Anamnese
Ein weibliches, eutrophes, reifes Neugeborenes der 40 + 3 SSW, APGAR 9-9-10, wird am 5. Lebenstag mit seit der Geburt bestehenden, lividen, netzförmig verteilten Hautveränderungen an den unteren Extremitäten, am Rumpf, den Armen sowie am Hals und mandibulär vorgestellt. Schwangerschaftsverlauf und Geburtsanamnese sind unauffällig. Weder beim Neugeborenen noch bei der Mutter bestehen Zeichen für eine Infektion oder Systemerkrankungen.
Erstbefund
5 Tage altes neugeborenes Mädchen in gutem Allgemeinzustand. Geburtsgewicht 3820 g (75. – 90. Perzentile), Länge: 51,5 cm (25. – 50. Perzentile), Kopfumfang 35,5 cm (50. – 75. Perzentile). Fontanelle 1,5 × 1,5 cm nicht gespannt im Niveau. Bei der klinischen Untersuchung imponiert eine violett-rötliche, netzförmig angeordnete, grobmaschige, nicht vollständig wegdrückbare Livedo mit Betonung der unteren Extremitäten (li > re) ([Abb. 1] und [Abb. 2]), welche sich lumbal, an den Flanken, den Armen re > li sowie am Hals und perimandibulär in leichterer Ausprägung fortsetzt. An Stellen dunkel-livider Makulae (Knie li) finden sich lokalisierte Einziehungen atropher Haut mit Hypotrophie des darunterliegenden Fettgewebes ([
Abb. 2
]). Es besteht eine leichte Umfangsverminderung des linken Beins. Andere Hautveränderungen oder Auffälligkeiten bei der klinischen Untersuchung bestehen nicht.
Abb. 1 Erstbefund am 5. Lebenstag, retikuläre, grobmaschige, nicht vollständig wegdrückbare Livedo.
Abb. 2 Erstbefund am 5. Lebenstag, untere Extremität mit Livedo und Hypotrophie.
Sonografie Schädel am 3. Lebenstag
Unauffälliger Normalbefund.
Diagnose, Therapie und Verlauf
Anamnese und Klinik entsprechen der Diagnose einer Cutis marmorata telangiectatica congenita. Die Diagnose kann bei Vorliegen der folgenden typischen Merkmale klinisch gestellt werden ([
Tab. 1
]):
Tab. 1
Diagnostische Merkmale für die CMTC.
angeborene Hautveränderungen
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retikuläres, nicht vollständig wegdrückbares, livides Erythem (Livedo)
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Vorliegen von Teleangiektasien (ca. 1/5 der Pat.)
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mögliche Hypotrophie der betroffenen Extremität
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spontane Rückläufigkeit in den ersten Lebensjahren
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Cave: Venektasien oder Hemihypertrophien deuten auf andere, kombinierte vaskuläre Malformationen hin.
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angeborenes, netzförmiges, nicht vollständig wegdrückbares, livides Erythem (welches bei Erwärmung der Bereiche persistiert)
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Atrophien (ggf. Ulzerationen) innerhalb des betroffenen Areals
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evtl. Vorliegen von Teleangiektasien
Eine Assoziation mit Körperseitenasymmetrien meist einer Hypotrophie der betroffenen Seite kann, wie hier an den Beinen, ebenfalls bestehen.
Bei der Verlaufsuntersuchung des Säuglings im Alter von 7 Monaten zeigte sich eine erwartete deutliche Rückläufigkeit der Livedo.
