Schlüsselwörter S3-Leitlinie „Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie“ - Kostenanalyse - juristische
Veränderungen
Key words S3 guideline on “Sedation in Gastrointestinal Endoscopy” - cost analysis - legal changes
Einleitung
Endoskopien müssen heutzutage stress- und schmerzfrei für den Patienten durchgeführt
werden. Dieses Ziel kann mithilfe einer periinterventionellen Sedierung erreicht werden.
Darüber hinaus ermöglicht und erleichtert der Einsatz einer Sedierung die Durchführung
bestimmter diagnostischer oder therapeutischer Prozeduren. Diese wesentlichen Faktoren
haben dazu geführt, dass in den letzten 10 Jahren die regelhafte Durchführung einer
Sedierung zum Standard im ambulanten und stationären Bereich der gastroenterologischen
Endoskopie geworden ist [1 ].
Die Einführung der aktuellen S3-Leitlinie „Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie“
im November 2008 schreibt eine vollständige personelle Trennung von Sedierung und
Endoskopie vor, wie sie in Analogie im chirurgischen Bereich seit Jahrzehnten besteht
[2 ]. Der Einsatz einer zusätzlichen Fachkraft wird für die Durchführung der Sedierung
unabhängig von der verwendeten Sedierungssubstanz (Opiod, Benzodiazepin, Propofol)
gefordert. Zusätzlich sind in der Leitlinie Anforderungen an den Umfang der Überwachung
formuliert, die über den aktuellen Standard der meisten Endoskopieeinheiten weit hinausgehen
dürften. Damit entsteht eine neue, juristisch bedeutsame Sachlage, die in der Umsetzung
eine erhebliche personelle, zeitliche, räumliche, apparative und damit finanzielle
Mehrbelastung für jeden endoskopisch aktiven Gastroenterologen bedeutet.
Für den folgenden Artikel wurde exemplarisch an einem endoskopisch aktiven Zentrum
eines nicht universitären Krankenhauses der Maximalversorgung diese finanzielle Mehrbelastung
für den stationären Bereich berechnet.
Zusätzlich werden die Ergebnisse einer Umfrage unter den Mitgliedern der ALGK (Arbeitsgemeinschaft
leitender gastroenterologischer Krankenhausärzte e. V.) unter dem Titel „Status Quo:
Klinikalltag deutscher Krankenhäuser nach Erscheinen der S3-Sedierungsleitlinie 2008“
vorgestellt. Ziel der Befragung war, den Stand der Umsetzung der S3-Leitlinie zu untersuchen.
Methoden
Kosten- und Erlösberechnung
Die praktische Umsetzung der Sedierungsleitlinie führt zu Veränderungen im Bereich
der Erlöse und der Kosten. Für die Betrachtung wurden die direkten Kosten bis zur
Deckungsbeitragsstufe 2 (Erlöse abzüglich direkter Personal- und Sachkosten sowie
Inanspruchnahme medizinischer Sekundärleistungen) untersucht. Die Auswirkungen auf
Raum- und Infrastrukturkosten der Deckungsbeitragsstufe 3 sowie Veränderungen im Bereich
der Allgemein- und Verwaltungskosten (Deckungsbeitrag 4) wurden in die Berechnung
nicht miteinbezogen.
Personalkosten
Zusätzliche Personalkosten entstehen durch die personelle Trennung zwischen Endoskopie
und Sedierung und die Nachüberwachungspflicht in der Endoskopieeinheit, die gemäß
Leitlinie auch für stationäre Patienten gilt.
Grundlage zur aktuellen Berechnung der entstehenden Personalmehrkosten sind die Untersuchungszahlen
der Endoskopien von stationären Patienten der gastroenterologischen Funktionsabteilung
der Dr. Horst-Schmidt-Kliniken aus dem Jahr 2009. Die Daten zur Untersuchungsdauer
sowie die Vor- und Nachbereitungszeiten wurden aus einer Datenbank entnommen, die
2006 im Rahmen eines bundesweiten durchgeführten Benchmark-Projekts erhoben wurden
[4 ]. Die zusätzlich anfallende Nachüberwachungszeit im Aufwachraum wurde auf 60 min
festgelegt.
