Schlüsselwörter
Nadelstichverletzung - Infektionsrisiko - Präventionsmaßnahmen
Key words
needle stick injury - infection risk - preventative measures
Einleitung
Zu den häufigsten Arbeitsunfällen bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen zählen
Verletzungen an spitzen und scharfen Gegenständen, die auch gleichzeitig eine der
größten Gefahren darstellen. Dabei entstehen gesamtwirtschaftliche Kosten in Höhe
von rund 47 Mio. EUR [1]. Unter dem Begriff
Nadelstichverletzung (NSV) werden im Besonderen jegliche Stich-, Schnitt- und
Kratzverletzungen der Haut durch Nadeln, Skalpelle, spitze und scharfe Gegenstände
zusammengefasst, die mit Patientenblut oder anderem potenziell infektiösen Material
verunreinigt waren oder sein können – unabhängig davon, ob die Wunde geblutet hat
oder nicht. Schätzungen zufolge kommt es in Deutschland zu etwa 500 000 NSV pro
Jahr, wobei Expertenmeinungen zufolge nur etwa 10–20 % aller Verletzungen angezeigt
werden [2]. Chirurgen sind während der Ausübung ihres
Berufs dabei einem besonderen Risiko ausgesetzt, sich an kontaminierten Instrumenten
mit Krankheitserregern zu infizieren, die durch Kontakt mit infektiösem Blut oder
anderen Flüssigkeiten übertragen werden [3]. Durch
Unachtsamkeit kann es beim Weiterreichen von Instrumenten von Hand zu Hand während
der Operation bzw. beim Entsorgen der Instrumente nach der OP zu einer Verletzung
des Personals kommen. Laut einer Umfrage werden diese Unfälle hauptsächlich durch
Unaufmerksamkeit infolge von (zu) hoher Stressbelastung sowie durch Nichteinhalten
von Vorschriften (z. B. „Recapping“) verursacht. Teilweise spielte auch eine Rolle,
dass die Vorschriften selbst unzureichend waren oder auch der Arbeitsablauf an sich
ein sicheres Arbeiten nicht zuließ [2]. In der Chirurgie
war entsprechend der Frankfurter Nadelstichstudie [3], [4] die Rate der NSV besonders hoch. Als
ein Risikofaktor wurde mit 28,6 % das Nähen ermittelt, gefolgt von
Schnittverletzungen während der Operation (12,5 %) und Stichverletzungen bei
Blutentnahmen. Aber auch intraoperative Verletzungen durch Knochensplitter spielten
als „Sonstige Verletzung“ eine nicht unerhebliche Rolle.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, basierend auf einer repräsentativen Literaturrecherche
und eigener arbeitsmedizinisch-klinischer Erfahrungen eine aktuelle Übersicht über
das Infektionsrisiko im OP-Saal bei den wichtigsten Erregern zu erstellen und
arbeitsmedizinische Empfehlungen für technische, organisatorische und persönliche
Arbeitsschutzmaßnahmen für das OP-Personal sowie zur Postexpositionsprophylaxe nach
Verletzungen zu geben. Des Weiteren werden einige versicherungsrechtliche Aspekte
zu
Berufskrankheiten dargestellt.
Grundlagen
Sind die Instrumente, mit denen sich die operativ tätigen Mitarbeiter verletzen, mit
Blut oder anderen Körperflüssigkeiten kontaminiert, besteht das Risiko einer
Infektion. Die wichtigsten Erreger, die durch Blutkontakt übertragen werden, sind
das Hepatitis-B-Virus (HBV), das Hepatitis-C-Virus (HCV) und das Human
Immunodeficiency Virus (HIV). Aber auch die Übertragung anderer Mikroorganismen
durch NSV ist möglich. So sind in der Literatur Fälle beschrieben worden, bei denen
Viren (z. B. Ebola- oder Dengue-Viren, Herpes-simplex-Virus), Bakterien (z. B.
Mycobacterium tuberculosis, Staphylococcus aureus), Pilze,
Protozoen (Plasmodium falciparum, Toxoplasma gondii) und auch Prionen
durch Blut von Patienten auf Mitarbeiter infolge NSV übertragen wurden [5].
