendig
werden. Eine OP ist dann indiziert, wenn eine ausreichende Reposition nicht erzielt
und eine Retention mithilfe geschlossener Maßnahmen nicht gehalten werden kann. Dies
ist bei instabilen Frakturen fast immer der Fall. Eine Flexionsfraktur gilt immer
als instabil. Die radiologischen Instabilitätskriterien sind in Tab. [2] aufgelistet.
Ziele einer operativen Frakturbehandlung sind die anatomische Rekonstruktion und die
Ermöglichung einer frühfunktionellen Nachbehandlung, um zügig Beweglichkeit und Kraft
wiederzuerlangen. Angestrebt wird eine Wiederherstellung der physiologischen Winkel
am distalen Radius, also einer radioulnaren Inklination von ca. 24° und einer Palmarinklination
von ca. 12°. Gelenkstufen sollen durch den operativen Eingriff behoben werden.
Offene Frakturen werden zusammen mit der Weichteilverletzung notfallmäßig versorgt,
um die Entwicklung einer Wundinfektion und Osteomyelitis zu verhindern. Eine begleitende
Medianusläsion zieht eine unaufgeschobene Frakturversorgung mit Dekompression des
Nervs nach sich.
Kirschner-Draht-Osteosynthese
Diese Operationsmethode eignet sich zur Behandlung von A2-Frakturen. Die Kirschner-Drähte
(K-Drähte, KD) werden perkutan oder über eine Stichinzision eingebracht. Insertionspunkt
ist der Processus styloideus radii. Die Drähte verlaufen in einem Winkel von 30–45°
zur Radiusachse (Abb. [5]). Zu vermeiden ist ein Kreuzen der Drähte auf Frakturniveau. Die Drähte werden gekürzt
und nicht umgebogen, wenn man sie unter die Haut versenken will.
Abb. 5 A2-Fraktur nach AO; versorgt mit Kirschner-Draht-Osteosynthese. a u. b Präoperative Röntgenaufnahmen a.–p. und seitlich. c u. d Postoperative Röntgenbilder a.–p. und seitlich.
Bei der Einbringung der Drähte perkutan und vor allem bei ihrer Entfernung ist der
R. superficialis des N. radialis verletzungsgefährdet.
Versenkt man die Drähte nicht unter die Haut, ist die Metallentfernung einfacher,
der R. superficialis hierbei weniger gefährdet.
Überragen die Drähte das Hautniveau, muss eine engmaschige Kontrolle und Pflege der
Eintrittsstelle sichergestellt sein, um Infektionen zu vermeiden.
Postoperativ ist eine 4- bis 6-wöchige Gipsruhigstellung notwendig. Anschließend erfolgen
die Metallentfernung in Lokalanästhesie und eine physiotherapeutische Übungsbehandlung.
Besonderheiten
-
Vor allem bei osteoporotischem Knochen können eine sekundäre Drahtdislokation und
ein Repositionsverlust eintreten. Dann muss eine Revision mit Umstieg auf ein anderes
Verfahren erwogen werden.
-
Bei dorsalen Trümmerzonen kann das Einbringen intrafokaler Karpandji-Drähte die Reposition
ermöglichen. Die intrafokale K-Drahtung ist technisch anspruchsvoll.
-
Bei C-Frakturen müssen Gelenkfragmente durch zusätzliche parallel zur Gelenkfläche
verlaufende Drähte gefasst werden. Eine Übungs- oder gar Belastungsstabilität lässt
sich hierdurch nicht erreichen.
Schraubenosteosynthese
Eine Schraubenosteosynthese kann bei isolierten Frakturen des radialen Pfeilers eingesetzt
werden, insbesondere bei sogenannten Chauffeurfrakturen (Abb. [6]). Die Kleinfragmentschrauben werden über eine 2–3 cm lange Inzision über dem Processus
styloideus unter Durchleuchtungskontrolle eingebracht. Gefährdete Strukturen sind
der R. superficialis des N. radialis und die Sehnen des M. abductor pollicis longus
und M. extensor pollicis brevis.
