Eine verwirrende Vielfalt an Leistungsträgern, Anbietern und Finanzierungsmodellen
beherrscht die hiesige Reha-Szene. Klar ist: Wenn Reha wirklich helfen soll, eine
alternde Bevölkerung länger fit zu halten, vor allem auch länger fit am Arbeitsplatz,
ist eine bessere Differenzierung nötig, wem welche Reha wirklich nützt.
Letztes Jahr in Marienbad? Dort, wo schon Gorki und Gontscharow, Chopin und Wagner?
Oder in Bad Saulgau? In Bad Kissingen? Bad Salzuflen? Bad Sebastiansweiler?
Rehabilitation, das riecht immer ein wenig nach Schwefelquelle, ruft Bilder von Badekappen,
Trinkhallen, vom Kurorchester im Park hervor, und evoziert auch bange Ahnungen von
Abstinenz und Kaltwasserkuren.
Alles Dinge, die heutige Apologeten des Fachs gar nicht mehr sehen. "Es gab ja Zeiten,
da bemaß sich der Erfolg einer Rehabilitation daran, dass Sie einen Kurschatten abgegriffen
haben", ulkte Prof. Karsten Dreinhöfer von der Charité auf dem letzten DKOU. Doch
das sei lange vorbei. Heute ginge es darum, mit dem Patienten konkrete Rehaziele zu
vereinbaren und diese dann umzusetzen. Motto: Wie weit wollen Sie in einem halben
Jahr wieder laufen können, wie kommen wir dahin und … jetzt dann aber mal ran an das
Trainingsgerät.
Und mehr und mehr stellt eine Mediziner- und Forscherszene Methoden und Verfahren
von Reha auf den Prüfstand der Evidenzbasierten Medizin. Welche Reha nützt? Wem nützt
sie? Lassen sich Langzeiterfolge dokumentieren? Keine Frage, die Szene ist im Umbruch:
"Reha ist keine reine Erfahrungswissenschaft mehr", formuliert es Bernd Kladny, Leiter
einer Sektion Rehabilitation/Physikalische Medizin der DGOU. Es gebe immer mehr belastbare
Daten für erfolgreiche Rehaverfahren (siehe auch das Interview Kladny).
Profitiert hat das Feld ohne Zweifel durch einen von BMBF und Rentenversicherung 1996
ins Leben gerufenen Förderschwerpunkt Rehabilitationswissenschaften, in dem bis 2007
acht Forschungsverbünde an die 40 Millionen Euro bekamen. Etliche davon funktionieren
weiter, heute überwiegend mit Mitteln der Rentenversicherung (siehe links in der Online-Version).
Der Versuch einer Zwischenbilanz zeigt aber auch: Vielerorts muss Reha erst noch Maßstäbe
und Parameter entwickeln, an denen entlang sich ihr konkreter Nutzen messen lässt.
Zugleich wird es eben nur mit mehr Nutzenbelegen gelingen, Reha wirklich zu der Rolle
im Gesundheitswesen zu verhelfen, die der Gesetzgeber für sie vorgesehen hat.
Der verankerte Reha im Jahr 2001 nicht nur im neu geschaffenen Sozialgesetzbuch IX,
sondern gleich auch noch in weiteren Büchern des verästelten Sozialgesetzes. Seither
gilt, in zwei Leitsätzen zusammengefasst:
-
Reha vor Rente und
-
Reha vor Pflege (im Detail beides nachzulesen in §8 des SGBIX).
Konkret heißt das zum Beispiel: Bevor jemand vorzeitig wegen Krankheit aus dem Arbeitsleben
ausscheiden muss, gilt es mittels Reha alles zu versuchen, ihn doch noch länger im
Job zu halten. Und wenn jemand dank einer Reha-Maßnahme von der Pflegestufe 2 wieder
in die Stufe 1 käme, dann hätte Reha ebenfalls ihre Aufgabe erfüllt. Angesichts der
demographischen Entwicklung befürworten viele Experten einen Ausbau von Reha. Dann,
wenn Akutmedizin nicht mehr weiter helfen kann, soll Reha helfen, mit chronischen
Schmerzen bestmöglich umzugehen, mit einer Herzschwäche, einem Diabetes und womöglich
obendrein auch noch einem Kunstgelenk bestmöglich zu leben.