Diese Infektionserkrankungen können als Berufskrankheit (BK 3101) anerkannt werden,
wenn der Mitarbeiter im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem
Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in
ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war. Im Jahr 2006 wurden laut Statistik der
Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) noch über 4700 Verdachtsanzeigen
auf Anerkennung der BK 3101 gestellt, von denen 537 Fälle tatsächlich als
Berufskrankheit BK 3101 anerkannt worden sind. Im Jahr 2010 wurden nur noch knapp
1500 Verdachtsanzeigen gestellt, von denen 579 Fälle als BK anerkannt wurden [6], [7]. Die Zahl der Fälle,
bei denen neue Renten gezahlt wurden, ist seit 2006 rückläufig ([Abb. 1]).
Abb. 1 DGUV-Statistik zum Berufskrankheitengeschehen der BK 3101 –
Infektionskrankheiten, wenn der Mitarbeiter im Gesundheitsdienst, in der
Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere
Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war
(Quelle: DGUV-Statistiken für die Praxis 2010;
http://www.dguv.de/inhalt/zahlen/documents/dguvstatistiken2010d.pdf, [7]).
Es ist jedoch schwierig, diese Zahlen nochmals in die verschiedenen Tätigkeitsfelder
im Gesundheitsdienst zu unterteilen. So ist z. B. die Zuordnung der BK 3101 zum
Tätigkeitsfeld im OP-Saal kaum möglich, da Mitarbeiter nicht nur dort tätig sind und
die Ansteckungsgefahr auch auf den Stationen (z. B. bei Blutentnahmen) hoch ist.
Da die Infektionskrankheiten auch außerberuflich übertragen werden können, ist sowohl
aus arbeitsmedizinischer als auch aus versicherungsrechtlicher Sicht die Meldung
jeder NSV beim Betriebsarzt oder dem zuständigen D-Arzt notwendig. Nur wenn die NSV
sorgfältig dokumentiert und somit der Nachweis einer haftungsausfüllenden und
-begründenden Kausalität erbracht wurde, besteht Aussicht auf Anerkennung der
Infektionserkrankung als Berufserkrankung. Eine haftungsausfüllende Kausalität liegt
vor, wenn
-
nach den aktuellen Erkenntnissen die Art und Intensität des einwirkenden
Faktors dieser als „wesentliche Bedingung“ für das Zustandekommen der
Erkrankung angesehen werden kann,
-
der Erkrankte in einer versicherten Tätigkeit beschäftigt war und
-
der als ursächlich angesehene Faktor bei dieser Tätigkeit auch nachweislich
eingewirkt hat.
Kann dieser Nachweis nicht erbracht werden (z. B. wegen fehlender Dokumentation),
ist
die Anerkennung der Infektionserkrankung als BK schwierig durchzusetzen, was auch
die Differenz zwischen den Verdachtsanzeigen und den tatsächlich anerkannten Fällen
erklärt.
Infektionsrisiko
Das Risiko der Ansteckung hängt sowohl vom Infektionsstatus des Indexpatienten als
auch vom Immunstatus des exponierten Mitarbeiters ab. Weiterhin spielen Art und
Schwere der Verletzung, die kontaminierende Menge Blut, die Dauer des Blutkontakts
sowie das Zeitintervall zwischen Verletzung und Reinigung und der Anwendung von
Postexpositionsmaßnahmen eine Rolle.
Hepatitis B
Das Hepatitis-B-Virus ist weltweit verbreitet. Schätzungen zufolge haben in
Deutschland etwa 5–8 % der Bevölkerung eine Hepatitis-B-Infektion durchgemacht.
Die Zahl chronischer HBs-Antigen-Träger wird auf 0,4–0,8 % geschätzt [8], [9]. Das
Übertragungsrisiko liegt je nach Infektionsstatus des Indexpatienten und
Konzentration des Erregers zwischen 30 und 100 % [4], [10], [11], [12].
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts erreichen Hepatitis-B-Viren insbesondere
im Blut sehr hohe Konzentrationen von bis zu 1011 Viruspartikel/ml
Serum und über 108 Viruspartikel/ml infektiöse Einheiten. In der
Frühphase der Infektion und bei HBeAg-positiven HBV-Trägern ist fast jedes
Viruspartikel infektiös, in der Spätphase und bei HBeAg-negativen Trägern
dagegen meist nur jedes 100ste bis 1000ste Viruspartikel. Demzufolge können in
der Frühphase und bei HBeAg-positiven Trägern auch kleinste Mengen Blut eine
Infektion hervorrufen, selbst wenn die Verletzung geringfügig scheint [13]. In Versuchen konnte nachgewiesen werden, dass
selbst durch kleinste NSV große Blutmengen übertragen werden können [14].
Bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW)
gingen im Jahr 2010 mit 71 Anzeigen einer vermutlich berufsbedingt erworbenen
Hepatitis B in Deutschland weniger Anzeigen als im Jahr zuvor (75 Anzeigen) ein.
In 31 Fällen wurde die Hepatitis B als Berufserkrankung anerkannt, wobei sich
diese Fälle auf Erkrankungen aus verschiedenen Jahren beziehen [15]. Diese Statistiken beziehen sich jedoch nur auf
die dort versicherten Personen und nicht auf Einrichtungen in kommunaler
Trägerschaft und sind somit nicht vollständig. Die tatsächliche Zahl der als BK
anerkannten Hepatitis-B-Fälle dürfte wesentlich höher liegen. In den letzten
Jahren ist ein stetiger Rückgang der Verdachtsmeldungen von
Hepatitis-B-Infektionen zu verzeichnen, was sehr wahrscheinlich auf die
steigenden Impfraten und die verbesserte Sicherheit bei den Instrumenten
zurückzuführen ist.
Hepatitis C
Ebenso wie der Erreger der Hepatitis B ist auch das Hepatitis-C-Virus (HCV)
weltweit verbreitet. Nach Schätzungen der WHO sind ca. 2–3 % der Weltbevölkerung
mit HCV chronisch infiziert. In Deutschland sind ca. 0,2–0,5 % der Bevölkerung
HCV-positiv erkrankt [15]. Die Infektion beginnt
schleichend und unbemerkt. Etwa 20 % entwickeln eine Leberzirrhose [16], die als eine der häufigsten Indikationen für
eine Lebertransplantation gilt. Bei einem Teil der Patienten kommt es zu einer
karzinomatösen Entartung der Leberzirrhose. Lebensbedrohend sind auch
Komplikationen wie die Dekompensation der Zirrhose mit Leberfunktionsstörung und
Aszitesbildung, die hepatische Enzephalopathie und Ösophagus- oder
Fundusvarizenblutungen [17].
Das Übertragungsrisiko im Gesundheitsdienst wird durchschnittlich mit ca. 2–3 %
angegeben, einigen Autoren zufolge liegt das Risiko auch deutlich darunter [18], [19], [20], [21]. Das
Gefährdungspotenzial ist demnach deutlich niedriger als das von
Hepatitis-B-Viren. Dennoch gingen bei der BGW in Hamburg im Jahr 2010 mit 100
Anzeigen einer vermutlich berufsbedingt erworbenen Hepatitis C in Deutschland
nahezu gleich viele Anträge wie im Jahr zuvor ein. In 45 Fällen wurde eine
Hepatitis C auch als BK anerkannt (diese Fälle beziehen sich wieder laut Angaben
des Robert Koch-Instituts auf Erkrankungen aus verschiedenen Jahren [16]). Die Anzahl der tatsächlich als BK anerkannten
Hepatitis-C-Fälle dürfte aber aufgrund der ähnlichen Problematik wie bei der
Hepatitis B auch hier deutlich höher liegen.
HIV
Eine direkte Messung der HIV-Inzidenz bzw. der HIV-Prävalenz ist nicht möglich,
sie kann nur mithilfe von Modellrechnungen abgeschätzt werden [22]. Die geschätzte Zahl der Menschen, die Ende 2011
in Deutschland mit HIV/AIDS leben, beträgt nach Angaben des Robert
Koch-Instituts in etwa 73 000, darunter 59 000 Männer und 14 000 Frauen.