Die Leitlinie fordert unabhängig vom individuellen Risiko eine dritte Fachkraft zur
Durchführung einer Sedierung im Rahmen einer Endoskopie. Diese Aufgabe kann speziell
geschultes Assistenzpersonal nach der Leitlinie jedenfalls dann übernehmen, wenn der
Patient den ASA (American Society of Anasthesiologists)-Grad I oder II erfüllt und
ein Arzt die Einleitung der Sedierung übernommen hat. Bei Patienten mit einer ASA-Klassifizierung
Grad ≥ III soll nach der Leitlinie ein intensivmedizinisch erfahrener Arzt auch die
Führung der Sedierung übernehmen. In jedem Fall darf die mit der Sedierung betraute
Person keine anderen Aufgaben währenddessen wahrnehmen. Allerdings ist die Leitlinie
bezüglich dieser Angaben nicht eindeutig. Nach Punkt 3.3.3.1. kann eine geschulte
Pflegekraft eine Sedierung von Patienten der Kategorie ASA I–III übernehmen, während
unter Punkt 1.5 die Leitlinie die pflegerische Übernahme nur für Patienten der ASA
Klasse I und II erlaubt.
Die prozentuale Verteilung der ASA-Klassifikation je Untersuchungsart wurde aus einer
Stichprobe einer an unserer Klinik durchgeführten Erfassung von Komplikationen im
Rahmen von Sedierungen in der gastrointestinalen Endoskopie („Sedierung in der Endoskopie
[Send]: eine prospektive Erfassung von Komplikationen“, bisher nicht veröffentlichte
Daten) auf die Untersuchungen aus dem Jahr 2009, die die Datengrundlage dieser Berechnung
darstellen, angewendet.
Die Leitlinie sieht vor, dass eine Sedierung ebenfalls von einem Arzt durchgeführt
werden muss, wenn es sich um komplexe therapeutische Eingriffe handelt. Daher wurden
bei allen therapeutischen Eingriffen Arztkosten für die Sedierung berechnet.
Die in der Leitlinie geforderte Nachüberwachung aller Patienten in der Endoskopieeinheit
führt zu einem erhöhten Personalbedarf im Bereich der nicht ärztlichen Fachkraft.
Eine Vorgabe, wie viele Patienten durch eine Fachkraft zeitgleich überwacht werden
dürfen, gibt die Leitlinie nicht. Auch die verbindliche Mitteilung des BDA (Berufsverband
deutscher Anästhesisten), die die Rahmenbedingungen einer postoperativen Überwachung
festlegt, nennt keinen definierten Personalschlüssel für die postoperative Überwachung
(„Der Personalbedarf richtet sich nach der Betriebszeit der Aufwacheinheit, der Anzahl
der gleichzeitig zu überwachenden Patienten, deren Pflegekategorie sowie der zeitlichen
Verteilung der anfallenden Überwachungszeiten.“) [5 ].
Aus persönlichen Erfahrungen ist eine Betreuung unseres Kollektivs (im Durchschnitt
33 % der Patienten > ASA II) in der Nachüberwachung durch eine Fachkraft/6 Patienten
ausreichend. Dieser Wert wurde in die Kostenberechnung einbezogen.
Für die ärztliche Tätigkeit wurde das Gehalt eines Facharztes im 4. Jahr von 5239,43 € zugrunde
gelegt. Der Verdienst entspricht dem Tarifvertrag Ärzte vom 8.4.2008, dabei wurde
die Lohnsteigerung zum 1.1.2009 berücksichtigt.
Die medizinischen Fachangestellten wurden nach dem Tarifvertrag der Bundesärztekammer
vom 1.7.2009 berechnet. Dabei wurde eine Fachkraft im 11.–16. Berufsjahr gewählt,
die in der Tätigkeitsgruppe IV („Selbständiges Ausführen von Tätigkeiten, die besonderen
Anforderungen an die Handlungskompetenz und die Fach- und Führungsverantwortung stellen…“)
angesiedelt ist. Die Gehaltsstufe liegt bei 2140 €.
Darüber hinaus zusätzlich anfallende Personalkosten, die durch unten genannte Faktoren
begründet sind, wurden nicht miteinbezogen, da diese erheblichen Schwankungen in den
einzelnen Abteilungen unterliegen. Diese weiteren Kostenfaktoren sind in ihrem Umfang
in der individuellen Kostenrechnung für eine Abteilung keineswegs zu vernachlässigen.