Enorm verwirrend bleibt bis heute das Geflecht aus unterschiedlichen Zuständigkeiten
verschiedener Leistungsträger – wer zahlt? – und Leistungserbringern – wer macht die
Reha mit dem Patienten?
Träger sind Renten- und Krankenversicherung, unter Umständen auch Berufsgenossenschaft,
Unfallversicherung und die Arbeitsagentur.
Reha im eigentlichen Sinne ist vor allem Sache von Rentenversicherung und GKV. Die
Rentenversicherung muss grob gesagt, immer dann ran, wenn es gilt, Menschen im Erwerbsleben
zu halten. Sonst ist oft die Krankenkasse zuständig. Zum Beispiel auch für jene Mutter-
oder Vater-Kind-Kuren, für die Anfang Februar 2012 neue Richtlinien für die Begutachtung
verabschiedet worden sind. Vor allem das Müttergenesungswerk hatte den Kassen Willkür
bei der Vergabe vorgeworfen.
Nicht nur dieser Streit zeigt: Die Beurteilungsinstrumente dafür, wer wann welche
Reha braucht, sind alles andere als präzise und unumstritten. Seit Jahren schon tüfteln
daher manche Arbeitsgruppen an neuen Assessment-Verfahren, mit denen sie genau ermitteln
wollen, welche Reha nun wer braucht. Von objektivierbaren Diagnosen ist die Rehabilitationswissenschaft
allerdings nach wie vor ein gutes Stück weit weg. Ja, manch Experte bezweifelt, dass
sie für Rehabilitation immer und überall möglich sind (siehe auch das Interview Spyra,
und das Interview Greitemann).
Die Verwirrung pflanzt sich fort bei einer enorm vielfältigen Begrifflichkeit für
verschiedene Formen von Reha. Da wäre die so genannte Medizinische Rehabilitation
– im Kern sind es Leistungen, um Menschen mit und nach Krankheit wieder möglichst
fit zu kriegen. 80 % aller Medizinischen Rehabilitationen bei der GKV, 20 % bei der
Rentenversicherung, sind so genannte Anschlussrehabilitationen, die sich binnen 14
Tagen nach Entlassung an einen Krankenhausaufenthalt anschließen.
Im Detail ist die Zahl an Schulen und Techniken oft kaum überschaubar. Allein für
Patienten mit "unspezifischen" Rückenschmerzen gibt es stationäre oder ambulante Reha,
nach den verschiedensten Modellen und Philosophien, je nach Klinik mit psychosomatischem,
mit somatischem Schwerpunkt, mit oder ohne anschließende Nachbetreuung.
Davon abzugrenzen sind Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA), früher auch
berufliche Rehabilitation genannt. Dazu zählt etwa eine Umschulung, wenn ein Bademeister
ob unheilbarer Hauterkrankung nicht mehr in seinem Beruf bleiben kann. Medizinische
Reha und LTA voneinander zu trennen, entpuppt sich in der Praxis aber zunehmend als
unsinnig. In vielen Modellprojekten erprobt vor allem die Deutsche Rentenversicherung
(DRV) heute die Kombi von Medizinischer Reha, die bewusst auch die Arbeitssituation
eines Betroffenen in den Blick nimmt (siehe auch das Interview Bernhard Greitemann).