Das durchschnittliche Risiko einer HIV-Serokonversion wird mit 0,3 % angegeben
[10], [12], [23], [24]. Das Risiko,
sich bei HIV-positiven Patienten anzustecken, steigt jedoch um den Faktor 16 bei
sehr tiefen Stich- oder Schnittverletzungen und noch um den Faktor 5, wenn
sichtbare Blutspuren auf dem verletzenden Instrument vorhanden sind bzw. auch
nach perkutaner Verletzung mit einer Injektionsnadel oder anderer Hohlraumnadel,
die zuvor in Venen oder Arterien platziert waren. Bei hoher Viruslast im Blut
des Indexpatienten (akute HIV-Infektion, AIDS im Endstadium) ist das
Ansteckungsrisiko um das fünf- bis sechs-Fache erhöht [12], [23], [24]. Insgesamt gesehen, ist das Risiko für das medizinische Personal,
sich auf beruflichem Weg eine HIV-Infektion zuzuziehen, sehr gering. Bislang
sind in Deutschland insgesamt nur 75 HIV-Infektionen als Berufskrankheit
anerkannt worden [25].
Wird eine medikamentöse Prophylaxe nach NSV mit kontaminierten Instrumenten
durchgeführt, kann das Infektionsrisiko der exponierten Person deutlich gesenkt
werden [12], [24].
Prävention
Durch die Vorschriften der Unfallversicherungen (früher berufsgenossenschaftliche
Grundsätze) sind die Untersuchungen von Beschäftigten, die zeitlichen
Untersuchungsabstände und das Methodeninventar für arbeitsmedizinische
Vorsorgeuntersuchungen (z. B. G 42 – Tätigkeiten mit Infektionsgefährdung) geregelt.
Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen dienen grundsätzlich der Früherkennung
arbeitsbedingter Gesundheitsgefährdungen.
Der Schwerpunkt des Faches Arbeitsmedizin liegt in der Prävention von Arbeitsunfällen
und Berufskrankheiten. Besonderes Augenmerk liegt dabei in der Primärprävention; es
sollte nach Möglichkeit bereits vor einer Infektion, d. h. präexpositionell, alles
für den Schutz und die Gesunderhaltung des Mitarbeiters getan werden. Fand trotz
Vorsichtsmaßnahmen eine NSV mit Infektionsrisiko statt, so stehen im Fall von HBV
und HIV Möglichkeiten der Postexpositionsprophylaxe bzw. der Sekundärprävention zur
Verfügung.
Primärprävention
Durch technische, organisatorische und persönliche Maßnahmen muss die Übertragung
von Krankheitserregern so weit wie möglich verhindert werden. Dabei haben
technische Arbeitsschutzmaßnahmen stets Vorrang vor organisatorischen und
persönlichen Schutzmaßnahmen.
Der Gesetzgeber hat mit der „Technischen Regel für Biologische Arbeitsstoffe“
(TRBA 250) Vorgaben zum Einsatz sicherer Instrumente festgelegt. Die Technischen
Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) geben den Stand der
sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen, hygienischen sowie
arbeitswissenschaftlichen Anforderungen bei Tätigkeiten mit Biologischen
Arbeitsstoffen wieder. Sie werden vom Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe
(ABAS) aufgestellt und von ihm der Entwicklung entsprechend angepasst. Die TRBA
werden vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit im Bundesarbeitsblatt
(seit 2007 im Gemeinsamen Ministerialblatt) bekannt gegeben, nach der sichere
Arbeitsgeräte bei Tätigkeiten bzw. in Bereichen mit höherer Infektionsgefährdung
oder Unfallgefahr einzusetzen sind [26].
Die Industrie bietet mittlerweile vielfältige Systeme für Injektionen, Infusionen
und Blutentnahmen an, die bereits von der Konstruktion her das Risiko von
Stichverletzungen erheblich verringern. Zu diesen sicheren Instrumenten zählen
z. B. Injektionsnadeln, die sich nach Gebrauch in eine Schutzhülle zurückziehen,
Injektionsnadeln mit leicht arretierbarem Stichschutz oder auch
Injektionsnadeln, die beim Herausziehen stumpf werden [27]. Durch die Verwendung sicherer Instrumente konnte die Rate von
NSV nachweislich gesenkt werden [10]. Des Weiteren
kann speziell im OP das Verletzungsrisiko durch die Verwendung von
Sicherheitsskalpellen gesenkt werden. Durch den Einzug neuer operativer,
minimalinvasiver Techniken ist die Verletzungsgefahr ebenfalls deutlich
gemindert worden.