Dazu zählen insbesondere vermehrte Aus- und Fortbildungskosten zum Thema Sedierung.
Ebenso wurde in der Berechnung nicht berücksichtigt, dass durch zum Teil gleichzeitig
durchgeführte Untersuchungen personelle Engpässe entstehen, die einen weiteren Mehrbedarf
nötig werden lassen. Feiertags-, Rufbereitschafts- und Nachtzuschläge, die im Rahmen
von Notfallendoskopien anfallen, sind in der Kalkulation nicht abgebildet.
Sachkosten
Zusätzliche Sachaufwendungen im Bereich des medizinischen Bedarfs fallen durch die
S3-Leitlinie nicht an.
Geräte- und Raumkosten
Zu den von der Leitlinie geforderten Überwachungsmaßnahmen gehören im apparativen
Bereich Pulsoxymetriegeräte sowie EKG-Monitore bei Patienten mit positiver kardialer
Anamnese. Diese Geräte müssen in den Untersuchungsräumen und im Aufwachraum zusätzlich
vorgehalten werden.
Die Nachüberwachung in einem gesonderten Aufwachraum erfordert zudem einen vermehrten
Raumbedarf. Steht dieser nicht zur Verfügung fallen weitere Kosten durch bauliche
Maßnahmen an.
Erlöse
Eine Prozedur zur Abbildung einer Sedierung mit Midazolam und/oder einem Opiat existiert
nicht. Daher ergibt sich in bei diesen Sedierungssubstanzen kein Anspruch auf einen
Erlös.
Das DRG-System bildet ausschließlich eine Sedierung mit Propofol unter der Prozedur
8 – 900 ab. Diese kann nach den Kodierrichtlinien des medizinischen Dienstes der Krankenkassen
(Deutsche Kodierrichtlinie 030), die am 4.6.2009 als Folge der S3-Leitlinie überarbeitet
worden sind, nur dann angegeben werden, wenn definierte Voraussetzungen erfüllt werden,
die im klinischen Alltag nahezu nie realisiert werden können [3 ].
Das DRG-System sieht eine Erlössteigerung mit der Basis DRG G46 und G48 vor, eine
Erlösvorhersage ist aber nicht möglich. Ebenso wenig ist eine Erlösvorhersage bezüglich
der Prozedur 8 – 900 bei anderen endoskopischen Eingriffen möglich.
Evaluation der Leitlinienumsetzung
An alle Mitglieder der ALGK wurde elektronisch ein Evaluationsbogen versendet, der
wesentliche Kernfragen bezüglich der Umsetzung der S3-Leitlinie enthält. Abgefragt
wurden Angaben zur Abteilung (Versorgungsstufe des Krankenhauses, Bettenanzahl, Stellenschlüssel),
Angaben zum Umfang der endoskopischen Leistungen (Endoskopiezahlen/Jahr, prozentualer
Anteil der therapeutischen Eingriffe) und Angaben zur Sedierung (Anteil der Propofolsedierungen,
Anteil der mit einer dritten Person durchgeführten Untersuchungen, Fachkompetenz der
Sedierungskraft, Umfang der Dokumentation der Sedierung, Art der Überwachung während
und nach der Sedierung, Änderung bez. der personellen, räumlichen und apparativen
Ausstattung bedingt durch die S3-Leitlinie).
Ergebnisse
Kostenberechnung
Erlöse
Die OPS-Prozedur 8 – 900 kann in der klinischen Praxis nahezu nie anerkannt werden.
Die niedrige Propofoldosis im Rahmen von diagnostischen Untersuchungen entspricht
nicht der Anforderung der Kodierrichtlinie („Die Sedierung erfolgte in einer adäquaten
Dosierung zur Einleitung und dem Erhalt einer Allgemeinanästhesie“). Selbst wenn der
Eingriff eine entsprechend tiefe Sedierung notwendig macht, werden im klinischen Alltag
die zusätzlichen Anforderungen („Die Sedierung wird durch einen Facharzt für Anästhesie
durchgeführt. Es liegt eine Ausnahmesituation nach DKR P009 vor, welche sich durch
den nicht regelhaften Einsatz der Sedierung bei der jeweiligen Untersuchungsmethode
definiert.“) nur in Ausnahmesituationen erfüllt sein. Ein relevanter Mehrerlös durch
die Prozedur 8 – 900 ist nicht zu erwarten.