Abb. 6 B1.1-Fraktur nach AO; versorgt mit Schraubenosteosynthese. a u. b Präoperative Röntgenaufnahmen a.–p. und seitlich. c u. d Postoperative Röntgenbilder a.–p. und seitlich. e u. f Röntgenbilder nach Implantatentfernung.
Die Nachbehandlung kann frühfunktionell belastungsfrei erfolgen. Eine Implantatentfernung
sollte nach Konsolidierung der Fraktur empfohlen werden.
Fixateur externe
Komplexere Frakturen können mit einem gelenküberbrückenden Fixateur externe versorgt
werden. Dieses Verfahren eignet sich gut zur Primärstabilisierung, der nach Weichteilkonsolidierung
interne Osteosynthesen folgen können. Auch die Ausbehandlung im Fixateur ist möglich.
Die Reposition erfolgt durch Ligamentotaxis. Vorteil ist, dass es sich um eine minimalinvasive
Methode handelt, die kaum ein zusätzliches Weichteiltrauma setzt. Auch bei komplexen
Frakturen können gute Repositionsergebnisse erzielt werden. Das Konstrukt kann durch
zusätzliche perkutane Kirschner-Drähte verstärkt werden (Abb. [7] u. Abb. [8]). Biomechanisch soll dadurch die Stabilität der Montage vergleichbar mit einer dorsalen
3,5-mm-T-Platte werden. Der Einrichtung von Trümmerzonen der Gelenkfläche sind jedoch
methodische Grenzen gesetzt. Die Einrichtung zentraler Fragmente gelingt nicht. Auch
ein sekundärer Korrekturverlust ist nicht selten.
Abb. 7 C3-Fraktur nach AO; versorgt mit Fixateur externe und Kirschner-Drähte.
a u. b Präoperative Röntgenaufnahmen a.–p. und seitlich.
c u. d Postoperative Röntgenbilder a.–p. und seitlich.
Abb. 8 C3-Fraktur nach AO; versorgt mit Fixateur externe und Kirschner-Drähten. a u. b Präoperative Röntgenaufnahmen a.–p. und seitlich.
c u. d Postoperative Röntgenbilder a.–p. und seitlich. e u. f Ausheilungsbilder a.–p. und seitlich.
Eine frühfunktionelle Nachbehandlung ist verfahrensbedingt nicht möglich.
Besonderheiten
-
Eine Kombination mit palmar abstützenden Platten kann bei Trümmerfrakturen (C3) sinnvoll
sein.
-
Alternativ kann ein nicht gelenküberbrückender Fixateur externe verwendet werden. Die Operationsmethode ist ungleich aufwendiger. Zunächst wird ein
gelenküberbrückender Fixateur externe montiert. Die Ligamentotaxis kann optimal ausgenutzt
werden. durch Distraktion und Flexion (Cotton-Lodder-Stellung). Dann werden die distalen
Fragmente mit mindestens 4 Kirschner-Drähten fixiert, die über Ausleger an der proximalen
Fixateurmontage befestigt werden Anschließend wird die gelenküberbrückende Repositionshilfe
entfernt (Abb. [9]). Die Beübung des Handgelenks ist vom Tag der Operation an möglich (Fallbeispiel
Abb. [10]). In Studien zeigten sich als Vorteile dieses Verfahrens gegenüber dem gelenküberbrückenden
Fixateur externe die frühfunktionelle Nachbehandlungsmöglichkeit und die etwas bessere
Rekonstruierbarkeit der radialen Länge ohne das Risiko der Überdistraktion.
Abb. 9 Nicht gelenküberbrückender Fixateur externe – Operationsprinzip. a OP-Schritt 1. b OP-Schritt 2. c OP-Schritt 3.
Abb. 10 AO C2.1-Fraktur nach AO (71 Jahre, weiblich); versorgt mit nicht gelenküberbrückendem
Fixateur externe. a u. b Präoperative Röntgenaufnahmen a.–p. und seitlich. c u. d Intraoperative Bildwandleraufnahmen. e–g Funktionsaufnahmen 1. postoperativer Tag. h–j Funktionsaufnahmen nach Implantatentfernung 6 Wochen postoperativ. k u. l Röntgenbilder nach Konsolidierung und Implantatentfernung a.–p. und seitlich.