Eine weitere, leicht umzusetzende Sicherheitsmaßnahme ist die Verwendung von
stich- und bruchfesten Abwurfbehältern für das Sammeln von gebrauchten spitzen
oder scharfen Gegenständen.
Neben Festlegung und Einhaltung von Hygienemaßnahmen entsprechend der
gesetzlichen Vorschriften (TRBA 250, Biostoffverordnung) kann auch durch
organisatorische Maßnahmen die Zahl der NSV verringert werden. Dazu zählen z. B.
verbesserte Arbeitsanweisungen, regelmäßige Arbeitsschutzunterweisungen der
Mitarbeiter, aber auch eine optimale Arbeitsplatzbeleuchtung und die ergonomisch
günstige Aufstellung der Abwurfbehälter.
Von Fachgesellschaften werden sogenannte „neutrale Übergabezonen“ gefordert
(z. B. Tücher oder Magnettafeln), damit es während der OP nicht zu Verletzungen
bei der Instrumentenübergabe kommt [28].
Um Verletzungen infolge von Übermüdung zu vermeiden, ist eine gut durchdachte
Schichtplangestaltung zu empfehlen, die nicht zuletzt durch angepasste
Regelungen des Arbeitszeitgesetzes ermöglicht wird, da Übermüdung zu
Unachtsamkeit und damit auch zur Häufung von Unfällen führt [29], [30], [31].
Das Tragen persönlicher Schutzausrüstungen (z. B. Handschuhe, Schutzmasken,
Schutzkleidung) ist beim Umgang mit Patienten ein wesentlicher
Sicherheitsstandard, der unbedingt befolgt werden sollte. Die Exposition
gegenüber Körperflüssigkeiten während Operationen wird durch Tragen doppelter
Handschuhe gemindert. Hier erlauben doppelte Handschuhe mit Indikatorfunktion
die Entdeckung von Perforationen während operativer Eingriffe, sodass defekte
Handschuhe sofort ersetzt werden können. Zudem reduzieren diese Handschuhsysteme
das übertragene Blutvolumen deutlich, was ebenfalls zur Sicherheit des
Operateurs beiträgt [32], [33], [34].
Zu den persönlichen Schutzmaßnahmen zählen des Weiteren Schutzimpfungen, die bei
Beschäftigten im Gesundheitsdienst einen hohen Stellenwert einnehmen. Seit
Anfang der 80er-Jahre ist die Schutzimpfung gegen Hepatitis B möglich. Alle
Beschäftigten im Gesundheitswesen, bei denen Hepatitis B am Arbeitsplatz
vorkommen kann, sollten einen aktuellen Impfschutz gegen Hepatitis B aufweisen.
Dabei ist entsprechend der Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission am
Robert Koch-Institut zu verfahren [35]. Bei korrekt
durchgeführter Impfung sind bei mehr als 95 % der geimpften Personen Antikörper
gegen HBs-Antigen nachweisbar.
Im Interesse sowohl der Mitarbeiter selbst als auch den Patienten gegenüber
sollten invasive Tätigkeiten, bei denen eine erhöhte Verletzungsgefahr für das
medizinische Personal besteht (z. B. bei Operationen in beengtem OP-Feld), nur
von Personen durchgeführt werden, die nachweislich eine Immunität gegen
Hepatitis B besitzen, entweder nach erfolgreicher Hepatitis-B-Schutzimpfung oder
als Folge einer ausgeheilten Infektion [15]. Thomsen
et al. verdeutlichten sehr nachdrücklich die Forderung an die Mitarbeiter im
Gesundheitsdienst, sich impfen zu lassen: „Wer sich nicht rechtzeitig gegen
Hepatitis B impfen lässt, handelt grob fahrlässig seinen Patienten, seinen
Berufskollegen und sich selbst gegenüber.“ [36]
Für schwangere Mitarbeiterinnen gilt das Mutterschutzgesetz bzw. die Verordnung
zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz. Dieses Gesetz sieht vor, dass werdende
Mütter aufgrund des Infektionsrisikos und der Gefährdung des Ungeborenen nicht
invasiv tätig sein dürfen. Aufgrund der heutzutage vorhandenen technischen
Möglichkeiten des Arbeitsschutzes ist es durchaus zu verantworten, dass nach
entsprechender individueller Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitsmediziner
bzw. Betriebsarzt sowie unter Einbindung der schwangeren Mitarbeiterin in den
Entscheidungsprozess die werdende Mutter ihre klinische Tätigkeit weiter
fortführen kann und darf [25].
