ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2012; 121(03): 112-113
DOI: 10.1055/s-0032-1310374
Colloquium
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Relevanz von Abrasionen/Zähneputzen bei Erosionen – Anforderungen an eine passende Zahnpasta

J. von Hinckeldey
,
A. Tolle
,
J. Schlüter
,
C. Ganss
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Korrespondenzadresse

Judith von Hinckeldey
Poliklinik für Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde des Medizinischen Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Justus-Liebig-Universität Giessen
Schlangenzahl 14
35392 Giessen

Publication History

Publication Date:
31 March 2012 (online)

 

Dentale Erosionen entstehen durch die direkte Einwirkung von Säuren auf Zahnoberflächen ohne Beteiligung von Mikroorganismen (Abb. [ 1 ] ). Durch die chronische Säureexposition kommt es zu einem Mineralverlust, der von außen nach innen fortschreitet. Bei initialen kariösen Läsionen ist die Zone des größten Mineralverlustes unterhalb einer pseudointakten Oberflächenschicht lokalisiert. Durch diese strukturellen Gegebenheiten ist eine Remineralisation einer solchen Läsion prinzipiell möglich. Auf der erosiv veränderten Zahnoberfläche sind dagegen zwar mineralische Präzipitationen denkbar, Remineralisationsprozesse im eigentlichen Sinne finden jedoch nicht statt. Oberflächlich verbleibt lediglich eine teilweise demineralisierte Schicht (Abb. [ 2 ] ), mit verringerter Mikrohärte [ 1 ] . Die erodierte Zahnhartsubstanz ist somit weniger widerstandsfähig gegenüber mechanisch verursachten Substanzverlusten (Abrasion) als die nicht erosiv veränderte Zahnhartsubstanz.

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Abb. 1 Klinisches Erscheinungsbild von Erosionen. Der Defekt ist in der Ausdehnung breiter als tief, muldenförmig und matt. Typisch ist der intakte Schmelzrand entlang der Gingiva.
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Abb. 2 Histologisches Bild von erodiertem Schmelz. Die ultrastrukturellen Veränderungen sind mit dem klassischen Ätzmuster vergleichbar und gehen mit einer verminderten Oberflächenhärte einher [ 19 ].

Die Basisversorgung mit Fluoriden zur Kariesprophylaxe erfolgt in Deutschland über fluoridhaltige Zahnpasten. Auch zur Erosionsprophylaxe ist die Zahnpastenfluoridierung bei moderaten alltäglichen Säureeinflüssen sicherlich meist ausreichend. Dennoch treten beispielsweise bei Personen mit vermehrten Säureexpositionen trotz dieser Basisversorgung klinisch manifeste Erosionen auf. Es stellt sich daher die Frage, welche Anforderungen an Zahnpasten für diese Personengruppe gestellt werden müssen.

Die Eigenschaften von Zahnpasten lassen sich unter anderem durch die Abrasivität sowie durch die enthaltenen Wirkstoffe unterscheiden.

Die Abrasivität einer Zahnpaste auf gesundem Schmelz wird durch den REA-Wert beschrieben, der RDA-Wert ist ein Maß für die Abrasivität einer Zahnpaste auf gesundem Dentin. Beide korrelieren allerdings nicht miteinander und es ist unklar, inwieweit diese Werte für die Abrasivität auf erosiv veränderten Zahnhartsubstanzen sowohl unter Laborbedingungen als auch unter klinischen Bedingungen relevant sind. In einem Laborversuch zeigte sich, dass der erosiv-abrasive Substanzverlust im Schmelz durch den Zusatz von Abrasiva zu Zahnpasten zwar prinzipiell erhöht wird. Jedoch zeigten sich keine eindeutigen Unterschiede zwischen Zahnpasten mit mittlerem und hohem REA-Wert [ 2 ] beziehungsweise für fluoridfreie Zahnpasten unterschiedlicher Abrasivität [ 3 ]. Dentin hat insgesamt eine geringere Mikrohärte als Schmelz und ist somit grundsätzlich anfälliger für Abrasionen. In verschiedenen Studien zeigte sich für Dentin so auch ein Zusammenhang zwischen der Abrasivität der untersuchten Zahnpasten und der Höhe eines erosiv-abrasiv bedingten Substanzverlustes [ 4 ], [ 5 ]. Daher sollte Patienten mit manifesten Erosionen mit freiliegendem Dentin von der Verwendung einer hochabrasiven Zahnpaste abgeraten werden.

Neben Abrasiva enthalten Zahnpasten verschiedene Wirkstoffe, die unterschiedliche Effekte zeigen können. Herkömmliche fluoridhaltige Zahnpasten führen auf der Zahnoberfläche zu einer Ausfällung von CaF2–ähnlichen Präzipitaten [ 6 ], [ 7 ]. Diese Auflagerungen sind unter erosiven Bedingungen relativ leicht säurelöslich und bieten nur bedingt Schutz vor erosiven Säureeinwirkungen [ 8 ], [ 9 ]. Eine zentrale Anforderung an eine geeignete antierosive Zahnpaste wäre daher, Beschichtungen auf der Zahnoberfläche zu etablieren, die unter erosiven und abrasiven Bedingungen stabiler als die CaF2-ähnlichen Präzipitate sind. Das könnte zum einen durch andere, säureresistentere mineralische Präzipitate, aber beispielsweise auch durch Biopolymere erzielt werden.