Palmare winkelstabile Plattenosteosynthese
Dieses Verfahren ermöglicht eine anatomische Rekonstruktion und bei fehlenden Begleitverletzungen
eine frühfunktionelle Nachbehandlung. Durch die Winkelstabilität wird ein weniger
fester Halt im Knochen benötigt als bei herkömmlichen nicht winkelstabilen Systemen,
sodass diese Methode auch bei osteoporotischer Knochenstruktur, zur Überbrückung von
Trümmerzonen und zum Teil auch bei Extensionsfrakturen vom palmaren Zugang her anwendbar
ist. Die Platte dient zudem bei Trümmerzonen als „internal Buttress“.
Eine palmare Plattenosteosynthese ist aufgrund des Frakturverlaufs ideal zur Versorgung
von Flexionsfrakturen geeignet. Für die Abstützung der meisten Flexionsfrakturen eignen
sich konventionelle und winkelstabile Implantate. In der Literatur werden die radiologischen
Ergebnisse als signifikant besser angegeben als nach konservativer Therapie.
Der operative Zugangsweg verläuft radiopalmar entlang der Flexor-carpi-radialis-Sehne,
deren Sehnenfach eröffnet wird und die anschließend nach ulnar gehalten wird. Der
darunter liegende M. pronator quadratus wird vom Radius abgeschoben (Abb. [11]). Der palmare Zugang birgt gegenüber dem dorsalen die Vorteile einer besseren Weichteildeckung
des Implantats, eine geringere Gefahr von Sehnenirritationen und bei palmar meist
einfach frakturierter Kortikalis eine gute Kontrolle der Frakturreposition (Fallbeispiel
s. Abb. [12]).
Abb. 11 Palmarer Zugang entlang der FCR-Sehne. a Angezeichnete Inzision. b Palmarer Zugang, Faszie des M. pronator quadratus eröffnet. c Winkelstabile palmare Platte in situ.
Abb. 12 C1.2-Fraktur nach AO, begleitende dynamische skapholunäre Dissoziation (81 Jahre,
weiblich); versorgt mit palmarer Platte. a u. b Präoperative Röntgenaufnahmen a.–p. und seitlich. c u. d Postoperative Röntgenbilder a.–p. und seitlich. e u. f Röntgenbilder 2½ Jahre postoperativ. a.–p. und seitlich.
Bei der Plattenplatzierung ist darauf zu achten, die modernen winkelstabilen Platten
nicht zu weit distal anzubringen.
Polyaxiale Implantate gewähren einen größeren Spielraum in der Platzierung als monoaxiale.
Eine zu weit distale Positionierung an der palmaren Radiuskante (der sogenannten Watershed
Line) gilt als fehlerhaft und kann zu Reizungen der Beugesehnen führen. Die Platte
sollte mittig auf dem Radius proximal dieser Linie positioniert sein.
Zudem muss sich der Operateur vor Augen halten, das die dorsale Radiusfläche nicht
plan konfiguriert ist, sodass auch im Röntgenbild korrekt lang wirkende Schrauben
dorsal die Kortikalis überragen und Sehnenirritationen verursachen können (Abb. [13]).
Abb. 13 Palmare Platte, dorsal die Kortikalis überragende Schrauben.
a Konventionelles Röntgenbild. b u. c CT.
Es wird empfohlen, die distalen Schrauben 2 mm kürzer zu wählen, als es der intraoperativen
Messung entspricht.
Auch ein Überragen der Platte radial-distal kann vor allem bei schlanken Patienten
als störend empfunden werden und macht eine frühzeitige Implantatentfernung notwendig
(Abb. [14]).
Abb. 14 Überragen der palmaren Platte radial am distalen Radius.
Intramedulläre Osteosynthese
Bei extraartikulären A2- und A3- sowie wenig dislozierten C1- und C2-Frakturen ist
eine Marknagelosteosynthese mit speziell für den distalen Radius entwickelten Implantaten
möglich. Eigene Erfahrung haben wir mit dem Marknagel Targon DR.