Postexpositionsprophylaxe (PEP)
Postexpositionsprophylaxe (PEP)
Ist trotz Vorsichtsmaßnahmen eine Exposition erfolgt, sollten sowohl der Indexpatient
als auch der Exponierte serologisch und gegebenenfalls molekularbiologisch
nachuntersucht werden [23]. Hier steht die Frage, ob bei
einem ernstzunehmenden Infektionsrisiko die Zustimmung des Indexpatienten
erforderlich ist. Der klinische Alltag zeigt, dass hier über das Prozedere
Unsicherheiten bestehen für den Fall, dass der Patient keine Zustimmung gibt [37]. Für die optimale Therapie des betroffenen
Mitarbeiters ist die Testung des Indexpatienten bzw. die Kenntnis über den
Infektionsstatus jedoch sinnvoll und notwendig. Vor einer Testung des Indexpatienten
auf Infektionserkrankungen sollte dessen Zustimmung eingeholt werden. Für den Fall,
dass der Indexpatient diese Zustimmung verweigert, hat der Arzt nach § 34 StGB die
Möglichkeit (und aus ethischer Sicht auch die Verpflichtung dem Mitarbeiter
gegenüber), die Testung beim Patienten durchzuführen. Der Schutz des betroffenen
Mitarbeiters ist als ein höheres Rechtsgut einzustufen als das Recht des Patienten
auf „Nichtwissen“ seines Infektionsstatus [37].
Hepatitis B
Für das Vorgehen nach einer NSV mit Infektionsrisiko einer Hepatitis B wird ein
differenziertes Vorgehen empfohlen. Falls nicht mit der Übertragung von HBV zu
rechnen ist, sind keine speziellen Maßnahmen zur Verhütung einer
Hepatitis-B-Infektion erforderlich. Allerdings sollte bei Personen ohne
Immunität gegen Hepatitis B eine Immunisierung begonnen bzw. ggf. eine
Auffrischimpfung – vom Betriebsarzt – durchgeführt werden.
Weitere Maßnahmen erübrigen sich ebenfalls, wenn der Beschäftigte immun oder
durch Impfung ausreichend geschützt ist. Dies ist der Fall bei erfolgreicher
Grundimmunisierung (anti-HBs M 100 IE/l innerhalb der letzten 12 Monate oder
erfolgreiche Impfung innerhalb der vergangenen 5 Jahre). Liegt die erfolgreiche
Grundimmunisierung mehr als 10 Jahre zurück, sind ebenfalls keine speziellen
Maßnahmen bez. Hepatitis B erforderlich, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
Es liegt ein aktueller Anti-HBs-Titer von > 100 IE/l vor bzw. bei der letzten
betriebsärztlichen Untersuchung (die nicht länger als 3 Jahre zurückliegt) wurde
ein ausreichender Schutz gegen Hepatitis B festgestellt (es erfolgte keine
Empfehlung zur Booster-Impfung). Die sofortige Testung des Verletzten ist bei
unvollständiger Immunisierung, bei „Nonrespondern“ oder bei fehlender
Impfkontrolle zu veranlassen: Bei Anti-HBs-Titer > 100 IE/l sind keine
speziellen Maßnahmen bez. Hepatitis B erforderlich, bei Anti-HBs-Titern
< 100 IE/l muss eine Booster-Impfung mit Aktivimpfstoff erfolgen [35]. Für bisher nicht geimpfte Personen steht eine
aktive und passive Immunprophylaxe zur Verfügung. Die Empfehlungen der Ständigen
Impfkommission [13] zur Postexpositionsprophylaxe
nach NSV sind in [Tab. 1] zusammengefasst.
