Gundelrebe (Glechoma hederacea), auch Gundermann genannt ([Kasten 1]), wird seit Jahrzehnten in der Fachliteratur als toxisch für Tiere, insbesondere
für Pferde, dargestellt [4], [7], [9], [14]. Biologen und Veterinärmediziner werden seit einigen Jahren immer wieder von Tierhaltern,
aber auch Redaktionen von Pferdezeitschriften und landwirtschaftlichen Wochenblättern
um Stellungnahme zur Giftigkeit der Gundelrebe gebeten – ohne dass hierzu aktuelle
Vergiftungsfälle Anlass gäben.
Kasten 1: Steckbrief Gundelrebe
syn. Gundermann (Glechoma hederacea), Familie der Lamiaceae (Lippenblütler)
Verbreitung, Vorkommen
In ganz Europa bis in mittlere Gebirgslagen; in unseren Breiten ein häufiger Bodenbedecker
an Waldrändern, Zäunen, Hecken und Wegrändern, meist in geringer Menge im Unterwuchs
oder im Halbschatten von Sträuchern und Bäumen.
Beschreibung und Fortpflanzung
Kriechende, ganzjährig grüne Pflanze mit lang gestielten, rundlich-herzförmigen, grob
gekerbten Blättern ([Abb. 1]). Die Blütentriebe erheben sich und bilden in den Blattachseln 1–3 blauviolette
Blüten (Blütezeit IV–VI). Nach dem Blühen wachsen die Blütentriebe als Kriechtriebe
weiter. Gundelrebe kriecht mit bis zu 1,30 m langen Ausläufern über den Boden (engl.
Ground-Ivy, Boden-Efeu). An den gegenständigen Blattansätzen bilden sich Wurzeln,
aus denen neue Pflanzen entstehen. Auch unterirdisch bildet Gundelrebe lange Ausläufer.
Abgetrennte Wurzeln schlagen neu aus [4].
Abb. 1 a und b Gundelrebe (Glechoma hederacea): a im Freiland, b als „Zierpflanze“. © Ferdinand Worm.
Inhaltsstoffe
Ätherische Öle (maximal 0,03–0,06 %, v. a. Monoterpenketone, daneben Sesquiterpene),
Glechomafuran, Glechomanolid, Rosmarinsäure (ca. 1,5 %), Kaffeesäure, Ferulasäure,
Sinapinsäure, Flavonoide (Cymarosid, Cosmosysrin, Hyperosid, Isoquercitrin, Luteolin-7-diglucosid),
Triterpencarbonsäuren, u. a., α- und β-Ursolsäure und Oleanolsäure, Hydroxyfettsäuren
[9].
Verwechslungsmöglichkeiten
Gundelrebe wird oft mit dem blau blühenden Kriechenden Günsel (Ajuga reptans, [Abb. 2]), der Roten Taubnessel (Lamium purpureum, [Abb. 3]) oder der ebenfalls rot blühenden Stängelumfassenden Taubnessel (Lamium amplexicaule)
verwechselt.
Abb. 2 Kriechender Günsel (Ajuga reptans). © Ferdinand Worm.
Abb. 3 Rote Taubnessel (Lamium purpureum). © Ferdinand Worm.
Für den Menschen gilt Gundelrebe als ungiftig, und sie wird in der Volksmedizin seit
Jahrhunderten als heilkräftige Pflanze geschätzt. Es stellen sich also die Fragen:
„Was ist dran an der Giftigkeit dieser Pflanze für Tiere, welche Wirkstoffe enthält
sie, was ist bekannt über die Wirksamkeit und bei welchen Tieren traten Vergiftungen
auf?“
Traditionelle Nutzung in Europa
Gundelrebe wurde von unseren Vorfahren umfangreich genutzt. So verwendeten u. a. die
Sachsen Gundelrebe als Zutat zum Bier, bevor sich der Hopfen als Grundstoff durchsetzte.
Diese Verwendung in der Brauerei schlägt sich noch heute in englischen Namen für die
Gundelrebe nieder: Alehoof, Tunhoof und Gill-over-the-Ground. Gundelrebe wurde als
Gewürz genutzt. Im Frühjahr, zur Blütezeit, wurden die Blätter gesammelt und als Gemüse
gekocht. In geringeren Mengen wurden die Vitamin-C-haltigen Blätter auch roh im Salat
verspeist. Zudem fand die Gundelrebe Verwendung in der Käsebereitung als pflanzliches
Lab [17].