Die Reposition der Fraktur erfolgt manuell durch Ligamentotaxis. Es können zusätzlich
temporär Kirschner-Drähte eingebracht werden. Die Hautinzision ist 4 cm lang und liegt
über der Spitze des Processus styloideus radii, über dessen Zentrum ein Führungsdraht
eingebracht wird. Hierüber wird die Nageleintrittsstelle mit kanüliertem Bohren vorbereitet.
Das Nagellager wird mit Raffeln stufenweise aufgearbeitet und anschließend der Marknagel
eingebracht. Über ein Zielgerät werden Drähte eingebracht, die nach Längenmessung
durch Schrauben ausgetauscht werden. Die distalen Schrauben werden so platziert, dass
sie die Gelenkfläche unterstützen. Proximal werden in den distalen Schaft des Radius
analog zu anderen Marknägeln ebenfalls über das Zielinstrument zwei Verriegelungsschrauben
eingebracht, um eine Rotationsstabilität zu gewährleisten.
Bei der Einbringung der distalen, die Gelenkfläche unterstützenden Schrauben muss
darauf geachtet werden, die Schrauben nicht zu lang zu wählen, damit das distale Radioulnargelenk
nicht beeinträchtigt wird.
Die Nachbehandlung erfolgt gipsfrei frühfunktionell auch bei osteoporotischem Knochen.
Die radiologischen und funktionellen Ergebnisse stellen sich nach aktueller Studienlage
analog zu den Ergebnissen mit palmarer Plattenosteosynthese dar. Die Palmarinklination
kann bei höhergradig instabilen Frakturen etwas schlechter wiederhergestellt werden.
Die Rate der weichteilbedingten Komplikationen, insbesondere der sekundären Sehnenrupturen,
scheint geringer auszufallen (Abb. [15]).
Abb. 15 A3.1-Fraktur nach AO (82 Jahre, weiblich); versorgt mit Targon DR. a u. b Präoperative Röntgenbilder. c u. d Intraoperative Bildwandler-Aufnahmen. e u. f Röntgenaufnahmen 12 Wochen postoperativ. g u. h Funktionsaufnahmen 6 Wochen postoperativ.
Dorsale winkelstabile Plattenosteosynthese
Nicht jede Fraktur lässt sich über einen palmaren Zugang korrekt reponieren. Bei dorsal
betonter Pathologie ist ein dorsaler Zugang daher günstiger. Nachdem in der Vergangenheit
dorsale Plattenosteosynthesen häufig mit Strecksehnenkomplikationen vergesellschaftet
waren, wurde eine optimierte dorsale Plattenlage (Abb. [16]) entwickelt und spezielle hierfür geeignete winkelstabile Implantate, die eine sichere
Retention der Frakturfragmente möglich machen unter bestmöglichem Schutz der Strecksehnen.
Abb. 16 Optimale Lage der dorsalen Doppelplattenosteosynthese.
Der dorsale Zugang liegt etwas radial der Handgelenksmitte. Das Retinaculum extensorum
wird treppenförmig gespalten, die Strecksehnen werden in ihren Strecksehnenfächern
einschließlich des Periosts vom distalen Radius abpräpariert und beiseite gehalten.
Es kann notwendig sein, das Tuberculum Listeri zur besseren Plattenplatzierung mit
einem Luer zu glätten. Bei Trümmerfrakturen wird von vielen Autoren eine gleichzeitige
selektive Denervierung des N. interosseus posterior empfohlen, der problemlos nach
Luxation der Strecksehnen auf Höhe des DRUG identifiziert werden kann.
Über den dorsalen Zugang lässt sich die radiokarpale Gelenkfläche gut visualisieren,
wenn man die Handgelenkskapsel türflügelartig inzidiert und zur Seite präpariert,
sodass sie hinterher wieder verschlossen werden kann.
