Aktuelle Dermatologie 2012; 38(10): 400-402
DOI: 10.1055/s-0032-1310122
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neutrophile Dermatose der Handrücken – eine lokalisierte Form eines Sweet-Syndroms

Neutrophilic Dermatosis of the Dorsal Hands – A Localised Variant of Sweet’s Syndrom
B. Brauns
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Georg-August-Universität Göttingen
,
C. L. Overbeck
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Georg-August-Universität Göttingen
,
H. P. Bertsch
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Georg-August-Universität Göttingen
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. Hans Peter Bertsch
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Georg-August-Universität
Robert-Koch-Str. 40
37077 Göttingen

Publication History

Publication Date:
10 August 2012 (online)

 

Zusammenfassung

Die Neutrophile Dermatose der Handrücken (NDDH) ist eine lokalisierte Form eines Sweet-Syndroms. Das klinische Bild ist charakterisiert durch auf die Handrücken begrenzte livide Papeln und Plaques. Das histologische Korrelat ist ein dichtes, neutrophilenreiches Infiltrat im oberen Korium. In über 50 % der Fälle ist die NDDH mit einer zugrunde liegenden Erkrankung assoziiert. Insbesondere maligne hämatologische Grunderkrankungen und chronisch entzündliche Darmerkrankungen sollten bedacht werden.


Abstract

Neutrophilic Dermatosis of the Dorsal Hands (NDDH) is a localized variant of Sweet’s Syndrom. Patients present violaceous papulonodules and plaques on the dorsal hands. Histologically it is characterized by a dense neutrophilic infiltrate in the upper dermis. Vasculitis can occur. In over 50 % of the cases NDDH is associated with an underlying systemic disease. Particularly malignant haematological diseases and chronic inflammatory bowel diseases should be excluded.


Anamnese

Ein 74-jähriger Patient stellt sich mit seit 4 Tagen bestehenden Rötungen an den Handrücken und Fingerstreckseiten vor. Allgemeine Krankheitssymptome bestehen nicht. Den Hautveränderungen waren weder ein Trauma noch eine UV-Exposition vorangegangen. Als Vorerkrankungen bestehen eine arterielle Hypertonie, eine Hypercholesterinämie und ein nicht-insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ II. Die langjährige Dauermedikation umfasst Metoprolol, Acetylsalicylsäure, Simvastatin, Metformin, Glimepirid und Clopidogrel. Medikamenten- oder Kontaktallergien sind nicht bekannt.

Aufnahmebefund

Symmetrisch an beiden Handrücken und den proximalen Fingerstreckseiten finden sich scharf begrenzte, düsterrote bis livide Papeln und konfluierende Plaques ([Abb. 1]).

Zoom
Zoom
Abb. 1 Konfluierende, livide Plaques an den Handrücken und den proximalen Fingerstreckseiten.


Befunde diagnostischer Untersuchungen

Labor

Im Routinelabor zeigten sich erhöhte Entzündungsparameter (Leukozyten 13 500/µl, neutrophile Granulozyten 77,3 %, CRP 124 mg/l (n < 8), BSG 55 mm/h).


Histologie

In der oberen und mittleren Dermis sind bandförmige, dichte und haufenförmig konfluierende Infiltrate mit neutrophilen Granulozyten ([Abb. 2]) abgrenzbar. Das Stratum papillare ist aufgelockert mit weitgestellten Gefäßen und einem Papillarkörperödem. Auffallend sind prominente Gefäßendothelien mit diskreten fibrinoiden Veränderungen ohne Nekrosen sowie herdförmig neutrophile Granulozyten in den Gefäßwänden einiger postkapillärer Venolen. Perivaskulär erkennbar sind ein schütterer lymphozytärer Saum, stellenweise Fibrinexsudate und wenige Kerntrümmer.

Zoom
Zoom
Abb. 2 Neutrophile Dermatose. a Bandförmiges, neutrophilenreiches Infiltrat im oberen Korium mit Papillarkörperödem. b Dichtes perivaskuläres und interstitielles Infiltrat aus neutrophilen und einzelnen eosinophilen Granulozyten, wenige Kerntrümmer, Endothelschwellung der postkapillären Venolen mit Fibrininsudat in der Gefäßwand, Erythrozytenextravasate (H&E, Vergr. a x 40, b x 200).