Personalkosten
2009 wurden 7765 Endoskopien bei stationären Patienten durchgeführt. Die Anwesenheit
einer weiteren Fachkraft steigert den ärztlichen Personalbedarfs in Höhe von 212 508 min
und des nicht ärztlichen Bedarfs in Höhe von 45 149 min. Dieses entspricht 2,8 Vollkräften
im ärztlichen Dienst und 1,5 Vollkräften im nicht ärztlichen Bereich (inkl. Ausfallzeiten).
Die Gesamtpersonalkosten der hier betrachteten endoskopischen Funktionsabteilung erhöhen
sich hierdurch um 257 462 € (Arbeitgeber-Bruttokosten).
Bspw. ergibt sich eine durchschnittliche Kostensteigerung im Personalbereich für die
Durchführung einer diagnostischen ÖGD von 31,74 €, für die therapeutische ÖGD von
46,59 €, für die diagnostische Koloskopie von 35,50 € und die therapeutische Koloskopie
von 53,69 €.
[Abb. 1 ] zeigt die Aufteilung der entstehenden Mehrkosten im Personalbereich auf den ärztlichen
Dienst und die nicht ärztliche Fachkraft exemplarisch für die diagnostische und therapeutische
ÖGD, Koloskopie und ERCP.
Abb. 1 Daten zur Sedierung ohne 3. Person in der diagnostischen therapeutischen Endoskopie
und ERCP.
Evaluation der Leitlinienumsetzung
An der Fragebogenumfrage haben 136 der 210 leitenden gastroenterologischen Krankenhausärzte
teilgenommen. Das entspricht etwa zwei Drittel der Mitglieder der ALGK ([Tab. 1 ]).
Tab. 1
Daten der Fragebogenevaluation.
Fragestellung
Anzahl der Rückmeldungen
Ergebnis (%)
Krankenhaus der Maximal-/Schwerpunkt-/Regelversorgung
136
16/46/38
Anzahl der Endoskopien/Jahr
< 1000/1000 – 5000/> 5000
136
2/63/35
Prozentualer Anteil der therapeutischen Eingriffe: < 10/10 – 30/30 – 50/> 50 %
135
2/50/41/7
Anteil der Propofolsedierungen an der Gesamtzahl der Sedierungen < 30/30 – 50/> 50 %
134
22/6/72
Sedierung mit 3. Person i. R. jeder Propofolsedierung bei diagnostischen/therapeutischen
Endoskopien/ERCP
132
26/44/66
Sedierung mit 3. Person i. R. jeder Midazolam/Diazepam/Pethidinsedierung bei diagnostischen/therapeutischen
Endoskopien/ERCP
75
6/8/24
Fachgruppenzugehörigkeit der 3. Person Anästhesist/Facharzt/Assistenzarzt/Pflege
135
1/18/23/58
Überwachung der Patienten durch Pulsoxymetrie bei jeder Sedierung
136
99
Überwachung des Blutdrucks bei jeder Sedierung
135
76
Überwachung mittels EKG bei kardialer Anamnese bei jeder Sedierung
132
42
Anfertigung eines Sedierungsprotokolls bei jeder Sedierung
134
76
Dokumentation der ASA-Klasse
136
45
postinterventionelle Überwachung in einem Aufwachraum
136
54
„Fitnesstest“ vor Verlegung auf eine Station
73
75
Stellenvermehrung durch die Leitlinie ja
136
35
Die Teilnehmer vertreten endoskopisch aktive Abteilungen, die in 63 % respektive in
35 % über 1000/5000 endoskopische Eingriffe pro Jahr durchführen.
71 % der Fachabteilungen setzen überwiegend (> 50 %) Propofol zur Sedierung ein.
Die Kernforderung der Leitlinie ist wie dargestellt die Anwesenheit einer 3. Person
zur Durchführung der Sedierung. Nach Auswertung der Fragebogen wird diese Forderung
im Rahmen einer diagnostische/therapeutische Endoskopie/ERCP in 74/56/34 % im Rahmen
einer Propofolsedierung nicht erfüllt. Damit wird weiterhin der überwiegende Anteil
der Endoskopien in Propofolsedierung mit 2 Personen durchgeführt. Noch seltener wird
diese Forderung in der Midazolam/Diazepam/Pethidin-Sedierungsgruppe umgesetzt: So
findet sich eine Endoskopie ohne 3. Person in diesem Kollektiv in 94/92/76 % (diagnostische/therapeutische
Endoskopie/ERCP) ([Abb. 1 ]).