Geldfluss als Geheimnis
Insgesamt ist Reha einer der kleineren Posten im Gesundheitswesen. Auf 8 Milliarden
Euro schätzt ein vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI)
letztes Jahr präsentiertes "Faktenbuch Medizinische Rehabilitation 2011" die Ausgaben
für Medizinische Reha und Vorsorge hierzulande – für das Jahr 2008. Das waren etwas
über 3 % aller Ausgaben im Gesundheitswesen in jenem Jahr. 39 % davon berappte die
Deutsche Rentenversicherung, 33 % die GKV. Wie dieses Geld zu den Leistungsträgern
gelangt, bleibt allerdings meist streng gehütetes Geheimnis.
An die 1.240 Reha- und Vorsorgeeinrichtungen legten im Jahr 2009 etwa zwei Millionen
Reha-Patienten in rund 171.500 Betten. Der "Eckrehabilitand", so heißt der Durchschnittspatient
im Fachjargon, brachte es damit in jenem Jahr auf 25,5 Tage Verweildauer.
Doch abgerechnet wird höchst vielfältig. Anders als in den Krankenhäusern mit ihrem
weitgehend einheitlichen DRG-System, führt in der Reha jedes Haus und jede ambulante
Einrichtung quasi eigene Tarifverhandlungen mit Kassen und Rentenversicherungen. Eine
repräsentative Statistik dazu, wie Träger mit den Leistungserbringern in Deutschland
abrechnen, gibt es nicht.
Die Kliniken stöhnen unter der Last dieses Abrechnungswesens. "Wir kriegen je nach
Träger unterschiedliche Tagessätze oder Fallpauschalen. Die konkreten Einnahmen hängen
dann ganz davon ab, welche Verweildauer außerdem für welche Patientengruppen vereinbart
ist, ob es Ausnahmen für besonders schwer betroffene Patienten gibt oder nicht, und
so weiter", erläutert Bernd Kladny. Nein, zufrieden mit dieser Situation, ist der
Klinikchef ganz und gar nicht. Durchaus übliche Tagessätze von 120 Euro, die sie offenbar
für viele Patienten kriegen, verwundern zusätzlich – so viel zahlt man schnell allein
für Übernachtung und Frühstück in einem Mittelklassehotel. Reha-Kliniken üben sich
in einer Mischkalkulation. Manch (vergleichsweise kostengünstiger) "orthopädischer
Patient", trage so dazu bei, die höheren Ausgaben für schwerer Verletzte aufzufangen
– ist da schon mal hinter vorgehaltener Hand zu hören.
Steigender Aufwand in Reha-Kliniken
Steigender Aufwand in Reha-Kliniken
Obendrein laufen den Häusern seit einigen Jahren die Kosten davon. Dahinter stecken
mehrere Faktoren:
1. Kränkere Patienten
Zumindest eine von wenigen großen Studien der Begleitforschung zur Einführung des
Fallpauschalensystems in hiesigen Krankenhäusern hat belegt, dass Reha-Kliniken im
Durchschnitt heute mehr Aufwand betreiben müssen, um Patienten wieder fit zu kriegen,
die sie aus dem Krankenhaus bekommen. Die Redia-Studie hat zwischen 2003 und 2009
in Reha-Kliniken anhand der Daten zu 2 290 orthopädischen und kardiologischen Patienten
untersucht, welche Folgen die Einführung des DRG-Systems im Jahr 2004 auf die Versorgungslandschaft
hatte. Ein Fazit: Sowohl im Krankenhaus als auch bei der Rehabilitation haben sich
die Verweildauern verkürzt. Ein zweites: Nach der Reha ist der gesundheitliche Zustand
der Patienten vor wie nach DRG-Einführung in etwa gleich geblieben. Doch kommen etliche
Betroffene in der Reha-Klinik zunächst in schlechterem Gesundheitszustand an. Entzündungen,
erkennbar an deutlich erhöhten CRP-Werten, Wundheilungsstörungen und Hämatome haben
zugenommen, OP-Nähte sind häufiger in schlechterem Zustand. Parallel dazu hat der
Aufwand zugenommen, den Reha-Kliniken betreiben, um ihre Patienten wieder fit zu kriegen.