Die gelenktragenden Frakturfragmente werden anatomisch genau eingepasst, präliminär
mit Kirschner-Drähten fixiert und dann mit einer winkelstabilen Doppelplattenosteosynthese
versorgt, wobei eine L- oder hockeyschlägerförmige Platte dorsal angebracht wird und
sich die zweite Platte anatomisch vorgeformt an die radiale Kortikalis – also um 90°
versetzt – anschmiegt. Hierzu wird das 1. und 2. Strecksehnenfach möglichst nicht
eröffnet, sondern mit dem Periost vom Radius abgeschoben. Die optimale Plattenlage
ist in Abb. [16] skizziert. Nach Verschluss der Handgelenkskapsel wird das Retinaculum unter den
Strecksehnen über der Platte vernäht, um ein Aufreiben der Sehnen auf den Platten
zu vermeiden.
Die 2,4 mm starken Platten tragen wenig auf. Trotzdem wird eine Implantatentfernung
nach Konsolidierung empfohlen. Ein Fallbeispiel ist in Abb. [17] dargestellt.
Abb. 17 C3.1-Fraktur nach AO (62 Jahre, weiblich); versorgt mit dorsaler Plattenosteosynthese. a u. b Präoperatives Röntgenbild in 2 Ebenen. c u. d CT nach Fixateur-Anlage. e u. f Postoperatives Röntgenbild in 2 Ebenen. g u. h 3-D-Rekonstruktion postoperativ. i u. j Röntgenaufnahmen nach Konsolidierung und Implantatentfernung.
Komplexe Frakturen
Bei komplexen Frakturen wird oft ein mehrzeitiges Vorgehen notwendig. In der Notfallsituation
wird vorzugsweise ein gelenküberbrückender Fixateur externe montiert. Während der
Weichteilkonsolidierungsphase kann die weiterführende Diagnostik mittels CT erfolgen
und in einem zweiten Schritt die der Fraktur angepasste interne Osteosynthese.
Intraoperativ wird entschieden, ob der Fixateur trotz interner Osteosynthese noch
zeitweilig belassen wird oder gegen eine Gips- oder Castschiene ausgetauscht werden
kann. Dies ist abhängig von der erreichbaren Primärstabilität der Osteosynthese, insbesondere
jedoch von den karpalen Begleitverletzungen (Abb. [18]).
Abb. 18 Komplexe Fraktur: C3.3 nach AO (44 Jahre, männlich). a u. b präoperative Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen. c u. d Präoperatives CT. e. u. f Primäre Stabilisierung mit Fixateur externe. g u. h Postoperative Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen nach dorsaler und palmarer winkelstabiler
Plattenosteosynthese.
Implantatentfernung
Plattenosteosynthese. Eine Implantatentfernung nach Konsolidierung sollte bei palmarer Plattenlage nicht
generell empfohlen werden. Bei dorsaler Plattenosteosynthese sollte eine Implantatentfernung
jedoch auch bei älteren Patienten empfohlen werden, da die anatomisch enge Beziehung
der Platten zu den Strecksehnen dauerhaft eine Schädigung der Strecksehnen zur Folge
haben kann. Die dorsale Plattenosteosynthese geht zugangsbedingt mit einer höheren
Rate an Strecksehnenverwachsungen einher.
Fixateur externe und Kirschner-Draht-Osteosynthese. Die notwendige Implantatentfernung ist bei Fixateur- und Kirschner-Draht-Osteosynthese
immer mit aufzuklären.
Schraubenosteosynthese. Auch bei Schraubenosteosynthese isolierter Radiusstyloidfrakturen sollte eine Implantatentfernung
geplant werden. Hier sind Verletzungen des R. superficialis des N. radialis zu befürchten
und zwar in höherem Maße bei der Osteosynthesematerialentfernung als bei der Einbringung,
da Narbenbildung ein Ausweichen des Nervenasts verhindert kann.
Komplikationen
Die wohl häufigsten Komplikationen sind nach wie vor die sekundäre Dislokation und die in Fehlstellung verheilte distale Radiusfraktur. Hier wird dann in Abhängigkeit der Fehlstellung
und der Beschwerdesymptomatik eine Korrekturosteotomie durchgeführt. Fehlstellungen
werden bei konservativer Therapie im Gips in bis zu 20 % und bei ausschließlicher
Kirschner-Draht-Osteosynthese in unter 10 % der Fälle beobachtet.