Wird eine Sedierung durchgeführt, so wird in einem sehr hohen Prozentsatz (94 %) diese
Sedierung mittels eines standardisierten Sedierungsformulars dokumentiert.
Während eine Pulsoxymetrie in annährend 100 % durchgeführt wird, erfolgt eine geforderte
RR-Messung in 76 % der Sedierungen gemäß Leitlinie. Dagegen findet sich nur in 42 %
eine Überwachung mittels EKG bei positiver kardialer Anamnese.
Postinterventionell erfolgt in 54 % der Patienten eine Überwachung in einem Aufwachraum.
Von diesen Patienten wird in 74 % eine Überprüfung der verbliebenen Sedierungsstärke
vor Verlegung auf eine periphere Station durchgeführt.
Bezüglich einer Veränderung in Bezug auf die Personalstellen hat die Leitlinie in
35 % der Krankenhäuser zu einer Stellenvermehrung geführt; dabei sind mehrheitlich
Pflegestellen (0,5 – 3 Stellen) geschaffen worden.
Im Bereich der Investitionen haben 21 % der Abteilungen räumliche Veränderungen (vornehmlich
die Schaffung eines Aufwachraum) realisiert. 47 % der Kliniken haben neue Überwachungsgeräte
angeschafft.
Diskussion
Die „Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen“ verpflichtet
den gastroenterologisch tätigen Endoskopiker durch Implementierung der neuen S3-Leitlinie
zu einem strukturierten Umgang mit dem Thema „Sedierung“. Dabei ist das Ziel, die
Qualitätssicherung zu optimieren. Der Ansatz, Sedierung und Endoskopie personell zu
trennen, ist insbesondere in Hinblick auf die zunehmend komplexeren endoskopischen
Eingriffe grundsätzlich richtig.
In der alltäglichen Praxis führt die Umsetzung der Leitlinie aber zu einem erheblichen
personellen, räumlichen und apparativen Mehraufwand, der vor dem Hintergrund der häufig
wirtschaftlich angespannten Situation der Krankenhausträger die Umsetzung der juristisch
bedeutsamen Leitlinie infrage stellt.
Diese aktuelle Berechnung zeigt erstmals eine Übersicht über die Art und die Höhe
der anfallenden Zusatzkosten im stationären Bereich. Auch wenn diese Daten aus einer
deutlich überdurchschnittlich aktiven Endoskopieabteilung stammen, so sind sie prozentual
auf andere Abteilungen übertragbar.
Die Berechnung berücksichtigt ausschließlich Kosten der Deckungsbeitragsstufe 2. Kosten,
die durch individuelle Gegebenheiten erheblichen Schwankungen unterliegen, wurden
nicht berücksichtigt. Das sind insbesondere Kosten für die Aus- und Fortbildung der
Mitarbeiter, zusätzliche Feiertags-, Nacht- und Rufbereitschaftskosten.
Eine Unschärfe in der Berechnung ergibt sich durch die von uns definierten Zeitrahmen
der Nachüberwachung von 60 min. Diese sollte durch prospektiv erhobene Daten untermauert
werden. Daten aus einer Studie von Riphaus et al. [6 ] zeigen, dass 2 h nach einer Sedierung mit Propofol oder Midazolam/Pethidin im Rahmen
einer Gastroskopie oder Koloskopie keine psychomotorische Beeinträchtigung des Patienten
vorhanden ist. Diese Zeit dürfte sich nach Anwendung höherer Sedativadosierungen,
wie bspw. bei der Push-and-pull-Endoskopie, erheblich verlängern. Die willkürliche
Festlegung der Nachüberwachung auf 60 min unsererseits liegt somit im unteren Grenzbereich.
Zusätzlich entstehen weitere, von uns nicht berücksichtigte Mehrkosten durch die Tatsache,
dass Untersuchungen gleichzeitig in mehreren Endoskopieräumen durchgeführt werden
und damit der personelle Aufwand höher liegt. Dieser Faktor wurde bewusst nicht eingerechnet,
um die berechneten Kosten auf andere Endoskopieabteilungen mit anderen Untersuchungszahlen
übertragen zu können.