Dass es trotzdem wenig Murren von Reha-Kliniken gibt, erklären Insider damit, dass
man "mit ganz schlechter Verhandlungsposition am Ende der Kette" stecke. Wer zum Beispiel
versuche, Akutkliniken auf schlechte Wundversorgung hinzuweisen, riskiere, von dort
schlicht keine Reha-Patienten mehr zugewiesen zu bekommen. Für ein Aufbegehren sei
die Verhandlungsposition zu schwach. Und namentlich zitieren jetzt bitte auf keinen
Fall!
2. Verschiebungen bei Diagnosen
Parallel steigt der Anteil psychischer Erkrankungen, deren Rehabilitation vergleichsweise
teuer ist, seit einigen Jahren deutlich an. Zwar führten auch 2009 noch orthopädische
Erkrankungen die Liste der Reha-Diagnosen mit 38 % an. Gefolgt von Krebs (18 %), psychischen
Diagnosen (13 %) und Herz-Kreislauf (9 %; Abb. [
1
]).
Abb. 1 Krankheitsspektrum in der medizinischen Rehabilitation Erwachsener* (ambulant und
sta-tionär) 1995 und 2009.
Vor allem Krebs und psychische Erkrankungen steigen aber seit Jahren an, während die
"orthopädischen" Diagnosen sinken. Das macht Reha ebenfalls teurer: Im Durchschnitt
berappte die Rentenversicherung 2009 2 500 Euro je Medizinischer Rehabilitation für
eine körperliche Erkrankung, bei psychischen und Sucht-Erkrankungen waren es hingegen
6 241 Euro.
Der Deckel soll weg
Mehr Geld ist vor allem bei der Rentenversicherung derzeit allerdings kaum zu kriegen.
Denn schon seit 1997 gilt für die den wichtigsten Träger Medizinischer Reha, die Deutsche
Rentenversicherung, eine Obergrenze bei den Ausgaben. Errechnet wird dies rein nach
Formel gemäß der Anzahl von Beitragszahlern und der Entwicklung der Löhne- und Bruttogehälter
im Bundesgebiet. Mit 5,38 Milliarden Ausgaben war der Deckel bei der DRV in 2010 erreicht,
2011 dito.
"Der Deckel hält nicht mehr" avancierte flugs zum Titel einer im Jahr 2011 erstellten
Prognos-Studie. Tenor: Reha nützt dem Einzelnen und der Gesellschaft und braucht mehr
Geld. Entweder durch viel stärkere Zuwachsraten für das derzeitige Reha-Budget bei
der Rentenversicherung oder gleich durch eine saftige Anhebung auf 8,5 Milliarden
Euro. "Eine Milliarde mehr" fordert auch die Deutsche Gesellschaft für Medizinische
Rehabilitation. "Der Deckel muss weg" trompeten Privatkliniken, Rentenversicherung
und etliche Politiker von CDU/CSU bis "Die Linke".
Einsparmöglichkeiten bieten neue Ansätze zur Flexibilisierung. Eine ambulante Reha
ist in der Regel deutlich günstiger als eine stationäre. Allein schon aus Kostengründen
sehen viele Experten daher den Anteil ambulanter Reha weiter steigen, derzeit liegt
er bei der Rentenversicherung bei 11 % aller Rehamaßnahmen. Und die Qualität muss
dabei nicht geringer sein: Ambulante muskuloskeletale Rehabilitation sei nach Evaluation
der DRV-Bund in einigen Leistungsbereichen der stationären Reha sogar überlegen, meint
Dr. Friedel Hartmann vom MVZ in Teltow. "Deshalb ist hier ambulant vor stationär ein
sinnvolles Prinzip."
Kann Reha liefern?
Die alles entscheidende Frage aber bleibt: Kann Reha überhaupt liefern? Was spricht
dafür, dass mehr Geld für Reha tatsächlich helfen kann, Menschen länger im Arbeitsleben
zu halten, oder Pflegebedürftigkeit zu verringern?