Eine weitere relativ häufige Komplikation der distalen Radiusfraktur ist die Entwicklung
eines CRPS. Diese wird mit einer Inzidenz von 2–10 % beschrieben. Sehnenabrisse werden bei konservativer (Fragmentkante) und operativer Therapie (Implantat) beobachtet.
Aufklärung
Der Patient ist zu Behandlungsbeginn über die möglichen Komplikationen aufzuklären. Insbesondere Erwähnung finden sollten:
-
Entwicklung eines CRPS
-
verbleibende Bewegungseinschränkungen
-
Sehnenrupturen, wobei hier vor allem der lange Daumenstrecker und -beuger genannt
werden müssen
Diese Komplikationen sind sowohl bei konservativer als auch bei operativer Frakturbehandlung
zu finden.
Alle genannten Osteosyntheseverfahren bergen ebenso wie die konservative Behandlung
nach Literaturangaben in etwa das gleiche Risiko der Entwicklung eines CRPS von etwa
3 % der Fälle.
Bei konservativem Therapieversuch muss die Notwendigkeit regelmäßiger radiologischer
Nachuntersuchungen in den Vordergrund gestellt werden, da sekundäre Dislokationen
je nach Frakturtyp nicht selten sind. Ist eine palmare Plattenosteosynthese geplant,
muss über eine Medianusverletzung als mögliche, wenn auch seltene Komplikation gesprochen
werden. Über eine sensible Einschränkung der 3½ radialen Finger hinaus kann eine Schädigung
des motorischen Thenarasts auftreten mit Schwäche der Daumenballenmuskulatur.
Häufiger gefährdet ist der R. palmaris. Eine Verletzung des R. palmaris kann eine
Hyposensibilität in der Hohlhand zur Folge haben, seltener schmerzhafte Missempfindungen
bei Ausbildung eines Neuroms.
Zu nennen ist auch die Entwicklung eines posttraumatischen Karpaltunnelsyndroms, das
ebenso nach operativer wie nach konservativer Frakturbehandlung auftreten kann durch
narbige Umbauvorgänge des verletzungsbedingten Hämatoms.
Die Implantatentfernung bzw. das geplante Belassen der Implantate (s. o.) sind ebenfalls
im Aufklärungsgespräch zu thematisieren.
Prognose
Das Ergebnis hängt wesentlich vom Frakturtyp ab, wobei zumindest bei jüngeren Patienten
ein Zusammenhang zwischen radiologischem Ergebnis und der erreichten Funktion belegt
zu sein scheint. Je jünger der Patient ist, umso mehr profitiert er langfristig von
einer stufenlosen Wiederherstellung der Gelenkfläche.
Für schlechte Behandlungsergebnisse mitverantwortlich ist häufig eine nicht erkannte
oder nicht ausreichend behandelte Begleitverletzung, vor allem durch Entwicklung eines
SNAC- bzw. SLAC-Wrist und Instabilitäten im DRUG.
Der Verschleiß bei einer durch Skaphoidpseudarthrose oder skapholunäre Bandruptur
bedingten karpalen Instabilität beginnt typischerweise zwischen dem proximalen Skaphoidpol
und der dorsalen Radiuslippe. Dieser Verschleiß schreitet dann über das gesamte Radioskaphoidalgelenk
in Stadien (Tab. [3]) fort und kann in eine karpale Panarthrose münden. Ein fortgeschrittenes Arthrosestadium
bei statischer skapholunärer Dissoziation ist in Abb. [19] ersichtlich.
Abb. 19 SLAC-Wrist Stadium III mit fortgeschrittenem karpalen Kollaps (54 Jahre, weiblich).
Tabelle 3 Stadieneinteilung des SLAC- bzw. SNAC-Wrist.
Stadium
|
Kennzeichen
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I
|
Arthrose zwischen proximalem Skaphoidpol und dorsaler Radiuslippe
|
II
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Arthrose im gesamten Radioskaphoidalgelenk
|
III
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Arthrose zwischen Lunatum und Kapitatumkopf, später proximoradiale Migration des Kapitatums
durch die skapholunäre Lücke
|
Bei älteren Patienten scheint das radiologische Ergebnis nicht zwingend mit dem funktionellen
Ergebnis und der Patientenzufriedenheit übereinzustimmen. Bei älteren Patienten mit
geringem Anspruch werden auch bei Verbleib schwerwiegender radiologischer Fehlstellungen
zufriedenstellende Bewegungsausmaße berichtet.