Eine Aufstellung der durch die Sedierungsleitlinie entstehenden Mehrkosten im Bereich
der ambulanten Endoskopie haben Heil et al. publiziert [7 ]. Die Autoren berechneten u. a. einen Mehraufwand im Bereich der Personalkosten
von 21,65 € je Koloskopie. Im Vergleich dazu liegen die in unserem Rechenmodell berechneten
Kosten bei 35,60 €. Die Kostensteigerung fällt in der zitierten Arbeit prozentual
schwächer im Vergleich zu unseren Daten aus, da zum einen der überwiegende Anteil
der Patienten einem ASA-Grad I oder II zuzuordnen waren und damit keine zweite ärztliche
Fachkraft notwendig wird. Zum zweiten wählten die Autoren eine Nachüberwachungszeit
von 20 min als Rechengrundlage.
Die Umsetzung der Leitlinie ist angezeigt und damit auch die anfallenden Mehrkosten.
Eine S3-Leitlinie hat eine hohe Indizwirkung bez. des juristisch verbindlichen medizinischen
Standards. Haftungsrechtlich darf von ihr – sofern und soweit sie den aktuellen medizinischen
Standard zutreffend wiedergibt – nur in begründeten Einzelfällen abgewichen werden.
Zudem liegt bereits ein juristischer Präzedenzfall (BGH, Urteil vom 8.4.2003, AZ.
6 ZR 265/02) vor, nach dem der endoskopierende Arzt für die mangelhafte Überwachung
eines Patienten postinterventionell haften musste, da dieser nicht daran gehindert
wurde, selber am Straßenverkehr teilzunehmen und einen Unfall verursachte, obwohl
er zugesagt hatte, nicht selber zu fahren.
Die anfallenden Mehrkosten zwingen die Klinikdirektoren zur Aufnahme erneuter interner
Budgetverhandlungen. Zudem müssen die Mehrkosten durch die S3-Leitlinie Eingang in
die Fallkalkulation des InEK und somit in die DRG-Erlöse finden. Das DRG-System hat
grundsätzlich eine selbstlernende Systematik. Die an der Fallkalkulation beteiligten
Krankenhäuser berücksichtigen die entsprechenden Mehrkosten in ihren Datensätzen,
sodass diese Eingang in das Gesamtsystem finden. Hierbei ist aber mit einer Zeitverzögerung
von mindestens 2 – 5 Jahren zu rechnen.
Die elektronisch durchgeführte Umfrage unter den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft
leitender gastroenterologischer Krankenhausärzte zeigt ein dramatisches Ergebnis.
In allen wesentlichen Forderungen ist die Leitlinie mehrheitlich 3 Jahre nach ihrer
Einführung nicht umgesetzt worden: Weiterhin wird der überwiegende Anteil der Endoskopien
in Sedierung bei Anwesenheit von ausschließlich 2 Personen und nicht wie gefordert
3 durchgeführt. Die 3. Person ist häufig gemäß der Definition der Leitlinie nicht
ausreichend qualifiziert. Postinterventionell wird nur die Hälfte der Patienten in
einem Aufwachraum überwacht.
Die lebhafte Diskussion um die Leitlinie auf wissenschaftliche Veranstaltungen, die
hohe Teilnehmerrate an dieser Umfrage und die aktuell bestehende gleichzeitige Existenz
mehrerer bundesweiter Erhebungen zu dem Thema „Sedierung in der gastroenterologischen
Endoskopie“ zeigen, dass es sich bei der fehlenden Umsetzung nicht um eine Ignoranz
der tätigen Kollegen, sondern um praktisch nicht abbildbare Forderungen durch die
Leitlinie handelt. Begrenzte finanzielle Ressourcen der überwiegenden Anzahl der Krankenhäuser
machen eine Umsetzung in den Alltag de facto unmöglich.
Andererseits scheint uns die zentrale Empfehlung der Leitlinie, generell bei jedweder
Sedierung eine 3. Person einzusetzen, für nicht angemessen. Für diese Forderung existiert
keine Evidenz: Es gibt keine Studie, die den Vorteil einer 3. Person bezüglich der
Verhinderung von Komplikationen bei der Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie
gegenüber einer „2-Personen-Prozedur“ belegt.