Nach einem breit zitierten "Amortisationsmodell – medizinische Rehabilitation" der
Deutschen Rentenversicherung, rechnet sich Rehabilitation dann, wenn sie einen Arbeitnehmer
wieder für mindestens weitere vier Monate im Arbeitsleben hält.Die DRV legt auch Zahlen
vor, nach denen 24 Monate nach einer Reha noch 85 % der Teilnehmer im Erwerbsleben
seien. Das zeige "den Erfolg der medizinischen Rehabilitation, wenn man bedenkt, dass
vor der Rehabilitation eine erheblich gefährdete oder sogar bereits geminderte Erwerbsfähigkeit
vorlag", erklärt die Versicherung im Jahresbericht 2011 (Abb. [
2
] u. [
3
]).
Abb. 2 Sozialmedizinischer 2-Jahres-Verlaug nach medizinischer Rehabilitation in 2006 (pflichtversicherte
Rehabilitanden).
Abb. 3 Sozialmedizinischer 2-Jahres-Verlaug nach medizinischer Rehabilitation in 2006 für
verschiedene Diagnosegruppen (pflichtversicherte Rehabilitanden).
Doch stützen sich solche Zahlen meist auf reine Vor-Reha gegen Nach-Reha-Abschätzungen
anhand verschiedener Kohortengruppen. In die Königsklasse der Kategorien der Evidenzbasierten
Medizin schaffen es bislang nur wenige Ansätze, die eben in echten randomisierten
Studien mit Vergleichsgruppen erprobt worden sind.
Rückenschmerzen
Exemplarisch sichtbar wird dies beim Thema Rückenschmerzen. Am Stichwort multimodal
kommt hier in der Reha heute keiner mehr vorbei. Will sagen: Viele Disziplinen, vom
Psychologen bis zum Physiotherapeuten müssen sich zusammen kümmern, um eine Chronifizierung
bei "unspezifischen" Beschwerden zu vermeiden, oder zumindest in den Griff zu kriegen.
Als Ziele gelten: Raus aus dem Bett, Aktivität, wenn keine Schmerzfreiheit zu erzielen
ist, dann selbstbestimmter Umgang mit Schmerzen und Schmerzbewältigung.
Immerhin sechs herausragende Programme, die hierzulande Mindestqualitätskriterien
erfüllen, identifiziert ein Übersichtsartikel einer Gruppe um Matthias Morfeld von
der Hochschule Magdeburg-Stendal aus dem Jahr 2010. Alle haben zumindest ein schriftliches
Manual, geben klare Ziele vor und setzen "aktivierende" Methoden ein. Das älteste
und quasi der Klassiker ist das Göttinger Rücken-Intensiv-Programm (GRIP) von 1990.
Und dennoch lautet das Fazit des Übersichtsartikels: Evaluationen der Programm stützen
sich kaum auf echte Vergleiche einer Kontroll- gegen eine Interventionsgruppe. Obendrein
sei ein Vergleich der Programme untereinander kaum möglich, da es kaum einheitliche
Untersuchungsdesigns gibt.
Bis heute zeigen viele Powerpointpräsentationen auf Fachsymposien auch ein Zitat aus
der Arbeitsgruppe um Prof. Heiner Raspe vom Institut für Sozialmedizin des Universitätsklinikum
Schleswig Holstein in Lübeck. "Völlig überzeugende Evidenz für den Nutzen einer stationären
Reha bei chronischen Rückenschmerzen steht heute aus deutschen Studien nicht zur Verfügung",
erklärten Angelika Hüppe und Heiner Raspe 2003 nach einer Metaanalyse. Die methodische
Qualität hiesiger Studien sei von wenigen Ausnahmen abgesehen zu gering. Das Grundproblem
bleibe vor allem die unbefriedigende Nachhaltigkeit von Reha, so ein "Update" zu dieser
Studie aus dem Jahr 2005. Um die zu steigern setzt man in Lübeck heute auf das Nachsorgeprogramm,
das "Neue Credo", das Patienten auch nach Entlassung aus der Reha helfen soll, Übungen
fleißig fortzusetzen und Schulungen zu besuchen. Fazit einer mittlerweile vorliegenden
Nachauswertung: Wer derart betreut wird, gibt noch ein Jahr nach Ende der eigentlichen
Reha-Maßnahme eine günstigere Selbsteinschätzung ab, auch auf Dauer im Beruf bleiben
zu können und geht signifikant häufiger zum Sport als eine Gruppe ohne entsprechende
Nachsorge.