Tab. 1 Empfehlungen der STIKO für die
Postexpositionsprophylaxe nach Kontakt mit HBV.
|
erforderliche Gabe von
|
aktueller Anti-HBs-Wert des Exponierten
|
HB-Impfstoff
|
HB-Immunglobulin
|
> 100 IE/l
|
nein
|
nein
|
10–100 IE/l
|
ja
|
nein
|
< 10 IE/l
|
ja
|
ja
|
nicht zu bestimmen
|
ja
|
ja
|
Liegt das Ereignis (z. B. Nadelstichverletzung) länger als 48 h zurück, so
empfiehlt das Kompetenznetz Hepatitis vor der Gabe von Immunglobulin die
Rücksprache mit einem hepatologischen Zentrum oder mit dem Kompetenznetz
Hepatitis selbst. Unabhängig davon ist aber unbedingt eine Aktivimpfung
durchzuführen [38]. Des Weiteren sollten jeweils
nach 12 und 26 Wochen Kontrolluntersuchungen erfolgen. Hier wird die
Untersuchung von GOT und GPT sowie Anti-HBc empfohlen. Darüber hinaus ist nach
einer NSV die Anzeige auf Verdacht einer Berufskrankheit beim zuständigen
Gewerbearzt oder der zuständigen Berufsgenossenschaft erforderlich.
Hepatitis C
Im Falle einer beruflichen HCV-Exposition (z. B. nach Nadelstichverletzung) steht
derzeit keine Postexpositionsprophylaxe zur Verfügung. Unmittelbar nach der
Verletzung/Kontamination sollten beim Exponierten Anti-HCV und ALT bestimmt
werden (Ausgangswert). Im Verlauf sollte nach 2–4 Wochen eine Bestimmung der
HCV-RNA erfolgen. Falls negativ, kann diese Untersuchung 6–8 Wochen nach
Exposition wiederholt werden. Bei Nachweis einer akuten Infektion sollte eine
Therapie mit Interferon alpha oder pegyliertem Interferon alpha zur Verhinderung
einer Chronifizierung eingeleitet werden. Die antivirale Therapie einer akuten
HCV-Infektion sollte über 24 Wochen durchgeführt werden [38], [39].
HIV
Nach Verletzungen mit HIV-kontaminierten Instrumenten steht eine medikamentöse
Therapie zur Verfügung. Eine Empfehlung zur Prophylaxe sollte der Patient bei
tiefen Stich- oder Schnittverletzungen, sichtbaren Blutspuren auf dem
verletzenden Instrument, perkutaner Verletzung mit Injektionsnadel oder anderer
Hohlraumnadel sowie bei hoher Viruslast im Blut des Indexpatienten erhalten. Die
Therapie sollte so früh wie möglich beginnen (möglichst innerhalb von 24 h,
besser noch innerhalb von 2 h) und in der Regel über 28 Tage erfolgen. Die
Standardprophylaxe wird entweder mit der Kombination aus 2 Inhibitoren der
reversen Transkriptase (RTI) und einem Proteaseinhibitor (PI) durchgeführt oder
aber mit der Kombination aus 2 RTI und einem nicht nukleosidalen
Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI) [22].
Unabhängig von den medikamentösen Maßnahmen sind folgende Schritte unverzüglich
einzuleiten:
-
bei Stich- und Schnittverletzungen sollte der Blutfluss durch Druck auf
das umliegende Gewebe gefördert werden,
-
antiseptische Spülung und Anlegen eines antiseptischen Wirkstoffdepots
auf der Basis von PVP-Jod/Alkohol,
-
Untersuchung des Indexpatienten,
-
Einleitung eines D-Arzt-Verfahrens,
-
Vorstellung beim Betriebsarzt.
Wie das Regeluntersuchungsprogramm nach Stich- und Schnittverletzungen konkret
durchzuführen ist, hat die BGW in einer Broschüre zusammengefasst [40].
Fazit
Die vordringlichen Aufgaben des Arbeitsmediziners bzw. Betriebsmediziners liegen in
der Prävention. Als Fazit ist hier festzuhalten, dass es zahlreiche präventive
Maßnahmen gibt, die Verletzungen an spitzen und scharfen Gegenständen zu mindern
bzw. zu verhindern helfen. Die Verwendung von sicheren Instrumenten bei invasiven
Eingriffen, verbesserte organisatorische Maßnahmen sowie das Verwenden persönlicher
Schutzausrüstungen (z. B. das Tragen doppelter Handschuhe) für eine verstärkte
Sicherheit sollten zur Selbstverständlichkeit beim medizinischen Personal nicht nur
im operativen Bereich werden.