Dialyse aktuell 2012; 16(03): 157
DOI: 10.1055/s-0032-1311722
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Alport-Syndrom bei Kindern – Weltweit erste klinische Präventionsstudie

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Publication Date:
12 April 2012 (online)

 
 

Noch heute gilt für fast alle Kinder mit der Erbkrankheit "Alport-Syndrom": Schon als junge Erwachsene oder noch früher sind sie auf eine regelmäßige Dialyse angewiesen und warten dringend auf eine Spenderniere. Die Krankheit lässt die Nieren schon in jungen Jahren vernarben und vorzeitig altern. Allein in Deutschland sind über 5000 Menschen in über 1000 Alport-Familien betroffen. Die seltene Krankheit galt bis vor einigen Jahren als nicht behandelbar.

Studienbeginn von "EARLY PRO-TECT Alport" im März 2012

Eine erste und weltweit einzigartige klinische Präventionsstudie mit Kindern und Kleinkindern unter Leitung von Prof. Oliver Gross, Göttingen, untersucht die Sicherheit und Wirksamkeit von Ramipril für die Behandlung von Kindern mit Alport-Syndrom. Die Studie könnte auch den Weg ebnen für eine Zulassung des Wirkstoffs Ramipril als Medikament zur Behandlung von Kindern mit Alport-Syndrom. Die kontrollierte klinische Studie "EARLY PRO-TECT Alport" ist bundesweit angelegt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert die klinische Präventions-Studie (01KG1104) über 5 Jahre mit insgesamt rund 1 Million Euro.

Der Wirkstoff Ramipril gilt nach Arbeiten in der Grundlagenforschung seit 10 Jahren als Hoffnung für Kinder mit Alport-Syndrom. Jedoch sind die Wirksamkeit und auch die möglichen Nebenwirkungen bei Kleinkindern und Kindern bislang nicht erforscht und nicht erfasst. Als Medikament zur Behandlung des Alport-Syndroms ist der Wirkstoff nicht zugelassen. Ärzte, die den Wirkstoff zur Behandlung einsetzen, tun dies "off label", also nur im Rahmen eines Heilversuchs.

"Wir sind sehr froh, dass es mit der Studie vorangeht. Im März 2012 haben wir die ersten kleinen Patienten in die Studie aufgenommen", sagte Gross. Teilnehmen dürfen Kinder ab einem Alter von 24 Monaten nur dann, wenn die Diagnose Alport-Syndrom eindeutig feststeht. Alle Kindernephrologen bundesweit und 14 Kliniken, die Alport-Patienten betreuen, unterstützen das Projekt. Die enge Zusammenarbeit mit Pathologen und Genetikern gehört zum Studienprofil.

Geleitet und koordiniert wird die Studie von der Universitätsmedizin Göttingen mit Unterstützung des Instituts für anwendungsorientierte Forschung und klinische Studien GmbH (IFS) Göttingen. Nach dem positiven Votum durch die federführende Ethikkommission der Universitätsmedizin Göttingen wurde jetzt die Studie durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte genehmigt. Die Firma Sanofi-Aventis stellt die Studienmedikation kostenlos zu Verfügung.


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Alport-Register: Off-label-Gebrauch von ACE-Hemmern schützt Nieren bei Kindern

Das Alport-Syndrom galt bisher als nicht behandelbare, schicksalhafte schwere Nierenerkrankung. Der Wirkstoff Ramipril, ein ACE-Hemmer (ACE: "angiotensin converting enzyme"), ist nur für Erwachsene zur Behandlung von Bluthochdruck zugelassen. Seine im Forschungslabor von Gross nachgewiesene nierenschützende Wirkung machte ihn auch für die Behandlung von Kindern mit Alport-Syndrom interessant. Dass ACE-Hemmer wie Ramipril auch bei Kindern nierenschützend wirken, konnte rückwirkend und erstmals weltweit überhaupt ein Europäisches Alport-Register belegen, das Gross 2006 gründete. Aufzeichnungen aus 310 Zentren in Europa über die Behandlung von Alport-Patienten wurden dafür gesammelt und ausgewertet.

Das Ergebnis zeigt: Die Therapie mit einem ACE-Hemmer (ab Beginn des Eiweißverlustes durch die Niere) kann das Nierenversagen und damit die Notwendigkeit regelmäßiger Blutwäschen im Median um 18 Jahre (p < 0,001) verzögern. Die Auswertung zeigt auch: Wird rechtzeitig mit der Behandlung begonnen, verbessert sich die Lebenserwartung der Kinder mit Alport-Syndrom signifikant. Auch die Überträger der Erbkrankheit, die weniger schwer erkrankt sind, profitieren von einem rechtzeitigen Behandlungsbeginn.

"Aus Mangel an Alternativen behandeln Kindernierenärzte in ihrer Not bereits jetzt Kleinkinder, die am Alport-Syndrom erkrankt sind, mit ACE-Hemmern wie Ramipril. Diese sogenannte "Off-label"-Praxis birgt jedoch Risiken, denn Kinder sind medizinisch gesehen keine kleinen Erwachsenen. Wirkung, Nebenwirkungen und Spätfolgen lassen sich nicht von Erwachsenen auf Kinder übertragen", erklärte Gross. "Die sehr frühe Behandlung kleiner Kinder mit Off-label-Medikamenten bleibt daher für Eltern und Kinderärzte moralisch und auch rechtlich eine schwierige Situation, auch bei Aussicht auf Behandlungserfolg." Daher sei das wichtigste Ziel der Studie, Nutzen und Risiken der Therapie an Kindern in sehr frühen Krankheitsstadien zu erkennen und abzuwägen.


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Studie ist auch Aufklärungskampagne

Die Alport-Studie versteht sich auch als Aufklärungskampagne für Ärzte. Sie sollen dafür sensibilisiert werden, ein besonderes Augenmerk auf die Früherkennung von Nierenerkrankungen im Kindesalter zu richten. "Obwohl auffällig viele Verwandte nierenkrank waren oder früh verstorben sind, bleiben jüngere Patienten mit Alport-Syndrom in der Familie noch zu oft unerkannt", so Gross. Etwa 1 von 100 Dialysepatienten leidet am Alport-Syndrom. Viele von ihnen wissen aber nichts von ihrer Diagnose. Wenn das Alport-Syndrom von Ärzten erkannt wird, können kleine Kinder in der Familie der Betroffenen gezielt auf Alport getestet werden. Oft ermöglicht eine frühe Diagnose die frühe vorbeugende Therapie und kann Leiden vermindern.

Quelle: Pressemeldung der Universitätsmedizin Göttingen

Ansprechpartner und Informationen zu Einschlusskriterien

Prof. Dr. Oliver Gross
Abteilung Nephrologie und Rheumatologie, Universitätsmedizin Göttingen
Robert-Koch-Straße 40,
37075 Göttingen
Tel.: 0551/39-6331, E-Mail: gross.oliver@med.uni-goettingen.de

Institut für anwendungsorientierte Forschung und klinische Studien GmbH (IFS)
Von-Bar-Straße 2/4, 37075 Göttingen
Geschäftsführer: Dirk Simon, Tel.: 0551/39-171 348,
E-Mail: ifs@med.uni-goettingen.de,
Internet: www.ifs-goettingen.de


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