Schlüsselwörter
kolorektales Karzinom - evidenzbasierte Medizin - Darmkrebszentrum
Key words
colorectal carcinoma - evidence-based medicine - colon cancer centre
Hintergrund
Kolorektale Karzinome stellen in den Ländern der westlichen Welt einen der häufigsten
malignen Tumoren dar. Geschlechtsunabhängig betrachtet, ist es in Deutschland die
häufigste Krebserkrankung [1], [2]. Die jährliche Neuerkrankungsrate wird mit 73 000 Erkrankungen
angegeben und ist fast gleich auf Männer und Frauen verteilt [2]. Entsprechend der ICD-10-Diagnosegruppen C18–C21 war die
Neuerkrankungsrate in Deutschland im Jahr 2006 auf Platz 2 im internationalen
Vergleich für altersspezifische Neuerkrankungen bei Männern und bei Frauen [2], [3]. Damit bedingt das
kolorektale Karzinom bei den Männern 16,2 % aller Krebserkrankungen und bei Frauen
17,5 % [2]. Die Zahl der Sterbefälle wurde für diese
Diagnosegruppen für das Jahr 2005 vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden mit 13 569
Männern und 13 654 Frauen angegeben, was, bezogen auf alle Krebssterbefälle, einem
Prozentsatz von 12,4 % bei den Männern und 14,3 % bei den Frauen entspricht [4].
Dank der Fortschritte in der Diagnostik und Therapie haben sich die Überlebenschancen
bei Patienten mit Kolonkarzinomen in Deutschland in den letzten Jahrzehnten
verbessert. Vor allem in Anbetracht der hohen Anzahl von Neuerkrankungen bleibt die
Herausforderung unvermindert bestehen, durch eine Optimierung der diagnostischen und
therapeutischen Maßnahmen eine weitere Qualitätssteigerung in der flächendeckenden
Behandlung der Patienten zu erreichen. Mit dem Konzept der Darmkrebszentrenbildung
soll dieses Ziel mit einer Verbesserung der objektivierbaren Behandlungsergebnisse
erreicht werden [5]. Neben der Bildung eines
krankheitsspezifischen, umfassenden und kompetenten Netzwerks für den Patienten und
seine Angehörigen wird durch die Bildung der Darmkrebszentren die Implementierung
evidenzbasierter Inhalte der S3-Leitlinie „Kolorektales Karzinom“ in den klinischen
Alltag gefordert und gefördert. Die Darmkrebszentren müssen im Rahmen der
Zertifizierung nachweisen, dass sie ihre Patienten leitliniengetreu behandeln.
Eventuelle Defizite bei der Umsetzung dieser Vorgaben werden kritisch analysiert.
Diese werden interdisziplinär diskutiert und im Sinne eines klassischen
Plan-Do-Check-Act-Zyklus mit steuernden Korrekturmaßnahmen beseitigt.
Qualitätssicherung in der Chirurgie
Qualitätssicherung in der Chirurgie
Den 1. Schritt zur Verbesserung der therapeutischen Ergebnisse in der Chirurgie
stellt die Qualitätssicherung durch klinische Versorgungsforschung dar. Bereits
Theodor Billroth (1829–1894) erkannte den Nutzen der Ergebnisdokumentation und
Auswertung, welche eine Analyse der Therapieresultate erlaubte und eine
Problemerkennung gestattete [6]. Die ergebnisorientierte
Qualitätssicherung mit dem Ziel der Identifikation fehlerhafter Prozeduren und ihrer
Vermeidung bei künftigen Patienten wurde vom Bostoner Chirurg Ernest Amory Codman
(1869–1940) initiiert [7]. Er forderte die
Ergebnisdokumentation der Krankenhäuser und den Vergleich untereinander und ging mit
jährlichen Behandlungsberichten seiner Patienten voran [8], [9]. Seine Empfehlungen sowie die von
Abraham Flexner (1866–1959) führten in Amerika zur Entwicklung eines
Zertifizierungsprogramms. Daraus entstand 1951 in Chicago die „Joint Commission on
Accreditation of Healthcare Organizations“ als gemeinnützige Organisation zur
Beratung und Bewertung von Krankenhäusern [10].