Es ist längst nicht das einzige derartige Programm. Mit der Intensivierte(n) Rehabilitationsnachsorge,
IRENA, offeriert die Deutsche Rentenversicherung heute auch für orthopädische Rehapatienten
eine Möglichkeit der Nachsorge. Die Akzeptanz in der Fachwelt ist hoch, doch längst
nicht alle Kliniken machen mit. Eine Gruppe um Prof. Wilfried Mau von der Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg checkte dafür unlängst die Daten aller IRENA-Teilnehmer aus dem Jahr
2007. Fazit: Im Bereich der Orthopädie kamen fast 42 % der IRENA-Teilnehmer aus 10
% der Kliniken, die für die DRV Bund arbeiten. Etliche Häuser boten keine Nachsorge
an. Keine Frage: Auch Reha stößt beim Thema Nachsorge an eine Schnittstellenproblematik
des ganzen Gesundheitswesens (siehe dazu auch das Interview Kladny).
Kaum Langzeitdaten
Rar sind und bleiben derweil echte Langzeitdaten. Einer der zentralen Parameter bleibt
dabei die Frage, wie lange jemand nach Reha weiter in seinem Job bleiben kann.
So findet eine von der DAK finanzierte Studie von Prof. Jürgen Freiwald von der Bergischen
Universität Wuppertal und Dr. Karsten Witte von der Novotergum AG gute Vorher-Nachher-Effekte
noch ein Jahr nach einer einjährigen Reha mit 39 Trainingseinheiten. Grundlagen der
von Novotergum vertriebenen Physiotherapie sind Konzepte, wie sie in der Nationalen
Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz festgezurrt worden sind. Die Tage mit Rückenschmerzen
wie auch von Arbeitsunfähigkeit waren bei Teilnehmern, verglichen mit Daten vor der
Reha, signifikant gesunken. Eine Vergleichsgruppe, die eine andere Reha erhält, hatte
auch diese Studie aber nicht.
IOPKO
Eine der hierzulande raren Vergleichsstudien zur Reha von Rückenschmerzen wurde 2006
zum so genannten IOPKO-Konzept veröffentlicht. Entwickelt ist dieses Programm von
einer Gruppe um Bernhard Greitemann an der Klinik Münsterland in Bad Rothenfelde.
Die Autoren vergleichen in ihrer Studie die Ergebnisse einer intensivierten IOPKO-Reha
mit einem "traditionellen" Programm an jeweils 307 und 176 Patienten bis zu zehn Monate
nach Ende der Reha. Zu dem Zeitpunkt hatten sich Parameter wie Einschränkungen der
Funktion, Schmerzen, und psychische Belastungen bei den Mitgliedern der Interventionsgruppe
stärker reduziert als in der Vergleichsgruppe. Die Autoren sprechen von "moderaten
bis starken" Effekten. Die Zahl der Krankheitstage war in der Interventionsgruppe
um 75 % auf 2,5 Tage, in der Kontrollgruppe um 59 % auf 4,4 Tage gesunken. Insgesamt
aber war die Zahl der Erwerbstätigen zehn Monate nach Ende der Reha von vorher 86
% auf 66 % gesunken. Und hier gab es zwischen beiden Gruppen in der Studie keine signifikanten
Unterschiede. Auch Greitemann betont im ZFOU-Interview die methodischen Probleme der
Rehaforschung, die oft erst einmal nach den Kriterien von Evidenz fahnden muss (siehe
das Interview Greitemann)
Problem der Methoden
Die Experten sind sich in vielem nicht einig, was man überhaupt sinnvollerweise messen
soll. Ein zentraler Parameter wie die Dauer der Zeit, die jemand nach Reha wieder
arbeiten kann, wird längst nicht von allen Wissenschaftlern als präzise und sinnvoll
angesehen. Zu sehr könnten Arbeitsmarkteffekte dabei auch mögliche Erfolge von Reha
binnen kürzester Zeit überlagern (siehe die Interviews Spyra und Greitemann). Mehr
noch: Auch die fachliche Diskussion darüber, wer nun welche Reha braucht, ist in vielem
noch offen.
Dabei hat die 2001 von der UN verabschiedete International Classification of Functioning,
Disability and Health (ICF) überhaupt erstmals ein Klassifikationsfundament für Reha
gelegt.
Manche Ärzte schrieben möglichst viele schwere Diagnosen auf einen Reha-Antrag, wundert
sich Bernd Kladny – dies in der irrigen Annahme, so den Medizinischen Dienst der Kasse
eher zu überzeugen. Dabei spielten die Diagnosen nach ICD nur eine untergeordnete
Rolle. Vielmehr stellt die ICF Einschränkungen von Funktionen und der Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben in den Mittelpunkt. Wenn, dann gilt noch eher die Devise:
Je mehr beides in Mitleidenschaft gezogen wird, desto größer wird auch die Notwendigkeit
und der Anspruch auf Rehabilitation.
Für den praktischen Einsatz gibt eine ICF Research Branch Deutschland mittlerweile
sogar Core Sets heraus (http://www.icf-research-branch.org/about-us/our-mission.html). Für eine wirklich feinjustierte Bestimmung, welche Reha welcher Patient braucht,
reicht die ICF derzeit aber nach Ansicht vieler Experten nicht.
RMK als genaueres Assessment
RMK als genaueres Assessment
So erheben die ICF bislang gar keine Persönlichkeitsfaktoren. Dabei ist das Wie jemand
etwa mit Rückenschmerzen umgeht oft besonders entscheidend für den weiteren Verlauf
in Richtung Chronifizierung oder eben nicht. Einige Gruppen tüfteln bereits an so
genannten "Personenbezogenen Faktoren" der ICF. "In der Praxis fehlen uns aber nach
wie vor oft die Instrumente, um individuell genauer einzuschätzen, welchen Rehabedarf
ein Patient nun hat", erklärt Dr. Karla Spyra von der Berliner Charité.
Ihre Gruppe hat dafür seit 1997 so genannte Rehabilitanden-Management-Kategorien (RMK)
entwickelt. Hinter dem sperrigen Titel stecken derzeit zwei umfangreiche Fragebögen.
Einer für Patienten mit Rückenschmerzen oder Gelenksproblemen, ein zweiter für Suchtpatienten,
auszufüllen in etwa 15 Minuten. RMK ist am Ende eine Kombination aus über einem Dutzend
internationalen Scores, von Harris Hip Score, Barthel-Index bis zur Hospital Anxiety
and Depression Scale, HADS. Am Ende teilt RMK Rückenschmerzenpatienten in vier, Hüft-
und Knie-Rehabilitanden in zwei verschiedene Bedarfsgruppen ein (siehe auch das Interview
Spyra).
Die RMK sollen auch Auskunft geben über feinere emotionale und kognitive Beeinträchtigungen
– in der Praxis könnte das zum Beispiel dem Kliniker just jene Warnzeichen liefern,
wenn ein Rückenschmerzpatient über mangelnde Coping-Strategien verfügt. Erste Versuche,
damit auch den Behandlungsbedarf für jede Bedarfsgruppe konkret auf Stunden und Minuten
zu berechnen laufen. Im Routineeinsatz ist der Bogen in der orthopädischen Reha bislang
nicht.
Therapiestandards der Deutschen Rentenversicherung
Therapiestandards der Deutschen Rentenversicherung
Noch sind Standards überhaupt ziemliches Neuland. Reha-Einrichtungen müssen jetzt
bis September 2012 erstmals eine Zertifizierung für ein internes Qualitätsmanagement
nachweisen.
Noch wichtiger ist die externe Qualitätssicherung. Eine Stabsstelle bei der Deutschen
Rentenversicherung checkt dabei stichprobenweise Jahr um Jahr Haus um Haus. Alle Kliniken
müssen dafür anonymisiert Diagnosen und erbrachte Leistungen dokumentieren. Entlassungsberichte
werden von ausgewählten Ärzten direkt überprüft und bewertet. Hinzu kommen Befragungen
von Rehabilitandinnen. Das Ergebnis dieses BQR-Verfahrens (Bewertung der Qualität
von Reha-Einrichtungen) wird den Kliniken zurückgespiegelt.
Die Prüfer checken vor allem, ob eine Klinik die DRV-eigenen Therapiestandards umsetzt.
Im Bereich der Orthopädie liegen diese Standards bereits für Rückenschmerzen und für
Patienten mit Knie- und Hüftendoprothesen vor. Es sind Mindestanforderungen und sie
bleiben auf einer Meta-Ebene. So fordert zum Beispiel das "Evidenzbasierte Therapiemodul"
(ETM 3) bei Rückenschmerz-Reha Massagen bei mindestens 30 % der Rehabilitanden in
einer Reha-Klinik. Und zwar mit einer Mindestdauer von 120 Minuten pro Patient und
Reha-Maßnahme. ETM 8 fordert Kurse zur Schmerzbewältigung für mindestens jeden zweiten
Patienten mit einer Mindestdauer von 200 Minuten.
Diese Standards sind ein enormer Fortschritt. "Gott sei dank" betont Prof. Bernd Greitemann,
gebe es damit eine verbindliche Arbeitsgrundlage für alle Häuser, die außerdem evidenzbasiert
sei, da die Kataloge anhand von Literaturanalysen und in zahlreichen Abstimmungen
mit Experten erarbeitet wurden. Und doch, so Greitemann, trügen auch diese Standards
noch das Problem, dass die Details zum Bedarf in den einzelnen Therapiemodulen von
Experten nur geschätzt werden konnten.
Damit geht die Diskussion munter in die nächste Runde. Beispiel Reha von Hüft- und
Knie-TEP. Die DRV setzt hier im Therapiestandard Hüft- und Knie-TEP 240 Minuten an
Physikalischer Therapie an (im ETM 3, zu erbringen mindestens sechs mal pro Reha und
mindestens jedem zweiten Patienten). Dr. Achim Peters, Ärztlicher Leiter an der Schwarzwaldklinik
Orthopädie in Bad Krozingen wirbt hingegen für eine Differenzierung je nach Schweregrad:
"Gleiche Standards für alle, das können wir nicht machen." Nötig sei vielmehr eine
feinere Einteilung und Behandlung der Rehapatienten. Die Daten für diese These liefert
ihm eine retrospektive Kohortenstudie, die 1 165 Patienten nach Hüft-Tep anhand des
Harris Hip Score in zwei verschiedene Schweregradgruppen einteilte. Ergebnis eins:
Die Effekte durch eine physikalische Therapie (das sind Thermo-, Hydro-, Elektrotherapie,
sowie Massagen oder Lymphdrainage) waren in der Gruppe mit dem höheren Schweregrad
am besten. Ergebnis zwei: Diese Gruppe braucht allerdings auch mehr davon, gut 330
Minuten Physikalische Therapie je Reha. "80 % der Patienten teilen wir diesen beiden
Schweregradgruppen zu", berichtet Peters. Weitere 20 % brauchen seiner Ansicht nach
sogar eine komplett individuelle, "handverlesene Therapieverordnung", da sie in kein
Schema passen.
Keine Frage: Es sind noch einige Studien nötig, bis sich diese Fragen wirklich klären
lassen.
BE