Orthopäden sind gar nicht so dumm, wie immer alle behaupten. Dies zeigt eine prospektive
Multicenterstudie mit 3 teilnehmenden Kliniken aus England.
Orthopaedic surgeons: as strong as an ox and almost twice as clever? Multicentre prospective
comparative study. BMJ 2011; 15:343
(Foto: PhotoDisc)
Auf diese Studie haben wir schon immer gewartet, obwohl wir ihr Ergebnis doch im tiefsten
Inneren schon längst kannten. Und doch verbreitete sich ihre Kernaussage wie ein Lauffeuer
über die orthopädischen Institutionen des Kontinents: Wir sind gar nicht so dumm,
wie alle immer sagen! Oder etwas präziser gesagt und dabei nicht weniger genugtuend
empfunden: Wenn wir es doch sein sollten, so reicht es allemal für unsere anästhesiologischen
Artgenossen.
Veröffentlicht wurde die Studie übrigens in der "Christmas 2011"-Ausgabe des Journals.
Hätte man ihre euphorische Auswirkung auf die lange Zeit geschundene Orthopädenseele
noch treffender beschreiben wollen, hätte dort vielleicht auch "Christmas and Easter
2011" stehen können. Doch der Reihe nach …
Einleitung
Sich über orthopädische Kollegen lustig zu machen, ist seit jeher ein beliebter Zeitvertreib
in deutschen – und offensichtlich auch englischsprachigen – Operationssälen. Eine
landläufige Meinung besagt, dass Orthopäden für die Ausübung ihres Berufes vor allem
brachiale Gewalt benötigen und ein gewisses Maß an Unwissenheit dabei alles andere
als von Schaden ist. Auf den Punkt gebracht wird das orthopädische Stereotyp durch
ein englisches Sprichwort, auf das auch im englischen Originaltitel der Studie angespielt
wird: Stark wie ein Ochse und beinahe halb so schlau. Den Wahrheitsgehalt genau dieses
Klischees sollte diese Studie überprüfen, indem die Greifkraft und die Intelligenz
der orthopädischen Kollegen aus 3 Allgemeinkrankenhäusern bestimmt wurden. Als Vergleichsgruppe
dienten, in Ermangelung einer Kohorte kooperativer und einwilligungsbereiter Ochsen,
unsere Freunde aus dem verborgenen Reich jenseits des grünen Tuches, die gemeinhin
als Generatoren und Aktualisatoren des Klischees vermutet werden.
Studiendesign
Es handelt sich um eine prospektive Multicenterstudie mit 3 teilnehmenden Kliniken.
Die Studie wurde in Anbetracht des Mangels an weiblichen Orthopäden auf männliche
Mitarbeiter beschränkt. Eingeschlossen wurden sämtliche orthopädische und anästhesiologische
Fach- und Oberärzte, die im 2-Wochen-Intervall der Datenerhebung anwesend und mit
der Studienteilnahme einverstanden waren. Der Intelligenzquotient wurde mit einem
standardisierten IQ-Test (Mensa Brain Test, Version 1.1.0), bestehend aus 20 Multiple-Choice-Fragen,
quantifiziert. Die Messung der Greifkraft erfolgte jeweils an der Hand der dominanten
Seite mit einem kalibrierten Kraftmessgerät.
Ergebnisse
Insgesamt wurden 36 Orthopäden und 40 Anästhesisten aus 3 Kliniken eingeschlossen.
In der linearen Regressionsanalyse zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen
der Fachrichtung auf der einen Seite und sowohl der Intelligenz (p = 0,0489) als auch
der Greifkraft (p = 0,0274) auf der anderen Seite. Der durchschnittliche IQ-Wert lag
bei den Orthopäden mit 105,19 signifikant über dem der Anästhesisten (98,38). Die
Greifkraft lag mit 47,25 kg gegenüber 43,83 kg ebenfalls signifikant über der der
Anästhesisten.
Kommentar
Das schlichte Studiendesign führt zu zwei Erkenntnissen: Orthopäden haben eine signifikant
größere Greifkraft und eine signifikant höhere Intelligenz. Außerdem blieben beide
Gruppen unter dem IQ-Niveau zurück, das man ihrer akademischen Bildung nach hätte
erwarten dürfen, was jedoch als Kalibrierungsproblem des durchgeführten anspruchsvollen
IQ-Tests gewertet wurde. Die Überlegenheit bei der Greifkraft erscheint angesichts
der manuellen Anforderungen im OP nicht verwunderlich. Jedoch erfordern auch die Laryngoskopie
und das dichte Aufsetzen der Beatmungsmaske seitens des Anästhesisten manuelle Kraft,
so dass der Unterschied im Vergleich zu anderen Fachdisziplinen unter Umständen noch
etwas größer hätte ausfallen können. Die orthopädische Überlegenheit bei der Intelligenz
war hingegen nicht unbedingt zu erwarten, zumal intellektuell herausfordernde Beschäftigungen
wie Sudoku und Kreuzworträtsel sich gerade bei Anästhesisten großer Beliebtheit erfreuen
sollen. Als Analogschluss – und als kleiner Trost – wäre daher zu diskutieren, ob
auch hier die Diskrepanz zu anderen Disziplinen unter Umständen noch größer ausgefallen
wäre …
Die sorgfältige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Studie verlangte nun
unter normalen Umständen, die Methodik kritisch zu hinterfragen. Um die Strahlkraft
der Ergebnisse nicht zu gefährden, dürfen folgende potentielle Kritikpunkte heute
einfach einmal gänzlich unerwähnt bleiben: die fehlende Berücksichtigung der Frauen,
die möglicherweise mangelnde Repräsentativität der teilnehmenden Krankenhäuser, die
Problematik der Intelligenzdefinition, die Möglichkeit eines Selektionsbias, die Validität
der Tests, usw. Für eine allumfassende Übersicht der Kritikpunkte sei an dieser Stelle
auf die Kommentarseite auf der Homepage des Journals verwiesen, die bei diesem Artikel
überwiegend anästhesiologischerseits genutzt wurde …
Doch welche Folgen ergeben sich nun für den klinischen Alltag? Die Autoren der Studie
empfehlen den Anästhesisten eine Überarbeitung ihres Witze-Repertoires, um sich nicht
leichtsinnigerweise der geistreich-schlagfertigen Erwiderung ihrer scharfsinnige(re)n
orthopädischen Freunde auszusetzen – oder alternativ einem schmerzhaften Händedruck
bei der nächsten Begegnung. Bei aller – ja immer im humoristischen Rahmen – ausgetragenen
Rivalität darf aber eines nicht verloren gehen: das Bewusstsein, dass wir gegenseitig
aufeinander angewiesen sind und von nichts mehr profitieren als von einer kollegialen
Zusammenarbeit. Ich warne daher vor orthopädischem Hochmut und empfehle den stillen,
genügsamen Triumph in Form eines laminierten Ausdruckes der Studie für die OP-Hosentasche
– für alle Fälle …
Dr. med. Stefan Budde
Orthopädische Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover
E-Mail:
stefan.budde@ddh-gruppe.de