Therapie und Verlauf

Nach einer oralen Prednisolonstoßtherapie über 6 Tage (initial 1 mg/kg Körpergewicht) kam es zu einer raschen Befundbesserung. Eine zugrunde liegende Erkrankung wurde nicht festgestellt.



Diskussion

Livide, auf die Handrücken begrenzte Papeln bzw. Plaques mit dem morphologischen Korrelat eines dichten, neutrophilenreichen Infiltrats in der Dermis wurden erstmalig von Strutton et al. als „Pustulöse Vaskulitis der Hände“ abgegrenzt [1] und 2000 von Galaria et al. als „Neutrophile Dermatose der Handrücken“ (neutrophilic dermatosis of the dorsal hands, NDDH) bezeichnet, da die Pusteln wie in unserem Fall nicht als obligat anzusehen sind [2].

Einige Autoren sind der Auffassung, dass es sich bei der NDDH um eine lokalisierte Form einer akuten febrilen neutrophilen Dermatose (Sweet-Syndrom) handelt [2] [3] [4]. Auch bei der NDDH sind neben dem typischen klinischen und histologischen Hautbefund Symptome wie Fieber und allgemeines Krankheitsgefühl möglich. Die laborchemischen Infektparameter sind häufig erhöht. Es existieren bewährte Kriterien nach Su und Liu, modifiziert nach von den Driesch ([Tab. 1]), welche die Diagnose sichern können [4] [5].

Tab. 1

Diagnostische Kriterien nach Su u. Liu [5], modifiziert nach [4].

Hauptkriterien

  1. Abrupter Beginn mit schmerzhaften erythematösen Plaques oder Knoten

  2. Histopathologisch dichtes neutrophiles Infiltrat in der Dermis ohne Hinweise auf eine leukozytoklastische Vaskulitis

Nebenkriterien

  1. vorausgegangener Infekt (respiratorisch, gastrointestinal oder nach Impfung) ODER
    Assoziation mit einer malignen bzw. entzündlichen Erkrankung oder mit einer Schwangerschaft

  2. begleitet von Perioden von AZ-Verschlechterung und Fieber > 38 °C

  3. Laborparameter (3 von 4): BSG > 20 mm/h, positives CRP, Leukozytose > 8000, Neutrophile > 70 %

  4. Gutes Ansprechen auf eine Therapie mit systemischen Steroiden oder mit Kaliumiodid

Diagnose gesichert: Beide Hauptkriterien und 2 von 4 Nebenkriterien

Die Ätiologie der Erkrankung ist nicht bekannt. Maligne hämatologische Erkrankungen (insbesondere der myeloischen Reihe) sowie entzündliche Darmerkrankungen sind in Assoziation beschrieben worden [3] [6].

Die Therapie der NDDH erfolgt in Analogie zum Sweet-Syndrom. In der Regel spricht die Erkrankung sehr gut auf eine systemische Kortikosteroidtherapie an [3]. Auch mit Dapson wurden erfolgreiche Therapieverläufe dokumentiert [4]. Bei ulzerierenden Verlaufsformen sollte neben dem atypischen Sweet-Syndrom differenzialdiagnostisch auch ein vesikulobullöses, sogenanntes atypisches Pyoderma gangraenosum berücksichtigt werden [3]. Bei auffallend langwierigen, knotigen Veränderungen über den Gelenken ist an ein Erythema elevatum et diutinum zu denken [4].

HistoIogisch ist das Fehlen einer klassischen Vaskulitis nach Sweet [7] typisch, aber es wurden viele Fälle beschrieben, die, wie unserer auch, diskrete vaskulitische Veränderungen an kleinen Gefäßen zeigen [1]. Diese sind also keinesfalls ein Ausschlusskriterium für die Diagnose.




Korrespondenzadresse

Dr. Hans Peter Bertsch
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Georg-August-Universität
Robert-Koch-Str. 40
37077 Göttingen


Zoom
Zoom
Abb. 1 Konfluierende, livide Plaques an den Handrücken und den proximalen Fingerstreckseiten.
Zoom
Zoom
Abb. 2 Neutrophile Dermatose. a Bandförmiges, neutrophilenreiches Infiltrat im oberen Korium mit Papillarkörperödem. b Dichtes perivaskuläres und interstitielles Infiltrat aus neutrophilen und einzelnen eosinophilen Granulozyten, wenige Kerntrümmer, Endothelschwellung der postkapillären Venolen mit Fibrininsudat in der Gefäßwand, Erythrozytenextravasate (H&E, Vergr. a x 40, b x 200).