Nach der Applikation von zinnhaltigen Mundhygieneprodukten können zinnreiche mineralische Niederschläge in Form von komplexen Zinn-Phosphat-Verbindungen auf der Zahnoberfläche nachgewiesen werden [ 9 ], [ 10 ]. Diese sind deutlich weniger säurelöslich als CaF2-ähnliche Präzipitate [ 11 ]. Durch wiederholte Säureexpositionen kommt es zusätzlich durch komplexen Demineralisations- und Repräzipitationsvorgängen zur Einlagerung von schwer löslichen, zinnhaltigen Verbindungen in die äußeren Schichten der Zahnhartsubstanz [ 10 ]. Für zinn- und fluoridhaltige Mundspüllösungen konnte daher eine den konventionellen Fluoriden überlegene Effektivität sowohl unter Labor- als auch unter Mundbedingungen nachgewiesen werden. Aber auch für Zahnpasten wurde eine im Vergleich zu einer konventionellen Fluoridzahnpaste bessere antierosive Wirksamkeit eines zinnfluoridhaltigen Testproduktes gezeigt [ 12 ], [ 13 ].

Einige Zahnpasten enthalten als Wirkstoff nanokristalline Formen von Hydroxylapatit. Diese sollen zu Präzipitaten und Remineralisationsprozessen auf der erodierten Zahnoberfläche führen und eine Reparatur der Zahnhartsubstanz erreichen. Hydroxylapatitpräzipitate sind allerdings bekanntermaßen unter sauren Bedingungen gut löslich. Zusätzlich gibt es keine Hinweise darauf, dass die nanokristallinen Formen in dieser Hinsicht andere Eigenschaften aufweisen. Deshalb ist ein nennenswerter erosionsprotektiver Effekt von Zahnpasten mit solchen Zusätzen unwahrscheinlich [ 14 ].

Die Erosivität von Säuren kann durch den Zusatz von Biopolymeren gesenkt werden [ 15 ], [ 16 ], daher könnte die Anwendung von Biopolymeren in Zahnpasten ebenfalls eine Option zur Erhöhung der erosionsprotektiven Wirksamkeit darstellen. Erste Versuche zeigten, dass möglicherweise ein protektiver Film auf der Zahnoberfläche entsteht und somit die erosive Demineralisation [ 15 ] sowie die Reduktion der Mikrohärte verringert wird [ 16 ].

In der letzten Zeit wurden verschiedene Zahnpasten auf den Markt gebracht, die von den Herstellern aufgrund spezieller Inhaltsstoffe oder höherer Bioverfügbarkeit von Fluorid als besonders effektiv gegen Erosionen/Abrasionen ausgewiesen werden. In einem Laborversuch wurde die Wirksamkeit von einigen dieser speziellen, zum Teil fluoridfreien Zahnpasten mit der von herkömmlichen NaF-haltigen Pasten verglichen. Es konnte gezeigt werden, dass durch ein Putzen mit den NaF-haltigen Zahnpasten auf erodierten Zahnoberflächen der Substanzverlust zumindest nicht erhöht wird. Die speziellen Zahnpasten mit Fluorid waren den konventionellen Fluoridzahnpasten allerdings nicht überlegen. Die fluoridfreien Produkte mit nanokristallinem Hydroxylapatit als Wirkstoff zeigten sogar einen höheren Substanzverlust. In diesem Versuch wurden ebenfalls zinn- und fluoridhaltige Produkte untersucht. Verglichen mit den fluoridhaltigen Zahnpasten ergab sich nur für einige dieser Produkte eine bessere Wirksamkeit [ 17 ], [ 18 ].

Zahnpasten mit spezieller antierosiver Wirkung könnten somit für Personen, die häufig erosive Getränke oder Nahrungsmittel konsumieren, aber auch für Personen, die bereits leichte Erosionen haben, grundsätzlich als Präventionsmaßnahme dienen. Insgesamt zeigt sich aber, dass die derzeit auf dem Markt befindlichen Zahnpasten mit der Indikation zur Erosionsprophylaxe den herkömmlichen Zahnpasten nicht überlegen sind. Daher wäre eine Produktentwicklung vielversprechend, die die protektiven Eigenschaften von Fluoridzahnpasten mit denen von beispielsweise Zinn als derzeit bestem antierosiven Wirkstoff sowie einem Biopolymer verbindet und somit einen verbesserten erosionsprophylaktischen Effekt aufweist.


Erstveröffentlichung in: Prophylaxedialog. Zeitschrift für Oralprävention in der Praxis. Ausgabe 2010, S. 18–20 (Mit freundlicher Genehmigung der GABA GmbH, Lörrach)



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Judith von Hinckeldey
Poliklinik für Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde des Medizinischen Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Justus-Liebig-Universität Giessen
Schlangenzahl 14
35392 Giessen


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Abb. 1 Klinisches Erscheinungsbild von Erosionen. Der Defekt ist in der Ausdehnung breiter als tief, muldenförmig und matt. Typisch ist der intakte Schmelzrand entlang der Gingiva.
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Abb. 2 Histologisches Bild von erodiertem Schmelz. Die ultrastrukturellen Veränderungen sind mit dem klassischen Ätzmuster vergleichbar und gehen mit einer verminderten Oberflächenhärte einher [ 19 ].