In Deutschland hat die Erstellung von Qualitätsanforderungen zur Versorgung von
Patienten mit kolorektalen Karzinomen einen hohen Stellenwert und eine lange
Tradition. Die Ergebnisse von Forschungsgruppen und Literaturanalysen zeigen, dass
durch Therapie- und Strukturoptimierungen eine Verbesserung der chirurgischen und
multimodalen Behandlungsqualität mit nachfolgender Prognoseverbesserung für den
Patienten mit Kolon- und Rektumkarzinomen erreicht wird [11]. Für das Rektumkarzinom wurden 1995 erste Qualitätsindikatoren von
einer Expertengruppe der Deutschen Krebsgesellschaft formuliert [12]. 2006 erfolgte eine Überprüfung und Aktualisierung
der Qualitätsindikatoren durch die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Workflow
Rektumkarzinom II mit Publikation des Konsenses [12]. Um
den Stellenwert des Chirurgen als Prognosefaktor bei der Versorgung von Kolon- und
Rektumkarzinomen festzulegen, publizierte die Forschungsgruppe Onkologie
Gastrointestinaler Tumoren (FOGT) 2009 Qualitätsparameter für die multimodale
Therapie von Kolon- und Rektumkarzinomen [11]. Als
zentrales Problem wurden die Varianz der onkologischen Langzeitergebnisse und die
ungenügend strukturierte Dokumentation als Basis für Vergleiche und Transparenz
dargestellt. Basis der Analyse zur Versorgung in Deutschland waren wertvolle
Ergebnisse der Qualitätssicherungsgruppe Kolon- und Rektumkarzinom des An-Instituts
für Qualitätssicherung in der operativen Medizin an der Universität Magdeburg zum
Zusammenhang von chirurgischen Komplikationsraten, Morbidität und Fallzahlen, die
2001 von Marusch et al. [13], [14] publiziert wurden. In der zusammenfassenden Wertung wurde von Link et
al. [11] der Chirurg im interdisziplinären Team
(Tumor-Boards) zum entscheidenden Prognosefaktor deklariert, da er durch seine
chirurgische Erfahrung und Spezialisierung in Verbindung mit entsprechenden
Krankenhaus- und Teamstrukturen Garant für eine optimale Kurzzeitergebnisqualität
und Voraussetzung für eine entsprechende onkologische Langzeitergebnisqualität
darstellt. Die Autoren sahen den Chirurgen als Prognosefaktor im multimodalen
Konzept mit > 80 % an. Die multimodale Therapie mit entsprechender Qualität der
Chemo- und Strahlentherapie sind der wesentliche Faktor für die Beeinflussung der
Langzeitprognose [11].
Die aktuelle klinische Versorgungsforschung in Deutschland zur Erfassung der
Behandlungssituation von Patienten mit Kolonkarzinom wird durch die multizentrische
Beobachtungsstudie „Qualitätssicherung Kolon/Rektum-Karzinome (Primärtumor)“ des
An-Instituts zur Qualitätssicherung in der operativen Medizin an der
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg präsentiert. Diese Studie stellt ein valides
Instrument zur externen Bewertung der Qualität chirurgischer Eingriffe dar und
analysiert die Behandlungssituation und die flächendeckende Versorgungsqualität des
Kolonkarzinoms in Deutschland [15]. Die Analyse von
31 055 operativ behandelten Patienten mit Kolonkarzinom aus 346 deutschen Kliniken
im Zeitraum 2000–2004 zeigte, dass im Stadium UICC III, in dem laut Leitlinie die
adjuvante Chemotherapie erforderlich ist, diese in der Versorgungssituation bei
72,4 % der Patienten geplant wurde. Das 5-Jahres-Gesamtüberleben betrug 53,8 % [15]. Sieht man die Divergenz der 72,4 % geplanten
Chemotherapien im Stadium UICC III in der Versorgungssituation zu den geforderten
80 % der Krebsgesellschaft, so kann man nur indirekt Rückschlüsse aus der
Beobachtungsstudie auf Kontraindikationen oder eventuelle Therapieablehnungen
ziehen. Das Durchschnittsalter der Patienten dieser Beobachtungsstudie lag bei 69,8
Jahren, wobei der Anteil der Patienten über 80 Jahre 18,6 % betrug. Der Anteil der
ASA-III- und -IV-Patienten betrug 40,0 % und 3,7 %. 67,4 % der Patienten hatten
kardiovaskuläre Begleiterkrankungen [16].
Die moderne medizinische Entscheidungsfindung wird durch ein evidenzbasiertes
Vorgehen bestimmt. Evidenzbasierte Medizin in der klinischen Routine bedeutet die
Integration individueller klinischer Expertise mit der bestmöglichen Evidenz aus
systematischer Forschung [17]. Bei der Erstellung
evidenzbasierter Leitlinien wird die Evidenzgrundlage hierarchisch kategorisiert,
wobei Metaanalysen, begründet auf randomisierten klinischen Studien, als höchste
Stufe innerhalb der Kategorisierung eingeschätzt werden [18]. Die Evidenzgrade werden in Leitlinien abgebildet und die Stärke der
Leitlinienempfehlung lehnt sich an sie an. Dies spiegelt sich auch in der aktuellen
S3-Leitlinie „Kolorektales Karzinom“ wider [19].
Die evidenzbasierten Vorgaben der S3-Leitlinie zeigen die Überlegenheit multimodaler
Therapiekonzepte bei der Behandlung des kolorektalen Karzinoms. Während die
chirurgische Tumorentfernung und in Ausnahmesituationen die endoskopische Abtragung
von Kolontumoren früher Stadien unverändert den einzigen kurativen Ansatz
darstellen, publizierten Moertel et al. [20] 1995 eine
prospektiv-randomisierte Studie mit dem Nachweis, dass eine adjuvante Chemotherapie
im Tumorstadium III eine Verbesserung der 5-Jahres-Überlebensrate um 16 %
ermöglicht. Somit erreichte die multimodale Therapie einen bedeutenden Stellenwert
in der Therapie des Kolonkarzinoms. Die Umsetzung der multimodalen und damit
interdisziplinären Behandlungskonzepte stellte eine neue Herausforderung für ein
evidenzbasiertes Vorgehen im klinischen Alltag dar. Eine intensivierte adjuvante
Chemotherapie durch das FOLFOX-4-Protokoll konnte in der MOSAIC-Studie dieses
Ergebnis nochmals optimieren mit dem Nachweis vermehrter neurotoxischer
Nebenwirkungen [21]. Die neurotoxische Wirkung ist
jedoch oft therapielimitierend, sodass in der onkologischen Praxis derzeit dem
modifizierten FOLFOX-6-Protokoll ohne 2. 5-FU-Bolus der Vorzug gegeben wird [19].
Behandlungsqualität des kolorektalen Karzinoms in Deutschland
Behandlungsqualität des kolorektalen Karzinoms in Deutschland
Entscheidende Kriterien der Beurteilung der Behandlungsqualität stellen unter Anderem
das rezidivfreie Überleben und die Lokalrezidivrate dar. Die 1. weltweite Analyse
des 5-Jahres-Gesamtüberlebens war die CONCORD-Studie, die 2008 von Coleman et al.
[22] publiziert wurde. Dabei wurden
Tumorerkrankungen von 1990–1994 sowie ihr Follow-up bis 1999 analysiert. Die
deutschen Daten wurden aus den Tumorerkrankungen des Saarlands erhoben. Im
internationalen Vergleich von 30 Ländern nahm Deutschland dabei mit einem
5-Jahres-Gesamtüberleben beim Kolonkarzinom mit 56,2 % bei den Frauen und 52,0 % bei
den Männern Rang 10 und 13 ein. Beim Rektumkarzinom war dies Rang 13 und 15 mit
52,5 % 5-Jahres-Gesamtüberleben bei Frauen und 47,8 % bei Männern. Deutschland war
damit im mittleren Drittel aller Auswertungen. Ausgehend von diesen Daten stellt die
Initiative zur Bildung von zertifizierten onkologischen Versorgungsstrukturen, die
auf der Basis von Leitlinien interdisziplinär und intersektoral zusammenarbeiten,
einen wichtigen Schritt dar. Ziel ist eine Steigerung der Qualität in der Betreuung
sowohl im Hinblick auf die Ergebnis- als auch die Struktur- und Prozessqualität.
Nationaler Krebsplan 2008
Nationaler Krebsplan 2008
Auch auf europäischer Ebene hat die Auswertung der Behandlungsdaten onkologischer
Patienten zu einer Reihe von Initiativen geführt. In einer Ratsschlussempfehlung von
2008 hat das europäische Parlament seine Mitgliedsstaaten aufgerufen, nationale
Pläne für die Krebsbekämpfung zu erarbeiten und vor allem umzusetzen. Im Zuge dieser
europäischen Aufgabenstellung und mit dem Ziel der Abstimmung der Aktivitäten aller
an der Krebsbekämpfung Beteiligten und der Unterstützung des zielorientierten
Vorgehens wurde am 16. 06. 2008 der Nationale Krebsplan vorgestellt. Initiiert wurde
er vom Bundesministerium für Gesundheit in Zusammenarbeit mit der Deutschen
Krebsgesellschaft, der Deutschen Krebshilfe und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher
Tumorzentren. Die Schwerpunkte des Nationalen Krebsplans umfassen in einer ersten
Phase 4 Handlungsfelder. Im Handlungsfeld 2 steht neben der Entwicklung
evidenzbasierter Leitlinien und dem flächendeckenden Ausbau klinischer Krebsregister
die Weiterentwicklung onkologischer Versorgungsstrukturen und deren
Qualitätssicherung im Vordergrund [23]. In der
Arbeitsgruppe des Nationalen Krebsplans wurde erstmals eine Definition für
zertifizierte onkologische Versorgungsstrukturen bzw. zertifizierte Zentren
erarbeitet. Demnach sind zertifizierte Zentren ein „Netz von qualifizierten und
gemeinsam zertifizierten, multi- und interdisziplinären, transsektoralen und ggf.
standortübergreifenden Einrichtungen (Krankenhäuser, vertragsärztliche Versorgung,
Rehabilitationseinrichtungen), die, sofern fachlich geboten, möglichst die gesamte
Versorgungskette für Betroffene abbilden …“ [24]. Die
zertifizierten Netzwerke gliedern sich dabei in 3 Zertifizierungsstufen. Dieses
3-Stufen-Modell setzt sich aus den Organkrebszentren (C), den Onkologischen Zentren
(CC) und den Onkologischen Spitzenzentren (CCC) mit Forschungsschwerpunkten
zusammen. Organkrebszentren sind Zentren, die auf ein Organ oder ein Fachgebiet
spezialisiert sind. Sie stellen die Basisstruktur des 3-Stufen-Modells dar. Ein
Onkologisches Zentrum erstreckt sich auf mehrere Organe und Fachgebiete und ein
Onkologisches Spitzenzentrum ist ein Onkologisches Zentrum mit
Forschungsschwerpunkten [25].
Deutsche Krebsgesellschaft und Zentrumsbildung
Deutsche Krebsgesellschaft und Zentrumsbildung
Innerhalb des 3-Stufen-Konzepts werden die Organkrebszentren und die Onkologischen
Zentren durch die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) zertifiziert. Die onkologischen
Spitzenzentren werden über die Deutsche Krebshilfe (DKH) ausgelobt und gefördert.
Die Entwicklung des Zertifizierungssystems begann 2003 mit der Zertifizierung der
ersten Brustkrebszentren in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für
Senologie. Die Initiative resultierte aus einer vergleichenden Analyse von Defiziten
in den Behandlungsergebnissen Deutschlands zu anderen Ländern [5].
Ziel des Zertifizierungssystems der Deutschen Krebsgesellschaft ist die Verbesserung
der Versorgung onkologischer Patienten durch die umfassende Betreuung der Patienten
in allen Phasen und für alle Bereiche ihrer Erkrankung, indem die Partner des
Netzwerks interdisziplinär, berufsgruppen- und sektorenübergreifend
zusammenarbeiten. Das Zertifikat soll dabei dem Patienten und seinen Angehörigen die
Transparenz und Sicherheit geben, dass für seine Erkrankung hohe Qualitätsstandards
erfüllt werden.
Grundlage für die Zusammenarbeit in einem zertifizierten Zentrum sind die
Empfehlungen der aktuellen S3-Leitlinien. Diese Empfehlungen sind in Form von
Kennzahlen und Qualitätsindikatoren in die Erhebungsbögen für die Zertifizierung
aufgenommen und die Zentren müssen im Rahmen der jährlichen Audits nachweisen, dass
sie diese Kennzahlen erfüllen und ihre Patienten dementsprechend leitlinientreu
behandeln. Auf diese Weise wird ein weiteres wichtiges Ziel des
Zertifizierungssystems erreicht, nämlich die Implementierung evidenzbasierter
Leitlinien in den klinischen Alltag [25]. Gerade an
dieser Stelle bestehen innerhalb des Gesundheitssystems, ungeachtet der Art der
Erkrankung, häufig Kommunikationsdefizite. Leitlinien werden erstellt, die Anwendung
und Umsetzung dieser Leitlinien wird aber nicht koordiniert und bleibt dem
Engagement Einzelner überlassen. In der Onkologie haben wir die bisher beispiellose
und zugleich beispielgebende Situation, dass zwischen dem durch AWMF
(Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften), DKG
und DKH gegründeten Leitlinienprogramm Onkologie und dem Zertifizierungssystem der
Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Krebshilfe eine sehr enge und
funktionstüchtige Schnittstelle besteht. Sowohl die Erstellung der
Qualitätsindikatoren in den Leitlinien als auch die Diskussion der Auswertung dieser
Indikatoren erfolgt bidirektional in den Gremien der beiden Institutionen. Somit
besteht mit dem Zertifizierungssystem die Chance, zum Einen die Anwendung von
Leitlinieninhalten sowohl zu fordern als auch zu fördern und gleichzeitig die
Effekte der Leitlinienanwendung auf die Ergebnisqualität der Versorgung
mittelfristig zu evaluieren.
Darmkrebszentrum als Modell der onkologischen Versorgung
Darmkrebszentrum als Modell der onkologischen Versorgung
Ein Darmkrebszentrum ist im 3-Stufen-Modell der onkologischen Versorgung ein
Organkrebszentrum (C). Die ersten Darmkrebszentren wurden 2006 zertifiziert. Zum
31. 05. 2011 waren durch die Deutsche Krebsgesellschaft 207 Darmzentren zertifiziert
und 63 Anfragen bzw. laufende Verfahren lagen vor [26].
Auch wenn aus biologischen und therapeutischen Gründen die Tumorlokalisationen Kolon
und Rektum 2 Entitäten darstellen, so wird in der S3-Leitlinie „Kolorektales
Karzinom“ und im Prozess der Darmzentrenbildung auf die Versorgung beider Entitäten
gleichermaßen gezielt [11], [19].
Ein Beispiel für die Notwendigkeit der Gründung von Darmkrebszentren war der Nachweis
der Diskrepanz in der Durchsetzung der adjuvanten Chemotherapie in den Kliniken bei
Patienten mit einem R0-resezierten Kolonkarzinom im Stadium UICC III. Die
Notwendigkeit der adjuvanten Therapie ist mit der Evidenzstärke 1a festgelegt und
in
zahlreichen randomisierten Studien konnte ein signifikanter Überlebensvorteil der
Patienten, welche eine adjuvante Chemotherapie erhalten haben, gezeigt werden [19]. Dennoch ergab eine Auswertung der klinischen
Krebsregister über die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V. anhand der
Daten von annähernd 100 000 Patienten, die sowohl in nicht zertifizierten als auch
in zertifizierten Kliniken behandelt wurden, dass nur 61,2 % der Patienten diese
Therapie erhielten. Die Deutsche Krebsgesellschaft nahm diese Empfehlung der
Leitlinie in ihre Kennzahlenabfrage auf und fordert als Sollvorgabe, dass ≥ 80 %
Chemotherapien bei Patienten im Stadium UICC III durchgeführt werden. Die erstmalige
Analyse der Kennzahlenergebnisse von 158 zertifizierten Standorten aus dem Jahr 2010
zeigt, dass in den zertifizierten Zentren 73,8 % der infrage kommenden Patienten
eine adjuvante Chemotherapie erhalten haben. Bei der Betrachtung der beiden
Auswertungen fällt auf, wie groß die Unterschiede in der klinischen Versorgung
wirklich sind, wenn man bedenkt, dass in den Auswertungen der klinischen
Krebsregister auch zertifizierte Zentren berücksichtigt wurden. Das Ergebnis der
zertifizierten Darmkrebszentren aus dem Kalenderjahr 2010 kann noch nicht das Ziel
auf dem stetigen Weg der Verbesserung der Versorgung der Patienten mit einem
kolorektalen Karzinom sein. Durch die immer wiederkehrende Auswertung und Reflexion
der Ergebnisse der Zentren in Form von strukturierten Dialogen während des Audits
wird die kritische Auseinandersetzung und im Folgenden die Weiterentwicklung der
Zentren nachhaltig unterstützt. Gerade mit dem Kennzahlenbogen steht den Zentren ein
hervorragendes Instrument zur Verfügung, um die eigenen Behandlungsergebnisse für
alle Partner des Zentrums transparent zu machen, zu prüfen und für die
interdisziplinäre Diskussion zu nutzen und bei Notwendigkeit Strukturen und Prozesse
innerhalb des Zentrums anzupassen. Darüber hinaus bietet die jährliche
Gesamtauswertung der Kennzahlen dem Darmkrebszentrum die Möglichkeit, die eigenen
Ergebnisse im Sinne eines Benchmarkings mit den Ergebnissen der anderen
zertifizierten Zentren zu vergleichen und wichtige Informationen über die Stärken
und Schwächen der eigenen Arbeit in einem bundesweiten Vergleich zu erlangen.