Gundelrebe war in der traditionellen europäischen Medizin als Heil- und Zauberpflanze
bekannt. Sie wurde bei Magen-Darm-Katarrhen, Durchfall, Husten und Bronchialleiden
verwendet. Die harntreibende Wirkung wurde bei Blasen- und Steinleiden geschätzt und
zur Ausleitung und Entgiftung genutzt. Hildegard von Bingen empfahl Gundelrebe bei
Kopf- und Ohrenschmerzen. In Italien wird die Gundelrebe bei Arthritis und Rheuma
eingesetzt. Die TCM kennt sie bei Lungenentzündung und Nephritis [9], [17].
Vergiftungsfälle
Die gesamte Fachliteratur der letzten Jahrzehnte (s. o.) bezieht sich mit ihren Aussagen
über die Giftigkeit von Gundelrebe auf 2 Veröffentlichungen von Vergiftungsfällen
bei Pferden aus den Jahren 1935 [8] und 1955 [12] aus Ungarn und Rumänien, die im Folgenden dargestellt werden. Nach dem derzeitigen
Kenntnisstand der Autorinnen wurden darüber hinaus Vergiftungsfälle bei anderen Tieren
bisher nicht beschrieben und neue Vergiftungsfälle bei Pferden seither nicht dokumentiert.
Formulierungen wie „Bei Tieren wurden Vergiftungen beobachtet, bei Pferden z. T. sogar
tödliche“ [4] oder „Nur bei Tieren (besonders giftig bei Pferden) wurden Vergiftungserscheinungen
beobachtet“ [14], sind daher als Verallgemeinerungen zu betrachten, die bisher einer sachlichen Grundlage
entbehren.
Vergiftungsfälle in Ungarn
1935 berichtet Hazslinszky (veterinärmedizinische Sektion der Palatin-Josef-Universität,
Ungarn) über Vergiftungen bei Pferden durch Glechoma hederacea [8].
Zwölf Arbeitspferde wurden ab Mitte Mai mit frisch gemähter Luzerne gefüttert, die
einen großen Anteil Glechoma enthielt. Am 6. Tag dieser Fütterung erkrankten 7 Pferde
plötzlich: Es zeigten sich Atemnot, beschleunigter, schwacher Puls, Blutungen in Lidbindehäuten,
Fieber und Benommenheit.
Trotz sofortigen Futterwechsels und Therapie mit Kampfer, Arecolin ([Kasten 2]) und Rhizinusöl genasen erst nach mehreren Tagen 6 der Pferde. Ein älteres Pferd
verstarb nach 14 Tagen. Bei der Sektion fanden sich eine Vergrößerung der Milz, Erweiterung
des Blinddarms und Gastroenteritis.
Kasten 2: Arecolin (Arecolinum hydrobromicum)
-
Arecolin, Alkaloid aus der Betelnuss (Arekanuss), ist ein Parasympathomimetikum.
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Dosen von 0,01–0,05 g rufen bereits nach 5 Minuten beim Pferd Speichelfluss hervor.
Außerdem wirkt Arecolin in Dosen von 0,05–0,1 g durch tetanische Kontraktion der Darmmuskulatur
(Kolik!) und Anregung der Darmdrüsen abführend.
-
Es kommt zu Schweißausbruch, vermehrtem Nasenausfluss und Harndrang. Die Herztätigkeit
wird verlangsamt. In großen Dosen bewirkt Arecolin Herzarrhythmien, starke Beschleunigung
des Pulses und Senkung der Körpertemperatur.
-
Dosen von 0,25 g wirken für Pferde stark giftig, solche von 0,5 g tödlich durch Atemlähmung
unter tetanischen Krämpfen [5].
Hazslinszky konnte seinerseits lediglich auf die Veröffentlichung seines Landsmanns
Ferenczhazy [8] zu vermutlichen Vergiftungen mit Gundelrebe zurückgreifen. Dieser berichtete 1914
von schweren Vergiftungserscheinungen ebenfalls nach der Verfütterung von mit Gundelrebe
verunreinigter Luzerne. Differenzialdiagnostisch zog Hazslinszky aufgrund der Luzernefütterung
eine sog. Kleekrankheit in Betracht ([Kasten 3]).
Kasten 3: Giftige Inhaltsstoffe der Luzerne
Luzerne (syn. Alfalfa, Medicago sativa) und Klee gehören zur Familie der Fabaceae,
Tribus Trifolieae. Sie sind wertvolle, eiweißreiche Futterpflanzen, die in Symbiose
mit sog. Knöllchenbakterien (Sinorhizobium meliloti) leben, die es ihnen ermöglichen,
Stickstoff aus der Luft zu binden. Hierdurch tragen diese Pflanzen wesentlich zur
Bodenverbesserung bei.
Sie enthalten jedoch auch in Abhängigkeit von Jahreszeit und Witterung diverse Inhaltsstoffe,
die bei einem Überangebot in der Futterration zu Schädigungen der Tiere führen können.
Allgemein toxisch wirkende zyanogene Verbindungen inhibieren v. a. Enzymsysteme, die
an Redoxprozessen beteiligt sind, blockieren z. B. die Atmungskette und führen zu
Krämpfen. Diverse Isoflavone können als sog. Phytoöstrogene zu Fruchtbarkeitsstörungen
führen [6].
Für Pferde gilt eine Tagesmenge von Klee- und Luzerneheu von 3–5 kg/500–600 kg KG
bzw. 20 kg als frisches Grünfutter als maximale Futtermenge – in Kombination mit Futterstroh
oder anderen rohfaserreichen, eiweißarmen Futtermitteln [13].
Zur Klärung der Ursache unternahm Hazslinszky einen Fütterungsversuch mit 3 gesunden
Pferden, die nach 12-stündigem Nahrungsentzug folgende Futterrationen von eben der
Fläche erhielten, durch deren Bewuchs es zu den oben beschriebenen Vergiftungserscheinungen
gekommen war:
-
Pferd Nr. 1: ausschließlich frische, etwas verwelkte, unkrautfreie Luzerne ad libitum[*]
-
Pferd Nr. 2: ausschließlich frische, etwas verwelkte Gundelrebe ad libitum[*]
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Pferd Nr. 3: 14 Tage altes Luzerneheu mit einem Anteil von ⅓–½ an Gundelrebe ad libitum.
Zusätzlich erhielten alle Pferde ausschließlich Wasser.
Verlauf
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Pferd Nr. 1 zeigte im Laufe des Versuchs keinerlei Krankheitssymptome.
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Pferd Nr. 2 weigerte sich am 1. Tag, das Futter aufzunehmen, es begann erst am Nachmittag
zu fressen. Am 4. Tag traten plötzlich Krankheitserscheinungen auf: Mattigkeit, geschwollene
Adern und Blutungen in Augen und Lidbindehäuten, gelbliche Verfärbung der Maulschleimhäute,
beschleunigter, kleiner, kaum fühlbarer Puls; beschleunigtes, röchelndes, nach Luft
ringendes Atmen, wodurch der ganze Körper des Tieres ins Zittern kam; trotz bestehenden
Durstes mühsames, schlürfendes Trinken; Verstopfung; Kolik; kalter Hals, Kopf und
Ohren, Körpertemperatur 39–40 °C, zunehmend benommen und reaktionslos.
-
Die Gundermann-Fütterung wurde mit Auftreten der Symptome abgesetzt und das Tier mit
Rizinusöl und Arecolin ([Kasten 2]) behandelt. Unter Zunahme der Symptome starb das Tier am 10. Versuchstag. Bei der
Sektion fanden sich eine Vergrößerung der Milz, Erweiterung des Blinddarms und Gastroenteritis.
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Pferd Nr. 3 erkrankte am 5. Versuchstag unter den gleichen Symptomen in milderer Ausprägung.
Nach Absetzen der Fütterung und einer Injektion Arecolin war es am folgenden Tage
wieder im Arbeitseinsatz!
Aus dem Verlauf dieses Versuchs schließt Hazslinszky, „dass die Gundelrebe eine nicht
unbedeutende Giftpflanze ist, die frisch oder etwas verwelkt bei Pferden auch tödliche
Vergiftungen verursachen kann und ihre giftige Wirkung noch einige Zeit – obgleich
in geringerem Maße – auch in getrocknetem Zustande (im Heu) behält“ [8].
Zur Klärung, wie lange diese vermutete Giftwirkung anhält, wurde ein 4. Pferd mit
mehrere Monate altem Luzerneheu mit 60 %igem (!) Gundelrebeanteil 2 Wochen lang gefüttert.
Es traten keine Krankheitssymptome auf, woraus geschlossen wurde, dass Gundelrebe
seine Giftigkeit durch einige Monate Trocknung verliert.
Diskussion
Therapie mit Kampfer (innerliche Anwendung) und Arecolin gilt heute aufgrund der geringen
therapeutischen Breite und des hohen Nebenwirkungspotenzials als obsolet [11]. Auch der Einsatz von pflanzlichen Ölen wie Rizinusöl als Laxanzien wird heute bei
Vergiftungsverdacht abgelehnt, da sie die Resorption lipophiler Toxine begünstigen
können [3].
Die von Hazslinszky eingesetzte Therapie muss demnach aus heutiger Sicht als kontraindiziert
betrachtet werden. Die sicher bei Vergiftungsfällen indizierte Ausleitungstherapie
kann mit wesentlich weniger drastischen Methoden durchgeführt werden ([Kasten 4]).
Kasten 4: Vorgehen zur Dekontamination
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wiederholte Magenspülung per NSS mit 4–5 l frischem Wasser
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Darmentleerung durch Laxanzien (Glaubersalz, 0,5–1 g/kg KGW als wässrige Lösung per
NSS)
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Gifte binden durch Aktivkohle (Carbo medicinalis) 1–3 g/kg KGW als 20–30 %ige, wässrige
Suspension per NSS, Wiederholung alle 8 Stunden, um die Rückresorption über den enterohepatischen
Kreislauf zu unterbinden
-
renale Ausscheidung forcieren durch Infusion, ggf. mit Mannitol und Furosemid [3]
Die Angabe, dass es sich bei dem verendeten Pferd aus der Gruppe der 7 erkrankten
Tiere um ein älteres Tier handelte, lässt den Verdacht aufkommen, dass hier die Therapie
eher zum schlechten Verlauf beigetragen haben könnte, denn der alte Organismus hat
häufig bereits insuffiziente Entgiftungskapazitäten, wodurch unerwünschte Nebenwirkungen
der Medikation eher auftreten können.
Das von Hazslinszky gewählte Versuchsdesign muss ebenfalls als unangemessen drastisch
bezeichnet werden, da hier jede Dosis-Wirkungs-Beziehung außer Acht gelassen wurde.
Eine Futterration, die zu 100 % aus der vermutlich giftigen Pflanze bestand und die
vom Versuchstier nur aufgenommen wurde, weil kein anderes Lebensmittel zur Verfügung
stand, kann über den Grad der Giftigkeit dieser Pflanze wenig aussagen, fest steht
lediglich, dass Gundelrebe als „ziemlich zahlreich“ (Hazslinszky) in Luzerne vorkommendes
Unkraut zu Vergiftungen führen kann und als Alleinfuttermittel zur tödlichen Vergiftung
eines Pferdes geführt hat.
Auch die Schlussfolgerung Hazslinszkys bezüglich der Giftigkeit im Heu ist infrage
zu stellen. Frisches Heu kann auch ohne Gehalt an Gundelrebe die beschriebenen Symptome
erzeugen ([Kasten 5]).
Heu darf während der ersten 8–12 Wochen grundsätzlich nicht verfüttert werden. Während
dieser sog. „Schwitzphase“ werden u. a. die Toxine der Hahnenfußgewächse abgebaut.
Die Fütterung von frischem Heu verursacht u. U. Magen- und Darmkatarrhe und Hufrehe
[1].
Vergiftungsfälle in Rumänien
Erst 20 Jahre später wurde von Nicolau et al. [12] erneut über Vergiftungsfälle bei Pferden berichtet, die man auf die Fütterung mit
frisch gemähter Luzerne zurückführte, die einen großen Anteil Gundelrebe (32 % bzw.
48 % der Ration) enthielt. Innerhalb weniger Tage erkrankten Ende Mai bis Anfang Juni
1955 in der Umgebung von Arad und Temeswar in Rumänien 42 Pferde, von denen 6 verendeten.
Die Untersuchung der Tiere zeigte eine Polypnoe mit bis zu 100 Atemzügen/Minute, ein
alveoläres Lungenemphysem mit z. T. erhöhter Körpertemperatur, beschleunigten Puls
mit geringer Spannung; Herzstoß und Darmgeräusche waren verstärkt und der Mastdarm
erweitert. Die sichtbaren Schleimhäute aller Tiere waren gerötet, bei einigen konnten
auch Schwellung und subikterische Verfärbung festgestellt werden. Im Blut zeigte sich
eine Lymphozytose. Die Symptome traten 5 Tage nach Beginn der Luzernefütterung auf.
Bei der Autopsie von 2 verendeten Pferden wurden eine Herzmuskeldegeneration, Hyperämie,
ein Lungenödem und eine Stauungsleber festgestellt. Dieses Krankheitsbild war bis
dato in Rumänien nicht beschrieben worden. Eine infektiöse Ursache wurde ausgeschlossen.
Die nach Ansicht von Nicolau et al. ursächliche Diagnose wurde in der Gemeinde Rovine-Pecica
gestellt: Die Anamnese ergab, dass im 1. Betrieb neben der frischen Luzerne auch Gerecheltes,
d. h. nach dem Absammeln der Luzerne abgerechtes und in der Hauptsache Gundelrebe
enthaltendes Grünfutter verfüttert worden war.
Die Pferde erhielten erst wieder Futter, als die Krippen geleert waren. Von 11 Pferden
erkrankten 8.
Im 2. Betrieb wurde kein Gerecheltes zur mit Gundelrebe durchsetzten Luzerne verfüttert.
Von 10 Pferden erkrankten 4.
Im 3. und 4. Betrieb entfernten die Wärter das von den Pferden in der Krippe zurückgelassene
Futter, das fast ausschließlich aus Gundelrebe bestand. Hier erkrankte kein Pferd
[12].
Nicolau et al. fassen zusammen:
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Frisch gemähte Luzerne, die einen großen Prozentsatz Glechoma hederacea enthielt,
konnte schwere Vergiftungen bei Pferden erzeugen.
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Das klinische Bild der Vergiftung war das eines akuten alveolären Lungenemphysems
mit übertriebener Schnellatmigkeit und normaler oder erhöhter Temperatur.
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Es lag eine Lymphozytose vor.
-
In einem Drittel der Fälle gab es Komplikationen, die Mortalität lag bei 15 %.
-
Sofortiger Futterwechsel verhinderte das Auftreten von neuen Vergiftungsfällen und
begünstigte bei vergifteten Tieren den Verlauf.
-
Therapeutisch wurden empfohlen: Entleeren des Magen-Darm-Trakts, antitoxische Mittel,
Tonika, Kardiaka.
Diskussion
Die Ausführungen von Nicolau et al. lassen erkennen, dass die Vergiftung durch Gundelrebe
im Zusammenhang mit Luzernefütterung durchaus dosisabhängig ist und selbst bei sehr
hohen Anteilen von Gundelrebe in der Luzerne nicht alle Tiere erkranken.
Erstaunlich ist die Einmaligkeit des Ereignisses: Es erkrankten innerhalb weniger
Tage in einem bestimmten Gebiet mehr als 40 Pferde. Von Vergiftungsfällen an anderen
Orten zu anderen Zeiten ist seither nach Wissen der Autorinnen nicht berichtet worden.
Dies lässt vermuten, dass weitere Faktoren nötig sind, damit es zu Vergiftungen in
dem beschriebenen Ausmaß kommen kann ([Kasten 4]). Unklar bleibt v. a., wie es überhaupt zu so hohen Anteilen an Gundelrebe in der
Ration kommen kann.
Ist eine Gundermann-Vergiftung in Deutschland grundsätzlich möglich?
Hierzu einige ökologische Aspekte:
-
Massenhaftes Vorkommen von Gundelrebe ist möglich.
-
Als Mullbodenzeiger (Humusbildung aus Laub ebenso wie sich zersetzender, aufgedüngter
Torf nach Entwässerung) liebt Gundelrebe humos-nährstoffreiche Böden, gerne kalkhaltig
und bevorzugt gute Wasserversorgung. Daher wächst sie auch auf schweren Böden mit
guter Feuchtigkeit. Nährstoffmangel und Trockenheit begrenzen das Wachstum und schwächen
die Pflanze in der Konkurrenz mit anderen Pflanzen. Beschattung und Vertritt schaden
der Konkurrenz oft mehr als der Gundelrebe. Reichliche Phosphor-, vor allem aber Stickstoffgaben
können zu besonders mastigen (d. h. großen und kräftigen), dunkelgrünen Pflanzen mit
enormem Wachstum führen, die unter diesen günstigen Verhältnissen von voller Besonnung
sogar profitieren. In Heuwiesen kann dann selbst Quecke von Gundelrebe überwachsen
und bedeckt werden.
-
In gut abgelagertem Heu ist Gundelrebe allerdings mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
ungiftig [8].
Erzwungene „Weidepflege“ kann grundsätzlich zu Vergiftungen führen
Säugetiere, also auch Pferde, wissen nicht instinktiv, welche Pflanze giftig ist.
Sie „wissen“ aber, dass nicht alles fressbar ist. Daher werden neue Futtermittel zuerst
sehr skeptisch in kleiner Menge getestet. Das Tier baut ein Geschmacks- und Geruchsgedächtnis
für Futtermittel auf. Ist das neue Futtermittel gut bekömmlich, wird die Menge vorsichtig
gesteigert. Das Pferd „weiß“, wann es welches Kraut oder welches Gras fressen möchte
– und welche Geschmacks- und Geruchsstoffe es unbedingt meiden sollte.
Durch die Intensivierung der Landwirtschaft ist allerdings die Artenvielfalt extrem
rückläufig, und die Pferde stehen ständig vor einem Zaun, der ihnen die gewünschten
Futtermittel verwehrt. Schlimmer noch: Viele Pferdehalter zwingen ihre Pferde zum
„Saubergrasen“. Bis die Weide nicht „wie ordentlich gemäht“ aussieht (bevor der Teller
nicht absolut leer ist), gibt es nichts Neues: „So schlimm kann der Hunger nicht sein.“
Wer auf diese Weise Tiere zwingt, Pflanzen zu fressen, die ihnen nach ihrer Erfahrung
nicht gut tun und die sie normalerweise meiden würden, trägt die Verantwortung für
die resultierende Vergiftung.
Die Chance zu meiden verhindert Vergiftung
Sehr hungrige Tiere sind immer potenziell durch Vergiftungen gefährdet. Diese banale
Tatsache gehört zu den wichtigsten Regelmechanismen zur Stabilisierung von natürlichen
Weidesystemen: In den feuchten Klimazonen reguliert das Futterangebot die Populationsgröße
der Herden. Dabei spielen Gifte in den Futterpflanzen eine bedeutende Rolle [15], [16]. Wer bei zunehmender Giftigkeit der Futterpflanzen nicht abwandert in weniger intensiv
beweidete Landschaften, der muss mit Vergiftungen leben bzw. wird sterben, damit sich
das Ökosystem erholen und sich langfristig eine stabile Lebensgrundlage für alle Lebewesen
entwickeln kann. Alle schwachen und kranken (vergifteten) Tiere fallen dabei Beutegreifern
zum Opfer.
Fazit
Bedenkt man, wie häufig Gundelrebe auf Pferdeweiden zu finden ist und dass seit 1955
keine Vergiftungen bekannt geworden sind, so scheint Gundelrebe als Giftpflanze für
Pferde praktisch keine Rolle zu spielen.
Die bisher beschriebenen Intoxikationen wurden offenbar durch die besondere Fütterung
bedingt: in allen Fällen alleinige Luzernefütterung mit sehr hohem Anteil (> ⅓ der
Ration) Gundelrebe oder Gundelrebe als alleiniges Futtermittel.
Bei Betrachtung der Tatsachen erscheint die Aufregung den Fakten also nicht angemessen.
Im Gegenteil: Die positiven Erfahrungen unserer Vorfahren und der modernen pharmakologischen
Forschung mit der inhaltsstoffreichen Gundelrebe lassen aufhorchen und hoffen, dass
die Gundelrebe in Zukunft eine ihr angemessene Stellung im Bewusstsein der Menschen
erhält.