Diskussion
Die Cutis marmorata telangiectatica congenita (CMTC) ist eine sporadisch auftretende, charakteristische, kongenitale, vaskuläre (kapilläre) Malformation unbekannter Ätiologie. Wenn auch als selten beschrieben, ist das Auftreten wahrscheinlich häufiger als bisher angenommen. So sehen wir an unserem Zentrum für Pädiatrische Dermatologie ca. 10 Fälle pro Jahr. Hautveränderungen bestehen schon bei Geburt in Form von lividen, grobmaschigen, netzförmigen, „marmorierten“ Erythemen. Diese können teilweise Hypotrophien bis hin zu Hautulzerationen aufweisen [1]
[2]
[3]. Am häufigsten betroffen sind die unteren Extremitäten, gefolgt von Stamm und Armen. Eine Beteiligung des Gesichts oder eine generalisierte CMTC sind ebenfalls möglich [1]
[3]
[4]
[5]. Der Befall ist häufiger einseitig (65 – 74 %). Ein beidseitiges Auftreten wird in 26 – 35 % der Fälle beschrieben. Eine klare Geschlechterwendigkeit besteht nicht. Im Gegensatz zur physiologischen Cutis marmorata, die häufig im Säuglingsalter in Zusammenhang mit Kälteexposition besteht, persistiert die CMTC auch beim Erwärmen der Haut und zeigt sich meist mit asymmetrischer Ausprägung. Atrophien, Ulzerationen und Teleangiektasien sind zudem wegweisend für die CMTC, bestehen aber nur bei einem kleinen Teil der Patienten (19 % Teleangiektasien, 5,6 % Atrophien und 1,4 % Ulzerationen) [3]. Nicht selten findet sich eine leichte Hypotrophie (v. a. Umfangsdifferenz) der betroffenen Extremität. Des Weiteren sind v. a. andere vaskuläre Fehlbildungen (meist kapilläre Malformationen und seltener Hämangiome außerhalb des betroffenen Bereiches der CMTC) [1]
[3]
[4]
[5] und Glaukome (vor allem bei Gesichtsbeteiligung) [6]
[7] mit der CMTC in Assoziation beschrieben. Die Rate assoziierter Anomalien variiert in den verschiedenen Fallstudien, liegt aber oft bei > 50 %, wobei den Großteil hiervon die Körperasymmetrien ausmachen [1]
[3]
[4]
[5]. Aufgrund eigener Erfahrungen ist davon auszugehen, dass die Häufigkeit weiterer assoziierter Anomalien, auch aufgrund eines Zuweisungs-Bias (vermehrte Zuweisung ausgedehnterer CMTC-Fälle mit ggf. zusätzlichen Anomalien an entsprechend spezialisierte Zentren), überschätzt wird.
Die Präsentation von kongenitalen retikulären Erythemen bei CMTC kann eine Abgrenzung zu anderen vaskulären Malformationen erfordern. Retikuläre Naevi flammei können sich initial ähnlich präsentieren, der weitere Verlauf in den ersten Lebensmonaten ist dann diagnostisch. Venöse Ektasien oder Hemihypertrophien hingegen sind hinweisend auf andere, kombinierte vaskuläre Malformationen (z. B. kapillär-venöser Natur wie beim Klippen-Trenaunay-Syndrom). Eine wichtige, abzugrenzende Entität ist das Macrocephaly-Capillary-Malformation-Syndrom, mit eher fleckig-konfluierenden als retikulären kapillären Malformationen, in Kombination mit prominentem Storchenbiss im Gesicht, Hemihypertrophie, Poly- oder Syndaktylie, ZNS-Anomalien und Entwicklungsverzögerung [8].
Die klinische Präsentation ist wegweisend für die Diagnose der CMTC. Diagnostisch sollte, nebst einem vollständigen Hautstatus, Ausmessung einer möglichen Extremitätenhypotrophie und Kopfumfangsmessung, bei Gesichtsbefall auch eine augenärztliche Vorstellung erfolgen (Glaukom). Eine histologische Untersuchung ist nicht zielführend und in der Regel nicht indiziert.
Die Prognose der CMTC ist generell sehr gut, auch bei ausgedehntem Befall. Die lividen Erytheme blassen in der Regel in den ersten 2 – 3 Lebensjahren deutlich ab [1]
[3]
[4]. Die Extremitätenasymmetrie bleibt meist nur leicht ausgeprägt und ohne Progredienz oder klinische Konsequenzen. In den kinderärztlichen Verlaufsuntersuchungen sollte besonders auf den Verlauf einer Extremitätenhypotrophie und gegebenenfalls damit verbundene funktionelle Probleme geachtet werden und die Routine-Entwicklungskontrollen sorgfältig erfolgen. Therapeutisch empfiehlt sich im Kindesalter eine rückfettende Lokalpflege, da betroffene Stellen zur Xerose neigen. Im Erwachsenenalter findet sich häufig nur noch ein blasses diskretes Gefäßnetzwerk. Bei Persistenz von stärkeren Erythemen an sichtbaren oder störenden Hautarealen kann ab dem Alter von ca. 10 Jahren eine Farbstoff-Lasertherapie erfolgen. Der Therapieerfolg ist jedoch in der Regel zurückhaltend zu bewerten [3].
Schlussfolgerung
Die Cutis marmorata telangiectatica congenita ist eine nicht so seltene, angeborene, sporadisch auftretende, vaskuläre Malformation, mehrheitlich die kutanen Kapillaren und Venulae betreffend.
Die Diagnosestellung erfolgt anhand der hoch charakteristischen klinischen Präsentation. Abzugrenzen sind eine physiologische Cutis marmorata sowie kombinierte vaskuläre Malformationen wie das Klippel-Trenaunay-Syndrom oder das Macrocephaly-Capillary-Malformation-Syndrom. Neben einem dermatologischen Ganzkörperstatus sollte der Kopfumfang bestimmt werden und bei Gesichtsbefall eine augenärztliche Vorstellung erfolgen.
Die Läsionen sind meist in den ersten Lebensjahren deutlich regredient und eine Therapie ist nicht notwendig.