Komplikationen wie sekundäre Sehnenrupturen etwa der langen Daumenstrecksehne führen
ebenfalls zu einer erheblichen Verschlechterung des Outcomes.
Begutachtung
Wichtigstes Beurteilungskriterium ist das Bewegungsausmaß im Vergleich zur gesunden
Gegenseite.
In der gesetzlichen Unfallversicherung wird eine rentenberechtigende Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 % bei einer Bewegungseinschränkung des Handgelenks von insgesamt 80° anerkannt. Gemessen werden die Handgelenksextensions-
und Palmarflexionsbewegungen sowie die Ulnar- und Radialduktionsbewegungen nach der
Neutral-0-Methode. Bei Einschränkung der Unteramdrehbewegungen ist je nach deren Schwere
die MdE höher zu bewerten.
Eine Bewegungseinschränkung des Handgelenks geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung
bis 30–0–40°) wird mit einem Grad der Behinderung von 0–10 beziffert, eine komplette
Handgelenksversteifung in günstiger Stellung mit 20.
Zu beachten sind radiologische Kriterien wie Stufenbildungen in der Gelenkfläche und
Inkongruenzen im distalen Radioulnargelenk, die ein schmerzhaftes Funktionsdefizit
erklären können. Arthrotische Veränderungen sollten bei den häufig bereits älteren
Versicherten immer im Seitenvergleich beurteilt werden, Gleiches gilt für die Länge
der Ulna.
Ob ein posttraumatisch aufgetretenes Karpaltunnelsyndrom (CTS) als Unfallfolge zu werten ist, hängt vom Frakturtyp, dem begleitenden Weichteilschaden
und dem zeitlichen Verlauf ab. Primäre Medianusirritationen können bei stark dislozierten
Frakturen mit Luxation des Carpus auftreten. Spätere Entwicklungen eines CTS können
durch Narbenbildung bedingt sein, bedürfen also einer zum Unfallzeitpunkt dokumentierten
Weichteilschädigung oder postoperativen Schwellung. Zumindest muss ein Hämatom im
Karpalkanal vorhanden gewesen sein.
Ein unkomplizierter Heilverlauf bei einfacher, wenig dislozierter Radiusfraktur erklärt
nicht Medianuskompressionssymptome, die sich erstmals Jahre nach dem Unfall manifestieren.
Gleiches gilt für Ringbandstenosen. Auch hier muss eine massive Schwellung der Hohlhand
dokumentiert sein, um einen Unfallzusammenhang beweisen zu können.
Schwierigkeiten bereitet die Begutachtung des CRPS, da Schmerzen wenig objektivierbar sind. Wichtig ist die Kenntnis der festgelegten
CRPS-Kriterien und des stadienhaften Verlaufs, um Rentenbegehren abgrenzen zu können.
Häufig zu beobachten ist die Entwicklung eines Morbus Dupuytren nach Radiusfraktur auch bei Frauen. Dieser betrifft nahezu immer den IV. Strahl,
entwickelt sich aber selten zu einem höheren Stadium als Tubiana 0 – I. Die Anerkennung
als Unfallfolge wird durch nahezu alle Versicherer kritisch gesehen. Da aber ein geringer
Ausprägungsgrad der Erkrankung keine Funktionsausfälle bedingt, wird ohnehin selten
eine Entschädigung notwendig.
Begutachtungsprinzipien
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Bewegungsausmaß im Vergleich zur gesunden Gegenseite dokumentieren.
-
Auf Gebrauchsspuren der verletzten Hand ist zu achten.
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Ebenso kann eine fehlende Muskelminderung an der verletzten Extremität darauf hinweisen,
dass die geklagten Ausfälle mit den tatsächlichen nicht übereinstimmen.
-
Bei langjährigem Behandlungsverlauf empfiehlt sich die Auslösung einer Zusatzbegutachtung
auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet.