Fortschr Neurol Psychiatr 2012; 80(9): 491
DOI: 10.1055/s-0032-1313103
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Was ist das Typische an atypischen Parkinson-Syndromen?

What is Typical in Atypical Parkinsonian Syndromes?
C. W. Wallesch
1   Klinik für Neurologische Rehabilitation, BDH-Klinik Elzach GmbH
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Publication Date:
05 September 2012 (online)

Seit der klassischen Arbeit von Albert et al. zur subkortikalen Demenz [1] ist die progressive supranukleäre Blickparese bzw. das Steele-Richardson-Olszewski-Syndrom der Prototyp dieses Demenzsyndroms. Die kortikobasale Degeneration ist die häufigste Ursache des Alien-Hand-Syndroms, das wiederum wichtige Fragen zur zerebralen Repräsentation der motorischen Kontrolle aufwirft [2]. Sie unterscheidet sich dadurch von den anderen atypischen Parkinson-Syndromen, dass von Anfang an kognitive, vor allem sprachliche Symptome im Vordergrund stehen [3], die Ausdruck der frühen kortikalen Beteiligung sind. Art und Ausmaß der kognitiven Beeinträchtigung bei der Multisystematrophie waren lange umstritten [4] [5] [6]. Nach aktuellen Diagnosekriterien stellen prominente kognitive Defizite die Diagnose einer Multisystematrophie infrage [7]. Die große NNIPPS-Studie ergab ähnliche neuropsychologische Profile mit im Vordergrund stehenden Defiziten in Exekutivfunktionen für das Steele-Richardson-Olszewski-Syndrom und die Multisystematrophie, die bei ersterem allerdings deutlicher ausgeprägt waren [8]. Der Morbus Parkinson schließlich ist im Gegensatz zu John Parkinsons (1817) Diktum „the senses and intellect being uninjured“ Modell für die Beteiligung der nigrostriatalen dopaminergen Transmission an kognitiven Prozessen [9]. Der Morbus Parkinson ebenso wie die atypischen Parkinsonsyndrome beeinträchtigen die Modulation kortikaler Aktivität durch kortiko-striato-pallido-thalamo-kortikale Schleifensysteme. Es überrascht daher nicht, dass neben motorischen Störungen vor allem Exekutivfunktionen betroffen sind. Frühe Stadien des Morbus Parkinson bieten eine gute Gelegenheit, die Rolle der dopaminergen Projektion auf kognitive Funktionen zu untersuchen. Dabei konnten auch Störungen visuospatialer Funktionen und, wahrscheinlich durch Exekutivstörungen bedingt, auch von Gedächtnisfunktionen nachgewiesen werden. Spätstadien des Morbus Parkinson wie auch der atypischen Parkinson-Syndrome gehen häufig mit einer Demenz einher, die sich vor allem bei den atypischen Syndromen deutlich vom Prototyp der Alzheimer-Demenz unterscheidet. Im Vordergrund stehen Störungen der Initiierung von Handlungen und eine Perseverationsneigung [8], womit sich die Empirie wieder dem Konzept der subkortikalen Demenz von Albert et al. [1] annähert.

Im vorliegenden Heft der „Fortschritte“ geben Duerr et al. einen Überblick über Klinik und Pathophysiologie der atypischen Parkinson-Syndrome [10]. Die Arbeit macht deutlich, wie wichtig die Festlegung auf einheitliche Diagnosekriterien für die Erforschung seltener Krankheiten ist, wie auch schon das Beispiel der frontotemporalen Lobaratrophien gezeigt hat [11]. Die Forschung mit homogenen Patientengruppen verbessert die Aussichten, wirksamere Therapien zu finden, auch hierfür zeigt der Artikel Entwicklungslinien auf.

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Prof Dr. C.-W. Wallesch