Die Darmkrebszentren reflektieren in ihren Anforderungen die Erkenntnisse der
publizierten Analysen zu Qualitätsparametern in der kolorektalen Chirurgie [11], [12]. So wird durch die
Festlegung der operierenden Chirurgen im Darmkrebszentrum der notwendigen
chirurgischen Erfahrung und Spezialisierung des Chirurgen als Prognosefaktor im
interdisziplinären Team Rechnung getragen.
Die Gründung eines Darmkrebszentrums erfordert die Bereitstellung der für ein
Organkrebszentrum erforderlichen Strukturen. Diese sind geprägt durch eine hohe
Komplexität der Interdisziplinarität, die sich in einem Netzwerk abbilden ([Abb. 1]).
Abb. 1 Netzwerkbildung in einem Darmkrebszentrum: Interdisziplinäre,
transsektorale und berufsübergreifende Zusammenarbeit.
Die Etablierung eines funktionierenden Darmkrebszentrums basiert auf der Bereitschaft
aller Fachdisziplinen und Experten. Das Engagement der treibenden Fachrichtung zielt
auf die benachbarten Fachdisziplinen für eine gemeinsame, interdisziplinäre
Behandlung. Die geforderte gemeinsame Tumorkonferenz, die auch heute noch kein
Standard in vielen Krankenhäusern ist, führt zu einer komplexen Betrachtung der im
Darmkrebszentrum behandelten Patienten. Die geforderten Strukturen und Prozesse sind
die Basis dafür, dass unsere Patienten auch mit unterstützenden Leistungen von
Psychoonkologen, Ernährungstherapeuten, Sozialdienstmitarbeitern, Seelsorgern und
Anderen betreut werden. Diese Teile der multimodalen Behandlungskette würden ohne
die Forderungen an eine Zentrumsbildung nicht immer für die Patienten zur Verfügung
stehen. Sicherlich kann eine optimale Behandlung an einzelne Mediziner gebunden
sein. Ein Darmkrebszentrum bedarf jedoch einer funktionierenden Gesamtlogistik, in
der der einzelne Mediziner ein Baustein ist und in der sich der einzelne Mediziner
in ein Gesamtkonzept einreihen muss.
Die Implementierung eines Darmkrebszentrums benötigt personelle, zeitliche,
materielle und finanzielle Ressourcen, diese müssen durch den Klinikbetreiber als
Vorleistung realisiert werden. Im deutschen DRG-Vergütungssystem finden diese
Anstrengungen und Qualitätsmerkmale keinen Niederschlag. In einigen Bundesländern
wurde von Organzentren ein finanzieller Zuschlag von den Krankenkassen eingefordert,
bisher wurde aber dieses Anliegen stets abgelehnt. In der Zukunft müssen solche
Qualitätsstrukturen auch finanzielle Anreize haben, daher sollten unsere
Fachgesellschaften und die Deutsche Krebsgesellschaft stetig an einer Möglichkeit
der Vergütung arbeiten und dies einfordern.
Patienten und ihren Angehörigen wird mit dem Zertifikat eines Darmkrebszentrums eine
Entscheidungshilfe für den Ort ihrer Behandlung angeboten. Über das Gütesiegel wird
ihnen die Sicherheit gegeben, dass in dem zertifizierten Darmkrebszentrum klar
definierte Behandlungspfade sowie kompetente und vertrauensvolle Experten zur
Verfügung stehen. Diese sind in der Lage, sie in allen Phasen ihrer Erkrankung
kompetent zu begleiten.
Für die behandelnden Fachbereiche im Darmkrebszentrum entstehen aus den
Organisationsstrukturen Vorteile, die innovativ die Behandlung und
Organisationsprozesse beeinflussen ([Tab. 1]).
Darmkrebszentren unterliegen einer ständigen strukturellen Weiterentwicklung. Zum
Aufgabenfeld gehören die Überprüfung und Aktualisierung von Qualitätsindikatoren und
die Reflexion in die Überarbeitung von Leitlinien. Die Notwendigkeit der weiteren
Implementierung von Darmkrebszentren in Deutschland wird gemessen werden an einer
ständig nachweisbaren Verbesserung der Kurz- und Langzeitergebnisqualität in der
Versorgung von Patienten mit kolorektalen Karzinomen.
Tab. 1 Vorteile für die behandelnden Fachbereiche im
Darmkrebszentrum.
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