Gerade die vielen prospektiven Studien, die in den letzten 30 Jahren zu dem Thema
„Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie“ publiziert wurden, zeigen die hohe
Sicherheit der 2-Personen-Technik und verleihen ihr eine hohe Evidenzstärke. Das gilt
insbesondere für Patienten der ASA-Klasse I–III, die einfachen diagnostischen Endoskopien
unterzogen werden [8 ]
[9 ]. Diese Konstellation repräsentiert über 80 % aller Endoskopien in den Facharztpraxen
und ebenfalls einen ganz erheblichen Teil der Endoskopie im Klinikalltag. Eine differenzierte
Empfehlung dahingehend, dass bei risikoarmen Eingriffen auf eine dritte Person verzichtet
werden kann, würde ohne nennenswerte Risikoerhöhung eine erhebliche finanzielle Entlastung
der Krankenhäuser und der Praxen und damit auch des Gesundheitssystems bedeuten.
Hinzu kommt die juristische Problematik bei Nichteinhaltung der Leitlinie und Auftreten
einer Sedierungskomplikation. Sofern und soweit die Leitlinie den im Zeitpunkt der
Behandlung aktuellen medizinischen Standard wiedergegeben hat, würde ein Verstoß gegen
diese Leitlinie – sofern kein individueller Sonderfall ein Abweichen von dieser rechtfertigt
– unter Umständen ein Vergehen im Sinne einer fahrlässigen Körperverletzung durch
den behandelnden Arzt bedeuten. Ein Sachverhalt, der mit einer Freiheitsstrafe von
bis zu 3 Jahren geahndet werden kann.
Manch ein Chefarzt fühlt sich in Sicherheit, wenn er den Geschäftsführer über die
Leitlinie und die notwendige Nachbetreuung informiert. Weit gefehlt: Wenn er dennoch
wie gehabt ohne Umsetzung der geforderten Änderungen weitermacht, muss er sich im
Schadensfall unter Umständen als behandelnder Arzt wegen vorsätzlicher Körperverletzung
verantworten, da er dann nachweisbar im Wissen um die Unterschreitung des medizinischen
Standards gehandelt hat. In dieser Situation droht ein erhöhtes Strafmaß.
Zusammenfassend führt die S3-Leitlinie zur Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie
wie dargestellt zu einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung, die insbesondere
durch die notwendige Personalaufstockung hervorgerufen wird. Dieses dürfte auch ein
ganz wesentlicher Grund dafür sein, dass die Leitlinie 3 Jahre nach Einführung mehrheitlich
nur in den nicht kostenintensiven Punkten umgesetzt worden ist. Dabei sollte nochmals
betont werden, dass die Empfehlung zum Einsatz einer Kraft, die ausschließlich für
die Sedierung verantwortlich sein soll, nicht evidenzbasiert ist. Dennoch hat eine
Empfehlung einer Leitlinie juristisch einen erheblichen Wirkungsgrad. Ganz ohne Zweifel
sind wir als Ärzte aufgefordert, unabhängig von einer wirtschaftlich angespannten
Situation die Patientensicherheit als höchstes Gut zu verteidigen. Vor diesem Hintergrund
würden die Autoren sich im Rahmen der Revision der Leitlinie einen differenzierten
Umgang mit den personellen Anforderungen für die Durchführung einer Sedierung wünschen:
Bei ASA-I–III-Patienten, die einen diagnostischen Eingriff oder einen nicht komplexen
therapeutischen Eingriff erhalten, sollten weiterhin ein Arzt und eine Pflegekraft
die Sedierung ohne eine zusätzliche mit der Sedierung beauftragte Person durchführen
können. Prospektive Datenerhebungen sollten durchgeführt werden, um eine Ausweitung
der Evidenzlage zur Bestätigung der Patientensicherheit unter den oben genannten Bedingungen
zu schaffen. Unbestritten ist aus unserer Sicht, dass bei komplexen therapeutischen
Eingriffen oder/und Risikopatienten der ASA-Klasse IV/V eine ausschließlich mit der
Sedierung beauftragte Person anwesend ist.
Danksagung
Die Autoren bedanken sich ausdrücklich bei Herrn Dr. U. Rosien für die Bereitstellung
der Daten zu den Untersuchungszeiten der endoskopischen Untersuchungen, die im Rahmen
des Benchmark-Projekts 2006 evaluiert worden sind.